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Scheinselbstständigkeit

 Normen 

§§ 7 ff. SGB IV

 Information 

1. Allgemein

Scheinselbstständig ist, wer als Selbstständiger aufgrund eines Werk- oder Dienstvertrages tätig ist, obwohl die Tätigkeit als Arbeitnehmertätigkeit einzustufen ist.

Der Begriff der Scheinselbstständigkeit hat überwiegend im Bereich des Sozialversicherungsrechts und Steuerrechts eine praktische Bedeutung.

2. Arbeitsrecht

Zur Abgrenzung siehe den Beitrag "Arbeitnehmer".

3. Sozialversicherungsrecht

3.1 Prüfung der Sozialversicherungspflicht - Statusfeststellungsverfahren

Der Selbstständige bzw. dessen Auftraggeber kann bei Zweifeln durch einen schriftlichen oder elektronischen Antrag gemäß § 7a Abs. 1 SGB IV eine Entscheidung der Deutschen Rentenversicherung als Dachverband der Rentenversicherungsträger herbeiführen (sog. Statusfeststellungsverfahren). Dabei kann der Antrag auf die Durchführung des Statusfeststellungsverfahrens auch erst nach der Vertragsbeendigung gestellt werden.

Mit der am 01.04.2022 in Kraft getretenen Fassung des § 7a SGB IV beschränkt sich die Feststellung nicht mehr nur darauf, ob eine Beschäftigung vorliegt, sondern auch auf das Vorliegen einer selbstständigen Tätigkeit, nicht aber auf die Versicherungspflicht. Gemäß § 55 Abs. 3 SGG kann die Feststellung, ob eine Erwerbstätigkeit als Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit ausgeübt wird, auch im Klageverfahren verfolgt werden.

Neu ist auch, dass auf Antrag der Beteiligten die Deutsche Rentenversicherung Bund bereits vor Aufnahme der Tätigkeit entscheidet.

Indizien der Feststellung sind gemäß § 7 SGB IV insbesondere eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Dabei wurde mit dem Urteil BSG 31.03.2017 - B 12 R 7/15 R die Höhe des vereinbarten Honorars als weiteres Kriterium hinzugefügt:

"Liegt das vereinbarte Honorar wie hier deutlich über dem Arbeitsentgelt eines vergleichbar eingesetzten sozialversicherungspflichtig Beschäftigten und lässt es dadurch Eigenvorsorge zu, ist dies jedoch ein gewichtiges Indiz für eine selbstständige Tätigkeit. Allerdings handelt es sich auch bei der Honorarhöhe nur um eines von u.U. vielen in der Gesamtwürdigung zu berücksichtigenden Indizien, weshalb weder an die Vergleichbarkeit der betrachteten Tätigkeiten noch an den Vergleich der hieraus jeweils erzielten Entgelte bzw Honorare überspannte Anforderungen gestellt werden dürfen."

Es gilt der Amtsermittlungsgrundsatz, d.h. die Sozialversicherungsträger müssen von sich aus versuchen, einen zugunsten des Auftragnehmers sprechenden Sachverhalt zu ermitteln.

Neues Gemeinsames Schreiben zur Statusfeststellung ab 01.04.2022:

Die Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger haben in einem Rundschreiben Ausführungen sowie verbindliche Vorgaben für das Statusfeststellungsverfahren erlassen. Das aktuelle Rundschreiben kann unter der folgenden Adresse eingesehen werden:

https://www.deutsche-rentenversicherung.de/SharedDocs/Downloads/DE/Fachliteratur_Kommentare_Gesetzestexte/summa_summarum/rundschreiben/2022/statusfestellung_erwerbstaetige.html

3.2 Berechnung der Höhe der Sozialversicherungsbeiträge

Sind bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen Steuern und Beiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung nicht gezahlt worden, gilt gemäß § 14 Abs. 2 SGB IV ein Nettoarbeitsentgelt als vereinbart. Die Beitragsbemessung erfolgt dabei auf der Grundlage des Arbeitsentgelts (BGH 16.04.2014 - 1 StR 516/13).

3.3 Beginn der Versicherungspflicht

Die Sozialversicherungspflicht beginnt gemäß § 7a Abs. 6 SGB IV erst am Tage der Entscheidungsverkündung, wenn der Selbstständige / Beschäftigte zustimmt und er in der Zwischenzeit eine der Kranken- und Rentenversicherung entsprechende Absicherung getroffen hatte. Auch dürfen weder der nunmehr Beschäftigte noch sein Arbeitgeber grob fahrlässig oder sogar vorsätzlich von einer selbstständigen Tätigkeit ausgegangen sein.

Dies gilt auch für die Fälle, in denen die Sozialversicherungspflicht durch die Deutsche Rentenversicherung festgestellt werden soll. Zur ex-nunc-Wirkung der Sozialversicherungspflicht ist es hier aber zusätzlich erforderlich, dass der Antrag innerhalb eines Monats nach Aufnahme der Tätigkeit gestellt wurde.

Allgemein wird der Sozialversicherungsbeitrag erst fällig, wenn die Entscheidung rechtskräftig geworden ist. Widerspruch und Klageerhebung haben aufschiebende Wirkung.

3.4 Strafbarkeit

Die Unterlassung der Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen ist zudem gemäß § 266a StGB für den Arbeitgeber als Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt strafbar.

4. Steuerrecht

Im Steuerrecht ist die Arbeitnehmereigenschaft mit der Lohnsteuerpflicht verbunden.

Rechtsgrundlage ist § 1 LStDV, nach dem eine Arbeitnehmereigenschaft insbesondere dann vorliegt, wenn die Person in der Betätigung ihres geschäftlichen Willens unter der Leitung des Arbeitgebers steht oder in die Arbeitsorganisation eingegliedert ist.

Im Einzelnen besteht eine umfangreiche Rechtsprechung.

5. Rückabwicklung einer Scheinselbstständigkeit

Das BAG hat mit der Entscheidung BAG 26.6.2019 - 5 AZR 178/18 Grundsätze festgelegt, wie die Vergütung rückabzuwickeln ist, wenn eine Scheinselbstständigkeit festgestellt wurde:

"Stellt sich ein vermeintlich freies Dienstverhältnis im Nachhinein als Arbeitsverhältnis dar, kann in der Regel nicht davon ausgegangen werden, die für freie Mitarbeit vereinbarte Vergütung sei der Höhe nach auch für eine Beschäftigung als Arbeitnehmer verabredet."

Danach ist die Rückabwicklung wie folgt vorzunehmen:

"Nach der Rechtsprechung des Senats kann der Arbeitgeber aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB die Rückzahlung überzahlter Honorare verlangen, wenn der Arbeitnehmerstatus eines vermeintlich freien Mitarbeiters rückwirkend festgestellt wird. Mit einer solchen Feststellung steht zugleich fest, dass der Dienstverpflichtete als Arbeitnehmer zu vergüten war und ein Rechtsgrund für die Honorarzahlungen nicht bestand, soweit die im Arbeitsverhältnis geschuldete Vergütung niedriger ist als das für das freie Dienstverhältnis vereinbarte Honorar. War anstelle eines Honorars für die Tätigkeit im Arbeitsverhältnis eine niedrigere Vergütung zu zahlen, umfasst der Bereicherungsanspruch des Arbeitgebers nicht sämtliche Honorarzahlungen, sondern nur die Differenz zwischen den beiden Vergütungen.

Im Übrigen ist der Arbeitnehmer nicht ohne Rechtsgrund bereichert (BAG 09.02.2005 - 5 AZR 175/04 - zu III 1 a der Gründe; 29.05.2002 - 5 AZR 680/00 - zu I 1 a der Gründe). Die Darlegungs- und Beweislast für die tatsächlichen Voraussetzungen eines Anspruchs auf Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung trägt grundsätzlich der Anspruchsteller, hier also die Klägerin. Dies gilt auch für eine negative Tatsache wie das Fehlen des rechtlichen Grundes gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB. Den Leistungsempfänger, dh. den Beklagten, trifft allerdings eine sekundäre Darlegungslast (BAG 08.11.2017 - 5 AZR 11/17 - Rn. 16). Der Anspruchsteller muss daher nur denjenigen Rechtsgrund ausräumen, der sich aus dem Vortrag des Leistungsempfängers ergibt (BGH 28.07.2015 - XI ZR 434/14)."

 Siehe auch 

Arbeitnehmerähnliche Selbstständige

Feste freie Mitarbeit

Handelsvertreter

Sozialversicherung

Rittweger: Neue Kriterien für die Beitragspflicht von angestellten GmbH-Gesellschaftern und (Schein-)Selbstständigen; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2022, 2439

Schlegel: Sozialversicherungsrechtliche Statusfeststellung; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2020, 16

Zieglmeier: Die sozialversicherungsrechtliche Statusbeurteilung - ein unterschätztes Compliancerisiko; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2015, 1914