Urt. v. 11.02.2010, Az.: VI R 43/09
Verfahrensgang:
vorgehend:
FG Niedersachsen - 19.03.2009 - AZ: 11 K 83/07
Fundstellen:
BFHE 228, 354 - 356
AuA 2010, 296
BB 2010, 921
BB 2010, 1648
BBK 2010, 352-353
BFH/NV 2010, 1016-1017
BFH/PR 2010, 209-210
BStBl II 2012, 266-267 (Volltext mit amtl. LS)
DAR 2010, 346
DB 2010, 6
DB 2010, 1484
DB 2010, 762-763
DStR 2010, 7
DStR 2010, 643-644
DStRE 2010, 510
DStZ 2010, 350
EStB 2010, 163
FR 2010, 624-625
GmbHR 2010, 545-546
GmbH-StB 2010, 124
GStB 2010, 22
HFR 2010, 463-464
KÖSDI 2010, 16952
NJW 2010, 1488
NWB 2010, 1032-1033
NWB direkt 2010, 318-319
NZA 2010, 868
NZA-RR 2010, 485-486
NZG 2010, 598
NZV 2010, 395
RdW 2010, 361-362
StB 2010, 138
StBW 2010, 297-298
StC 2010, 10-11
steueranwaltsmagazin 2010, 156
STFA 2010, 30
StuB 2010, 369
StX 2010, 216
SWK 2010, 595
Jurion-Abstract 2010, 224749 (Zusammenfassung)
BFH, 11.02.2010 - VI R 43/09
Amtlicher Leitsatz:
- 1.
Die nachhaltige "vertragswidrige" private Nutzung eines betrieblichen PKW durch den anstellungsvertraglich gebundenen Gesellschafter-Geschäftsführer ist nicht stets als vGA zu beurteilen.
- 2.
Unterbindet die Kapitalgesellschaft die unbefugte Nutzung durch den Gesellschafter-Geschäftsführer nicht, kann dies sowohl durch das Beteiligungsverhältnis als auch durch das Arbeitsverhältnis veranlasst sein. Die Zuordnung (vGA oder Arbeitslohn) bedarf der wertenden Betrachtung im Einzelfall (Anschluss an BFH-Urteil vom 23. April 2009 VI R 81/06, BFHE 225, 33).
Gründe
I.
Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Lohnsteuerhaftungsbescheids wegen der Privatnutzung eines Firmenfahrzeugs durch den Gesellschafter-Geschäftsführer.
An der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) waren zunächst A mit 45%, seine Lebensgefährtin B mit 50% sowie C mit 5% beteiligt. Am 8. Juli 2004 erwarb A den Geschäftsanteil des C. Alleinvertretungsberechtigte Geschäftsführer der Klägerin sind A und B.
Die Klägerin stellte A während des Streitzeitraumes Januar 2003 bis Juli 2005 jeweils folgende PKW zur Verfügung:
Typ | BMW 750IL | BMW 745I | BMW 760Li |
Bruttolistenpreis | 105.000 EUR | 85.000 EUR | 150.800 EUR |
Zeitraum | bis 09/2003 | bis 06/2005 | Juli 2005 |
In dem Anstellungsvertrag mit A ist vereinbart, dass dieser den PKW ausschließlich für geschäftliche Zwecke nutzen darf.
Im Rahmen einer bei der Klägerin durchgeführten Lohnsteuer-Außenprüfung gelangte der Prüfer zu der Auffassung, eine Privatnutzung durch A sei nicht auszuschließen, da weder ein Fahrtenbuch geführt worden sei noch sonst eine Überwachung der Einhaltung des Nutzungsverbots stattgefunden habe. Zudem verfüge A privat nur über ein Saab Cabrio mit Erstzulassung vom 30. April 1991 und Saisonkennzeichen für April bis Oktober.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) folgte der Auffassung des Lohnsteuer-Außenprüfers, dass die Privatnutzung ab 2001 im Rahmen der 1%-Regelung als lohnsteuerpflichtiger Sachbezug zu versteuern sei, und erließ --nachdem sich die Klägerin mit der Übernahme der Lohnsteuer einverstanden erklärt hatte-- einen entsprechenden Haftungsbescheid über Lohnsteuer 32.631,88 EUR, Kirchensteuer 2.936,91 EUR und Solidaritätszuschlag 1.794,79 EUR.
Das Finanzgericht (FG) gab der nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage statt. Es beurteilte den Vorteil aus der PKW-Nutzung nicht als Lohn, sondern als verdeckte Gewinnausschüttung (vGA).
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.
Das FA beantragt,
das Urteil des Niedersächsischen FG vom 19. März 2009 11 K 83/07 aufzuheben.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II.
Die Revision ist begründet. Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass die vertragswidrige Privatnutzung eines betrieblichen PKW durch den Gesellschafter-Geschäftsführer stets als vGA und nicht als Arbeitslohn der Besteuerung zu unterwerfen ist.
1.
Zum Arbeitslohn gehören nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 8 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) alle geldwerten Vorteile, die für eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden. Auch die unentgeltliche bzw. verbilligte Überlassung eines Dienstwagens durch den Arbeitgeber an den Arbeitnehmer für dessen Privatnutzung führt zu einer Bereicherung des Arbeitnehmers und damit zum Lohnzufluss (Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 4. April 2008 VI R 68/05, BFHE 221, 17, BStBl II 2008, 890; vom 6. November 2001 VI R 62/96, BFHE 197, 142, BStBl II 2002, 370 [BFH 06.11.2001 - VI R 62/96]; vom 7. November 2006 VI R 19/05, BFHE 215, 256, BStBl II 2007, 116; VI R 95/04, BFHE 215, 252, BStBl II 2007, 269 [BFH 07.11.2006 - VI R 95/04]).
a)
Sachlohn und damit ein lohnsteuerlich erheblicher Vorteil ist immer dann anzusetzen, wenn der Gesellschafter-Geschäftsführer das betriebliche Fahrzeug nicht vertragswidrig privat nutzt, sondern sich auf eine im Anstellungsvertrag ausdrücklich zugelassene Nutzungsgestattung stützen kann (vgl. BFH-Urteile vom 23. Januar 2008 I R 8/06, BFHE 220, 276; vom 17. Juli 2008 I R 83/07, BFH/NV 2009, 417, und vom 23. April 2009 VI R 81/06, BFHE 225, 33).
b)
Nutzt der Gesellschafter-Geschäftsführer hingegen den Betriebs-PKW ohne entsprechende Gestattung der Gesellschaft für private Zwecke, liegt eine vGA und kein Arbeitslohn vor. Die unbefugte Privatnutzung des betrieblichen PKW hat keinen Lohncharakter. Denn ein Vorteil, den der Arbeitnehmer gegen den Willen des Arbeitgebers erlangt, wird nicht "für" eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt und zählt damit nicht zum Arbeitslohn nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 8 Abs. 1 EStG. Vielmehr ist die ohne Nutzungs- oder Überlassungsvereinbarung erfolgende oder darüber hinausgehende, aber auch die einem ausdrücklichen Verbot widersprechende Nutzung durch das Gesellschaftsverhältnis zumindest mit veranlasst (BFH-Urteil in BFHE 225, 33 [BFH 23.04.2009 - VI R 81/06]).
c)
Allerdings ist in einem solchen Fall der Nutzungsvorteil nicht stets als vGA zu beurteilen. Bei einer nachhaltigen "vertragswidrigen" privaten Nutzung eines betrieblichen PKW durch den anstellungsvertraglich gebundenen Gesellschafter-Geschäftsführer liegt der Schluss nahe, dass Nutzungsbeschränkung oder -verbot nicht ernstlich, sondern lediglich formal vereinbart sind, da üblicherweise der Arbeitgeber eine unbefugte Nutzung durch den Arbeitnehmer nicht duldet. Unterbindet der Arbeitgeber (Kapitalgesellschaft) die unbefugte Nutzung durch den Arbeitnehmer (Gesellschafter-Geschäftsführer) nicht, kann dies sowohl durch das Beteiligungsverhältnis als auch durch das Arbeitsverhältnis veranlasst sein. Die Zuordnung bedarf dann der wertenden Betrachtung aller Gesamtumstände des Einzelfalls, bei der immer auch zu berücksichtigen ist, dass die "vertragswidrige" Privatnutzung auf einer vom schriftlich Vereinbarten abweichenden, mündlich oder konkludent getroffenen Nutzungs- oder Überlassungsvereinbarung beruhen und damit im Arbeitsverhältnis wurzeln kann.
2.
Die Vorentscheidung beruht auf einer anderen Rechtsauffassung und ist daher aufzuheben. Die Sache ist jedoch nicht spruchreif. Das FG hat im zweiten Rechtsgang zunächst --u.U. unter Zuhilfenahme des Anscheinsbeweises (BFH-Urteil vom 28. August 2008 VI R 52/07, BFHE 223, 12, BStBl II 2009, 280, m.w.N.; BFH-Beschlüsse vom 13. April 2005 VI B 59/04, BFH/NV 2005, 1300, und vom 27. Oktober 2005 VI B 43/05, BFH/NV 2006, 292 [BFH 27.10.2005 - VI B 43/05])-- zu untersuchen, ob der betriebliche PKW von A privat genutzt worden ist, und sodann --falls eine private Nutzung festgestellt werden konnte-- den Vorteil aus der Privatnutzung der betrieblichen PKW wertend dem Gesellschafts- oder, sofern A Arbeitnehmer der Klägerin i.S. von § 1 Abs. 2 Sätze 1 und 2 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung (i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a EStG) ist, dem Arbeitsverhältnis zuzuordnen (vgl. BFH-Urteil in BFHE 225, 33 [BFH 23.04.2009 - VI R 81/06]).
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