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Bundesfinanzhof
Beschl. v. 14.04.2011, Az.: VI B 143/10
Auch bei pflichtwidriger Unterlassung eines Vorläufigkeitsvermerks trifft das Finanzamt keine Pflicht zur Änderung einer Steuerfestsetzung; Pflicht des Finanzamts zur Änderung einer Steuerfestsetzung bei pflichtwidriger Unterlassung eines Vorläufigkeitsvermerks; Befugnis zur Änderung einer festsetzungsverjährten Steuerfestsetzung nur bei Vorliegen der Voraussetzungen einer Änderungsvorschrift
Gericht: BFH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 14.04.2011
Referenz: JurionRS 2011, 18015
Aktenzeichen: VI B 143/10
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

FG Saarland - 23.09.2010 - AZ: 1 K 1208/07

Fundstellen:

BFH/NV 2011, 1289-1290

StX 2011, 429-430

BFH, 14.04.2011 - VI B 143/10

Gründe

1

I.

Die Klägerin und Beschwerdeführerin war in den Streitjahren (1998 und 1999) selbständig und der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) --ihr Ehemann-- nichtselbständig tätig. Der Kläger beantragte in beiden Steuererklärungen Kosten für seine doppelte Haushaltsführung als Werbungskosten zu berücksichtigen. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) ließ diese Kosten nicht zum Abzug zu. Die betreffenden Einkommensteuerbescheide ergingen zwar jeweils vorläufig im Hinblick auf einzelne anhängige Musterverfahren, jedoch nicht in Bezug auf die zeitliche Begrenzung der doppelten Haushaltsführung. Die Nichtberücksichtigung der Kosten für die doppelte Haushaltsführung wurde vom FA in den Bescheiden nicht erläutert. Die Kläger legten gegen die betreffenden Einkommensteuerbescheide keinen Einspruch ein. Im Jahr 2006, als das FA sämtliche anderen, noch offenen Jahre wegen der festgestellten Verfassungswidrigkeit der Abzugsbegrenzung auf zwei Jahre für Kosten der doppelten Haushaltsführung änderte, bemerkten die Kläger, dass die Bescheide für 1998 und 1999 nicht vorläufig im Hinblick auf die Kosten der doppelten Haushaltsführung ergangen waren. Die daraufhin 2006 eingelegten Einsprüche verwarf das FA wegen Verfristung als unzulässig. Das Finanzgericht (FG) bestätigte in seinem Urteil die Auffassung des FA und wies die Klage ab. Die Revision wurde nicht zugelassen.

2

II.

Die Beschwerde der Kläger hat --bei Zweifeln an deren Zulässigkeit-- jedenfalls in der Sache keinen Erfolg. Weder ist eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) erforderlich, noch hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).

3

1.

Die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO wegen Divergenz setzt eine die Rechtseinheit gefährdende Abweichung der angefochtenen Entscheidung voraus. Diese ist dann gegeben, wenn das FG bei vergleichbarem Sachverhalt in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage eine andere Rechtsauffassung vertritt als der BFH, das Bundesverfassungsgericht oder ein anderes FG. Das FG muss seiner Entscheidung einen abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt haben, der mit den tragenden Rechtsausführungen in der Divergenzentscheidung des anderen Gerichts nicht übereinstimmt (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 30. Oktober 2009 III B 6/08, BFH/NV 2010, 176, m.w.N.).

4

Die Divergenzrüge der Kläger bleibt ohne Erfolg. Es fehlt an einer Abweichung des FG von der Rechtsprechung des BFH. Der von den Klägern angegriffene Rechtssatz des FG, dass die schlichte Geltendmachung von Kosten im Rahmen der Steuererklärung im Falle der Nichtberücksichtigung seitens des FA nicht zugleich ein konkludenter Einspruch gegen diese Ablehnung ist und daher ein Einspruch nach Bescheiderteilung ausdrücklich erforderlich sei, weicht entgegen der Auffassung der Kläger nicht von der Entscheidung des BFH vom 30. Oktober 2003 III R 24/02 (BFHE 204, 10, BStBl II 2004, 394) ab. Vielmehr entspricht dieser Rechtssatz des FG der Rechtsprechung des BFH. Denn auch dieser geht in der genannten Entscheidung davon aus, dass nach Erlass des Bescheides eine --die Nichtberücksichtigung von Aufwendungen-- anfechtende Willenserklärung notwendig ist. Allein die ausdrückliche Bezeichnung als Einspruch ist entbehrlich, wenn ein Änderungsantrag, der nach Eintritt der Bestandskraft des Bescheides gestellt wurde, seinem Zweck nach eindeutig in einen Einspruch umgedeutet werden kann. Diese Frage betrifft jedoch nur die Auslegung von Willenserklärungen, die sich gegen die Steuerfestsetzung richten. Letztlich hat der BFH in dem betreffenden Urteil zunächst einen konkludenten Antrag auf Gewährung eines Ausbildungsfreibetrages allein durch das Angeben sämtlicher erforderlicher Tatsachen auf der "Anlage Kinder" erkannt. Jedoch mussten die damaligen Kläger gegen die Nichtberücksichtigung des Ausbildungsfreibetrages Einspruch einlegen. Allein in dem konkludenten Antrag lag kein Einspruch der damaligen Kläger. Ein dann folgender Änderungsantrag wurde als Einspruch beurteilt und wegen der fehlenden Begründung im Bescheid bezüglich des Ausbildungsfreibetrages wurde eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand --in das Einspruchsverfahren-- durch den BFH für das Jahr gewährt, für welches die Ausschlussfrist des § 110 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO) noch nicht abgelaufen war. Wäre der BFH in der Divergenzentscheidung --wie von den Klägern behauptet-- von der Möglichkeit eines konkludenten Einspruches durch den konkludenten Antrag in der Steuererklärung ausgegangen, hätte er zu einem anderen Ergebnis kommen müssen. Denn dann wäre der bereits mit Abgabe der Steuererklärung eingelegte Einspruch bisher nicht beschieden und eine Wiedereinsetzung gar nicht erforderlich gewesen.

5

2.

Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn die vom Beschwerdeführer aufgeworfene Rechtsfrage im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und im künftigen Revisionsverfahren klärungsfähig ist (BFH-Beschluss vom 10. Februar 2005 II B 37/04, BFH/NV 2005, 1116). An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es auch dann, wenn die Rechtsfrage offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das FG getan hat, die Rechtslage also eindeutig ist und nicht (erst) in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss (BFH-Beschluss vom 6. Mai 2004 V B 101/03, BFHE 205, 416, BStBl II 2004, 748).

6

Die von den Klägern aufgeworfene Rechtsfrage,

"ob die Finanzbehörde in den Fällen, in denen sie pflichtwidrig keine Vorläufigkeitsvermerke erteilt hat, nach Klärung der Rechtsfrage und ihrer Kenntnis davon ... im Umfange der bei pflichtgemäßem Handeln erklärten Vorläufigkeit zur Änderung der Steuerbescheide verpflichtet ist",

ist vorliegend nicht klärungsbedürftig. Denn die Frage ist vom FG zutreffend beantwortet worden. Eine Pflicht des FA zur Änderung einer Steuerfestsetzung besteht nur dann, wenn die Voraussetzungen einer Änderungsvorschrift vorliegen. Damit scheidet jegliche Pflicht zur Korrektur von Steuerbescheiden aus, wenn die Steuerfestsetzung festsetzungsverjährt ist (§ 169 Abs. 1 Satz 1 AO). Denn das FA hat keine Befugnis zur Änderung einer festsetzungsverjährten Steuerfestsetzung. Eine solche ergibt sich auch nicht daraus, dass der Bescheid hinsichtlich eines Punktes vorläufig hätte ergehen müssen. Diese Pflicht kann unter Umständen zu einer Berichtigung wegen einer offenbaren Unrichtigkeit i.S. des § 129 AO führen oder auch zu einem erfolgreichen Einspruchsverfahren auf Erlass eines Vorläufigkeitsvermerks. Wird eine Änderung nach § 129 AO nicht vor Ablauf der Festsetzungsverjährung beantragt oder vom FA von Amts wegen vorgenommen und wurde zudem kein Einspruch gegen die endgültige Steuerfestsetzung eingelegt, verjährt die betreffende --möglicherweise rechtswidrige-- Steuerfestsetzung regulär. In diesen Fällen hat sich der Gesetzgeber für den Vorrang des Rechtsfriedens vor der materiellen Richtigkeit entschieden. Vorliegend war der Ablauf der Festsetzungsfrist auch nicht wegen § 171 Abs. 8 Satz 2 AO gehemmt. Denn die Steuerfestsetzungen waren gerade nicht mit einem (punktuellen) Vorläufigkeitsvermerk (§ 165 AO) versehen. Die Bescheide sind auch nicht so zu behandeln, als ob sie vorläufig wären. Dies liefe dem System der Abgabenordnung zuwider. Denn die Vorläufigkeit als eine Nebenbestimmung muss sich in jedem Fall aus dem Verwaltungsakt selbst ergeben. Entscheidend für die Wirksamkeit einer Nebenbestimmung ist gerade nicht, was das FA regeln wollte oder musste, sondern allein, was tatsächlich geregelt worden ist.

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