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Bundesarbeitsgericht
Urt. v. 16.02.2012, Az.: 6 AZR 553/10
Berechtigtes und schützenwertes Interesse des Arbeitgebers hinsichtlich der Frage nach dem Vorliegen einer Schwerbehinderteneigenschaft in einem bestehenden Arbeitsverhältnis; Diskriminierung eines Arbeitnehmer durch die Frage nach einer Schwerbehinderung im Vorfeld einer Kündigung; Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht bei der Frage des Arbeitgebers nach einer Schwerbehinderung; Arbeitgeberbefugnisse eines "schwachen" vorläufigen Insolvenzverwalters
Gericht: BAG
Entscheidungsform: Urteil
Datum: 16.02.2012
Referenz: JurionRS 2012, 12948
Aktenzeichen: 6 AZR 553/10
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

ArbG Iserlohn - 26.11.2009 - AZ: 4 Ca 2001/09

LAG Hamm - 30.06.2010 - AZ: 2 Sa 49/10

Fundstellen:

BAGE 141, 1 - 15

AA 2012, 115-117

ArbR 2012, 116

ArbRB 2012, 135-136

ArbRB 2012, 69

AuA 2012, 241

AuR 2012, 224-225

AuR 2012, 141

AUR 2012, 141

AUR 2012, 224-225

BB 2012, 1023-1024

BB 2012, 572 (Pressemitteilung)

br 2012, 111

br 2012, 129-134

DB 2012, 1042-1044

DB 2012, 20-21 (Pressemitteilung)

DSB 2012, 90-91

DStR 2012, 1617

DStR 2012, 912

DuD 2012, 606-609

EWiR 2012, 501

EzA-SD 8/2012, 9-13

EzA-SD 4/2012, 12-13 (Pressemitteilung)

FA 2012, 185-186

FA 2012, 116-117 (Pressemitteilung)

FStBay 2013, 130-133

FStBW 2012, 702-703

FStHe 2012, 540-541

FStNds 2012, 604-605

GmbHR 2012, 94

GV/RP 2012, 392-393

GWR 2012, 209

InsbürO 2012, 321

Life&Law 2012, 488-494

MDR 2012, 920-921

MDR 2012, 13 (Pressemitteilung)

NJ 2012, 478-480

NJ 2012, 7

NJW 2012, 8

NJW 2012, 2058-2062

NJW-Spezial 2012, 308

NZA 2012, 10-11

NZA 2012, 555-560

NZA-RR 2012, 403-404

NZI 2012, 7

PERSONALmagazin 2012, 71

PersR 2012, 234

RdA 2013, 47-48

RDV 2012, 141-147

RdW 2012, 694-695

SAE 2012, 4 (Pressemitteilung)

schnellbrief 2012, 3

sis 2012, 247

StBW 2012, 279

StBW 2012, 278

StX 2012, 175-176

ZInsO 2012, 803

ZIP 2012, 5-6

ZIP 2012, 1572-1578

ZMV 2012, 106

ZTR 2012, 214

ZTR 2012, 295-299

BAG, 16.02.2012 - 6 AZR 553/10

Orientierungssatz:

  1. 1.

    Für die Frage nach dem Vorliegen einer Schwerbehinderteneigenschaft bzw. einem diesbezüglich gestellten Antrag besteht ein berechtigtes, billigenswertes und schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers. Diese Frage ist im bestehenden Arbeitsverhältnis jedenfalls nach Ablauf der Frist des § 90 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX zuzulassen, um dem Arbeitgeber ein rechtstreues Verhalten zu ermöglichen. Insbesondere im Vorfeld einer beabsichtigten Kündigung zeigt der Arbeitgeber mit dieser Frage, dass er seine zum Schutz des Schwerbehinderten bei einer Kündigung bestehenden Pflichten nach § 1 Abs. 3 KSchG und §§ 85 ff. SGB IX erfüllen will.

  2. 2.

    Die Einholung eines sog. Negativattests ist für den Arbeitgeber keine gleich geeignete Alternative zur Frage nach der Schwerbehinderung.

  3. 3.

    Die Frage im Vorfeld einer Kündigung diskriminiert den Arbeitnehmer nicht wegen einer Behinderung unmittelbar iSd. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG. Sie setzt behinderte Arbeitnehmer nicht gegenüber Nichtbehinderten zurück. Die Frage dient vielmehr der Wahrung der Rechte und Interessen der Schwerbehinderten und ist Voraussetzung dafür, dass der Arbeitgeber die Belange des schwerbehinderten Menschen bei Kündigungen überhaupt wahren kann.

  4. 4.

    § 28 Abs. 6 Nr. 3 BDSG lässt die Frage nach der Schwerbehinderung und damit nach sensitiven Daten iSv. § 3 Abs. 9 BDSG zu. Eine Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung rechtlicher Ansprüche als Voraussetzung einer Datenerhebung nach § 28 Abs. 6 Nr. 3 BDSG liegt in Übereinstimmung mit der Formulierung des Art. 8 Abs. 2 Buchst. b RL 95/46/EG auch dann vor, wenn die Datenerhebung erforderlich ist, um den Rechten und Pflichten des Arbeitgebers Rechnung zu tragen. Dazu gehören auch die Pflichten des Arbeitgebers zur Beachtung der Schwerbehinderung im Rahmen der Sozialauswahl und zur Wahrung des Schwerbehindertenschutzes nach §§ 85 ff. SGB IX.

  5. 5.

    Die Frage nach der Schwerbehinderung im Vorfeld von Kündigungen verletzt den schwerbehinderten Arbeitnehmer nicht in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Aus dem Grundgesetz ergeben sich insoweit keine weitergehenden Anforderungen als aus dem Unionsrecht.

  6. 6.

    Das Insolvenzgericht darf nach § 22 Abs. 2 Satz 2 InsO den schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter zu einzelnen bestimmt bezeichneten Maßnahmen berechtigen und verpflichten. Dazu gehört auch die Ermächtigung zur Kündigung bestimmbarer Arten von Dauerschuldverhältnissen. Ein solcher halbstarker vorläufiger Insolvenzverwalter rückt bereits im Insolvenzeröffnungsverfahren hinsichtlich der Kündigungsberechtigung in die Arbeitgeberstellung ein und ist berechtigt, alle damit verbundenen Entscheidungen vorzubereiten und zu treffen.

  7. 7.

    Die Verpflichtung zur Auskunft der Beschäftigten des Schuldners gegenüber dem schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter umfasst alle rechtlichen und wirtschaftlichen Umstände, die für die Abwicklung des Insolvenzverfahrens oder von Gläubigerforderungen in irgendeiner Weise von Bedeutung sein können. Hierunter fällt auch die Auskunft über die Schwerbehinderteneigenschaft.

  8. 8.

    Verneint der schwerbehinderte Arbeitnehmer die Frage nach seiner Schwerbehinderung im Vorfeld einer Kündigung wahrheitswidrig, ist es ihm im Kündigungsschutzprozess unter dem Gesichtspunkt widersprüchlichen Verhaltens verwehrt, sich auf seine Schwerbehinderteneigenschaft zu berufen.

Amtlicher Leitsatz:

Die Frage des Arbeitgebers nach der Schwerbehinderung bzw. einem diesbezüglich gestellten Antrag ist im bestehenden Arbeitsverhältnis jedenfalls nach sechs Monaten, dh. ggf. nach Erwerb des Behindertenschutzes gemäß §§ 85 ff. SGB IX, zulässig. Das gilt insbesondere zur Vorbereitung von beabsichtigten Kündigungen.

In Sachen
...
Kläger, Berufungsbeklagter und Revisionskläger,
pp.
Beklagter, Berufungskläger und Revisionsbeklagter,
hat der Sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 16. Februar 2012 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Fischermeier als Vorsitzenden, den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Brühler, die Richterin am Bundesarbeitsgericht Spelge sowie den ehrenamtlichen Richter Schäferkord und die ehrenamtliche Richterin Bender
für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.

    Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 30. Juni 2010 - 2 Sa 49/10 - wird zurückgewiesen.

  2. 2.

    Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung.

2

Der mit einem GdB von 60 schwerbehinderte Kläger stand seit dem 1. November 2007 in einem bis zum 31. Oktober 2009 befristeten Arbeitsverhältnis mit der Schuldnerin. Am 8. Januar 2009 ordnete das Amtsgericht Arnsberg (- 21 IN 21/09 -) das vorläufige Insolvenzverfahren über deren Vermögen an und bestellte den Beklagten zum vorläufigen Insolvenzverwalter. Zugleich übertrug es ihm das Recht zur Ausübung der Arbeitgeberbefugnisse einschließlich der Ermächtigung, Kündigungen auszusprechen. Am 1. März 2009 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt.

3

In seiner Eigenschaft als vorläufiger Insolvenzverwalter gab der Beklagte zur Vervollständigung bzw. Überprüfung der Sozialdaten an sämtliche Arbeitnehmer Fragebögen aus. Erfragt wurden das Geburtsdatum, der Familienstand, die Anzahl der unterhaltspflichtigen Kinder sowie das Vorliegen einer Schwerbehinderung bzw. die Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten. Der Kläger antwortete in den Feldern "Schwerbehinderung" und "Gleichstellung" jeweils mit "Nein".

4

Auf der Grundlage eines am 20. Mai 2009 geschlossenen Interessenausgleichs mit Namensliste kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis am 26. Mai 2009 ordentlich zum 30. Juni 2009. Das Kündigungsschreiben ging dem Kläger am folgenden Tag zu.

5

Der Kläger, der in der Klageschrift vom 9. Juni 2009 seine Schwerbehinderung mitgeteilt hat, hat - soweit für die Revision noch von Bedeutung - die Ansicht vertreten, die ohne Beteiligung des Integrationsamtes erklärte Kündigung sei unwirksam. Die Frage nach der Schwerbehinderung stelle eine verbotene Benachteiligung i.S.d.. §§ 1, 7 AGG dar. Ein Arbeitnehmer habe deshalb während des gesamten Arbeitsverhältnisses ein Recht zur wahrheitswidrigen Beantwortung der Frage nach seiner Schwerbehinderteneigenschaft. Vor Ablauf der Regelfrist für die Verwirkung des Sonderkündigungsschutzes drei Wochen nach Zugang der Kündigung sei der Arbeitnehmer auch nicht verpflichtet, seine Schwerbehinderung zu offenbaren.

6

Der Kläger hat zuletzt beantragt

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung des Beklagten vom 26. Mai 2009 aufgelöst wird, sondern über den 30. Juni 2009 hinaus ungekündigt fortbesteht.

7

Der Beklagte hat seinen Klageabweisungsantrag damit begründet, dass der Kläger sich widersprüchlich verhalten habe und sich deshalb nach der wahrheitswidrigen Beantwortung der Frage nach seiner Schwerbehinderteneigenschaft auf diese nicht mehr berufen könne.

8

Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Beklagten die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter. Er rügt, die Frage nach der Schwerbehinderung verstoße gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen. Er macht weiter geltend, das Landesarbeitsgericht habe nicht berücksichtigt, dass der Beklagte die Frage nach der Schwerbehinderung im Insolvenzeröffnungsverfahren ohne Angabe von Gründen gestellt habe. Für den Kläger sei deshalb die Intention der Frage nicht erkennbar gewesen, so dass er sich durch die wahrheitswidrige Beantwortung dieser Frage nicht treuwidrig verhalten habe.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Die Kündigung des Beklagten vom 26. Mai 2009 hat das Arbeitsverhältnis zum 30. Juni 2009 beendet. Das hat das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerfrei festgestellt.

10

A. Die Kündigung ist nicht nach § 134 BGB nichtig. Sie bedurfte zwar an sich der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes gemäß § 85 SGB IX, an der es hier fehlt. Der Kläger hat sich auch innerhalb von drei Wochen und damit innerhalb einer angemessenen Frist auf den im Zeitpunkt der Kündigungserklärung bereits bestehenden Schwerbehindertenschutz berufen, so dass dieser Schutz nicht verwirkt ist (st. Rspr. zuletzt BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 703/09 -Rn. 22, EzA SGB IX § 85 Nr. 7). Dem Kläger ist es dennoch unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt, sich auf den Sonderkündigungsschutz als Schwerbehinderter zu berufen. Das Berufen des Klägers auf diesen Schutz nach Erklärung der Kündigung trotz Verneinung der ihm im Vorfeld eben dieser Kündigung rechtmäßig gestellten Frage nach der Schwerbehinderung ist als widersprüchliches Verhalten unbeachtlich.

11

I. Die Frage des Arbeitgebers nach der Schwerbehinderung bzw. einem diesbezüglich gestellten Antrag ist im bestehenden Arbeitsverhältnis jedenfalls nach sechs Monaten, dh. ggf. nach Erwerb des Behindertenschutzes gemäß §§ 85 ff. SGB IX, zulässig. Das gilt insbesondere zur Vorbereitung von beabsichtigten Kündigungen. Der Arbeitnehmer hat die Frage aufgrund seiner Rücksichtnahmepflicht gemäß § 241 Abs. 2 BGB wahrheitsgemäß zu beantworten.

12

1. Aus einem Schuldverhältnis erwächst einer Vertragspartei auch die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Vertragsteils. Dies dient dem Schutz und der Förderung des Vertragszwecks. Die Vertragspartner sind verpflichtet, ihre Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis so zu erfüllen, ihre Rechte so auszuüben und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Vertragspartners so zu wahren, wie dies unter Berücksichtigung der wechselseitigen Belange verlangt werden kann. Welche konkreten Folgen sich aus der Rücksichtnahmepflicht ergeben, hängt von der Art des Schuldverhältnisses und den Umständen des Einzelfalls ab (BAG 13. August 2009 - 6 AZR 330/08 - Rn. 31, BAGE 131, 325; 19. Mai 2010 - 5 AZR 162/09 - Rn. 26, BAGE 134, 296).

13

2. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze durfte der Beklagte den Kläger, der im bestehenden Arbeitsverhältnis den Sonderkündigungsschutz nach §§ 85 ff. SGB IX bereits erworben hatte, zur Vorbereitung von Kündigungen nach einer Schwerbehinderteneigenschaft fragen. Für diese Frage bestand ein berechtigtes, billigenswertes und schutzwürdiges Interesse des Beklagten. Sie stand im Zusammenhang mit seiner Pflichtenbindung durch das Erfordernis, bei der Sozialauswahl gemäß § 1 Abs. 3 KSchG die Schwerbehinderung zu berücksichtigen sowie den Sonderkündigungsschutz nach §§ 85 ff. SGB IX zu beachten. Die verlangte Auskunft belastete den Kläger in dieser Situation nicht übermäßig. Sie benachteiligte ihn auch nicht iSv. §§ 1, 7 AGG wegen seiner Behinderung. Schließlich wurden auch datenschutzrechtliche Belange des Klägers dadurch nicht verletzt (vgl. zu diesen Anforderungen grundlegend bereits BAG 7. September 1995 - 8 AZR 828/93 - BAGE 81, 15, 22).

14

a) Die Frage nach der Schwerbehinderung ist im bestehenden Arbeitsverhältnis jedenfalls nach Ablauf der Frist des § 90 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX zuzulassen, um dem Arbeitgeber ein rechtstreues Verhalten zu ermöglichen, etwa im Zusammenhang mit seinen Pflichten zur behinderungsgerechten Beschäftigung (§ 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX), Zahlung einer Ausgleichsabgabe (§ 77 SGB IX) und Gewährung von Zusatzurlaub (§ 125 SGB IX) (vgl. Schaub/Koch ArbR-Hdb. 14. Aufl. § 179 Rn. 18c; Griebeling in Hauck/Noftz SGB IX K § 85 Rn. 27a; unklar MünchKommBGB/Thüsing 6. Aufl. § 11 AGG Rn. 24, der eine Offenbarungspflicht des Arbeitnehmers nach Einstellung bejaht). Insbesondere im Vorfeld einer beabsichtigten Kündigung zeigt der Arbeitgeber mit dieser Frage, dass er seine zum Schutz des Schwerbehinderten bei einer Kündigung bestehenden Pflichten nach § 1 Abs. 3 KSchG und §§ 85 ff. SGB IX erfüllen will (vgl. v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG 14. Aufl. § 1 Rn. 950; Schaub/Koch a.a.O.; Müller-Wenner in Müller-Wenner/Winkler SGB IX Teil 2 2. Aufl. § 85 Rn. 63).

15

b) Andere, gleich geeignete und gleich zuverlässige Möglichkeiten des Arbeitgebers, sich die zur Erfüllung dieser Pflichten erforderliche Kenntnis von der Schwerbehinderteneigenschaft rechtssicher zu verschaffen, bestehen nicht.

16

aa) Insbesondere kann der Arbeitgeber entgegen der vom Kläger in der Verhandlung vor dem Senat vertretenen Ansicht nicht auf die Einholung eines sog. Negativattests verwiesen werden. Mit einem solchen Bescheid weist das Integrationsamt den form- und fristgerecht gestellten Antrag des Arbeitgebers auf Erteilung zur Zustimmung zu einer beabsichtigten Kündigung als unzulässig ab, weil eine Zustimmung zur Kündigung nicht erforderlich ist. Obwohl dieses Institut im SGB IX nicht vorgesehen ist und obwohl es nicht die Aufgabe des Integrationsamtes, sondern gemäß § 69 SGB IX iVm. §§ 1, 6 KOVVfG die des Versorgungsamtes ist, die Schwerbehinderteneigenschaft eines bestimmten Arbeitnehmers zu klären (BAG 7. März 2002 - 2 AZR 612/00 - BAGE 100, 355, 358; BVerwG 15. Dezember 1988 - 5 C 67.85 - BVerwGE 81, 84[BVerwG 15.12.1988 - BVerwG 5 C 67.85]), wird es allgemein für zulässig gehalten (KR/Etzel 9. Aufl. §§ 85 - 90 SGB IX Rn. 54; Schaub/Koch ArbR-Hdb. 14. Aufl. § 179 Rn. 28; Trenk-Hinterberger in HK-SGB IX 3. Aufl. § 88 Rn. 55; Düwell in LPG-SGB IX 3. Aufl. § 85 Rn. 37; Müller-Wenner in Müller-Wenner/Winkler SGB IX Teil 2 2. Aufl. § 85 Rn. 69). Liegt ein solcher bestandskräftiger Bescheid vor der Erklärung der Kündigung vor, entfaltet er Bindungswirkung auch gegenüber den Arbeitsgerichten und beseitigt ebenso wie die Zustimmung des Integrationsamtes die Kündigungssperre des § 85 SGB IX(BAG 6. September 2007 - 2 AZR 324/06 - Rn. 15, BAGE 124, 43; grundlegend 27. Mai 1983 - 7 AZR 482/81 - BAGE 42, 169, 174).

17

Folgte man der Ansicht des Klägers, müsste der Arbeitgeber vor jeder von ihm beabsichtigten Kündigung ein Negativattest einholen. Allein das würde, insbesondere bei Massenentlassungen, selbst dann zu erheblichen, dem Arbeitgeber unzumutbaren Verzögerungen bei der Umsetzung des Kündigungsentschlusses führen, wenn ein bestandskräftiger Bescheid des Integrationsamtes erginge (vgl. BAG 7. März 2002 - 2 AZR 612/00 - BAGE 100, 355, 358). Der Arbeitnehmer kann zudem als Beteiligter des Verwaltungsverfahrens, das zum Negativattest führt, gegen dieses Widerspruch und bei Nichtabhilfe Anfechtungsklage erheben (KR/Etzel 9. Aufl. §§ 85 - 90 SGB IX Rn. 56; Trenk-Hinterberger in HK-SGB IX 3. Aufl. § 88 Rn. 66 f.; Müller-Wenner in Müller-Wenner/Winkler SGB IX Teil 2 2. Aufl. § 85 Rn. 69). Der Arbeitnehmer kann also einerseits durch die bloße Erhebung von Rechtsbehelfen bzw. Rechtsmitteln die Möglichkeit des Arbeitgebers, rechtssicher eine Kündigung ohne Verletzung seiner ihm gegenüber Schwerbehinderten obliegenden Pflichten zu erklären, erheblich hinauszögern. Bis zur Unanfechtbarkeit der Entscheidung des Integrationsamtes trägt der Arbeitgeber andererseits das Risiko, dass sich im Laufe des gerichtlichen Verfahrens doch noch die Zustimmungsbedürftigkeit der Kündigung herausstellt (Müller-Wenner in Müller-Wenner/Winkler a.a.O. Rn. 70). Die Einholung eines Negativattests ist daher für den Arbeitgeber keine gleich geeignete Alternative zur Frage nach der Schwerbehinderung, um ihm die Kenntnis zu verschaffen, die er zur Erfüllung der ihm gesetzlich gegenüber Schwerbehinderten obliegenden Pflichten benötigt.

18

bb) Die Verpflichtung des Arbeitnehmers, den Arbeitgeber nach Erklärung einer Kündigung zum Erhalt des Sonderkündigungsschutzes binnen angemessener Frist auf die Schwerbehinderung hinzuweisen, schützt entgegen der Auffassung von Deinert/Neumann (Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen 2. Aufl. § 17 Rn. 29) den Arbeitgeber nicht hinreichend, weil dies die Einhaltung der dem Arbeitgeber bereits vor Erklärung der Kündigung obliegenden Pflichten nicht sicherstellen kann.

19

c) Die Frage nach der Schwerbehinderung im Vorfeld einer Kündigung diskriminiert den Arbeitnehmer nicht wegen seiner Behinderung unmittelbar i.S.d.. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG.

20

aa) Allerdings kann die Frage nach der Schwerbehinderung nur von Trägern dieses Merkmals wahrheitswidrig beantwortet werden. Weder die Frage selbst noch deren wahrheitsgemäße Beantwortung führen jedoch zu dem vom Kläger angenommenen Nachteil für den behinderten Menschen, also zu einer "weniger günstigen Behandlung" i.S.d.. § 3 Abs. 1 AGG. Ob ein solcher Nachteil vorliegt, ist objektiv aus der Sicht eines verständigen Dritten zu beurteilen (vgl. BAG 25. Februar 2010 - 6 AZR 911/08 - Rn. 33, BAGE 133, 265).

21

(1) Durch die Frage nach der Schwerbehinderung und deren wahrheitsgemäße Beantwortung werden behinderte Arbeitnehmer gegenüber Nichtbehinderten nicht zurückgesetzt (zu dieser Definition des Nachteils i.S.d.. § 3 Abs. 1 AGG für das Merkmal "Alter" siehe BAG 25. Februar 2010 - 6 AZR 911/08 -Rn. 25, BAGE 133, 265). Die Frage nach der Schwerbehinderung soll es bei objektiver Betrachtung dem Arbeitgeber ermöglichen, den besonderen Schutz des Schwerbehinderten zu verwirklichen, insbesondere den Sonderkündigungsschutz des Schwerbehindertengesetzes zu beachten. Dieser öffentlich-rechtliche Sonderkündigungsschutz ist präventiver Art. Er unterwirft die Ausübung des arbeitgeberseitigen Kündigungsrechts einer vorherigen Kontrolle durch das Integrationsamt, indem er die Kündigung einem Verbot mit Erlaubnisvorbehalt unterstellt, um so bereits im Vorfeld der Kündigung die spezifischen Schutzinteressen schwerbehinderter Arbeitnehmer zur Geltung zu bringen und eine mit den Schutzzwecken des SGB IX unvereinbare Kündigung zu verhindern. Dem Integrationsamt obliegt im Rahmen des Sonderkündigungsschutzes die Inschutznahme des Schwerbehinderten mit dem Ziel, die aus seiner Behinderung resultierenden Benachteiligungen auf dem Arbeitsmarkt auszugleichen, dadurch seine Wettbewerbsfähigkeit mit Nichtbehinderten herzustellen und sicherzustellen, dass er gegenüber Letzteren nicht ins Hintertreffen gerät (vgl. BVerwG 2. Juli 1992 - 5 C 39.90 - BVerwGE 90, 275; 2. Juli 1992 - 5 C 51.90 - BVerwGE 90, 287; 31. Juli 2007 - 5 B 81.06 - Rn. 5). Die Frage dient also der Wahrung der Rechte und Interessen des Schwerbehinderten, nicht aber dazu, ihn gegenüber nicht behinderten Arbeitnehmern zurückzusetzen. Die Belange des schwerbehinderten Menschen sollen durch § 1 Abs. 3 KSchG sowie in dem nach §§ 85 ff. SGB IX einzuhaltenden Verfahren gerade gewahrt werden. Das setzt aber voraus, dass der Arbeitgeber von der Schwerbehinderteneigenschaft Kenntnis hat oder zumindest die Möglichkeit hat, sich diese durch Nachfrage zu verschaffen.

22

Dies steht auch im Einklang mit den Zielen der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (RL 2000/78/EG). Nach ihrem Erwägungsgrund Nr. 16 strebt diese durch das AGG umgesetzte Richtlinie Maßnahmen an, die darauf abstellen, den Bedürfnissen von Menschen mit Behinderung am Arbeitsplatz Rechnung zu tragen. Ausweislich des Erwägungsgrundes Nr. 27 will sie der Aufrechterhaltung des Beschäftigungsverhältnisses von Menschen mit Behinderung besondere Aufmerksamkeit widmen. Diesen Zwecken dienen ua. § 1 Abs. 3 KSchG und der in §§ 85 ff. SGB IX geregelte Sonderkündigungsschutz.

23

(2) Der Hinweis des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, er werde gegenüber einem Behinderten, der durch den Fragebogen "vorgewarnt" den Antrag auf Anerkennung als Schwerbehinderter erst nach Ausfüllen des Fragenbogens gestellt und sich erst dann den gesetzlichen Sonderkündigungsschutz verschafft habe, zurückgesetzt, verfängt nicht. Deckt die Frage nach der Schwerbehinderung nicht alle denkbaren Konstellationen des noch zu erwerbenden Schutzes als Schwerbehinderter ab, folgt daraus nicht, dass die Frage nach einem bereits bestehenden Schutz unzulässig ist. Es ist Sache des Arbeitgebers, die Frage nach einem bestehenden Sonderkündigungsschutz zu formulieren und dadurch ihre Reichweite festzulegen. Fragt er, wie im vorliegenden Fall, nicht nach einem bereits gestellten Antrag auf Anerkennung als Schwerbehinderter, fordert er auch nicht dazu auf, erst später gestellte Anträge mitzuteilen und lässt einige Zeit zwischen der Beantwortung der Frage und Kündigungserklärung verstreichen, hat er die sich aus einer solch unzureichenden Fragestellung für ihn eventuell ergebenden nachteiligen Folgen zu tragen, setzt aber nicht den Arbeitnehmer, der i.S.d.. § 2 Abs. 2 SGB IX als schwerbehindert anerkannt ist, gegenüber dem im Zeitpunkt der Fragebogenaktion lediglich i.S.d.. § 2 Abs. 1 SGB IX behinderten Arbeitnehmer zurück.

24

bb) Schließlich überzeugt auch das Argument der Revision, ein wirksamer Diskriminierungsschutz sei nur gewährleistet, wenn bereits die Vorbereitung einer möglichen Diskriminierung ausgeschlossen werde, nicht. Im Unterschied zur Situation der Vertragsanbahnung (zum Streitstand hinsichtlich der Frage nach der Schwerbehinderteneigenschaft des Stellenbewerbers vgl. BAG 7. Juli 2011 - 2 AZR 396/10 - Rn. 17, NZA 2012, 34) befindet sich der behinderte Arbeitnehmer in der hier vorliegenden Situation bereits in einer gesetzlich besonders geschützten Rechtsstellung, die gerade zum Ziel hat, Diskriminierungen des Behinderten zu vermeiden. Meint der Arbeitnehmer, dass es nach Kenntniserlangung des Arbeitgebers von einer Schwerbehinderung zu einer solchen Diskriminierung gekommen ist, ist er auf den gesetzlichen Diskriminierungsschutz zu verweisen.

25

d) Auch datenschutzrechtliche Belange stehen der Zulässigkeit der Frage nicht entgegen.

26

aa) § 28 Abs. 6 Nr. 3 BDSG lässt die Frage nach der Schwerbehinderung bei unionsrechtskonformer Auslegung unter Beachtung des dadurch umgesetzten Art. 8 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (RL 95/46/EG) zu, wenn wie im vorliegenden Fall nach der von den nationalen Gerichten vorzunehmenden, am Zweck der RL 95/46/EG orientierten Abwägung das Interesse des Arbeitnehmers an der Geheimhaltung seiner Behinderung das Interesse des Arbeitgebers an der Erhebung dieser Daten nicht überwiegt.

27

(1) Die vorliegende Fragebogenaktion wird vom Bundesdatenschutzgesetz erfasst. Auch Sammlungen ausgefüllter Formulare sind nicht automatisierte Dateien i.S.d.. § 1 Abs. 2 Nr. 3 iVm. § 3 Abs. 2 Satz 2 BDSG(Dammann in Simitis BDSG 7. Aufl. § 3 Rn. 99; Thüsing/Lambrich BB 2002, 1146, 1150 m.w.N.).

28

(2) Nach § 28 Abs. 6 Nr. 3 BDSG ist das Erheben, Verarbeiten und Nutzen besonderer Arten personenbezogener Daten i.S.d.. § 3 Abs. 9 BDSG für eigene Geschäftszwecke auch ohne Einwilligung des Betroffenen zulässig, wenn dies zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung rechtlicher Ansprüche erforderlich ist und kein Grund zu der Annahme besteht, dass das schutzwürdige Interesse des Betroffenen an dem Ausschluss der Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung überwiegt. Diese Voraussetzungen sind bei der Frage nach der Schwerbehinderung im bestehenden Arbeitsverhältnis jedenfalls nach Erwerb des Behindertenschutzes und zur Vorbereitung konkret bevorstehender Kündigungen erfüllt.

29

(a) Die Frage nach der Behinderung verlangt Angaben zur Gesundheit und stellt damit eine Erhebung besonderer Arten personenbezogener Daten (sensitiver Daten) iSv. § 3 Abs. 9 BDSG dar (Gola/Schomerus BDSG 10. Aufl. § 3 Rn. 56a; Thüsing/Lambrich BB 2002, 1146, 1151).

30

(b) Allerdings ist die Erhebung der Schwerbehinderteneigenschaft nicht zur "Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung" eines Anspruchs des Arbeitgebers i.S.d.. Legaldefinition des § 194 Abs. 1 BGB, also eines Rechts, von einer anderen Person ein Tun oder Unterlassen zu verlangen, erforderlich. Sie ist, wie bereits ausgeführt, lediglich Voraussetzung für die Erfüllung der dem Arbeitgeber nach § 1 Abs. 3 KSchG und § 85 SGB IX obliegenden Pflichten. Die Datenerhebung findet also im Vorfeld der Erfüllung gesetzlicher Pflichten des Arbeitgebers statt und dient dazu, diesem die Kenntnis zu verschaffen, die erforderlich ist, um ihm anschließend ein gesetzeskonformes Handeln zu ermöglichen. Auch eine solche Datenerhebung zur Klärung von gegen den Arbeitgeber gerichteten Ansprüchen, die sich für diesen spiegelbildlich als Pflichten darstellen, ist jedoch unter Berücksichtigung der RL 95/46/EG von § 28 Abs. 6 Nr. 3 BDSG gedeckt (Gola RDV 2001, 125, 127).

31

(aa) § 28 Abs. 6 bis Abs. 9 BDSG setzen nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers (BT-Drucks. 14/4329 S. 43)Art. 8 RL 95/46/EG, insbesondere Art. 8 Abs. 2 Buchst. b dieser Richtlinie, um. Nach dieser Bestimmung ist die Verarbeitung von Daten, worunter nach Art. 2 Buchst. b RL 95/46/EG auch deren Erhebung fällt, zulässig, um den Rechten und Pflichten des für die Verarbeitung Verantwortlichen auf dem Gebiet des Arbeitsrechts Rechnung zu tragen, sofern dies aufgrund von einzelstaatlichem Recht, das angemessene Garantien vorsieht, zulässig ist. Ein Wille des Gesetzgebers, durch die Formulierung der Voraussetzungen in § 28 Abs. 6 Nr. 3 BDSG der Erhebung, Verarbeitung und Nutzung sensitiver Daten durch den Arbeitgeber im Bereich des Arbeitsrechts engere Grenzen als durch Art. 8 Abs. 2 Buchst. b RL 95/46/EG vorgesehen zu setzen, ist nicht ersichtlich (vgl. Gola RDV 2001, 125, 127). Es handelt sich vielmehr lediglich um eine missglückte Formulierung (vgl. Thüsing/Lambrich BB 2002, 1146, 1152). Deshalb kann dahinstehen, ob es dem deutschen Gesetzgeber verwehrt gewesen wäre, die in Art. 8 Abs. 2 Buchst. b RL 95/46/EG niedergelegten Grundsätze weiter einzuschränken (vgl. für Art. 7 Buchst. f RL 95/46/EG: EuGH 24. November 2011 - C-468/10 - [Asociación Nacional] Rn. 35 f., 48, NZA 2011, 1409).

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(bb) Eine "Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung rechtlicher Ansprüche" als Voraussetzung einer Datenerhebung nach § 28 Abs. 6 Nr. 3 BDSG liegt deshalb in Übereinstimmung mit der Formulierung des Art. 8 Abs. 2 Buchst. b RL 95/46/EG auch vor, wenn die Datenerhebung erforderlich ist, um den Rechten und Pflichten des Arbeitgebers Rechnung zu tragen. Dazu gehören auch die Pflichten des Arbeitgebers zur Beachtung der Schwerbehinderung im Rahmen der Sozialauswahl und zur Wahrung des Schwerbehindertenschutzes nach §§ 85 ff. SGB IX(vgl. bejahend zur Zulässigkeit der Frage nach der Schwerbehinderung unter datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten auch Seifert in Simitis BDSG 7. Aufl. § 32 Rn. 68 für § 32 BDSG nF; zur Datenerhebung im bestehenden Arbeitsverhältnis allgemein Gola RDV 2001, 125, 127).

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(c) Letztlich sind damit die Anforderungen an das rechtmäßige Interesse bei der Frage nach einer Schwerbehinderung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber und die Anforderungen des Datenschutzes deckungsgleich. Die RL 95/46/EG schränkt das Fragerecht nach der Schwerbehinderung, sofern diese unter arbeitsrechtlichen Gesichtspunkten zulässig ist, nicht ein. Sie soll das Gleichgewicht zwischen dem freien Verkehr personenbezogener Daten und dem Schutz der Privatsphäre wahren. Dieses angemessene Gleichgewicht zwischen den betroffenen Rechten und Interessen ist vor allem bei der Anwendung des die RL 95/46/EG umsetzenden nationalen Rechts zu finden, wobei die durch das Unionsrecht geschützten Rechte der Betroffenen zu wahren sind (EuGH 6. November 2003 - C-101/01 - [Lindqvist] Rn. 97, 85, 87, Slg. 2003, I-12971). Ein überwiegendes Interesse des Arbeitnehmers an der Wahrung seiner Privatsphäre liegt nicht vor. Die Frage nach der Schwerbehinderung dient, wie wiederholt ausgeführt, letztlich der Wahrung der Rechte, die dem Arbeitnehmer gerade wegen der Schwerbehinderung zukommen. (Erst) in dem Verfahren nach § 85 SGB IX sind die behinderungsbedingten Nachteile auszugleichen und die durch das Unionsrecht, insbesondere die RL 2000/78/EG, gewährleisteten Rechte des Arbeitnehmers zu wahren.

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bb) Wird dem Arbeitgeber das Recht zur Frage nach der Schwerbehinderung im Vorfeld von Kündigungen zugestanden, verletzt dies den schwerbehinderten Arbeitnehmer auch nicht in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung.

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(1) Es kann dahinstehen, ob die Überprüfung des Fragerechts im Allgemeinen und des diese Frage nach Vorstehendem zulassenden § 28 Abs. 6 Nr. 3 BDSG im Besonderen am Maßstab des Grundgesetzes im Hinblick auf den Anwendungsvorrang des Unionsrechts entbehrlich ist.

36

(a) Das Bundesverfassungsgericht übt - jenseits des Ultra-vires- und des Verfassungsidentitätsvorbehalts - über die Anwendbarkeit von Unionsrecht als Rechtsgrundlage für die nationalen Gerichte und Behörden seine Gerichtsbarkeit nicht mehr aus und überprüft dieses Recht nicht mehr am Maßstab der Grundrechte, solange die Europäische Union einen gleich wirksamen Grundrechtsschutz verbürgt. Dies gilt allerdings bei innerstaatlichen Rechtsvorschriften, die Richtlinien des Unionsrechts umsetzen, nur dann, wenn das Unionsrecht zwingende Vorgaben macht, also dem nationalen Gesetzgeber keinen Umsetzungsspielraum lässt (BVerfG 4. Oktober 2011 - 1 BvL 3/08 - Rn. 46, NJW 2012, 45 [BVerfG 04.10.2011 - 1 BvL 3/08]). Lässt das Unionsrecht den Mitgliedstaaten dagegen einen Umsetzungsspielraum, ist dieser grundgesetzkonform auszufüllen. In diesem unionsrechtlich nicht oder jedenfalls nicht vollständig determinierten Normenbereich müssen die nationalen Fachgerichte den Einfluss der Grundrechte bei der Auslegung von Vorschriften des nationalen Rechts nach wie vor zur Geltung bringen. Ob ein solcher die Grundrechtsprüfung der Fachgerichte eröffnender Umsetzungsspielraum des nationalen Gesetzgebers besteht, hat das Fachgericht durch Auslegung des einschlägigen Unionsrechts zu ermitteln, wobei es gegebenenfalls die Voraussetzungen eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV - auch in Bezug auf den Schutz der durch das Unionsrecht verbürgten Grundrechte - in Betracht ziehen muss (BVerfG 19. Juli 2011 - 1 BvR 1916/09 - [Cassina] Rn. 88 f., NJW 2011, 3428).

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(b) Die RL 95/46/EG eröffnet dem nationalen Gesetzgeber durch Art. 5 Handlungsspielräume, aufgrund derer er die in Art. 6 bis Art. 8 RL 95/46/EG festgelegten Grundsätze näher bestimmen kann. Es ist ihm lediglich verwehrt, zusätzliche Bedingungen vorzusehen, durch die die Tragweite eines der in der RL 95/46/EG festgelegten Grundsätze verändert wird (vgl. zu Art. 7 RL 95/46/EG: EuGH 24. November 2011 - C-468/10 - [Asociación Nacional] Rn. 35, NZA 2011, 1409 [EuGH 24.11.2011 - Rs. C-468/10; C-469/10]; 6. November 2003 - C-101/01 - [Lindqvist] Rn. 82 f., Slg. 2003, I-12971). Insbesondere kann er gemäß Art. 8 Abs. 4 RL 95/46/EG, sofern "angemessene Garantien" bestehen, aus Gründen eines wichtigen öffentlichen Interesses andere als die in Art. 8 Abs. 2 RL 95/46/EG genannten Ausnahmen vorsehen.

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(c) Ob damit nach vorstehenden Grundsätzen die Grundrechtsprüfung eröffnet ist oder ob jedenfalls in Bezug auf das Fragerecht des Arbeitgebers nach der Schwerbehinderung Art. 8 Abs. 2 RL 95/46/EG dem deutschen Gesetzgeber keinen Umsetzungsspielraum ließ, kann dahinstehen. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wird durch die Frage nach der Schwerbehinderung unter den genannten Voraussetzungen nicht verletzt. Einer Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 AEUV zur Klärung des Umsetzungsspielraums des nationalen Gesetzgebers im streitbefangenen Zusammenhang bedarf es deshalb nicht.

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(2) Das von Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG umfasste Recht auf informationelle Selbstbestimmung gewährleistet die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden. Das Recht gewährt seinen Trägern insbesondere Schutz gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung oder Weitergabe der auf sie bezogenen, individualisierten oder individualisierbaren Daten. Vom Schutzbereich dieses Grundrechts sind persönliche oder personenbezogene Daten umfasst, worunter Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren Person zu verstehen sind (BVerfG 24. November 2010 - 1 BvF 2/05 - BVerfGE 128, 1, 42 f. [BVerfG 24.11.2010 - 1 BvF 2/05]). Darunter fällt auch die Schwerbehinderung.

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(3) Der Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht ist jedoch durch § 28 Abs. 6 Nr. 3 BDSG gerechtfertigt (zu den Anforderungen an die Schranken des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung BVerfG 24. November 2010 - 1 BvF 2/05 - BVerfGE 128, 1, 46). Aus dem Grundgesetz ergeben sich insoweit keine weitergehenden Anforderungen als aus dem Unionsrecht.

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e) Entgegen der Auffassung der Revision wird durch das Bejahen eines Fragerechts des Arbeitgebers nach der Schwerbehinderung im Vorfeld von beabsichtigten Kündigungen die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach dem schwerbehinderten Arbeitnehmer der Sonderkündigungsschutz noch zukommt, sofern er seine Schwerbehinderung dem Arbeitgeber innerhalb der Frist des § 4 KSchG offenlegt (zuletzt 23. Februar 2010 - 2 AZR 659/08 - Rn. 16,

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