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Benachteiligungsfreie Stellenauswahl nach dem AGG

 Normen 

§ 6 Abs. 1 AGG

 Information 

1. Allgemein

Die in § 1 AGG festgelegten Benachteiligungsverbote wegen des Geschlechts, der Rasse, der Behinderung etc. (Allgemeine Gleichbehandlung - Arbeitsrecht) sind gemäß § 6 Abs. 1 AGG von dem Arbeitgeber bereits bei der Durchführung des Vorstellungsgesprächs bzw. der Auswahl der Bewerber zu berücksichtigen. Kommt es zu einer Verletzung des Benachteiligungsverbots, so hat der Arbeitgeber Schadensersatz zu leisten, wobei sich die Höhe nach der Qualifikation des Bewerbers, seinen Chancen auf dem Arbeitsmarkt sowie seinem Alter richtet.

2. Scheinbewerbungen

Das BAG hat seine Rechtsprechung aufgegeben, nach der der Bewerber für die ausgeschriebene Stelle objektiv geeignet sein muss (u.a. BAG 14.11.2013 - 8 AZR 997/12):

Die "objektive Eignung" des Bewerbers/der Bewerberin ist kein Kriterium der "vergleichbaren Situation" oder "vergleichbaren Lage" i.S.v. § 3 Abs. 1 und Abs. 2 AGG und deshalb nicht Voraussetzung für einen Anspruch nach § 15 Abs. 1 und Abs. 2 AGG (BAG 19.05.2016 - 8 AZR 470/14).

Zur Vermeidung von uferlosen Schadensersatzansprüchen wählt die Rechtsprechung nunmehr einen anderen dogmatischen Ansatz:

Scheinbewerbungen mit dem alleinigen Ziel des Erhalts des Entschädigungsanspruchs sind nicht von dem Schutzzweck der dem AGG zugrundeliegenden EU-Antidiskriminierungs-Richtlinie gedeckt. Sie stellen einen Rechtsmissbrauch (Treu und Glauben) dar (EuGH 28.07.2016 - C 423/15).

Es besteht in diesen Fällen kein Anspruch auf Entschädigung.

Diese Rechtsprechung wurde von den deutschen Arbeitsgerichten übernommen. Das LAG Hessen hat nunmehr auch den Begriff "Rechtsmissbrauch" im Sinne des AGG definiert:

"Ein Rechtsmissbrauch im Zusammenhang einer Bewerbung einer älteren Person ist dann anzunehmen, sofern die Bewerbung nicht erfolgt ist um die ausgeschriebene Stelle zu erhalten, sondern es dem Bewerber darum gegangen sein sollte, nur den formalen Status als Bewerber im Sinne von § 6 Abs. 1 S. 2 AGG zu erlangen, mit dem ausschließlichen Ziel, Ansprüche auf Entschädigung oder Schadensersatz geltend zu machen" (LAG Hessen 18.06.2018 - 7 Sa 851/17).

Daneben hat das Gericht auch zur Darlegungslast ausgeführt:

"Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen, die den rechtshindernden Einwand des Rechtsmissbrauchs begründen, trägt derjenige, der den Einwand geltend macht. Dabei geht es darum, ob es tatsächlich, objektive Umstände gibt, aus denen sicher angenommen werden kann, dass subjektiv nur der formale Status als Bewerber angestrebt worden ist. (...) Bleiben dann Zweifel ist der Darlegungslast nicht genügt".

3. Stellenausschreibung

§ 11 AGG normiert die Pflicht des Arbeitgebers zur benachteiligungsfreien Stellenausschreibung. Danach darf ein Arbeitsplatz nicht unter Verstoß gegen das in § 7 AGG geregelte arbeitsrechtliche Benachteiligungsverbot ausgeschrieben werden, d.h. der Inhalt der Stellenausschreibung darf nicht eines der in § 7 AGG aufgeführten Benachteiligungsmerkmale enthalten.

Die Geschlechtszugehörigkeit zum dritten Geschlecht (Intersexualität) muss bei der Stellenausschreibung berücksichtigt werden (BVerfG 10.10.2017 - 1 BvR 2019/16).

Beispiel:

Sachbearbeitung Personalwesen (m/w/d)

Die Pflicht zur benachteiligungsfreien Stellenausschreibung erstreckt sich auf alle Formen der Stellenausschreibung, neben den öffentlichen auch die innerbetrieblichen, sowie Mitteilungen an die Agentur für Arbeit oder Personalvermittlungsfirmen über freie Arbeitsplätze. Wird der Text der Stellenausschreibung von dem mit der Bewerbersuche beauftragten Dritten verfasst und unterläuft diesem ein Fehler, so haftet dennoch der Arbeitgeber für die von der Stellenausschreibung ausgehende Benachteiligung.

Der Gesetzgeber hat in den §§ 8 - 10 AGG sachliche Gründe aufgestellt, die bei bestimmten Diskriminierungstatbeständen eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen und in der Formulierung der Stellenausschreibung berücksichtigt werden können. Dabei wird wie folgt differenziert:

  • Zulässige Benachteiligungen wegen beruflicher Anforderungen:

    Die Benachteiligung ist zulässig, wenn sie wegen der Art der Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende Anforderung darstellt. Voraussetzung ist, dass der Zweck rechtmäßig und die Anforderungen angemessen sind, d.h. der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz muss gewahrt bleiben. Reine Zweckmäßigkeitserwägungen reichen nicht aus.

  • Zulässige Benachteiligungen wegen der Religion oder der Weltanschauung:

    Danach sind insbesondere das Kirchenarbeitsrecht sowie das Arbeitsrecht in Tendenzbetrieben gesichert. Die zusätzlich mögliche Rechtfertigung nach § 8 AGG bleibt jedoch bestehen.

  • Zulässige Benachteiligungen wegen des Alters:

    Die unterschiedliche Behandlung muss objektiv und angemessen sein und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt sein. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz muss gewahrt bleiben. In der Norm werden Regelbeispiele aufgeführt, nach denen wegen des Alters differenziert werden darf. Die zusätzlich mögliche Rechtfertigung nach § 8 AGG bleibt bestehen.

    Einem Stellenbewerber fehlt es an der objektiven Eignung für eine Stelle, wenn er die in der Stellenausschreibung verlangte "mehrjährige Berufserfahrung" nicht aufweisen kann, sofern der Arbeitgeber wegen der Anforderungen an die Stelle nachvollziehbarerweise mehrjährige Berufserfahrung verlangt (LAG Schleswig-Holstein 01.09.2014 - 1 Sa 215/14).

4. Entschädigungsanspruch

Kommt es im Rahmen des Bewerbungsverfahrens zu einer Benachteiligung, so hat der Benachteiligte einen Entschädigungsanspruch. Dabei ist wie folgt zu unterscheiden:

  1. a)

    Der Bewerber wäre bei einer benachteiligungsfreien Auswahl eingestellt worden:

    Die Höhe des Entschädigungsanspruchs richtet sich gemäß § 15 Abs. 1 AGG nach den allgemeinen Vorschriften, d.h. es ist eine der Benachteiligung entsprechende angemessene Entschädigung zu zahlen. Dabei sind die Qualifikation des Bewerbers, sein Alter, seine Aussichten auf dem Arbeitsmarkt etc. zu berücksichtigen.

    Entscheidend ist immer der individuelle Einzelfall, das zu erwartende Monatsgehalt ist ggf. ein weiteres Kriterium für die Höhe des Entschädigungsanspruchs, bildet aber weder eine Ober- noch eine Untergrenze für die Höhe des Anspruchs.

  2. b)

    Der benachteiligte Bewerber wäre auch bei einer benachteiligungsfreien Auswahl (aus anderen Gründen, z.B. einer mangelnden Qualifikation) nicht eingestellt worden:

    Es besteht ein Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens gemäß § 15 Abs. 2 AGG. Die Höhe des Schadensersatzes ist bei einem abgelehnten Bewerber in diesen Fällen gemäß § 15 Abs. 2 AGG auf drei Monatsgehälter begrenzt.

Eine Benachteiligung begründet gemäß § 15 Abs. 6 AGG keinen Anspruch auf Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses, Berufsausbildungsverhältnisses oder einen beruflichen Aufstieg, es sei denn, ein solcher ergibt sich aus einem anderen Rechtsgrund.

Beachte:

In dem Urteil BAG 05.02.2004 - 8 AZR 112/03 hat das Bundesarbeitsgericht folgende Grundsätze zum Entschädigungsanspruch des Arbeitnehmers wegen einer geschlechtsbezogenen Benachteiligung aufgestellt:

  • Als Indiz für eine Benachteiligung ist eine geschlechtsspezifische Stellenausschreibung anzusehen.

    Bedient sich der Arbeitgeber bei der Stellenausschreibung eines Dritten (im zu entscheidenden Fall der Agentur für Arbeit) und verletzt dieser die Pflicht zur geschlechtsneutralen Stellenausschreibung, so ist diese Pflichtverletzung dem Arbeitgeber zuzurechnen.

  • Die bessere Eignung eines anderen Bewerbers schließt eine Benachteiligung nicht aus.

    Eine Benachteiligung liegt auch vor, wenn neben der Geschlechtsdiskriminierung auch noch andere Gründe für die Entscheidung maßgeblich waren. Ausreichend ist es, wenn in einem Motivbündel das Geschlecht als Kriterium enthalten war.

  • Ein Nachschieben von Einstellungsvoraussetzungen ist nicht als Nachweis einer geschlechtsneutralen Entscheidung anzuerkennen.

5. Altersdiskriminierung

Wird ein Stellenbewerber im Gegensatz zu einem anderen Bewerber nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen, so kann bereits die Nichteinladung eine unzulässige Benachteiligung in der Form der Altersdiskriminierung darstellen, wenn die Einladung (auch) wegen einer beim Bewerber vorliegenden Altersüberschreitung unterblieben ist (BAG 23.08.2012 - 8 AZR 285/11).

6. Kenntnis des Arbeitgebers von einer Behinderung / Schwerbehinderung

Voraussetzung einer Benachteiligung ist, dass dem Arbeitgeber die Behinderung / Schwerbehinderteneigenschaft des Bewerbers bekannt gewesen ist oder er sich aufgrund der Bewerbungsunterlagen diese Kenntnis hätte verschaffen können. Anderenfalls kann ein - objektiv vorliegender - Pflichtenverstoß dem Arbeitgeber nicht zugerechnet werden. Dabei hat die Information über die Behinderung / Schwerbehinderteneigenschaft klar und unabhängig davon zu erfolgen, welche Rechtsfolgen durch sie ausgelöst werden. Daher sind "eingestreute" oder unauffällige Informationen, indirekte Hinweise in beigefügten amtlichen Dokumenten, eine in den weiteren Bewerbungsunterlagen befindliche Kopie des Schwerbehindertenausweises etc. keine ordnungsgemäße Information des angestrebten Vertragspartners (BAG 26.09.2013 - 8 AZR 650/12).

 Siehe auch 

Allgemeine Gleichbehandlung - Arbeitsrecht

Altersdiskriminierung

Personalfragebogen

Stellenausschreibungspflicht

Stellenbewerbungsverfahren

Vorstellungsgespräch

Kothe-Heggemann: Schriftform bei Geltendmachung von Schadensersatz und Entschädigung gem. § 15 AGG, (Anmerkung zu BAG v. 22.05.2014 - 8 AZR 662/13); GmbHReport - GmbHR 2014, 200

Krieger\Müller: Objektive Eignung und subjektive Ernsthaftigkeit. Neues zu Entschädigung und Schadensersatz bei der Nichtberücksichtigung von Bewerbungen; Arbeitsrecht Aktuell - ArbR 2017, 57