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Pflegekind

 Normen 

§ 33 SGB VIII

§§ 1809 - 1813 BGB

BT-Drs. 19/24445 (zu der am 01.01.2023 in Kraft getretenen Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts)

Bt-Drs. 19/26107 (zu der am 10.06.2021 in Kraft getretenen Dauerverbleibensanordnung)

 Information 

1. Allgemein

Der Aufenthalt des Kindes/Jugendlichen in einer Pflegefamilie (Vollzeitpflege) ist eine Form der Erziehungshilfe (§ 33 SGB VIII).

Die Pflegschaft betrifft grundsätzlich nur einen Teilbereich des Sorgerechts, zumeist die Betreuung und Erziehung des Kindes. Kann diese nicht ausreichend durch die Eltern wahrgenommen werden, so kommt eine Ausübung der Betreuung/Erziehung u.Ä. durch die Pflegepersonen in Betracht.

Lebt ein Kind für längere Zeit in Familienpflege, so ist die Pflegeperson gemäß § 1688 BGB berechtigt, in Angelegenheiten des täglichen Lebens zu entscheiden sowie den Inhaber des Sorgerechts in solchen Angelegenheiten zu vertreten.

Das Verlangen der Eltern des Pflegekindes auf Rücknahme des Kindes in den eigenen Haushalt kann missbräuchlich sein, wenn dies dem Kindeswohl widerspricht. Auch die Pflegefamilie untersteht gegebenenfalls dem Schutz von Art. 6 GG.

Bei Meinungsverschiedenheiten zwischen den Eltern und dem Pfleger entscheidet das Familiengericht.

Das Pflegekind kann nach Vollendung des 14. Lebensjahres eigenständig Beschwerde gegen die Anordnung der Pflegschaft einlegen.

2. Formen der Pflegschaft

Die Pflegschaft gibt es in folgenden Formen:

  • Ergänzungspflegschaft

  • Zuwendungspflegschaft (§ 1811 BGB) - neu zum 01.01.2023:

    Bei der Zuwendungspflegschaft handelt es sich um einen besonderen Fall der Ergänzungspflegschaft. Sie wird eingesetzt, wenn

    • der Minderjährige von Todes wegen, durch unentgeltliche Zuwendung auf den Todesfall oder unter Lebenden Vermögen erwirbt

      und

    • der Erblasser durch letztwillige Verfügung, der Zuwendende bei der Zuwendung bestimmt hat, dass die Eltern oder der Vormund das Vermögen nicht verwalten sollen.

    Hier liegt ein besonderer Fall der rechtlichen Verhinderung vor, in dem die Eltern bereits kraft Gesetzes von der Vertretung des Kindes ausgeschlossen sind. Der Vormund und die Eltern haben dem Familiengericht unverzüglich anzuzeigen, dass ein Pfleger erforderlich ist. Dabei wird im Gesetz nicht ausdrücklich normiert, dass der Pfleger zur Verwaltung des zugewendeten Vermögens bestellt wird. Dies ergibt sich aus dem Sachzusammenhang - eine Rechtsänderung ist damit nicht verbunden.

    Der Erblasser und der Zuwendende können bei der Zuwendung einen Zuwendungspfleger benennen. Das Familiengericht ist grundsätzlich an die Benennung des Zuwendungspflegers gebunden. Die Rechtsfolgen des Übergehens des benannten Vormunds sind in § 1783 BGB geregelt.

    Absatz 2 Nummer 2 regelt, dass der Erblasser und der Zuwendende den Zuwendungspfleger bei der Vermögenssorge von bestimmten Beschränkungen befreien können.

    Absatz 3 regelt unter welchen Umständen von den Anordnungen des Erblassers oder des Zuwendenden abwichen werden kann.

  • Pflegschaft für ein ungeborenes Kind (§ 1810 BGB):

    Es muss eine Schwangerschaft bestehen und das Kind darf noch nicht geboren sein. Satz 2 entspricht § 1918 Abs. 2 BGB.

Hinweis:

Die Ersatzpflegschaft ist mit dem Inkrafttreten der Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts zum 01.01.2023 entfallen. Durch die Einführung des vorläufigen Vormunds gibt es keinen Anwendungsbereich für den Ersatzpfleger mehr. Die zuvor erfassten Fälle, nämlich die Fälle, in denen zwar die Voraussetzungen der Vormundschaft vorliegen, jedoch die Angelegenheit nicht aufgeschoben werden kann, bis der Vormund bestellt war, können durch die Bestellung des Vereins oder des Jugendamtes als vorläufigen Vormund gelöst werden.

3. Entzug des Sorgerechts/Verbleibensanordnung

Der vollständige Entzug des Sorgerechts soll nur als letztes Mittel angewandt werden.

Verbleibensanordnung:

Lebt ein Kind in einer Pflegefamilie und verlangen die leiblichen Eltern dessen Rückführung, so kann gemäß § 1632 BGB das Familiengericht von Amts wegen oder auf Antrag der Pflegeperson anordnen, dass das Kind bei der Pflegeperson verbleibt, wenn und solange das Kindeswohl durch die Wegnahme gefährdet würde.

Dabei kann das Familiengericht zusätzlich zu der Verbleibensanordnung bei Vorliegen der Voraussetzungen anordnen, dass der Verbleib des Kindes bei der Pflegeperson auf Dauer ist.

Die Anordnung kann nur ergehen, wenn in einem Verfahren auf Herausgabe des Kindes an die Eltern bzw. auf Anordnung des Verbleibs bei der Pflegeperson eine gerichtliche Verbleibensanordnung ergeht. Damit soll verhindert werden, dass ein solches Verfahren angestrengt wird, ohne dass seitens der Eltern die Herausgabe des Kindes gefordert oder betrieben wird, denn das Verfahren zum Erlass einer Dauerverbleibensanordnung könnte sonst selbst zu einer Verunsicherung des Kindes führen.

Wie die einfache Verbleibensanordnung kann auch die Dauerverbleibensanordnung auf gesonderten Antrag der Pflegeperson oder von Amts wegen, insbesondere auch auf Anregung des Vormunds oder des aufenthaltsbestimmungsberechtigten Pflegers, des Jugendamtes oder Verfahrensbeistandes des Kindes, ergehen.

Voraussetzungen dieser Anordnung sind:

  • Gemäß Nummer 1 ist erforderlich, dass sich innerhalb eines im Hinblick auf die Entwicklung des Kindes vertretbaren Zeitraums trotz des Angebots geeigneter Maßnahmen zur Beratung, Unterstützung und Beziehungsförderung die Erziehungsverhältnisse bei den Eltern nicht nachhaltig haben verbessern lassen und eine derartige Verbesserung auch zukünftig mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten ist.

    Wann eine solche hohe Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, ist in jedem Einzelfall unter Berücksichtigung der jeweiligen Gesamtumstände, insbesondere des bisherigen Verlaufs bereits angebotener und geleisteter Hilfen, zu prüfen.

    Das kann etwa der Fall sein, wenn im konkreten Einzelfall keine geeigneten Leistungen in Betracht kamen, die Eltern nicht ernsthaft gewillt oder nicht in der Lage waren, diese Leistungen anzunehmen, oder die durchgeführten Maßnahmen nicht den notwendigen Erfolg gebracht haben. In die Prüfung nach Nummer 1 sind nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 19/26107) neben Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe auch andere Maßnahmen einzubeziehen, welche die Erziehungsfähigkeit der Eltern verbessern können, zum Beispiel die Inanspruchnahme eines Anti-Gewalt-Trainings, eines Drogensubstitutionsprogramms mit psychosozialer Beratung oder einer Psychotherapie.

    Es ist allerdings nicht erforderlich, dass zeitlich unbegrenzt sämtliche theoretisch in Betracht kommenden Leistungen und Unterstützungsmaßnahmen versucht worden sind. Zu berücksichtigen ist vielmehr, welcher Zeitraum im konkreten Fall mit Blick auf das kindliche Zeiterleben, auf das Bedürfnis des Kindes nach stabilen und kontinuierlichen Erziehungsbedingungen und die speziellen Entwicklungsaufgaben des jeweiligen Kindes vertretbar erscheint. Eine abstrakt-generelle Festlegung dieses Zeitraums ist nicht möglich, vielmehr muss abgewogen werden zwischen den kurz- und mittelfristigen Erfolgsaussichten weiterer Leistungen einerseits und den Bedürfnissen des Kindes andererseits.

    Erklären die Eltern, weiterhin oder erstmals Hilfen annehmen zu wollen, muss das Gericht unter Berücksichtigung der bisherigen Maßnahmen und des bisherigen Verhaltens der Eltern prüfen, ob es sich um eine ernsthafte Erklärung handelt, ob die Eltern in der Lage sind, die Unterstützungsmaßnahmen anzunehmen und zum Wohle ihres Kindes umzusetzen, ob die Maßnahmen geeignet sind, die Erziehungsverhältnisse bei den Eltern, insbesondere das Erziehungsverhalten und die -fähigkeit, nachhaltig zu verbessern, und bis wann mit dieser Verbesserung zu rechnen ist.

  • Zudem ist weitere Voraussetzung für den Erlass einer Dauerverbleibensanordnung, dass diese zum Kindeswohl erforderlich ist. Es bedarf hierzu einer positiven Kindeswohlprüfung.

Voraussetzungen der Änderungen der richterlichen Verbleibensanordnung / Rückkehr des Kindes zu den leiblichen Eltern:

Das Bundesverfassungsgericht hat Vorgaben aufgestellt für die Entscheidung von Richtern zur Rückkehr des Kindes in die Ausgangsfamilie (BVerfG 05.09.2022 - 1 BvR 65/22):

  • "Hält das Gericht eine Trennung des Kindes von den Eltern nicht oder nicht mehr für erforderlich, obwohl Anhaltspunkte dafür bestehen, dass das Kind bei einem Verbleiben in der Familie oder bei einer Rückkehr dorthin in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet ist, hält die Entscheidung verfassungsgerichtlicher Kontrolle am Maßstab des Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG grundsätzlich nur dann stand, wenn das Gericht in Auseinandersetzung mit den für eine nachhaltige Gefahr sprechenden Anhaltspunkten nachvollziehbar begründet, warum eine solche Gefahr für das Wohl des Kindes nicht vorliegt.

  • Einer näheren Begründung bedarf es regelmäßig insbesondere dann, wenn das Gericht der Einschätzung der Sachverständigen oder der beteiligten Fachkräfte (insbesondere Verfahrensbeistand, Jugendamt, Familienhilfe, Vormund) nicht folgt, es liege eine die Trennung von Kind und Eltern gebietende Kindeswohlgefährdung vor.

  • Zwar schließt die Verfassung nicht aus, dass das Fachgericht im Einzelfall von den Feststellungen und Wertungen dieser fachkundigen Personen abweicht. Insbesondere ist nicht ausgeschlossen, dass das Gericht zu einer abweichenden Einschätzung und Bewertung von Art und Ausmaß einer Kindeswohlgefährdung gelangt.Es muss dann aber eine anderweitige verlässliche Grundlage für eine am Kindeswohl ausgerichtete Entscheidung haben und diese offenlegen. Das Abweichen von den gegenläufigen Einschätzungen der fachkundigen Personen bedarf eingehender Begründung."

4. Auswahl des Vormunds

Pflegeeltern sind durch Entscheidungen zur Auswahl des Vormunds nicht in eigenen Rechten betroffen und daher nicht beschwerdebefugt.

Ist den Eltern des Kindes nur ein Teil des Sorgerechts entzogen, können sie als Vertreter des Kindes gegen solche Auswahlentscheidungen Beschwerde einlegen. Daher besteht in solchen Fällen kein Anlass, den Pflegeeltern eine Beschwerdeeinlegung zur Wahrung des Persönlichkeitsrechts des Kindes zu ermöglichen (OLG Nürnberg 12.05.2014 - 11 WF 1596/13).

Ist eine Erziehung des Kindes oder Jugendlichen außerhalb des Elternhauses erforderlich, so entfällt der Anspruch auf Erziehungshilfe nicht dadurch, dass eine andere unterhaltspflichtige Person bereit ist, diese Aufgabe zu übernehmen. Wird Hilfe zur Erziehung unter anderem in Form der Vollzeitpflege gewährt, so ist auch der notwendige Unterhalt des Kindes oder Jugendlichen außerhalb des Elternhauses sicherzustellen. Nicht maßgeblich für die Feststellung des erzieherischen Bedarfs, ob ein Verwandter - wie z.B. die Großmutter - den Bedarf des Kindes (im Einvernehmen mit den Eltern) freiwillig deckt. Insofern kam es zu einer Rechtsprechungsänderung (BVerwG 09.12.2014 - 5 C 32.13).

5. Nachehelicher Unterhalt

Der ein Pflegekind betreuende Ehegatte hat gegebenenfalls einen Anspruch auf nachehelichen Unterhalt aufgrund von Kindesbetreuung, wenn das Pflegekind seit längerer Zeit in dem Haushalt lebt und der unterhaltspflichtige Ehegatte der Aufnahme zugestimmt hat.

6. Rückführung nach der Herausnahme aus der Pflegefamilie

Pflegeeltern können eine Rückführung des Pflegekindes nach § 1632 Abs. 4 BGB nur dann beanspruchen, wenn zwischen der Herausnahme des Kindes aus ihrem Haushalt und der Einleitung des Verfahrens auf Anordnung des Verbleibs ein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang besteht (BGH 16.11.2016 -XII ZB 328/15).

 Siehe auch 

Adoption

Erkrankung eines Kindes eines Arbeitnehmers

Jugendhilfe

Kindeswohl

Sorgerecht

BFH 02.04.2009 - III R 92/06 (Aufnahme des Pflegekindes in Haushalt)

BGH 10.05.1995 - XII ZA 2/95

BGH 15.01.1980 - VI ZR 181/78

Gerhardt/von Heintschel-Heinegg/Klein: Handbuch des Fachanwalts Familienrecht; 12. Auflage 2021

Schmidt: Änderungen durch das Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts - Pflegschaften für Minderjährige ab dem 01.01.2023: Einführung des zusätzlichen Pflegers und der Pflegschaft der Pflegeperson; Neue Zeitschrift für Familienrecht - NZFam 2023, 1