Rechtswörterbuch

Nutzen Sie die Schnellsuche, um nach Themen im Rechtswörtebuch zu suchen!

Mülltourismus

 Normen 

§ 15 KrWG

AbfVerbrG

AbfVerbrBußV

VO 660/2014

VO 1013/2006

 Information 

1. Allgemein

Mülltourismus oder internationaler Müllhandel ist eine umgangssprachliche Bezeichnung für die grenzüberschreitende Abfallverbringung. Der Mülltourismus wird umweltpolitisch deshalb als Missstand empfunden, weil er einem Hauptprinzip des Umweltrechts zuwiderläuft: dem Verursacherprinzip.

Für Mitgliedstaaten der EU ist es weitestgehend untersagt, Abfälle in Länder außerhalb der EU zu exportieren. Auch innerhalb der EU gilt für die Müllentsorgung das Näheprinzip: Müll soll möglichst nahe am Standort der Entstehung entsorgt werden.

Jedoch ist lediglich der grenzüberschreitende Müllhandel zum Zwecke der Beseitigung untersagt. Soll der Abfall zum Zwecke der Verwertung exportiert werden, ist dies nach geltendem deutschen und europäischen Recht grundsätzlich erlaubt. Oftmals entscheidet erst eine wertende juristische Auslegung, ob es sich um einen Fall des erlaubten oder des verbotenen Müllexports handelt.

Beispiel:

So wurde die Verbrennung von Sondermüll aus Deutschland in einem belgischen Zementwerk als erlaubter Müllexport zur Verwertung angesehen, weil die Zementwerke auf den Strom aus der Verbrennung von Müll angewiesen waren, d.h. ohne Müll Primärenergieträger einsetzen müssten, um den Betrieb aufrecht zu erhalten (EuGH 13.02.2003 - C 228/00).

Die Verbringung von Müll in ausländische Müllverbrennungsanlagen, die bei Ausbleiben des Mülls nicht verpflichtet sind, weiterhin Strom zu produzieren, also keine Primärenergieträger einsetzen müssten, stellt dagegen eine grundsätzlich verbotene Form des Müllexports zur Beseitigung dar.

Dennoch ist innerhalb der EU gerade diese Praxis sehr verbreitet. Besonders in Deutschland werden großen Mengen von Müll aus anderen EU-Mitgliedstaaten zur Auslastung der zahlreichen, Anfang der neunziger Jahre entstandenen Müllverbrennungsanlagen importiert. Rechtlich ermöglicht wird diese Praxis durch die europaweit geltende Bestimmung, dass Abfälle nur auf umweltgerechten Kippen abgelagert werden dürfen. So wird für den Müllexport oftmals das Argument der Nachbarschaftshilfe für Gebiete angeführt, die nicht über die notwendigen Deponien bzw. über den nötigen Platz auf ihren Deponien verfügten.

Diese Aushebelung des Grundsatzes der standortnahen Müllentsorgung ist heftig kritisiert worden. So wird nach Meinung der Kritiker der Grund der Nachbarschaftshilfe in den meisten Fällen lediglich vorgeschoben, vielmehr seien handfeste wirtschaftliche sowie politische Interessen am Müllhandel der Grund für den weithin ausgeübten Mülltourismus. Tatsächlich kollidiert jedoch auch ein höheres Interesse der EU mit dem umweltrechtlichen Grundsatz der Inlandsentsorgung, und zwar das Ziel, die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen den Ländern zu fördern: Vor diesem Hintergrund ist es daher nicht nur geduldet, sondern vielmehr gewollt, dass Recycling- oder Abfallverbrennungsanlagen, die in einem anderen Mitgliedstaat gebaut wurden und nicht ausgelastet sind, Abfälle aus anderen Mitgliedstaaten aufnehmen.

2. Grundsatz der Müllentsorgung

Mit dem Inkrafttreten des Kreislaufwirtschaftsgesetzes (KrWG) zum 01.06.2012 wurde auch auf die ausdrückliche Nennung des Grundsatz der Inlandsentsorgung verzichtet (so § 10 Abs. 3 Satz 1 KrWG).

Gemäß § 15 KrWG sind Abfälle so zu beseitigen, dass das Wohl der Allgemeinheit nicht beeinträchtigt wird. Eine Beeinträchtigung liegt insbesondere dann vor, wenn

  • die Gesundheit der Menschen beeinträchtigt wird,

  • Tiere oder Pflanzen gefährdet werden,

  • Gewässer oder Böden schädlich beeinflusst werden,

  • schädliche Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen oder Lärm herbeigeführt werden,

  • die Ziele oder Grundsätze und sonstigen Erfordernisse der Raumordnung nicht beachtet oder die Belange des Naturschutzes, der Landschaftspflege sowie des Städtebaus nicht berücksichtigt werden oder

  • die öffentliche Sicherheit oder Ordnung in sonstiger Weise gefährdet oder gestört wird.

Die Ablagerung von Siedlungsabfällen auf Deponien darf spätestens ab dem 1. Januar 2035 höchstens 10 Gewichtsprozent des gesamten Siedlungsabfallaufkommens betragen.

 Siehe auch 

Abfall

Abfallentsorgung

Sondermüll

Schmehl/Klement: GK-KrWG - Gemeinschaftskommentar zum Kreislaufwirtschaftsgesetz; 2. Auflage 2019