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Bundesarbeitsgericht
Urt. v. 27.01.2011, Az.: 2 AZR 744/09
Außerordentliche Kündigung ohne Beteiligung des Personalrats bzw. ohne Zustimmungsersetzung durch die Einigungsstelle ist unwirksam; Bewertung der Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung ohne Beteiligung des Personalrats bzw. ohne Zustimmungsersetzung durch die Einigungsstelle; Verfassungskonforme Auslegung des § 83 Abs. 3 S. 3 PersVG Berlin
Gericht: BAG
Entscheidungsform: Urteil
Datum: 27.01.2011
Referenz: JurionRS 2011, 17226
Aktenzeichen: 2 AZR 744/09
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LAG Berlin-Brandenburg - 28.08.2009 - AZ: 8 Sa 612/09

Fundstellen:

BB 2011, 1651-1652

EzA-SD 12/2011, 11-12

FA 2011, 251

NZA 2012, 352

PersV 2011, 392-395

RiA 2012, 115-116

BAG, 27.01.2011 - 2 AZR 744/09

Orientierungssatz:

1. Nach § 79 Abs. 1, § 87 Nr. 8 des Personalvertretungsgesetzes des Landes Berlin in der Fassung des Siebten Gesetzes zur Änderung des Personalvertretungsgesetzes vom 17. Juli 2008 (PersVG, GVBl. 2008, 206) bedarf die Kündigung eines Arbeitnehmers der vorherigen Zustimmung des Personalrats. Kommt eine Einigung nicht zustande, kann die Einigungsstelle angerufen werden. Gemäß § 83 Abs. 3 Satz 3 PersVG bindet deren Beschluss die Beteiligten. Eine ohne Zustimmung des Personalrats oder ohne deren Ersetzung durch die Einigungsstelle erklärten Kündigung ist unwirksam. Dies folgt aus § 108 Abs. 2 BPersVG.

2. § 83 Abs. 3 Satz 3 PersVG iVm. § 79 Abs. 1, § 87 Nr. 8 PersVG ist verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass die Einigungsstelle über die Zustimmungsersetzung nicht nach einem Ermessensmaßstab, sondern strikt rechtsgebunden zu entscheiden hat und ihr Beschluss der vollen Überprüfung durch die Verwaltungsgerichte unterliegt. In dieser Auslegung genügt das Zustimmungserfordernis den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Demokratieprinzips.

a) Das Demokratieprinzip aus Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG iVm. Art. 20 Abs. 2 GG verlangt, dass die parlamentarische Verantwortlichkeit der Regierung bei Maßnahmen, die zwar die Interessen der Beschäftigten berühren, schwerpunktmäßig aber die Erledigung von Amtsaufgaben betreffen, keine substantielle Einschränkung erfährt. Dazu gehören Maßnahmen der Personalpolitik, die den Rechtsstatus von Beamten, Angestellten und Arbeitern des öffentlichen Dienstes betreffen, und damit auch personelle Einzelmaßnahmen wie Kündigungen von Arbeitnehmern des öffentlichen Dienstes. Die Entscheidung über solche Maßnahmen darf nicht zur Alleinentscheidung einer Stelle übertragen werden, die Parlament und Regierung nicht verantwortlich ist.

b) Es ist nicht möglich, § 81 Abs. 2 Satz 1 PersVG zur Herstellung von Verfassungskonformität in der Weise zu verstehen, dass dem Senat von Berlin ein Letztentscheidungsrecht auch bei Kündigungen von solchen Arbeitnehmern zustünde, die nicht zeitlich überwiegend hoheitsrechtliche Befugnisse iSv. Art. 33 Abs. 4 GG ausüben.

c) Zur Herstellung eines verfassungskonformen Ergebnisses scheidet angesichts des unmissverständlich entgegenstehenden Willens des Landesgesetzgebers eine analoge Anwendung des Regelwerks zur eingeschränkten Mitbestimmung - mit der Folge, dass der Beschluss der Einigungsstelle entgegen § 83 Abs. 3 Satz 3 PersVG bloßen Empfehlungscharakter besäße - ebenfalls aus.

d) Ein sog. Evokationsrecht nach § 83 Abs. 3 Satz 4 PersVG, durch welches der Senat von Berlin die Sache an sich ziehen kann, wenn die fragliche Maßnahme im Einzelfall wegen ihrer Auswirkungen auf das Gemeinwesen wesentlicher Bestandteil der Regierungsgewalt ist, besteht bei der außerordentlichen verhaltensbedingten Kündigung eines Arbeitnehmers in der Regel nicht. Es würde den erkennbaren Willen des Landesgesetzgebers konterkarieren, wenn § 83 Abs. 3 Satz 4 PersVG im Sinne einer Auffangvorschrift beliebig und voraussetzungslos bei allen personellen Maßnahmen herangezogen würde, bei denen die Entscheidung der Einigungsstelle nach § 81 Abs. 2, § 83 Abs. 3 Satz 3 PersVG verbindlich ist.

Orientierungssatz:

1. Nach § 79 Abs. 1, § 87 Nr. 8 des Personalvertretungsgesetzes des Landes Berlin in der Fassung des Siebten Gesetzes zur Änderung des Personalvertretungsgesetzes vom 17. Juli 2008 (PersVG, GVBl. 2008, 206) bedarf die Kündigung eines Arbeitnehmers der vorherigen Zustimmung des Personalrats. Kommt eine Einigung nicht zustande, kann die Einigungsstelle angerufen werden. Gemäß § 83 Abs. 3 Satz 3 PersVG bindet deren Beschluss die Beteiligten. Eine ohne Zustimmung des Personalrats oder ohne deren Ersetzung durch die Einigungsstelle erklärten Kündigung ist unwirksam. Dies folgt aus § 108 Abs. 2 BPersVG.

2. § 83 Abs. 3 Satz 3 PersVG iVm. § 79 Abs. 1, § 87 Nr. 8 PersVG ist verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass die Einigungsstelle über die Zustimmungsersetzung nicht nach einem Ermessensmaßstab, sondern strikt rechtsgebunden zu entscheiden hat und ihr Beschluss der vollen Überprüfung durch die Verwaltungsgerichte unterliegt. In dieser Auslegung genügt das Zustimmungserfordernis den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Demokratieprinzips.

a) Das Demokratieprinzip aus Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG iVm. Art. 20 Abs. 2 GG verlangt, dass die parlamentarische Verantwortlichkeit der Regierung bei Maßnahmen, die zwar die Interessen der Beschäftigten berühren, schwerpunktmäßig aber die Erledigung von Amtsaufgaben betreffen, keine substantielle Einschränkung erfährt. Dazu gehören Maßnahmen der Personalpolitik, die den Rechtsstatus von Beamten, Angestellten und Arbeitern des öffentlichen Dienstes betreffen, und damit auch personelle Einzelmaßnahmen wie Kündigungen von Arbeitnehmern des öffentlichen Dienstes. Die Entscheidung über solche Maßnahmen darf nicht zur Alleinentscheidung einer Stelle übertragen werden, die Parlament und Regierung nicht verantwortlich ist.

b) Es ist nicht möglich, § 81 Abs. 2 Satz 1 PersVG zur Herstellung von Verfassungskonformität in der Weise zu verstehen, dass dem Senat von Berlin ein Letztentscheidungsrecht auch bei Kündigungen von solchen Arbeitnehmern zustünde, dienicht zeitlich überwiegend hoheitsrechtliche Befugnisse iSv. Art. 33 Abs. 4 GG ausüben.

c) Zur Herstellung eines verfassungskonformen Ergebnisses scheidet angesichts des unmissverständlich entgegenstehenden Willens des Landesgesetzgebers eine analoge Anwendung des Regelwerks zur eingeschränkten Mitbestimmung - mit der Folge, dass der Beschluss der Einigungsstelle entgegen § 83 Abs. 3 Satz 3 PersVG bloßen Empfehlungscharakter besäße - ebenfalls aus.

d) Ein sog. Evokationsrecht nach § 83 Abs. 3 Satz 4 PersVG, durch welches der Senat von Berlin die Sache an sich ziehen kann, wenn die fragliche Maßnahme im Einzelfall wegen ihrer Auswirkungen auf das Gemeinwesen wesentlicher Bestandteil der Regierungsgewalt ist, besteht bei der außerordentlichen verhaltensbedingten Kündigung eines Arbeitnehmers in der Regel nicht. Es würde den erkennbaren Willen des Landesgesetzgebers konterkarieren, wenn § 83 Abs. 3 Satz 4 PersVG im Sinne einer Auffangvorschrift beliebig und voraussetzungslos bei allen personellen Maßnahmen herangezogen würde, bei denen die Entscheidung der Einigungsstelle nach § 81 Abs. 2, § 83 Abs. 3 Satz 3 PersVG verbindlich ist.

In Sachen

Beklagte, Berufungsklägerin und Revisionsklägerin,

pp.

Kläger, Berufungsbeklagter und Revisionsbeklagter,

hat der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 27. Januar 2011 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht Kreft, den Richter am Bundesarbeitsgericht Schmitz-Scholemann, die Richterin am Bundesarbeitsgericht Rachor sowie den ehrenamtlichen Richter Beckerle und die ehrenamtliche Richterin Schipp für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 28. August 2009 - 8 Sa 612/09 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit zweier außerordentlicher Kündigungen.

2

Der Kläger war seit 1987 bei der Universität als Graphiker und auf Grundlage einer Personalübernahmevereinbarung ab April 1993 bei der Beklagten als Fotograf am Fachbereich Veterinärmedizin (Institut für Tierpathologie) beschäftigt. Er bediente ua. einen speziellen Rechner, mit dem histologische Präparate und anderes Bildmaterial gescannt werden (sog. ScanScope-Rechner).

3

Die Beklagte ist eine staatliche Universität in der Rechtsform einer Körperschaft des öffentlichen Rechts. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fand der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) Anwendung.

4

Mit einem dem Personalrat am 5. Mai 2008 zugegangenen Schreiben beantragte die Beklagte dessen Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Klägers wegen exzessiver privater Nutzung des Internets. Der Personalrat teilte mit Schreiben vom 7. Mai 2008 mit, dass er der beantragten außerordentlichen Kündigung nicht zustimme. In einem Gespräch konnte keine Einigung erzielt werden. Die angerufene Einigungsstelle für Personalvertretungssachen beschloss in ihrer Sitzung vom 28. August 2008, die Zustimmung des Personalrats nicht zu ersetzen. Das Protokoll der Sitzung erhielt die Beklagte am 9. September 2008, den begründeten Beschluss der Einigungsstelle am 30. Oktober 2008.

5

Mit Schreiben vom 10. September 2008 und erneut mit Schreiben vom 4. November 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers außerordentlich.

6

Am 11. September 2008 leitete die Beklagte beim Verwaltungsgericht ein Beschlussverfahren mit dem Antrag ein, die Zustimmung des Personalrats zur außerordentlichen Kündigung zu ersetzen, hilfsweise festzustellen, dass der Beschluss des Personalrats unwirksam sei. Das Verwaltungsgericht stellte mit Beschluss vom 9. Dezember 2008 fest, dass der Beschluss der Einigungsstelle unwirksam ist. Das Oberverwaltungsgericht wies die hiergegen gerichtete Beschwerde des Personalrats zurück und ließ die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss nicht zu. Das Bundesverwaltungsgericht wies mit Beschluss vom 4. Juni 2010 die Nichtzulassungsbeschwerde des Personalrats zurück.

7

Der Kläger hat gegen die Kündigungen rechtzeitig Klage erhoben. Er hat sie schon wegen nicht ordnungsgemäßer Beteiligung des Personalrats für unwirksam gehalten. Zudem liege kein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung vor und sei die Kündigungserklärungsfrist nicht eingehalten.

8

Der Kläger hat, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, beantragt

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 10. September 2008 nicht aufgelöst wurde;

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien auch durch die außerordentliche Wiederholungskündigung vom 4. November 2008 nicht aufgelöst wurde.

9

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Beteiligung des Personalrats für ausreichend gehalten. Das personalvertretungsrechtliche Verfahren sei abgeschlossen gewesen. Ein Grund für eine außerordentliche Kündigung liege vor. Der Kläger habe durch das verbotene Herunterladen von Dateien aus dem Internet zu privaten Zwecken den ScanScope-Rechner massiv verseucht. Die Kündigungserklärungsfrist sei gewahrt.

10

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter, die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision ist unbegründet. Die Kündigungen vom 10. September und 4. November 2008 haben das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht aufgelöst.

12

I. Die Kündigungen sind mangels vorheriger Zustimmung des Personalrats nach § 79 Abs. 1, § 87 Nr. 8 des Personalvertretungsgesetzes des Landes Berlin in der Fassung des Siebten Gesetzes zur Änderung des Personalvertretungsgesetzes vom 17. Juli 2008 (GVBl. 2008, 206, nachfolgend: PersVG) unwirksam (§ 108 Abs. 2 BPersVG). Bei verfassungskonformer Auslegung verstoßen diese Bestimmungen nicht gegen das Demokratieprinzip des Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG iVm. Art. 20 Abs. 2 GG. Ob die Kündigungen anderenfalls wirksam wären, bedarf keiner Entscheidung.

13

1. Die Beklagte hat die Kündigungen vom September und November 2008 entgegen § 79 Abs. 1, § 87 Nr. 8 PersVG ohne Zustimmung des Personalrats erklärt.

14

a) Gemäß § 79 Abs. 1 PersVG bedarf eine Maßnahme, soweit sie der Mitbestimmung des Personalrats unterliegt, seiner vorherigen Zustimmung. Nach § 87 Nr. 8 PersVG bestimmt der Personalrat in Angelegenheiten der Arbeitnehmer bei der Kündigung mit. Kommt eine Einigung nicht zustande, entscheidet bei Körperschaften des öffentlichen Rechts gemäß § 80 Abs. 1 und Abs. 3 PersVG das zuständige Organ. Gegen die Entscheidung nach § 80 PersVG kann gemäß § 81 Abs. 1 Satz 3 PersVG die zuständige Personalvertretung die Einigungsstelle anrufen. Nach § 83 Abs. 3 Satz 3 PersVG bindet der Beschluss der Einigungsstelle die Beteiligten. Eine ohne Zustimmung des Personalrats oder ohne deren Ersetzung durch die Einigungsstelle erklärte Kündigung ist unwirksam. Dies folgt aus § 108 Abs. 2 BPersVG.

15

b) Die vom Personalrat verweigerte Zustimmung war zum Zeitpunkt der Kündigungen von der Einigungsstelle nicht ersetzt worden. Die Einigungsstelle hatte vielmehr beschlossen, die verweigerte Zustimmung des Personalrats nicht zu ersetzen. Zwar hat das Verwaltungsgericht inzwischen rechtskräftig festgestellt, dass dieser Beschluss unwirksam ist (VG Berlin 9. Dezember 2008 - 62 A 23.08 -). Im Zeitpunkt der Kündigungen gab es aber noch keinen anderslautenden Beschluss der Einigungsstelle.

16

2. Bei verfassungskonformer Auslegung verstößt § 83 Abs. 3 Satz 3 PersVG iVm. § 79 Abs. 1, § 87 Nr. 8 PersVG nicht gegen das Demokratieprinzip des Grundgesetzes.

17

a) Es verstieße gegen das Demokratieprinzip aus Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG iVm. Art. 20 Abs. 2 GG, wenn der Einigungsstelle die verbindliche Entscheidung darüber übertragen wäre, ob gegenüber einem Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes eine außerordentliche Kündigung ausgesprochen werden soll.

18

aa) Das Demokratieprinzip aus Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG iVm. Art. 20 Abs. 2 GG verlangt, dass die parlamentarische Verantwortlichkeit der Regierung bei Maßnahmen, die zwar die Interessen der Beschäftigten berühren, schwerpunktmäßig aber die Erledigung von Amtsaufgaben betreffen, keine substantielle Einschränkung erfährt (BVerfG 24. Mai 1995 - 2 BvF 1/92 - zu C I 4 der Gründe, BVerfGE 93, 37). Die Entscheidung über solche Maßnahmen darf nicht zur Alleinentscheidung einer Stelle übertragen werden, die Parlament und Regierung nicht verantwortlich ist. Dazu gehören Maßnahmen der Personalpolitik, die den Rechtsstatus von Beamten, Angestellten und Arbeitern des öffentlichen Dienstes betreffen (BVerfG 24. Mai 1995 - 2 BvF 1/92 - zu C I 4 c der Gründe, aaO.). Dazu gehören damit auch personelle Einzelmaßnahmen wie Kündigungen von Arbeitnehmern des öffentlichen Dienstes (BVerwG 4. Juni 2010 - 6 PB 4/10 - Rn. 7, ZTR 2010, 433; Büge Der Personalrat 2011, 13; Germelmann PersV 2011, 14, 17). Eine personalvertretungsrechtliche Einigungsstelle ist nur dann ausreichend demokratisch legitimiert, wenn die Mehrheit ihrer Mitglieder demokratisch legitimiert ist und ihre Entscheidungen von der Mehrheit der demokratisch legitimierten Mitglieder getragen werden (BVerfG 24. Mai 1995 - 2 BvF 1/92 - zu C I 2 b der Gründe, aaO.; sog. Prinzip der doppelten Mehrheit: Schmidt PersR 1996, 472).

19

b) Die Entscheidung darüber, ob gegenüber dem Kläger die beabsichtigte Kündigung ausgesprochen wird, darf danach nicht der Einigungsstelle des § 81 PersVG übertragen sein.

20

aa) Bei der Personalverwaltung der Beklagten handelt es sich um staatliches, dem Demokratieprinzip unterfallendes Handeln. § 2 Abs. 3 Satz 1 BerlHG bestimmt, dass die Personalverwaltung der staatlichen Hochschulen des Landes Berlin eine staatliche Angelegenheit ist.

21

bb) Die Einigungsstelle nach dem Personalvertretungsrecht für das Land Berlin ist nicht ausreichend demokratisch legitimiert. Sie besteht gemäß § 82 Abs. 1 Satz 2 PersVG aus sechs Beisitzern und einem unparteiischen Vorsitzenden oder dessen Vertreter. Jedenfalls der Vorsitzende und seine Vertreter sowie die von Personalratsseite bestellten drei Beisitzer sind nicht hinreichend durch eine Entscheidung des demokratischen Souveräns legimiert (vgl. Böhme, Personalvertretungsrecht zwischen Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip 2002; Ziekow PersV 2002, 482, 490). Der Vorsitzende und seine Vertreter werden gemäß § 82 Abs. 2 Satz 1 PersVG von der Senatsverwaltung für Inneres nach Einigung mit dem Hauptpersonalrat bestellt. Aufgrund der erforderlichen Einigung mit dem Hauptpersonalrat wird durch die Senatsverwaltung keine ausreichende demokratische Legitimation vermittelt. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass der Vorsitzende im Streitfall nach § 82 Abs. 2 Satz 2 PersVG durch den Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts bestellt worden wäre. Ob ihm dies andernfalls hinreichende demokratische Legitimation verschaffen würde, kann deshalb dahinstehen. Die Beisitzer werden zwar nach § 82 Abs. 3 PersVG von der Senatsverwaltung für Inneres bestellt, sind aber nur zur Hälfte von den obersten Dienstbehörden (§ 82 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 PersVG), zur anderen Hälfte dagegen vom Hauptpersonalrat oder der sonst zuständigen Personalvertretung (§ 82 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 PersVG) vorgeschlagen.

22

c) Angesichts dessen ist § 83 Abs. 3 Satz 3 PersVG iVm. § 79 Abs. 1, § 87 Nr. 8 PersVG verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass die Einigungsstelle über die Zustimmungsersetzung nicht nach einem Ermessensmaßstab, sondern strikt rechtsgebunden entscheidet und ihr Beschluss der vollen Überprüfung durch die Verwaltungsgerichte unterliegt.

23

aa) Es ist nicht möglich, § 81 Abs. 2 Satz 1 PersVG zur Herstellung von Verfassungskonformität in der Weise zu verstehen, dass dem Senat von Berlin ein Letztentscheidungsrecht auch bei Kündigungen von solchen Arbeitnehmern zustünde, die nicht zeitlich überwiegend Befugnisse iSv. Art. 33 Abs. 4 GG ausüben (BVerwG 4. Juni 2010 - 6 PB 4/10 - Rn. 8, ZTR 2010, 433). § 81 Abs. 2 Satz 1 PersVG bestimmt, dass in den in § 87 Nr. 1 und Nr. 8 PersVG genannten Angelegenheiten der Arbeitnehmer, die in ihrer Tätigkeit zeitlich überwiegend hoheitsrechtliche Befugnisse ausüben, eine Entscheidung des Senats beantragt werden kann. Damit ist der Anwendungsbereich einer solchen Entscheidung ausdrücklich auf Arbeitnehmer beschränkt, die hoheitliche Befugnisse ausüben. Dies ist bei dem Kläger nicht der Fall.

24

bb) Eine analoge Anwendung des Regelwerks zur eingeschränkten Mitbestimmung scheidet zur Herstellung eines verfassungskonformen Ergebnisses ebenfalls aus. Es hätte zur Folge, dass der Beschluss der Einigungsstelle entgegen § 83 Abs. 3 Satz 3 PersVG bloßen Empfehlungscharakter besäße (vgl. zum LPVG Sachsen-Anhalt: Senat 21. Juni 2006 - 2 AZR 300/05 - Rn. 14, AP LPVG Sachsen-Anhalt § 62 Nr. 1 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 1 Beteiligung Arbeitnehmervertretung Nr. 1). Mit dem Siebten Gesetz zur Änderung des Personalvertretungsgesetzes vom 17. Juli 2008 (GVBl. 2008, 206) hat der Landesgesetzgeber seinen dem entgegenstehenden Willen unmissverständlich zu erkennen gegeben (BVerwG 4. Juni 2010 - 6 PB 4/10 - Rn. 9, ZTR 2010, 433). Obwohl er das Personalvertretungsrecht an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anpassen wollte, hat er die Mitbestimmung nur bei Arbeitnehmern mit überwiegend hoheitsrechtlichen Befugnissen entsprechend eingeschränkt (vgl. BVerwG 4. Juni 2010 - 6 PB 4/10 - Rn. 10, aaO.; Büge Der Personalrat 2011, 13, 16).

25

cc) Auch ein sog. Evokationsrecht nach § 83 Abs. 3 Satz 4 PersVG bestand im Streitfall nicht.

26

(1) Nach § 83 Abs. 3 Satz 4 PersVG kann der Senat von Berlin in Angelegenheiten, in denen die Entscheidung der Einigungsstelle nach § 81 Abs. 2, § 83 Abs. 3 Satz 3 PersVG verbindlich ist, die Sache an sich ziehen, wenn die fragliche Maßnahme im Einzelfall wegen ihrer Auswirkungen auf das Gemeinwesen wesentlicher Bestandteil der Regierungsgewalt ist. Dies ist bei personellen Maßnahmen gegenüber Arbeitnehmern nach Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte des Gesetzes sowie nach der vom Gesetzgeber verfolgten Regelungsabsicht nur dann der Fall, wenn deren Auswirkungen im Einzelfall über diejenigen hinausgehen, die mit einer derartigen Maßnahme üblicherweise verbunden sind (BVerwG 4. Juni 2010 - 6 PB 4/10 - Rn. 12, ZTR 2010, 433).

27

(2) Diese Voraussetzungen können möglicherweise bei einem Bündel gleichartiger Maßnahmen erfüllt sein, die im Zuge organisatorischer Veränderungen in der Dienststelle ergehen (vgl. BVerfG 20. Juli 2001 - 2 BvL 8/00 - AP LPVG Brandenburg § 72 Nr. 1). Dagegen würde es den erkennbaren Willen des Landesgesetzgebers konterkarieren, § 83 Abs. 3 Satz 4 PersVG im Sinne einer Auffangvorschrift beliebig und voraussetzungslos bei allen personellen Maßnahmen heranzuziehen, bei denen die Entscheidung der Einigungsstelle nach § 81 Abs. 2, § 83 Abs. 3 Satz 3 PersVG verbindlich ist (BVerwG 4. Juni 2010 - 6 PB 4/10 - Rn. 12, ZTR 2010, 433). Bei der außerordentlichen verhaltensbedingten Kündigung eines einzelnen Arbeitnehmers handelt es sich um einen singulären Fall, bei dem die beschriebenen Voraussetzungen nach § 83 Abs. 3 Satz 4 PersVG schwerlich gegeben sein können (BVerwG 4. Juni 2010 - 6 PB 4/10 - aaO.; aA wohl Binkert in Germelmann/Binkert/Germelmann PersVG Berlin 3. Aufl. § 83 Rn. 41). Im Streitfall gibt es für ihr Vorliegen keinerlei Anhaltspunkte.

28

dd) § 83 Abs. 3 Satz 3 PersVG iVm. § 79 Abs. 1, § 87 Nr. 8 PersVG kann jedoch dahingehend ausgelegt werden, dass der Einigungsstelle kein eigener Bewertungs- oder Beurteilungsspielraum zuerkannt wird. Erweist sich die beabsichtigte außerordentliche Kündigung als rechtmäßig, ist die Einigungsstelle vielmehr zwingend gehalten, die vom Personalrat verweigerte Zustimmung zu ersetzen (BVerwG 4. Juni 2010 - 6 PB 4/10 - Rn. 14, ZTR 2010, 433). Der Beschluss der Einigungsstelle unterliegt damit in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zugleich der vollen gerichtlichen Überprüfung (BVerwG 4. Juni 2010 - 6 PB 4/10 - Rn. 13, aaO.). Wird der Beschluss rechtskräftig für unwirksam erklärt oder aufgehoben, hat die Einigungsstelle dem Mitbestimmungsverfahren unter Vermeidung der gerichtlich festgestellten Rechtsfehler Fortgang zu geben (BVerwG 4. Juni 2010 - 6 PB 4/10 - Rn. 4, aaO.). Dies gilt auch dann, wenn die Dienststelle zwischenzeitlich Kündigungen ausgesprochen hat, welche mangels ordnungsgemäßen Abschlusses des Mitbestimmungsverfahrens unwirksam sind (BVerwG 4. Juni 2010 - 6 PB 4/10 - Rn. 5, aaO.). In dieser Auslegung genügt § 83 Abs. 3 Satz 3 PersVG iVm. § 79 Abs. 1, § 87 Nr. 8 PersVG den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Demokratieprinzips.

29

(1) Wird die Einigungsstelle durch das gesetzliche Mitbestimmungsverfahren in die Willensbildung und Entscheidungsfindung der Dienststelle einbezogen, dürfen ihre Entscheidungen bei Maßnahmen der Personalpolitik nur den Charakter einer Empfehlung haben (BVerfG 24. Mai 1995 - 2 BvF 1/92 - zu C I 4 c der Gründe, BVerfGE 93, 37 [BVerfG 24.05.1995 - 2 BvF 1/92]). Darüber geht das PersVG bei dem dargelegten Verständnis nicht hinaus. Bei einem strikt rechtsgebundenen und gerichtlich voll überprüfbaren Zustimmungsersetzungsverfahren wird der Einigungsstelle gerade keine freie (Mit-)Entscheidung darüber zugebilligt, ob die Kündigung ausgesprochen werden soll. Erweist diese sich als wirksam, muss die Einigungsstelle die vom Personalrat verweigerte Zustimmung ersetzen.

30

(2) Die Annahme einer strikt rechtsgebundenen Beteiligung des Personalrats und der Einigungsstelle verhindert nicht die ordnungsgemäße Erfüllung des Amtsauftrags.

31

(a) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts genügt der Gesetzgeber allerdings nicht schon dadurch dem Erfordernis des Demokratieprinzips, dass er die Entscheidungskompetenz der demokratisch legitimierten Stellen formal wahrt (24. Mai 1995 - 2 BvF 1/92 - zu C I 6 der Gründe, BVerfGE 93, 37). Das Demokratieprinzip stellt vielmehr - wie das Rechtsstaatsprinzip - zugleich Anforderungen an die Verfahrensregelungen, mit denen der Gesetzgeber die Mitwirkung der Personalvertretungen absichert. Die gemeinwohlorientierte, an Gesetz und Recht gebundene, wirksame Erfüllung des Amtsauftrags setzt voraus, dass die dafür erforderlichen organisatorischen und sonstigen innerdienstlichen Bedingungen sach- und zeitgerecht geschaffen werden. Der Gesetzgeber darf deshalb die verantwortlichen Amtsträger nicht in eine Lage bringen, in der sie jene Maßnahmen, die für die zeitgerechte Herstellung der Bedingungen einer ordnungsgemäßen Erfüllung des Amtsauftrags notwendig sind, nur um den Preis von Zugeständnissen durchsetzen können, die sie nicht oder nur mit Einschränkungen für sachgerecht halten und in die sie sonst nicht einzuwilligen bereit wären (BVerfG 24. Mai 1995 - 2 BvF 1/92 - aaO.).

32

(b) Die ordnungsgemäße Erfüllung des Amtsauftrags wird jedoch durch die mögliche zeitliche Verzögerung, die mit einem gerichtlichen Überprüfungsverfahren verbunden ist, nicht verhindert. Sie kann zwar dadurch, dass der Ausspruch einer Kündigung nur verzögert möglich ist, insoweit betroffen sein, als die Pflicht zur Beschäftigung des Arbeitnehmers im ungekündigten Arbeitsverhältnis grundsätzlich fortbesteht. Auch im ungekündigten Arbeitsverhältnis kann aber eine einseitige Freistellung zulässig sein, wenn besonders schutzwürdige Belange des Arbeitgebers dafür sprechen (vgl. BAG Großer Senat 27. Februar 1985 - GS 1/84 - zu C I 3 der Gründe, BAGE 48, 122). Allerdings besteht auch dann in der Regel die Pflicht zur Entgeltzahlung fort (vgl. Senat 29. Oktober 1987 - 2 AZR 144/87 - zu A III 2 a der Gründe, AP BGB § 615 Nr. 42 = EzA BGB § 615 Nr. 54; 4. Juni 1964 - 2 AZR 310/63 - zu II 3 c der Gründe, BAGE 16, 72; ErfK/Preis 10. Aufl. § 611 BGB Rn. 567). Es mag auch nicht auszuschließen sein, dass sich der öffentliche Arbeitgeber mit zunehmender Verfahrensdauer veranlasst sehen könnte, dem Personalrat Zugeständnisse zu machen, um eine schnellere Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu erreichen. Doch ginge auch die Herbeiführung einer Entscheidung der Einigungsstelle mit bloßem Empfehlungscharakter mit einer zeitlichen Verzögerung einher. Hinzu kämen die mit der Ungewissheit über die Wirksamkeit der Kündigung verbundenen Risiken eines nachfolgenden Kündigungsschutzprozesses. Eine Rechtskontrolle bereits vor Ausspruch der Kündigung macht dieses Risiko dagegen kalkulierbar. Gibt es keinen rechtlich haltbaren Grund für die beabsichtigte Kündigung, wird die Erfüllung des Amtsauftrags ohnehin nicht verhindert, weil dann ein Recht zur Kündigung objektiv nicht besteht.

33

(c) Das Prinzip der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG) ist nicht verletzt. Die Gerichte entscheiden nicht anstelle des verantwortlichen Amtsträgers darüber, ob eine Kündigung ausgesprochen werden soll. Sie entscheiden im Rahmen der Prüfung der Rechtmäßigkeit des Einigungsstellenspruchs allein darüber, ob die beabsichtigte Kündigung rechtswirksam ist.

34

(3) Es bedarf keiner Entscheidung darüber, ob das Demokratieprinzip noch gewahrt ist, wenn die Einigungsstelle, obwohl sich ihr die Zustimmung des Personalrats nicht ersetzender Beschluss als rechtsunwirksam erwiesen hat, eine Zustimmungsersetzung erneut ablehnen könnte. Die Beklagte hat die fraglichen Kündigungen ausgesprochen, bevor das verwaltungsgerichtliche Verfahren abgeschlossen war.

35

II. Als unterlegene Partei hat die Beklagte gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

Kreft
Schmitz-Scholemann
Rachor
Beckerle
Schipp

Verhältnis zu bisheriger Rechtsprechung:

zu 2.: wie BVerwG 4. Juni 2010 - 6 PB 4/10 - ZTR 2010, 433; im Anschluss an BVerfG 24. Mai 1995 - 2 BvF 1/92 - BVerfGE 93, 37

Branchenspezifische Problematik: Öffentlicher Dienst des Landes Berlin

Besonderer Interessentenkreis: Dienststellen und Personalvertretungen des Landes Berlin

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