Rechtswörterbuch

Nutzen Sie die Schnellsuche, um nach Themen im Rechtswörtebuch zu suchen!

Internationale Rechtshilfe in Strafsachen

 Normen 

IRG

VO 2018/1805

Richtlinien für den Verkehr mit dem Ausland in Strafsachen (RiVASt)

BT-Drs. 19/713829

BT-Drs. 19/19852 (zu den am 19.12.2020 in Kraft getretenen Änderungen des IRG zur Durchführung der VO 2018/1805

 Information 

1. Einführung

Die Internationale Rechtshilfe ist geprägt von internationalen Abkommen und unterliegt ständigen Änderungen.

Rechtsgrundlage der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen ist in Deutschland das Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG), in das der Inhalt der verschiedenen Abkommen und Beschlüsse eingearbeitet werden, so z.B. das Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder die Rahmenbeschlüsse 2006/783 und 2006/675 der EU über die gegenseitige Anerkennung von Einziehungsentscheidungen sowie die Berücksichtigung von Vorverurteilungen.

Inhalte des Gesetzes sind u.a.

  • die Auslieferung an das Ausland

  • die Durchlieferung

  • die Rechtshilfe durch Vollstreckung ausländischer Erkenntnisse

  • die Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln

  • die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Einziehungsentscheidungen

  • die Berücksichtigung der in anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ergangenen Verurteilungen in einem neuen Strafverfahren

2. Datenübermittlung ohne Ersuchen (Anwendungsbereich allgemeine internationale Rechtshilfe)

Personenbezogene Daten aus strafprozessualen Ermittlungen dürfen von deutschen Gerichten und Staatsanwaltschaften an öffentliche Stellen anderer Staaten bzw. zwischen- und überstaatliche Stellen auch ohne das Vorliegen eines förmlichen Ersuchens übermittelt werden, wenn gemäß § 61a IRG folgende Voraussetzungen vorliegen:

  • Die Übermittlung an ein deutsches Gericht / eine Staatsanwaltschaft wäre auch ohne Ersuchen zulässig.

    und

  • Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass die Übermittlung erforderlich ist, um ein Ersuchen zur Strafverfolgung / Strafvollstreckung vorzubereiten wegen einer Straftat, die nach dem deutschen Strafrecht mit einer Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren bestraft wird, und das Ersuchen rechtmäßig wäre.

    und

  • Die Daten werden an die für die Stellung des Ersuchens zuständige Stelle übermittelt.

3. Datenübermittlung ohne Ersuchen (Anwendungsbereich Europäische Union)

Personenbezogene Daten, die den Verdacht einer Straftat begründen, dürfen bei Vorliegen einer völkerrechtlichen Vereinbarung von deutschen öffentlichen Stellen ohne das Vorliegen eines förmlichen Ersuchens bei Vorliegen der folgenden Voraussetzungen gemäß § 83j IRG an öffentliche Stellen eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union sowie an die Organe und Einrichtungen der Europäischen Union übermittelt werden:

  • Die Übermittlung an ein deutsches Gericht / eine Staatsanwaltschaft wäre auch ohne Ersuchen zulässig.

  • Die Übermittlung ist geeignet, ein Strafverfahren in dem anderen Mitgliedstaat einzuleiten oder ein bereits eingeleitetes Strafverfahren zu fördern.

  • Die Übermittlung erfolgt an die zur Einleitung / Förderung des Strafverfahrens zuständige Stelle.

4. Audiovisuelle Vernehmung

Im Bereich der audiovisuellen Vernehmung regelt § 61c IRG nur das Absehen von der Auferlegung der Kosten bzw. der Festsetzung eines Ordnungsmittels gegen einen Zeugen oder Sachverständigen, der einer Ladung zur Vernehmung im Wege der Videokonferenz durch eine ausländische Justizbehörde fernbleibt.

5. Gemeinsame Ermittlungsgruppen

Bei der Bildung einer gemeinsamen Ermittlungsgruppe kann gemäß § 83k IRG bei Ermittlungen in Deutschland unter der Leitung eines deutschen Beamten einem von einem Mitgliedstaat der Europäischen Union entsandten Mitarbeiter die Durchführung von Ermittlungsmaßnahmen übertragen werden.

Daneben dürfen die an der Ermittlungsgruppe beteiligten deutschen Beamten den entsandten Mitarbeitern alle zur Ausführung der Tätigkeit notwendigen Informationen übermitteln.

6. Rechtsbeistand

In § 40 IRG besteht eine Regelung über den Rechtsbeistand in Auslieferungsverfahren. Der Anwendungsbereich erstreckt sich sowohl auf den Rechtshilfeverkehr mit Staaten außerhalb der Europäischen Union als auch in Verbindung mit § 78 Abs. 1 IRG auf die strafrechtliche Zusammenarbeit mit Mitgliedstaaten der Europäischen Union.

7. Gegenseitige Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen in der EU

Mit dem "Rahmenbeschluss 2005/214/JI über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen" wurde ein einheitliches Instrument für eine effektive Vollstreckung von Geldsanktionen im europäischen Raum geschaffen.

Zuständige Behörde ist das Bundesamt für Justiz (§ 74 IRG). Die Inhalte sind für das deutsche Recht im Wesentlichen in den §§ 87 - 87q IRG umgesetzt:

  • Geht ein Ersuchen um Vollstreckung einer Geldsanktion bei dem Bundesamt für Justiz ein, prüft das Bundesamt zunächst, ob die nach dem Umsetzungsgesetz erforderlichen Unterlagen vorliegen. Gegebenenfalls ist die zuständige Behörde des ersuchenden Mitgliedstaates zu konsultieren.

  • Werden dem Bundesamt die erforderlichen Unterlagen auch nach Konsultation der zuständigen Behörde des ersuchenden Mitgliedstaates nicht übermittelt, lehnt es die Vollstreckung als unzulässig ab.

  • Die sich an die Feststellung der Vollständigkeit der Unterlagen anschließende Prüfungspflicht des Bundesamtes für Justiz erstreckt sich auf die Frage, ob der Vollstreckung abweichend vom Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung ausnahmsweise ein Ablehnungsgrund entgegensteht:

    Das Gesetz unterscheidet zwischen Zulässigkeitsvoraussetzungen und dem behördlichen Ermessen unterliegenden Bewilligungshindernissen. Verneint das Bundesamt die Zulässigkeit oder macht es ein Bewilligungshindernis geltend, so lehnt es die Vollstreckung der Geldsanktion ab. In bestimmten Fällen ist allerdings die zuständige Behörde des ersuchenden Mitgliedstaates vor der Entscheidung zu konsultieren.

  • Wird das Verfahren fortgesetzt, prüft das Bundesamt für Justiz, ob ein Antrag auf Umwandlung durch das zuständige Amtsgericht zu stellen ist. Eine solche Antragspflicht besteht, wenn die übermittelte Entscheidung gegen einen bestimmten, im Gesetz aufgeführten Kreis von Betroffenen gerichtet ist oder wenn der andere Mitgliedstaat eine Sanktion verhängt hat, die das deutsche Recht nicht kennt. Unterbleibt ein solcher Antrag, werden die vollständigen Unterlagen dem Betroffenen zur Gewährung rechtlichen Gehörs zugestellt.

  • Nach Ablauf einer Zwei-Wochen-Frist entscheidet das Bundesamt - gegebenenfalls unter Berücksichtigung einer Stellungnahme des Betroffenen - über die Bewilligung. Zahlt der Betroffene, ist das Verfahren beendet. Bei Ersuchen wegen der Vollstreckung einer Entscheidung, der aus deutscher Sicht eine im Inland konkret verfolgbare Tat zugrunde liegen könnte, wird das Bundesamt für Justiz nach Maßgabe von in den RiVASt zu treffenden Regelungen verpflichtet werden, sich vor der Entscheidung über die Bewilligung mit der für den möglichen Inlandstatort zuständigen Staatsanwaltschaft oder Verwaltungsbehörde in Verbindung zu setzen. Zahlt der Betroffene nach Bewilligung nicht und setzt er sich gegen diese auch nicht zur Wehr, vollstreckt das Bundesamt für Justiz.

  • Gegen eine Bewilligung kann der Betroffene gemäß § 87f Abs. 4 IRG form- und fristgebunden (innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung) Einspruch einlegen und eine gerichtliche Überprüfung der Bewilligung durch das zuständige Amtsgericht herbeiführen.

    Der Absatz 5 übernimmt die Regelungen zum Zwischenverfahren aus § 69 Abs. 1 OWiG, soweit dies für das Vollstreckungshilfeverfahren sachgerecht und erforderlich ist. Satz 1 sieht im Bewilligungsverfahren, für das Bundesamt für Justiz die Befugnis vor, unzulässige Einsprüche zu verwerfen. Die Verwerfungsbefugnis besteht, wenn der Einspruch nicht rechtzeitig, also nicht innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 87f Absatz 4 Satz 1 IRG, nicht in der vorgeschriebenen Form (schriftlich oder zur Niederschrift bei der Bewilligungsbehörde) oder sonst nicht wirksam eingelegt ist. Ein Einspruch ist unter anderem dann "sonst nicht wirksam eingelegt", wenn er von einer unbefugten oder einer verhandlungsunfähigen Person eingelegt wird. Die Rechte betroffener Personen werden durch die Verwerfungsbefugnis des Bundesamts für Justiz nicht verkürzt. Betroffene Personen erhalten vielmehr in Satz 2 die Möglichkeit, die Verwerfungsentscheidung des Bundesamts für Justiz gerichtlich überprüfen zu lassen.

    Wie auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren gilt bei Aufhebung des Verwerfungsbescheides durch das Gericht, dass dieses nicht über den Einspruch zu entscheiden, sondern die Akten an das Bundesamt für Justiz zur weiteren Prüfung nach Absatz 6 zurückzugeben hat.

  • Das Amtsgericht entscheidet über die Zulässigkeit und Begründetheit durch Beschluss (§ 87h IRG).

    Das Gericht prüft auch, ob die Bewilligungsbehörde ihr Ermessen nach § 87d IRG fehlerfrei ausgeübt hat. Der gerichtlichen Prüfung unterliegt zudem die Frage, ob eine Geldsanktion nach § 87f Abs. 2 IRG fehlerfrei angepasst worden ist. Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 17/1288) wird durch die Verwendung des Wortes "soweit" klargestellt, dass der Einspruch teilweise unbegründet sein kann. Das Gericht überprüft hier im Unterschied zum Exequaturverfahren nach § 48 IRG eine bereits ergangene behördliche Entscheidung und weist den Einspruch - gegebenenfalls auch nur teilweise - als unbegründet zurück.

  • Gegen die Entscheidung des Amtsgerichts ist gemäß § 87j IRG die Rechtsbeschwerde zum Oberlandesgericht statthaft. Die Rechtsbeschwerde bedarf der Zulassung. In den Fällen, in denen es an einer vorgelagerten behördlichen Entscheidung fehlt, bewilligt die Behörde die Vollstreckung nach Maßgabe der rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung, von der nicht abgewichen werden darf. Die Bewilligungsentscheidung ist unanfechtbar. Ist es zu einem gerichtlichen Verfahren gekommen, fließt der Erlös aus einer Vollstreckung grundsätzlich in die Kasse des Landes, in dem das zuständige Amtsgericht seinen Sitz hat. Ausnahmen sind wiederum möglich, etwa bei der Vollstreckung einer Opferentschädigung.

  • Die Vollstreckung erfolgt durch die zuständige Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde. Zur Vorbereitung eines ausgehenden Ersuchens kann die zuständige deutsche Behörde die rechtskräftige Entscheidung nebst einer in deutscher Sprache ausgefüllten Bescheinigung entsprechend dem im Anhang abgedruckten Formblatt an das Bundesamt für Justiz übersenden. Das Bundesamt entscheidet, ob die rechtskräftige Entscheidung (in deutscher Sprache) nebst der vom Bundesamt anzufertigenden Übersetzung der Bescheinigung zwecks Vollstreckung in einen anderen Mitgliedstaat übermittelt wird. Im Regelfall wird die Bewilligung inzident durch die Übermittlung erklärt. Für den anderen Mitgliedstaat ist das Bundesamt im weiteren Verlauf des Verfahrens Ansprechpartner.

8. Überwachung von Maßnahmen zur Vermeidung von Untersuchungshaft

Der Inhalt des Europäischen Rahmenbeschlusses zur Überwachungsanordnung ist in die §§ 90o ff. IRG eingefügt worden. Die Überwachungsmaßnahmen sind als als Alternative zur Untersuchungshaft ausgestaltet.

Der Rahmenbeschluss (Rb) Überwachungsanordnung bezweckt die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union auf Entscheidungen über Überwachungsmaßnahmen als Alternative zur Untersuchungshaft. Durch die Einschränkung "als Alternative zur Untersuchungshaft" wird aus dem Anwendungsbereich des Rb Überwachungsanordnung die Außervollzugsetzung eines Unterbringungsbefehls ausgenommen wie auch die Überwachungsmaßnahmen im Rahmen der Strafvollstreckung, insbesondere der Strafaussetzung zur Bewährung und der Führungsaufsicht. Es werden verbindliche Regeln festgelegt, nach denen ein Mitgliedstaat eine in einem anderen Mitgliedstaat als Alternative zur Untersuchungshaft erlassene Entscheidung über Überwachungsmaßnahmen anerkennt, die einer natürlichen Person auferlegten Maßnahmen überwacht und die betroffene Person bei Verstößen gegen diese Maßnahmen dem Anordnungsstaat übergibt Überwachungsanordnung). Hierbei sind die Anerkennung einer Entscheidung über Überwachungsmaßnahmen, die Bewilligung der Übernahme der Überwachung und die Vollstreckung der Maßnahmen umfasst.

9. Europäische Ermittlungsanordnung

Der Inhalt der "EU-Richtlinie 2014/41 über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen" ist mit den §§ 91a - 91j IRG in das deutsche Recht umgesetzt worden. Die RL EEA schafft auf der Grundlage des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung Regelungen für die justizielle strafrechtliche Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten der EU im Bereich der grenzüberschreitenden Beweiserhebung.

Die Europäische Ermittlungsanordnung wird dabei als eine Entscheidung definiert, die von einer Justizbehörde zur grenzüberschreitenden Durchführung spezifischer Ermittlungsmaßnahmen zwecks Beweiserlangung erlassen oder bestätigt ("validiert") wird. Während in der deutschen Textfassung von einer "gerichtlichen Entscheidung" gesprochen wird, verwendet der englische Text die Formulierung "judicial decision" im Sinne einer bloßen "justiziellen Entscheidung". Letzteres ist jedenfalls im Kontext der RL EEA mit Blick darauf zutreffend, dass auch Staatsanwälte eine EEA erlassen oder bestätigen können.

Zu näheren Inhalten der neuen Vorschriften siehe die Gesetzesbegründung BT-Drs. 18/9757.

 Siehe auch 

Auslieferung - Deutsche Staatsangehörige

Europäischer Haftbefehl

Internationaler Strafgerichtshof

http://www.bundesgerichtshof.de (Bibliothek - Internationale Rechtshilfe: Übersicht über die wichtigsten Rechtshilfebeziehungen Deutschlands in Strafsachen)

Hombrecher: Grundzüge und praktische Fragen des Internationalen Strafrechts. Teil 1: Strafanwendungsrecht und Internationale Rechtshilfe; Juristische Arbeitsblätter - JA 2010, 637

Karitzky/Wannek: Die EU-weite Vollstreckung von Geldstrafen und Geldbußen; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2010, 3393

Schomburg: Internationale vertragliche Rechtshilfe in Strafsachen - Arbeitshilfe: Auflistung der vertraglichen Beziehungen; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2005, 3262