Rechtswörterbuch

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Verrichtungsgehilfe

 Normen 

§ 831 BGB

 Information 

1. Einführung

Ein Verrichtungsgehilfe ist eine Person, die mit Wissen und Wollen des Geschäftsherrn (z.B. Arbeitgeber) weisungsgebunden in dessen Interesse tätig wird.

Der Begriff des Verrichtungsgehilfin wird in § 831 BGB verwendet: Begeht der Verrichtungsgehilfe in Ausführung seiner Verrichtung eine unerlaubte Handlung, so ist der Geschäftsherr zum Ersatz des Schadens verpflichtet. Der Verrichtungsgehilfe muss nicht schuldhaft gehandelt haben.

§ 831 Abs. 1 S. 1 BGB ist eine eigenständige Anspruchsgrundlage. Der Geschäftsherr haftet für eigenes Verschulden, das zunächst vermutet wird. Er hat gemäß § 831 Abs. 1 S. 2 BGB eine Exkulpationsmöglichkeit.

2. Schutzbereich der Norm

Der Schutzbereich der Norm erstreckt sich auf alle unerlaubten Handlungen, die in Ausführung der Tätigkeit begangen wurden. Dazu sind in der Entscheidung OLG Naumburg 19.06.2008 - 2 U 158/07 folgende Urteile aufgestellt worden:

  • "In Ausführung" ist eine Verrichtung dann erfolgt, wenn ein Handeln innerhalb des übernommenen Pflichtenkreises vorliegt, d.h. dass ein Sachzusammenhang mit der Aufgabe besteht, die dem Gehilfen zugewiesen ist (...). Auch eine Überschreitung des Pflichtenkreises und sogar eine vorsätzliche unerlaubte Handlung kann noch in einem objektiven Zusammenhang mit den zugewiesenen Verrichtungen stehen."

  • "Die Einstandspflicht des Geschäftsherrn für eigenmächtiges Verhalten seines Gehilfen ist aber dann zu verneinen, wenn dessen Verfehlung sich von dem ihm übertragenen Aufgabenbereich so weit entfernt, dass aus der Sicht eines Außenstehenden ein innerer Zusammenhang zwischen dem Handeln der Hilfsperson und dem allgemeinen Rahmen der ihr übertragenen Aufgaben nicht mehr zu erkennen ist. Dies ist etwa dann der Fall, wenn der Gehilfe rein zufällig mit den Rechtsgütern des Geschädigten in einer Weise in Berührung gekommen ist, die ihm lediglich die Gelegenheit bot, wie ein deliktisch handelnder Dritter eine von den ihm übertragenen Aufgaben völlig losgelöste unerlaubte Handlung zu begehen."

    Beispiel:

    Sexueller Übergriff durch einen angestellten Physiotherapeuten (OLG München 10.09.2015 - 8 U 1555/15).

3. Voraussetzungen der Haftung

Zwischen dem Verrichtungsgehilfen und dem Geschäftsherrn muss ein Rechtsverhältnis jeglicher Art bestehen.

Voraussetzungen der Einstufung einer Person als Verrichtungsgehilfe sind, dass der Verrichtungsgehilfe

  • in den Betrieb des Geschäftsherrn eingegliedert ist

    Maßgebend für die Einordnung als Verrichtungsgehilfe sind die faktischen Verhältnisse (BGH 06.11.2012 - VI ZR 174/11).

    und

  • dem Geschäftsherrn gegenüber weisungsgebunden ist.

    Dem Verrichtungsgehilfen muss von einem anderen, in dessen Einflussbereich er allgemein oder im konkreten Fall ist und zu dem er in einer gewissen Abhängigkeit steht, eine Tätigkeit übertragen worden sein. Das dabei vorausgesetzte Weisungsrecht braucht nicht ins Einzelne zu gehen. Entscheidend ist, dass die Tätigkeit in einer organisatorisch abhängigen Stellung vorgenommen wird. Es genügt, dass der Geschäftsherr die Tätigkeit des Handelnden jederzeit beschränken oder entziehen oder nach Zeit und Umfang bestimmen kann.

Der BGH hat zu der Frage, ob ein selbstständiges Unternehmen Verrichtungsgehilfe sein kann, Folgendes entschieden (BGH 06.11.2012 - VI ZR 174/11):

"Der Personenkreis, der nach diesen Grundsätzen "zu einer Verrichtung bestellt" ist, unterscheidet sich von dem Kreis der Erfüllungsgehilfen durch den Mangel an Selbstständigkeit und Eigenverantwortlichkeit. Während selbstständige Unternehmen ohne Weiteres Erfüllungsgehilfen sein können, setzt die Qualifikation als Verrichtungsgehilfe Abhängigkeit und Weisungsgebundenheit voraus (...). Daran fehlt es in der Regel bei selbstständigen Unternehmen, unabhängig davon, ob sie mit dem Unternehmen, für das sie eine bestimmte Aufgabe wahrnehmen, in einem Konzernverhältnis stehen. Die Übertragung von Aufgaben auf ein bestimmtes Unternehmen innerhalb eines Konzerns dient regelmäßig gerade dem Zweck, durch die selbstständige - nicht weisungsgebundene - Erledigung der Aufgabe andere Teile des Konzerns zu entlasten."

4. Ausschluss der Haftung

Der Geschäftsherr kann seine Haftung abwenden, wenn er gemäß § 831 Abs. 1 S. 2 BGB nachweist, dass

  • er den Verrichtungsgehilfen sorgfältig ausgesucht hat,

  • er bei der Beschaffung von Vorrichtungen oder Gerätschaften sowie der Leitung der Verrichtung die erforderliche Sorgfalt angewendet hat oder

  • der Schaden auch bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt eingetreten wäre.

 Siehe auch 

Delikt

Erfüllungsgehilfe

Haftung des Arbeitgebers

Haftung des Arbeitnehmers

Schadensersatz

BGH 05.02.2009 - IX ZR 36/08 (Keine Haftung des Gerichtsvollziehers als Verrichtungsgehilfe des Gläubigers aus § 831 BGB)

BGH 21.06.1994 - VI ZR 215/93 (Subunternehmer im Allgemeinen kein Verrichtungsgehilfe des Bauunternehmers)

BGH 05.10.1979 - I ZR 140/77 (Handelsvertreter als Verrichtungsgehilfe)