Rechtswörterbuch

Nutzen Sie die Schnellsuche, um nach Themen im Rechtswörtebuch zu suchen!

Enterbung

 Normen 

§ 1938 BGB

§§ 2333 ff. BGB

 Information 

1. Pflichtteilsentziehung

1.1 Einführung

Im allgemeinen Sprachgebrauch werden die Begriffe "Enterbung" und "Pflichtteilsentziehung" synonym gebraucht. Im engeren juristischen Sinne bezeichnet die Enterbung grundsätzlich nur die Reduzierung des Erbteils auf den Pflichtteil. Dies geschieht in einer Verfügung von Todes wegen und bedarf keiner weiteren Voraussetzung. Im Folgenden wird die Rechtslage der gänzlichen Pflichtteilsentziehung durch den Erblasser dargestellt.

Nach § 1938 BGB kann der Erblasser durch Testament einen Verwandten oder einen Ehegatten von der gesetzlichen Erbfolge ausschließen, d.h. den Pflichtteil entziehen.

Die gesetzlichen Erben haben jedoch grundsätzlich immer einen Anspruch auf den Pflichtteil, es sei denn es liegen die in § 2333 BGB gesetzlich zulässigen Gründe für eine Enterbung vor.

1.2 Voraussetzungen

Danach kann der Erblasser bei Vorliegen einer der folgenden Gründe einem Abkömmling, einem Elternteil oder seinem Ehegatten (für die beiden Letztgenannten: § 2333 Absatz 2 BGB) den Pflichtteil entziehen. Dabei ist wie folgt zu unterscheiden:

  • Die in § 2333 Absatz 1 Nr. 1 - 3 BGB aufgeführten Gründe betreffen ein Fehlverhalten, das sich gegen den Erblasser und ihm nahestehende Personen richtet.

    Der Ausschlussgrund des "nach dem Leben trachten" erfasst sämtliche Handlungen, die zum Todes des Erblassers führen sollen, einschließlich Anstiftung, Beihilfe, Versuch sowie konkrete Vorbereitungshandlungen.

    Das Verbrechen bzw. das schwere vorsätzliche Vergehen muss in den Rechtskreis des Erblassers bzw. einer der geschützten Personen eingreifen, d.h. sich gegen ihn selbst oder eines seiner Rechtsgüter (z.B. sein Eigentum) richten.

  • § 2333 Absatz 1 Nr. 4 BGB betrifft ein sonstiges schweres Fehlverhalten des Abkömmlings / des Elternteils / des Ehegatten:

    Dabei enthalten die Voraussetzungen sowohl ein subjektives als auch ein objektives Element:

    • Anknüpfung an Straftaten des Pflichtteilsberechtigten (objektives Kriterium):

      Der Pflichtteilsberechtigte muss wegen einer vorsätzlich begangenen Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung rechtskräftig verurteilt worden sein oder werden.

    • Unzumutbarkeit für den Erblasser (subjektives Kriterium):

      Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 16/8954) ist eine Unzumutbarkeit dann gegeben, wenn die Straftat den persönlichen in der Familie gelebten Wertvorstellungen des Erblassers in hohem Maße widerspricht. Bei besonders schweren Straftaten, die mit erheblichen Freiheitsstrafen geahndet werden, liegt dies in der Regel nahe. Ein Widerspruch zu den persönlichen Wertvorstellungen des Erblassers und eine daraus folgende Unzumutbarkeit an der Nachlassteilhabe des Pflichtteilsberechtigten fehlen dagegen, wenn sich der Erblasser selbst strafrechtlich relevant verhalten hat, es sei denn, der Erblasser hat sich später davon eindeutig distanziert.

      Daneben kann der Erblasser den Pflichtteil entziehen, wenn eine Verurteilung des Pflichtteilsberechtigten zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung nur deshalb nicht möglich war, weil er schuldunfähig war und daher seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt angeordnet wurde.

1.3 Wirkung einer Verzeihung

Hat der Erblasser die Tat verziehen, erlischt gemäß § 2337 BGB sein Recht zur Pflichtteilsentziehung. Eine bereits angeordnete Entziehung wird unwirksam. Die Verzeihung bewirkt ein Erlöschen des Rechts zur Entziehung des Pflichtteils. Ein nachträglicher Sinneswandel des Erblassers kann dieses Recht nicht erneut begründen.

Das OLG Nürnberg hat die Anforderungen an eine Verzeihung wie folgt beschrieben (OLG Nürnberg 08.05.2012 - 12 U 2016/11):

"Zur Verzeihung im Rechtssinne ist nur der Wegfall der Kränkungsempfindung des Erblassers, nicht auch eine darüber hinausgehende Versöhnung oder gar Innigkeit im Verhältnis zwischen Kränker und Gekränktem erforderlich. Allerdings kann für eine Verzeihung der Wegfall des Kränkungsempfindens dann möglicherweise nicht ausreichen, wenn sich der Gekränkte vom Kränkenden - etwa sogar infolge einer durch die Kränkung in Gang gesetzten Entfremdung - innerlich völlig gelöst hat, wenn also Gleichgültigkeit eingetreten ist; umgekehrt schließt sogar ein in gewissem Umfang noch bestehendes Bewusstsein der früheren Kränkung - "vergeben, aber nicht vergessen"- eine Verzeihung nicht notwendig aus. (...) Für eine Verzeihung ist es in der Regel ausreichend, wenn in dem Verhältnis des späteren Erblassers zu dem Abkömmling ein Wandel zur Normalität im Sinne eines Wiederauflebens der familiären Beziehungen stattgefunden hat."

1.4 Form und Beweislast

§ 2336 BGB bestimmt die an die Pflichtteilsentziehung gestellten gesetzlichen Anforderungen an die Form sowie die Beweislastverteilung. Danach muss die Pflichtteilsentziehung in dem Testament angegeben und begründet werden.

Welche Anforderungen an die Darlegung der Gründe der Unzumutbarkeit zu stellen sind, richtet sich laut der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 16/8954) nach dem Einzelfall. Dabei wird regelmäßig die Schwere der Tat eine Rolle spielen. Je schwerwiegender die Tat, desto eher wird sich die Unzumutbarkeit bereits aus ihrer Begehung ergeben und desto geringer werden die Anforderungen an die Darlegung der Gründe der Unzumutbarkeit sein.

Nach der Rechtsprechung ist es erforderlich, dass der Kernsachverhalt, auf den sich die Entziehung stützt, im Testament angegeben ist. Diese Rechtsprechung wurde zuletzt in dem Urteil BVerfG 11.05.2005 - 1 BvR 62/00 als verfassungsmäßig bestätigt.

In der Entscheidung OLG Saarbrücken 12.12.2017 - 5 W 53/17 hat das Gericht näher ausgeführt, welche Anforderungen im Einzelnen an die Darlegung des Kernsachverhalts zu stellen sind:

"Dabei geht es nicht darum, dass der Erblasser zum Ausdruck bringt, unter welchen der im Gesetz angeführten Entziehungstatbestände er seinen Entziehungsgrund einordnet, sondern es kommt auf eine (gewisse) Konkretisierung des Grundes oder der Gründe an, auf die er die Entziehung stützen will. Eine derartige konkrete Begründung in dem Testament, die nicht in die Einzelheiten zu gehen braucht, jedoch nach Ort und Zeit bestimmbare Vorgänge bezeichnen muss, ist schon deshalb unverzichtbar, weil die Entziehung anderenfalls im Einzelfall am Ende auf solche Vorwürfe gestützt werden könnte, die für den Erblasser nicht bestimmend waren, sondern erst nachträglich vom Erben erhoben und vom Richter für begründet erklärt werden (...). Der Erblasser braucht hierzu in seiner letztwilligen Verfügung nicht den gesamten Geschehensablauf in allen Einzelheiten zu schildern; vielmehr genügt jede substantiierte Bezeichnung, die es erlaubt, durch Auslegung festzustellen, weshalb in concreto der Pflichtteil entzogen worden ist und auf welchen Lebenssachverhalt sich der Erblasser bezieht."

Die Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen der Pflichtteilsentziehung obliegt gemäß § 2336 Abs. 3 BGB demjenigen, der sich auf die Entziehung beruft (also nicht der durch die Entziehung geschädigten Person).

2. Pflichtteilsunwürdigkeit

Von der Pflichtteilsentziehung zu unterscheiden ist die Pflichtteilsunwürdigkeit gemäß § 2345 BGB. Diese kann nach dem Erbfall durch die Anfechtung des Pflichtteilserwerbs erfolgen. Anfechtungsberechtigt ist gemäß § 2341 BGB jeder, dem der Wegfall des Pflichtteils zugute kommen würde. Anders als bei der Einsetzung als Erbe reicht jedoch die Geltendmachung durch eine formlose Anfechtungserklärung gegenüber dem Pflichtteilsunwürdigen.

3. Pflichtteilsergänzungsanspruch

Bei einer Verringerung des Erbteils zu Lebzeiten des Erblassers mit dem Ziel, dadurch den Pflichtteil zu mindern, hat der Erbe einen Pflichtteilsergänzungsanspruch gegen den Empfänger.

4. Andere Möglichkeiten der Verringerung / Beschränkung des Erbteils

Daneben gibt es legale Möglichkeiten, den Pflichtteil zu verringern oder zu beschränken:

  • Bei landwirtschaftlichem Eigentum wird das Erbe der Höfeordnung unterstellt.

  • Eheleute mit einem großen Vermögensunterschied vereinbaren den Güterstand der Gütergemeinschaft.

  • In der Verfügung von Todes wegen wird die Klausel eingefügt, dass bei der Geltendmachung des Erbes nach dem Tode des Erstversterbenden durch einen Abkömmling sich das Erbe auf den Pflichtteil reduzieren soll und die anderen Abkömmlinge (die den Pflichtteil nicht geltend machen) einen Geldbetrag in Höhe ihres gesetzlichen Erbteils erhalten, der mit dem Tode des Letztversterbenden fällig wird.

  • Das Pflichtteilsbeschränkungsrecht gemäß § 2338 BGB ist für einen Erblasser ein Mittel zur Sicherung des Nachlasses vor der Verschwendungssucht bzw. den Gläubigern der Kinder.

 Siehe auch 

Anfechtung von Testamenten

Behindertentestament

BGH 22.03.2006 - IV ZR 93/05 (Enterbung durch Vergabe des Nachlasses an andere)

BGH 10.03.2004 IV ZR 123/03 (Zulässigkeit der Feststellungsklage des Pflichtteilsberechtigten gegen den Erblasser)

BGH 10.12.2003 - IV ZR 249/02 (auch eine Stiftungszuwendung ist eine pflichtteilsergänzungspflichtige Schenkung)

BVerfG 19.04.2005 - 1 BvR 188/03 (Schuldhaftes Verhalten des Pflichtteilsberechtigten)

Frieser/Sarres/Stückemann/Tschichoflos: Handbuch des Fachanwalts Erbrecht; 7. Auflage 2018

Frieser: Formularbuch des Fachanwalts Erbrecht; 3. Auflage 2017

Hauck: Irrungen und Wirrungen bei den neuen strafbarkeitsgestützten Pflichtteilsentziehungsgründen; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2010, 903

Herzog: Die Pflichtteilsentziehung im Lichte der neueren Rechtsprechung von Bundesgerichtshof und Bundesverfassungsgericht; Forum Familien- und Erbrecht - FF 2006, 86

Keim: Testamentsgestaltung bei missratenen Kindern; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2008, 2072

Kölner Formularbuch Erbrecht. Online