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Bundesverwaltungsgericht
Beschl. v. 29.10.2009, Az.: BVerwG 2 B 61.09
Revisionszulassungsbeschwerde gegen eine mangels Unterschrift der fristwahrenden Berufungsbegründung als unzulässig verworfene Berufung; Körperliche Verbindung von nicht unterschriebener Klageschrift mit der Prozessvollmacht im Gegensatz zur unterschriftslosen Berufungsbegründung i.R.d. Entbehrlichkeit der Unterschrift auf einem fristwahrenden Schriftsatz; Dateiname in der Berufungsschrift als die Absicht zum Inverkehrbringen belegendes Zeichen i.R.d. Fehlens der Unterschrift des Prozessbevollmächtigen
Gericht: BVerwG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 29.10.2009
Referenz: JurionRS 2009, 25111
Aktenzeichen: BVerwG 2 B 61.09
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

OVG Mecklenburg-Vorpommern - 21.04.2009

Rechtsgrundlage:

§ 132 Abs. 2 VwGO

BVerwG, 29.10.2009 - BVerwG 2 B 61.09

In der Verwaltungsstreitsache
...
hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 29. Oktober 2009
durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Herbert und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Groepper und Dr. Burmeister
beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 21. April 2009 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1

Die auf sämtliche Zulassungsgründe im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

2

1.

Vor dem Hintergrund, dass die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen worden ist, weil die am letzten Tag der Berufungsbegründungsfrist eingegangene Berufungsbegründung nicht unterschrieben war, macht die Beschwerde geltend, der angegriffene Beschluss divergiere von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Münster vom 16. August 2007 - 18 E 787/07 (Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO i.V.m. § 127 Nr. 1 BRRG). In diesem Beschluss habe das Oberverwaltungsgericht folgenden Rechtssatz aufgestellt:

Besondere Umstände, die ein Fehlen der Unterschrift unter einen fristwahrenden Schriftsatz unschädlich machen, weil sie vergleichbare Gewähr für die Urheberschaft und den Willen des Prozessbevollmächtigten zum Inverkehrbringen des Schriftsatzes bieten, sind immer dann gegeben, wenn (1.) der Prozessbevollmächtigte bereits in dem/den Vorverfahren vertreten hatte und wenn (2.) die Vollmacht, die zum Gerichtsverfahren legitimiert, dem Gericht vorliegt.

3

Demgegenüber beruhe die angegriffene Entscheidung auf folgendem abstrakten Rechtssatz:

Vorheriges Auftreten im Verfahren sowie im Vorverfahren, und zudem das Vorliegen der schriftlichen Vollmacht (und weiterer besonderer Umstände, die zudem nicht zutreffend bewertet wurden), genügt nicht, um eine mit einer Unterschrift vergleichbare Gewähr für die Urheberschaft und den Willen des Prozessbevollmächtigten zum Inverkehrbringen des Schriftsatzes zu bieten.

4

Den zuletzt genannten Rechtssatz hat das Berufungsgericht nicht aufgestellt; er ist lediglich von der Beschwerde formuliert worden. Dies ist zwar grundsätzlich möglich; einer Entscheidung kann ein tragender Rechtssatz auch dann entnommen werden, wenn dieser Rechtssatz vom Gericht nicht präzise formuliert ist, aber erkennbar seine Entscheidungsgrundlage bildet. Die Divergenzrüge nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO dient - ähnlich wie die Grundsatzrüge nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO - der Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung; mit ihr soll erreicht werden, dass dieselbe Rechtsvorschrift des revisiblen Rechts nicht unterschiedlich ausgelegt wird. Sie greift deshalb nicht ein, wenn das Berufungsgericht seine Entscheidung überhaupt nicht auf Gesichtspunkte stützt, die den Rechtssatz des anderen Gerichts tragen, sondern andere Gesichtspunkte heranzieht. So liegt es hier. Das Berufungsgericht hat den Umstand, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers diesen bereits im Vorverfahren vertreten hatte und eine Prozessvollmacht vorgelegt hatte, bei seinen Erwägungen überhaupt nicht herangezogen. An keiner Stelle des angegriffenen Beschlusses wird erkennbar, dass das Berufungsgericht diesem Umstand für die Frage der Rechtzeitigkeit der Berufungsbegründung irgendeine Bedeutung beigemessen hätte. Einen divergierenden Rechtssatz des von der Beschwerde formulierten Inhalts hätte das Berufungsgericht daher nur dann aufgestellt, wenn es sich mit den beiden Gesichtspunkten befasst und sie als ungeeignet bezeichnet hätte, die nicht unterzeichnete Berufungsbegründung als rechtzeitig anzusehen.

5

Im Übrigen gibt die Beschwerde den insoweit tragenden Rechtssatz der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Münster vom 16. August 2007 - 18 E 787/07 - (NVwZ 2008, 344) auch nicht korrekt wieder. In dem dort entschiedenen Falle, in dem es um die Rechtzeitigkeit der Klageerhebung ging, hatte das Gericht nur deshalb keinen Zweifel an der Absicht des Prozessbevollmächtigten, die Klageschrift in den Verkehr zu bringen, weil der Klageschrift selbst die für die Klageerhebung bestimmte Prozessvollmacht beigefügt war. Gerade die körperliche Verbindung von Klageschrift und Vollmacht war ausschlaggebend für die Überzeugung des Gerichts, dass die Klage wirklich erhoben werden sollte. Hier dagegen lag die Prozessvollmacht bereits seit der ersten Instanz vor. Die vom Berufungsgericht näher begründeten Zweifel, ob die Berufungsbegründung wirklich mit Willen des Prozessbevollmächtigten in den Verkehr gebracht worden war, ließen sich daher auf diese Weise nicht ausräumen.

6

2.

Der Sache kommt auch keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu. In diesem Zusammenhang macht die Beschwerde geltend, nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu gewähren, wenn die dem Büropersonal aufgetragene Ausgangskontrolle versage und nicht unterzeichnete Schriftstücke auf den Weg gebracht worden seien (vgl. z.B. BGH, Beschluss vom 1. Juni 2006 - III ZB 134/05 - NJW 2006, 2414). Die Beschwerde macht zwar geltend, das Berufungsgericht habe diesen Grundsatz nicht oder unrichtig angewandt. Damit wird aber nicht dargelegt, wieso der Sache grundsätzliche Bedeutung zukommt; insbesondere ergibt sich aus der Beschwerde nicht, welche Rechtsfrage noch ungeklärt ist und deshalb einer höchstrichterlichen Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf.

7

3.

Ohne Erfolg macht die Beschwerde schließlich geltend, die angegriffene Entscheidung beruhe auf Verfahrensmängeln im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.

8

a)

Die Beschwerde rügt, das Berufungsgericht habe den Vortrag des Klägers über den tatsächlichen Ablauf in der Kanzlei seines Prozessbevollmächtigten unzutreffend gewürdigt und damit den Überzeugungsgrundsatz verletzt, indem es der Formulierung im Wiedereinsetzungsgesuch "soweit dies nachträglich rekonstruierbar ist" eine Einschränkung "im Sinne einer Kontingenz" entnommen habe, die mit dem Satz nicht beabsichtigt gewesen sei. Die Zweifel hätten das Berufungsgericht veranlassen müssen, zur Wahrung seiner Aufklärungspflicht nachzufragen.

9

Der Verfahrensfehler liegt nicht vor. Die Rüge beruht auf der unzutreffenden Annahme, das Berufungsgericht habe den bezeichneten Satzteil als missverständlich und erklärungsbedürftig erkannt. Das lässt sich dem angegriffenen Beschluss indessen nicht entnehmen. Das Berufungsgericht hat den Satz vielmehr so verstanden, dass der Prozessbevollmächtigte die Schilderung des tatsächlichen Geschehens in seiner Kanzlei mit den Worten "soweit dies nachträglich rekonstruierbar ist" unter einen allgemeinen Vorbehalt gestellt habe, das geschilderte Geschehen sei nicht sicher, sondern möglich gewesen. Diese Auslegung mag nicht unbedingt zwingend sein, sie ist jedoch mit dem Wortsinn des Textes vereinbar und nicht unlogisch, zumal auch die Rechtsanwaltsfachangestellte T. in ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 7. Januar 2009 (GA Bl. 241), die ebenfalls diesen Vorbehalt enthält, den ihr unterlaufenen Fehler lediglich hypothetisch in der Form eines logischen Rückschlusses darstellt ("... muss ich versehentlich die Urschrift mit einer der Abschriften vertauscht haben"; "Die Urschrift ... muss ... dem Berufungskläger oder der Rechtsschutzversicherung anstelle einer Abschrift zugesandt worden sein"). Unter diesen Umständen lässt sich nicht feststellen, dass das Berufungsgericht den bezeichneten Zusatz in unvertretbarer Weise missverstanden hat oder über erkannte Zweifel hinweggegangen ist.

10

b)

Ebenso wenig liegt ein Gehörsverstoß oder ein sonstiger Verfahrensfehler darin, dass das Berufungsgericht in dem angegriffenen Beschluss das von der Beschwerde als "Dateinamen" bezeichnete Kürzel unterhalb der Datumsangabe in der Berufungsschrift mehrfach als "Diktatzeichen" bezeichnet hat. Was die Beschwerde in diesem Zusammenhang vorträgt, ist kaum nachvollziehbar: Bei richtiger Bezeichnung als "Dateiname" hätte das Berufungsgericht erkannt, dass der Prozessbevollmächtigte diese Datei - nämlich den Schriftsatz mit der Berufungsbegründung - selbst ausgedruckt habe, woraus es wiederum hätte schließen müssen, dass dieser Schriftsatz mit dessen Wissen und Wollen gefaxt worden sei. Das Berufungsgericht hat zu dem von ihm als Diktatzeichen angesehenen Kürzel lediglich ausgeführt, dass sich aus ihm nicht der Wille des Prozessbevollmächtigten ergebe, die Berufungsbegründung in den Rechtsverkehr zu bringen. Es hat außerdem Zweifel angemeldet, ob aus dem Kürzel zu entnehmen sei, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers selbst den Schriftsatz verfasst habe. Indem die Beschwerde hervorhebt, bei zutreffender Würdigung des Kürzels als Dateiname hätte das Berufungsgericht auch ohne Unterschrift die Urheberschaft des Prozessbevollmächtigten festgestellt, verkennt sie, dass das Berufungsgericht nicht die Autorenschaft des Prozessbevollmächtigten für bedeutsam hält, sondern den seiner Ansicht nach nicht geklärten Zweifel, ob die dem Kläger von seinem Prozessbevollmächtigten noch zum "Gegenlesen" übersandte Berufungsbegründungsschrift bereits in den Verkehr gelangen sollte oder nur als Entwurf zu werten war.

11

4.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 64 Abs. 2 LDG M-V i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO. Der Festsetzung eines Streitwertes für das Beschwerdeverfahren bedarf es nicht, da das Verfahren gemäß § 78 Abs. 1 Satz 1 LDG M-V gerichtskostenfrei ist.

Herbert
Groepper
Dr. Burmeister

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