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Bundesfinanzhof
Beschl. v. 21.06.2010, Az.: VII B 247/09
Vorliegen einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör oder der Sachaufklärungspflicht im finanzgerichtlichen Verfahren
Gericht: BFH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 21.06.2010
Referenz: JurionRS 2010, 24227
Aktenzeichen: VII B 247/09
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

FG München - 25.09.2009 - AZ: 14 K 3436/06

Fundstelle:

BFH/NV 2010, 2113-2114

BFH, 21.06.2010 - VII B 247/09

Gründe

1

I.

Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) führte im Mai 2005 drei Keilschrifttafeln zusammen mit anderen "Sammelstücken von geschichtlichem Wert" aus der Schweiz nach Deutschland ein. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Hauptzollamt --HZA--) nahm die Zollanmeldung an und überließ die Waren. Mit der Begründung, dass die Keilschrifttafeln als irakisches Kulturgut einem Einfuhrverbot unterlegen hätten, widerrief das HZA im Februar 2006 deren Überlassung und ordnete die Sicherstellung an.

2

Die hiergegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage, mit der die Klägerin geltend macht, dass weder anhand der auf den Tafeln verwendeten Sprache noch der Datierung ein gesicherter Rückschluss auf ihre Herkunft aus dem heutigen Irak gezogen werden könne, wies das Finanzgericht (FG) aus den in der Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern 2010, Beilage 1, 7 veröffentlichten Gründen ab.

3

Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin, welche sie auf den Zulassungsgrund des Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) stützt.

4

II.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Verfahrensmängel sind zum Teil nicht schlüssig dargelegt, wie es § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO erfordert, liegen aber jedenfalls nicht vor.

5

1.

Anders als die Beschwerde meint, hat das FG klägerisches Vorbringen zur Herkunft der Keilschrifttafeln nicht in einer den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO) verletzenden Weise unberücksichtigt gelassen. Das FG ist nicht verpflichtet, sich in der Urteilsbegründung mit jedem Vorbringen der Beteiligten ausdrücklich zu befassen. Es ist vielmehr grundsätzlich davon auszugehen, dass das Gericht das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis genommen hat (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 18. Juni 2001 II B 129/00, BFH/NV 2001, 1292). Daher liegt in derartigen Fällen eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nur vor, wenn sich aus den besonderen Umständen des Einzelfalls deutlich ergibt, dass das FG Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat (BFH-Beschluss vom 19. November 2002 X B 78/01, BFH/NV 2003, 335, m.w.N.).

6

Hierfür gibt es im Streitfall jedoch keine Anhaltspunkte. Das FG ist aufgrund des im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. X zu der Überzeugung gelangt, dass die Tafeln der (heutigen) irakischen Kultur zuzuordnen sind, wobei es die gegen dieses Gutachten vorgebrachten Einwendungen der Klägerin, insbesondere zur möglichen Herkunft der Tafeln aus dem Gebiet des heutigen Iran sowie zu angeblichen Widersprüchen zu den dem FG vorgelegten Ausführungen des Prof. Dr. Y berücksichtigt und sich mit ihnen ausdrücklich auseinandergesetzt hat. Das FG hat diese Einwendungen allerdings nicht für substantiiert gehalten und ist ihnen nicht gefolgt bzw. hat den Ausführungen des Prof. Dr. Y keine Widersprüche zum Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. X entnehmen können, woraus jedoch keine einen Verfahrensfehler begründende Nichtberücksichtigung des klägerischen Vorbringens hergeleitet werden kann, weil die richterliche Beweiswürdigung dem materiellen Recht zuzuordnen ist und somit eine (angebliche) fehlerhafte Beweiswürdigung keinen Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO darstellt und nicht zur Zulassung der Revision führen kann.

7

2.

Ein Verfahrensmangel in Gestalt einer Verletzung der dem FG obliegenden Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) ist auch nicht in dem Umstand zu sehen, dass das FG ein (in der mündlichen Verhandlung im Übrigen auch nicht beantragtes) weiteres Gutachten nicht eingeholt hat. Gemäß § 412 Abs. 1 der Zivilprozessordnung, der über § 82 FGO auch für das finanzgerichtliche Verfahren gilt, kann zwar das Gericht eine neue Begutachtung durch dieselben oder durch andere Sachverständige anordnen, wenn es das Gutachten für ungenügend erachtet. Das somit dem Tatsachengericht bei der Bestimmung von Art und Zahl einzuholender Sachverständigengutachten zustehende Ermessen wird aber nur dann verfahrensfehlerhaft ausgeübt, wenn das Gericht von der Einholung weiterer Gutachten absieht, obwohl sich ihm die Notwendigkeit dieser zusätzlichen Beweiserhebung aufdrängen müsste. Dies ist der Fall, wenn die Grundvoraussetzungen für die Verwertbarkeit bereits vorliegender Gutachten insbesondere deswegen nicht gegeben sind, weil sie offen erkennbare Mängel aufweisen, von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgehen oder unlösbare Widersprüche enthalten, wenn ferner Zweifel an der Sachkunde oder Unparteilichkeit der Gutachter bestehen oder ihnen das einschlägige spezielle Fachwissen fehlt (BFH-Beschluss vom 24. Juli 2003 III B 133/02, BFH/NV 2004, 54, m.w.N.). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat das FG im Streitfall verfahrensfehlerfrei verneint, indem es nach Auseinandersetzung mit den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. X, denen zufolge die Keilschrifttafeln zweifelsfrei der irakischen Kultur zuzuordnen seien, diese für nachvollziehbar und überzeugend gehalten hat (vgl. BFH-Beschluss vom 5. Mai 2004 VIII B 107/03, BFH/NV 2004, 1533). Das FG war nicht allein deshalb verpflichtet, ein weiteres Gutachten einzuholen, weil die Klägerin wegen angeblicher Widersprüche zu Ausführungen des Prof. Dr. Y das bereits vorliegende Gutachten des Prof. Dr. X für keine ausreichende Erkenntnisquelle hielt (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2004, 54).

8

3.

Soweit die Beschwerde mit ihrem übrigen auf die einzelnen Tafeln bezogenen Vorbringen deren Herkunft aus dem Gebiet des heutigen Irak in Zweifel zu ziehen versucht, wendet sie sich gegen die --wie bereits ausgeführt-- dem materiellen Recht zuzuordnende Beweiswürdigung und legt somit keinen Verfahrensmangel dar.

9

4.

Auch soweit das FG den Verdacht für begründet gehalten hat, dass die Keilschrifttafeln unter Verstoß gegen irakische Gesetze und Bestimmungen aus dem Irak verbracht worden sind, und ihre Ausfuhr aus dem Irak vor dem 6. August 1990 als nicht erwiesen angesehen hat, hat es --wie sich den Urteilsgründen ohne weiteres entnehmen lässt-- klägerisches Vorbringen nicht unberücksichtigt gelassen, sondern ist lediglich diesem Vorbringen nicht gefolgt. Dass es --wie die Beschwerde unter Hinweis auf die schriftliche Erklärung der Frau Z vorträgt-- nicht üblich sei, dass Unterlagen über einen 15 Jahre zurückliegenden Kauf noch aufbewahrt werden, ändert nichts daran, dass --wie vom FG festgestellt-- keinerlei Ausfuhrgenehmigungen oder andere Dokumente, aus denen sich die Rechtmäßigkeit des Besitzes ergibt, und auch keine Belege über eine Ausfuhr der Tafeln vor dem 6. August 1990 vorlagen. Wenn das FG unter diesen Umständen zwar von den schriftlichen Erklärungen der Frau Z ausging, diese jedoch für zu vage bzw. für nicht nachvollziehbar (weil vom "Hörensagen") hielt und deshalb davon absah, die (seitens der Klägerin in der mündlichen Verhandlung nicht beantragte) Vernehmung der Frau Z als Zeugin vom Amts wegen anzuordnen, so stellt dies keinen Verfahrensmangel dar. Im Übrigen hat das FG zutreffend ausgeführt, dass es nicht verpflichtet ist, einen im Ausland ansässigen, jedoch zur mündlichen Verhandlung nicht gestellten Zeugen zu einem sog. Auslandssachverhalt zu vernehmen (§ 76 Abs. 1 Satz 4 FGO i.V.m. § 90 Abs. 2 der Abgabenordnung). Eines vorherigen entsprechenden Hinweises durch das FG bedurfte es --anders als die Beschwerde meint-- nicht, weil die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten sachkundig vertreten war.

10

5.

Die Entscheidung des FG stellt auch keine den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör verletzende Überraschungsentscheidung dar. Die Klägerin hatte in Anbetracht der richterlichen Anordnung vom 4. Juni 2009 keinen Grund zu der Annahme, dass das FG "Zweifel an dem Vorliegen von 'irakischen Kulturgütern' hegte". Dieser Anordnung konnte lediglich entnommen werden, dass sich das FG zu dieser Frage noch kein Urteil gebildet hatte, was allerdings zu diesem Zeitpunkt selbstverständlich war, da die an dem Urteil mitwirkenden Richter des Senats diese Frage erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung zu entscheiden hatten. Die Klägerin musste deshalb in Betracht ziehen, dass der FG-Senat im Zeitpunkt der Urteilsfindung das ihm vorliegende Gutachten des Prof. Dr. X für seine Überzeugungsbildung ausreichend halten würde.

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