Rechtswörterbuch

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Bauplanungsrecht und Nachbarschutz

 Normen 

§ 31 Abs. 2 BauGB

§ 33 BauGB

§ 34 Abs. 1, 2 BauGB

§ 35 Abs. 3 BauGB

§§ 1 bis 15, 24 BauNVO

 Information 

1. Einführung

Das Bundesverwaltungsgericht hat mit der Grundsatzentscheidung BVerwG 16.09.1993 - 4 C 28/91 den nachbarrechtlichen Gebietserhaltungsanspruch geschaffen: Danach hat die Festsetzung von Baugebieten durch Bebauungspläne grundsätzlich nachbarschützende Funktion. Der Nachbar hat auf die Bewahrung der Gebietsart einen Schutzanspruch, der über das Rücksichtnahmegebot hinausgeht.

Dabei besteht der Gebietserhaltungsanspruch zudem nur bei Nachbarschaftsverhältnissen im selben Baugebiet.

Ein Nachbar, dessen Grundstück nicht im Plangebiet liegt, hat andererseits grundsätzlich keinen von konkreten Beeinträchtigungen unabhängigen Anspruch auf Schutz vor gebietsfremden Nutzungen im angrenzenden Plangebiet (BVerwG 18.12.2007 - 4 B 55/07).

2. Nachbarschützende Wirkung der Festsetzungen eines Bebauungsplans

2.1 Allgemein

Gemäß § 34 Abs. 1 S. 1 BauGB ist innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile in Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt.

Ein Vorhaben fügt sich nach dem Maß der baulichen Nutzung in die Eigenart der näheren Umgebung ein, wenn es dort Referenzobjekte gibt, die bei einer wertenden Gesamtbetrachtung von Grundfläche, Geschosszahl und Höhe, bei offener Bebauung auch nach dem Verhältnis zur Freifläche, vergleichbar sind. Die Übereinstimmung nur in einem Maßfaktor genügt nicht (BVerwG 08.12.2016 - 4 C 7/15).

Hinweis:

Vom Erfordernis des Einfügens in die Eigenart der näheren Umgebung kann bei Vorliegen eines der in § 34 Abs. 3a S. 1 BauGB aufgeführten Sachverhalts im Einzelfall abgewichen werden.

Zur Erleichterung des Wohnungsbaus kann seit dem 13.05.2017 im nicht beplanten Innenbereich bei Nutzungsänderungen sämtlicher baulicher Anlagen zu Wohnzwecken vom Erfordernis des Einfügens abgesehen werden können. Von der Neuregelung soll ausdrücklich auch eine erforderliche Änderung oder Erneuerung erfasst sein. Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/10942) sind ggf. die vom Bundesverwaltungsericht mit Urteil BVerwG 20.12.2012 - 4 C 11/11 entwickelten Grundsätze zum Abstandsgebot nach der Seveso-III-Richtlinie zu beachten.

2.2 Art der baulichen Nutzung

Die in § 34 Abs. 2 BauGB geregelte Festsetzung der Art der baulichen Nutzung gilt allgemein als nachbarschützend.

Hintergrund ist, dass aufgrund der für jeden Grundstückseigentümer geltenden Beschränkungen diese eine Schicksalsgemeinschaft bilden und der Nachbar Anspruch auf die Einhaltung der festgesetzten Art hat (BVerwG 02.02.2000 - 4 B 87/99).

Auslegung des Begriffs der "Näheren Umgebung" (BVerwG 14.10.2019 - BVerwG 4 B 27/19):

"Die für die Abgrenzung der "näheren Umgebung" maßgebliche wechselseitige Prägung ergibt sich dabei nicht aus städtebaulichen Fernwirkungen der in § 11 Abs. 3 Satz 2 BauNVO beschriebenen Art, sondern aus den in § 34 Abs. 1 BauGB genannten städtebaulichen Merkmalen: Art und Maß der baulichen Nutzung, Bauweise und überbaubare Grundstücksfläche. Diese Merkmale prägen - vom Vorhaben aus gesehen - im Sinne einer Vorbildwirkung nur einen begrenzten Bereich. Umgekehrt wird das Grundstück, auf dem das Vorhaben verwirklicht werden soll, in diesen Merkmalen nur von anderen Nutzungen in einem begrenzten räumlichen Umfeld geprägt (...). Dabei lassen sich die Grenzen der näheren Umgebung nicht schematisch festlegen, sondern sind nach der städtebaulichen Situation zu bestimmen, in die das für die Bebauung vorgesehene Grundstück eingebettet ist."

2.3 Maß der baulichen Nutzung

Bei der Festsetzung des Maßes der baulichen Nutzung wird die nachbarschützende Wirkung differenziert gesehen.

2.4 Beschränkung der Wohnungsanzahl

Ob einer solcher Festsetzung in einem Bebauungsplan Nachbarschutz zukommt, kann nicht allgemein beantwortet werden, sondern ist durch Auslegung des jeweiligen Bebauungsplanes zu ermitteln.

2.5 Bauweise

Als nicht nachbarschützend gilt grundsätzlich die Festsetzung der Bauweise, allerdings entfaltet die offene Bauweise durch den Zwang zur Einhaltung der landesrechtlich vorgeschriebenen Abstandsflächen mittelbar drittschützende / nachbarschützende Wirkung. Allgemein gilt, dass ein Nachbarschutz bejaht werden kann, wenn die Gemeinde mit der Festsetzung der Bauweise eine den Abstandsflächen vergleichbare Regelung schaffen wollte. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich in seinem Urteil BVerwG 24.02.2000 - 4 C 12/98 zum Begriff des Doppelhauses geäußert und das Erfordernis der baulichen Einheit beider Doppelhaushälften verlangt. Diese Anforderung ist nur dann erfüllt, wenn die beiden Gebäude in wechselseitig verträglicher und abgestimmter Weise aneinander gebaut werden. Insoweit soll die planerische Festsetzung von Doppelhäusern in der offenen Bauweise nachbarschützend sein.

2.6 Einschränkungen des Nachbarschutzes

Auch von den als nachbarschützend geltenden Festsetzungen eines Bebauungsplanes kann bei Vorliegen der in § 31 BauGB aufgeführten Ausnahmen und Befreiungen abgewichen werden. Siehe zu den Inhalten den Beitrag "Bebauungsplan".

3. Gebot der Rücksichtnahme / Nachbarschutz im unbeplanten Innenbereich und im Außenbereich

Im Planbereich kann die nachbarschützende Wirkung ferner aus dem aus § 15 BauNVO abzuleitenden Gebot der Rücksichtnahme folgen bzw. sich durch Berücksichtigung nachbarlicher Belange im Rahmen einer Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 BauGB ergeben. Befreiungen kommt durch das Gebot der Würdigung nachbarlicher Interessen nachbarschützende Wirkung zu. Während im unbeplanten Innenbereich das Gebot der Rücksichtnahme Bestandteil des in § 34 Abs. 1 BauGB vorgeschriebenen Einfügungsgebotes ist, gehört es im Außenbereich zu den ungeschriebenen öffentlichen Belangen des § 35 Abs. 3 BauGB.

Hinweis:

Wenn in einem Gebiet Wohnnutzungen und Gewerbenutzungen nebeneinander existieren, müssen beide Nutzungen aufeinander Rücksicht nehmen: Die Gewerbenutzungen müssen Einschränkungen in immissionsschutzrechtlicher Hinsicht hinnehmen; die Wohnnutzungen müssen die Vorbelastung des Grundstücks in Rechnung stellen.

Das im Abwägungsgebot des § 1 Abs. 7 BauGB begründete Gebot der Konfliktbewältigung verlangt, dass jeder Bebauungsplan grundsätzlich die von ihm selbst geschaffenen oder ihm sonst zurechenbaren Konflikte zu lösen hat, indem die von der Planung berührten Belange zu einem gerechten Ausgleich gebracht werden. Die Planung darf nicht dazu führen, dass Konflikte, die durch sie hervorgerufen werden, zulasten Betroffener letztlich ungelöst bleiben. Dies schließt eine Verlagerung von Problemlösungen aus dem Bauleitplanverfahren auf nachfolgendes Verwaltungshandeln indes nicht aus (BVerwG 12.09.2013 - 4 C 8/12).

 Siehe auch 

Bauordnungsrecht und Nachbarschutz

Bauplanungsrecht

Immissionen

Nachbar

Nachbarrecht - öffentliches

Umweltverträglichkeitsprüfung

Faßbender: Verbesserung des baurechtlichen Nachbarschutzes; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2019, 2132

Glöckner/Berg: Fachanwaltskommentar Bau- und Architektenrecht; 2. Auflage 2015

Kuffer/Wirth: Handbuch des Fachanwalts Bau- und Architektenrecht; 6. Auflage 2020