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Bundesverwaltungsgericht
Urt. v. 28.11.2012, Az.: BVerwG 8 C 20.11
Anspruch auf Rückübertragung eines Grundstücks bei Erwerb vor dem Jahr 1933 i.R.e. Enteignung auf besatzungshoheitlicher Grundlage
Gericht: BVerwG
Entscheidungsform: Urteil
Datum: 28.11.2012
Referenz: JurionRS 2012, 31815
Aktenzeichen: BVerwG 8 C 20.11
ECLI: [keine Angabe]

BVerwG, 28.11.2012 - BVerwG 8 C 20.11

Redaktioneller Leitsatz:

1.

§ 144 Abs. 6 VwGO gilt nur für das Verfahren, in dem die Zurückverweisung vorgenommen wurde. Auf Parallelverfahren findet die Vorschrift keine Anwendung. Eine Bindungswirkung besteht auch dann nicht, wenn der neue Rechtsstreit dieselben Fragen betrifft und von denselben Beteiligten geführt wird.

2.

Der faktische Enteignungsbegriff des Vermögensrechts setzt keine bestimmte Form der Vermögensentziehung voraus. Auch auf deren Rechtmäßigkeit kommt es nicht an. Maßgeblich ist vielmehr, dass der frühere Eigentümer durch hierauf gerichtete staatliche Maßnahmen vollständig und endgültig aus seinem Eigentum verdrängt wurde und dass diese Verdrängung in der Rechtswirklichkeit greifbar zum Ausdruck kommt.

3.

Die in den Ländern der SBZ nach dem SMAD-Befehl Nr. 124 parallel durchgeführten und nach Vorlage der Enteignungslisten der Länder durch die Deutsche Wirtschaftskommission von der Besatzungsmacht im Befehl Nr. 64 vom 17. April 1948 bestätigten Unternehmensenteignungen waren nicht nur gegenstandsbezogen auf einzelne Vermögenswerte, sondern auch und in erster Linie personenbezogen. Denn Voraussetzung für die Enteignung nach dem SMAD-Befehl Nr. 124 war die Eigenschaft der Unternehmenseigentümer als "Kriegs-" oder "Naziverbrecher".

4.

Für die besatzungshoheitliche Zurechnung von Maßnahmen deutscher Stellen genügt, dass sie auf Wünsche oder Anregungen der Besatzungsmacht zurückgingen oder sonst deren generellem oder im Einzelfall geäußertem Willen entsprachen.

5.

Da die sowjetische Besatzungsmacht als Inhaberin der obersten Hoheitsgewalt bei der Verwirklichung der von ihr oder mit ihrem Einverständnis angeordneten Maßnahmen jederzeit lenkend und korrigierend eingreifen konnte, erstreckt sich ihre Verantwortung grundsätzlich auch auf die in der Besatzungszeit geübte Enteignungspraxis deutscher Stellen, selbst wenn diese die einschlägigen Rechtsgrundlagen extensiv auslegten oder nach rechtsstaatlichen Grundsätzen willkürlich anwendeten. Der besatzungshoheitliche Zurechnungszusammenhang wird nur unterbrochen, wenn die Enteignung einem generell oder im Einzelfall ausgesprochenen Verbot der Besatzungsmacht zuwider lief.

In der Verwaltungsstreitsache
hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 28. November 2012
durch
den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth
und die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hauser,
Dr. Held-Daab und Dr. Rudolph
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Gründe

I

1

Die Klägerin begehrt die Rückübertragung einer 2 970 m2 großen Teilfläche des Grundstücks B. ..., Gemarkung Potsdam, Flur ..., Flurstück ..., das sie vor 1933 erworben hatte.

2

Sie wurde 1921 in Berlin als "Gemeinnützige Gesellschaft mbH ..." gegründet und später in "W. Gesellschaft mit beschränkter Haftung" umbenannt. Gesellschafter waren seit ihrer Gründung hohe Offiziere und Beamte des Reichswehrministeriums sowie seit 1929 ein früherer Reichswehrminister. Bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges erstellte sie vor allem Wohnungen für Angehörige des Heeres und der Luftwaffe. Sie hatte ihren Sitz zunächst in Berlin-Dahlem, ... und ... 1949 verlegte sie ihn nach München. Der Verwaltungssitz befindet sich seit 1951 in B.

3

Zum Betriebsvermögen der Klägerin gehörten bei Kriegsende 1945 zahlreiche zu Wohnzwecken bebaute Grundstücke in Potsdam und anderen Orten des Landes Brandenburg sowie u.a. auch in Thüringen und Sachsen-Anhalt; es umfasste damals auf dem Gebiet der späteren DDR mehr als 3 600 Wohnungen.

4

Den Antrag der Klägerin vom 22. August 1990 auf Rückübertragung des Grundstücks lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 14. Dezember 1998 mit der Begründung ab, es liege eine Enteignung auf besatzungshoheitlicher Grundlage vor. Den Widerspruch der Klägerin wies der Widerspruchsausschuss V beim Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen mit Widerspruchsbescheid vom 2. Februar 2000 zurück.

5

Nachdem das Verfahren zunächst wegen eines Parallelverfahrens ausgesetzt worden war, hat das Verwaltungsgericht Potsdam mit Urteil vom 5. August 2010 die auf Rückübertragung gerichtete Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Rückübertragung des Grundstücks gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 VermG, weil das Grundstück auf besatzungshoheitlicher Grundlage enteignet worden sei (§ 1 Abs. 8 Buchst. a VermG). Eine rechtliche Bindung an das zurückverweisende Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Juni 2008 im Parallelverfahren (BVerwG 8 C 14.08) bestehe schon wegen des unterschiedlichen Streitgegenstandes nicht.

6

Zur Begründung ihrer Revision macht die Klägerin im Wesentlichen geltend: Das Verwaltungsgericht habe die Bindungswirkung des zurückverweisenden Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Juni 2008 im Parallelverfahren verkannt. Dieses habe die Berechtigung der Klägerin im Sinne des § 2 Abs. 1 VermG abschließend bejahend geklärt und gleichzeitig den Umfang der Zurückverweisung an die erste Instanz auf die Prüfung der Rückgabe entgegenstehender Tatsachen im Sinne der §§ 4 und 5 VermG begrenzt. Der nicht zurückverwiesene Teil des ursprünglichen Streitstoffs sei durch das Revisionsgericht rechtskräftig entschieden. Dementsprechend habe die Berechtigung der Klägerin für das Verwaltungsgericht nicht mehr zur Disposition gestanden. Neue Tatsachen, die zu einer Änderung der Sach- und Rechtslage geführt hätten, lägen entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht vor. Nr. 5 des Befehls Nr. 64 der sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) vom 17. April 1948 habe verboten, nach seinem Inkrafttreten auf der Grundlage des SMAD-Befehls Nr. 124 vom 30. Oktober 1945 weitere Vermögenswerte zu sequestrieren und bisher nicht sequestrierte Vermögenswerte zu enteignen. Eine solche Beschlagnahme des Grundstücks sei vor dem 18. April 1948 nicht vorgenommen worden. Die im Juli 1948 erfolgte treuhänderische Verwaltung des Grundeigentums der Klägerin in Potsdam sei ausdrücklich ohne vorherige Beschlagnahme erfolgt; sie, die Klägerin, habe sich durch die treuhänderische Verwaltung nicht endgültig aus ihrem Eigentum verdrängt gesehen, sondern sich dagegen mit den ihr zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfen gewehrt. Die seit 1946 erfolgten Enteignungsmaßnahmen in G. (Thüringen) hätten sich nur auf die W. GmbH G. bezogen, jedoch das Unternehmen der Klägerin und ihr weiteres Betriebsvermögen u.a. in Potsdam nicht erfasst. Entsprechendes gelte für Enteignungsmaßnahmen in E. (Brandenburg). Es liege auch kein sukzessiver Vermögensentzug vor.

7

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 5. August 2010 zu ändern und den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 14. Dezember 1998 und des Widerspruchsbescheides des Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen - Widerspruchsausschuss V - vom 2. Februar 2000 zu verpflichten, die 2 970 m2 Teilfläche des Grundstücks ..., Gemarkung Potsdam, Flur ..., Flurstück ..., an die Klägerin zurückzuübertragen.

8

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

9

Er verteidigt das angegriffene Urteil. Die bis zum 17. April 1948 auf besatzungsrechtlicher Grundlage erfolgten Enteignungen von Vermögen der Klägerin unter anderem in Thüringen (G.) und Brandenburg (E.) hätten sich auf alle weiteren Vermögensobjekte und Niederlassungen der Klägerin im Bereich der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) erstreckt; die Klägerin mit ihren Gesellschaftern sei als Wohnungsbau-Unternehmen der deutschen Wehrmacht von den SBZ-Behörden nach 1945 als Kriegsverbrecher im Sinne des SMAD-Befehls Nr. 124 vom 30. Oktober 1945 angesehen und dementsprechend durch Enteignung aus dem wirtschaftlichen Leben der SBZ entfernt worden.

II

10

Die Revision der Klägerin hat keinen Erfolg.

11

1. Das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts verstößt nicht gegen § 144 Abs. 6 VwGO. Das im Parallelverfahren ergangene Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Juni 2008 - BVerwG 8 C 14.07 - entfaltet für das vorliegende Verfahren schon deshalb keine rechtliche Bindungswirkungen, weil es einen auf ein anderes Grundstück bezogenen Restitutionsantrag betraf. Das Verwaltungsgericht ist unter Bezugnahme auf die ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zutreffend davon ausgegangen, dass § 144 Abs. 6 VwGO nur für das Verfahren gilt, in dem die Zurückverweisung vorgenommen wurde. Auf Parallelverfahren findet die Vorschrift keine Anwendung. Eine Bindungswirkung besteht auch dann nicht, wenn der neue Rechtsstreit dieselben Fragen betrifft und von denselben Beteiligten geführt wird (vgl. u.a. Beschlüsse vom 15. September 1981 - BVerwG 8 B 108.81 - Buchholz 310 § 144 VwGO Nr. 37 und vom 22. Januar 2009 - BVerwG 8 B 93.08 - Buchholz 428 § 1 Abs 8 VermG Nr. 40 m.w.N.). Es handelt sich auch dann um einen unterschiedlichen Streitgegenstand. Schon deshalb verstößt das angegriffene Urteil im Hinblick auf das im Parallelverfahren ergangene zurückverweisende Revisionsurteil des Senats vom 25. Juli 2008 auch nicht gegen § 121 VwGO oder gegen § 110 VwGO oder § 111 VwGO.

12

2. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, Nr. 5 des Befehls Nr. 64 der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) vom 17. April 1948 habe der Enteignung des verfahrensgegenständlichen Grundstücks auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage nicht entgegen gestanden, weil dieses bereits vor dem 18. April 1948 wirksam enteignet worden sei, ist revisionsrechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden.

13

Nach den tatsächlichen Feststellungen des angegriffenen Urteils war die Klägerin mit dem Namenszusatz "G.-Stadt" 1946 in der Thüringer Liste "A" der nach dem SMAD-Befehl Nr. 124 vom 30. Oktober 1945 zu enteignenden Unternehmen aufgeführt. Dieser Enteignungszugriff betraf nach den getroffenen Feststellungen nicht nur in G. belegene Vermögensteile der Klägerin. Vielmehr betraf die Enteignung die "W. GmbH Berlin-Dahlem" und damit das gesamte in der SBZ belegene Vermögen der Klägerin, auch wenn sich ihr Sitz in den westlichen Besatzungszonen von Berlin befand. Seine tatsächlichen Feststellungen hat das Verwaltungsgericht im Wesentlichen auf die rechtskräftige Entscheidung des Verwaltungsgerichts Halle vom 30. März 1995 - 1 VG A 356/92 - gestützt. Darin heißt es, "dass die W. GmbH Berlin-Dahlem, Hausverwaltung G., in Thüringen gemäß SMAD-Befehl Nr. 124 vom 30. Oktober 1945 beschlagnahmt, enteignet und in Volkseigentum überführt" worden ist. Damit sei nicht nur eine Enteignung der in G. (Thüringen) belegenen Grundstücke, sondern eine Enteignung der "W. GmbH Berlin-Dahlem" in der SBZ erfolgt. Diese Feststellungen des Verwaltungsgerichts Potsdam hat die Klägerin nicht mit wirksamen Verfahrensrügen angegriffen.

14

Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass das Verwaltungsgericht in seinem angegriffenen Urteil die einschlägigen in der sowjetischen Besatzungszone geltenden und angewandten Regelungen unrichtig festgestellt oder rechtsfehlerhaft ausgelegt und angewendet hätte.

15

Das Verwaltungsgericht ist zutreffend vom faktischen Enteignungsbegriff des Vermögensrechts ausgegangen. Dieser setzt keine bestimmte Form der Vermögensentziehung voraus. Auch auf deren Rechtmäßigkeit kommt es nicht an. Maßgeblich ist vielmehr, dass der frühere Eigentümer durch hierauf gerichtete staatliche Maßnahmen vollständig und endgültig aus seinem Eigentum verdrängt wurde und dass diese Verdrängung in der Rechtswirklichkeit greifbar zum Ausdruck kam (stRspr; vgl. Urteile vom 6. April 1995 - BVerwG 7 C 5.94 -BVerwGE 98, 137 <141> = Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 42 S. 105, vom 2. März 2000 - BVerwG 7 C 13.99 - Buchholz 428 § 1 Abs. 8 VermG Nr. 11 S. 41 und vom 25. Mai 2005 - BVerwG 8 C 7.04 - Buchholz 428 § 1 Abs. 8 VermG Nr. 31 S. 107 m.w.N.). Die in den Ländern der SBZ nach dem SMAD-Befehl Nr. 124 parallel durchgeführten und nach Vorlage der Enteignungslisten der Länder durch die Deutsche Wirtschaftskommission von der Besatzungsmacht im Befehl Nr. 64 vom 17. April 1948 bestätigten Unternehmensenteignungen waren nicht nur gegenstandsbezogen auf einzelne Vermögenswerte, sondern auch und in erster Linie personenbezogen (vgl. Urteile vom 28. Januar 1999 - BVerwG 7 C 10.98 - Buchholz 428 § 1 Abs. 8 VermG Nr. 1 und vom 3. Juni 1999 - BVerwG 7 C 35.98 - Buchholz 428 § 1 Abs. 8 VermG Nr. 4 S. 15). Denn Voraussetzung für die Enteignung nach dem SMAD-Befehl Nr. 124 war die Eigenschaft der Unternehmenseigentümer als "Kriegs-" oder "Naziverbrecher". Diese Personengruppe sollte durch die Enteignung für ihr früheres Verhalten während des NS-Regimes zur Rechenschaft gezogen und aus dem wirtschaftlichen Leben in der sowjetischen Besatzungszone entfernt werden, damit ihre Betriebe, wie es in der Präambel zum SMAD-Befehl Nr. 64 hieß, "nicht mehr für imperialistische Aggression und zum Schaden des deutschen Volkes ausgenutzt werden" konnten. Mit diesem auf das gesamte Gebiet der SBZ bezogenen Zweck der Enteignungen war es aus der Sicht der Besatzungsmacht nicht vereinbar, wenn derselbe Unternehmenseigentümer von einem Land der SBZ als "Kriegs-" oder "Naziverbrecher" behandelt, in einem anderen Land derselben Besatzungszone hingegen von der Enteignung verschont wurde (vgl. dazu Urteil vom 3. Juni 1999 a.a.O. S. 15). Angesichts dessen ist auf der Grundlage der vom Verwaltungsgericht getroffenen Feststellungen davon auszugehen, dass Objekt der in Thüringen auf der Grundlage des SMAD-Befehls Nr. 124 vom 30. Oktober 1945 durchgeführten und durch Nr. 1 des SMAD-Befehls Nr. 64 vom 17. April 1948 bestätigten Listenenteignungen nicht nur die in G. (Thüringen) befindlichen Unternehmensteile, sondern das Unternehmen der Klägerin in der gesamten sowjetischen Besatzungszone war.

16

Damit ist hinsichtlich des verfahrensgegenständlichen Grundstücks, das bis zu der in der SBZ erfolgten Enteignung zum Betriebsvermögen der Klägerin zählte, von einer besatzungsrechtlichen oder besatzungshoheitlichen Natur der die Klägerin schädigenden Maßnahme zwischen dem 8. Mai 1945 und dem 7. Oktober 1949 (§ 1 Abs. 8 Buchst. a VermG) auszugehen. Für die besatzungshoheitliche Zurechnung von Maßnahmen deutscher Stellen genügt, dass sie auf Wünsche oder Anregungen der Besatzungsmacht zurückgingen oder sonst deren generellem oder im Einzelfall geäußertem Willen entsprachen (stRspr; vgl. Urteile vom 30. Juni 1994 - BVerwG 7 C 58.93 - BVerwGE 96, 183 <185> = Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 26 S. 47 f. und vom 13. Dezember 2006 - BVerwG 8 C 25.05 - Buchholz 428 § 1 Abs. 8 VermG Nr. 34 Rn. 24 m.w.N.). Da die sowjetische Besatzungsmacht als Inhaberin der obersten Hoheitsgewalt bei der Verwirklichung der von ihr oder mit ihrem Einverständnis angeordneten Maßnahmen jederzeit lenkend und korrigierend eingreifen konnte, erstreckt sich ihre Verantwortung grundsätzlich auch auf die in der Besatzungszeit geübte Enteignungspraxis deutscher Stellen, selbst wenn diese die einschlägigen Rechtsgrundlagen extensiv auslegten oder nach rechtsstaatlichen Grundsätzen willkürlich anwendeten. Der besatzungshoheitliche Zurechnungszusammenhang wird nur unterbrochen, wenn die Enteignung einem generell oder im Einzelfall ausgesprochenen Verbot der Besatzungsmacht zuwider lief (stRspr; vgl. BVerfG, Urteil vom 23. April 1991 - 1 BvR 1170/90, 1174/90, 1175/90 -BVerfGE 84, 90 <115>; BVerwG, Urteile vom 13. Februar 1997 - BVerwG 7 C 50.95 - BVerwGE 104, 84 <86> = Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 104 S. 312, vom 27. Juli 1999 - BVerwG 7 C 36.98 - Buchholz 428 § 1 Abs. 8 VermG Nr. 6 S. 22 und vom 13. Dezember 2006 a.a.O. Rn. 27).

17

Entgegen der Auffassung der Klägerin ergibt sich ein solches Verbot hinsichtlich des verfahrensgegenständlichen Grundstücks nicht aus Nr. 5 des SMAD-Befehls Nr. 64 vom 17. April 1948. Diese Regelung bestimmte, dass es mit den von Nr. 1 und 4 des Befehls erfassten und vor dem 18. April 1948 erfolgten Enteignungen sein Bewenden haben sollte und weitere Sequestrierungen nach dem SMAD-Befehl Nr. 124 ebenso wie Enteignungen, die nicht auf den bisherigen Beschlagnahmeaktionen nach diesem Befehl beruhten, nach dem Willen der sowjetischen Besatzungsmacht künftig zu unterbleiben hatten (vgl. u.a. Urteil vom 13. Dezember 2006 a.a.O. Rn. 27). Nr. 1 des SMAD-Befehls Nr. 64 vom 17. April 1948 bestätigte jedoch die Betriebslistenenteignungen und damit die Enteignung des Betriebsvermögens der Klägerin aufgrund der Thüringer Liste "A". Insofern bedurfte es auch keiner Sequestration jedes einzelnen in die Betriebsenteignung einbezogenen Vermögensgegenstandes (Urteil vom 7. März 2012 - BVerwG 8 C 1.11 - [...] Rn. 24). Nr. 2 Abs. 1 der von der DWK erlassenen Ersten Verordnung zur Ausführung des SMAD-Befehls Nr. 64 (Richtlinien Nr. 1) vom 28. April 1948 bestimmte, dass sich die Enteignung wirtschaftlicher Unternehmungen in der sowjetischen Besatzungszone auf das gesamte den betrieblichen Zwecken dienende Vermögen erstreckte. Da die Klägerin als Unternehmen darauf ausgerichtet war, Wohnungen zu bauen, zu vermieten und gegebenenfalls zu verkaufen, war damit im Geltungsbereich der Richtlinien Nr. 1 der DWK von der in Thüringen erfolgten Enteignung der Klägerin alles zu dem Unternehmen und ihren Niederlassungen in der sowjetischen Besatzungszone gehörende Vermögen erfasst. Darüber hinaus regelte Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien Nr. 1 der DWK für Unternehmen mit mehreren Betriebsstätten, von denen bisher nicht jede ausdrücklich enteignet worden war, dass die Enteignung auch hinsichtlich aller anderen Unternehmensteile zu gelten hatte, die in wirtschaftlichem Zusammenhang untereinander standen. Sollten daher nicht alle Betriebsstätten in den Enteignungslisten verzeichnet gewesen sein, hätte dies an der Enteignung auch dieser Betriebsstätten nichts geändert (vgl. dazu allgemein u.a. Beschlüsse vom 8. April 1998 - BVerwG 7 B 7.98 -Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 149 S. 455 und vom 4. November 2002 - BVerwG 7 B 70.02 - Buchholz 428 § 1 Abs. 8 VermG Nr. 23). Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass es sich - entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts - bei den "Niederlassungen" der Klägerin in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg nicht um Unternehmensteile oder "unselbstständige Niederlassungen" handelte, sind nicht ersichtlich. Durchgreifende Verfahrensrügen gegen die diesbezüglichen tatsächlichen Feststellungen im angegriffenen Urteil hat die Klägerin nicht erhoben. Gleiches gilt hinsichtlich des vom Verwaltungsgericht aufgrund der Unternehmensziele und der Unternehmensstruktur angenommenen wirtschaftlichen Zusammenhangs der Klägerin mit ihren Unternehmensteilen und Grundstücken in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg, damit also auch in Potsdam.

18

Daran ändert auch nichts, dass offenbar den Enteignungsbehörden in Brandenburg im Sommer und Herbst 1948 und auch noch 1949 die Thüringer Sequestrierung und Enteignung der Klägerin möglicherweise nicht hinreichend bekannt war (vgl. dazu allgemein u.a. Urteil vom 7. März 2012 a.a.O. Rn. 22). Soweit Koordinationsschwierigkeiten oder Fehler bei der Umsetzung des SMAD-Befehls Nr. 124 in den Ländern der sowjetischen Besatzungszone dazu geführt hatten, dass Vermögenswerte eines in den Sequesterlisten aufgeführten Betroffenen nur unvollständig erfasst wurden, entsprach es dem Willen der SMAD, solche Lücken zu schließen (vgl. u.a. Urteile vom 27. Februar 1997 -BVerwG 7 C 42.96 - Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 106 S. 321 f. und vom 7. März 2012 a.a.O. Rn. 22 m.w.N.).

19

Es kommt deshalb nicht darauf an, ob die von den Enteignungsbehörden in Potsdam seit Mai 1948 getroffenen zusätzlichen Maßnahmen gegen die Klägerin und ihre dort belegenen Grundstücke bei isolierter Betrachtung ebenfalls auf besatzungshoheitlicher Grundlage im Sinne von § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG erfolgten.

20

Ebenso wenig kommt es darauf an, ob das Vorbringen des Beklagten zutreffend ist und auf der Grundlage der vom Verwaltungsgericht getroffenen Feststellungen Berücksichtigung finden kann, das Vermögensgesetz sei auf den Anspruch der Klägerin schon deshalb nicht anzuwenden, weil es sich bei ihr aufgrund ihrer bis zum Kriegsende 1945 bestehenden engen personellen und wirtschaftlichen Verflechtung mit dem Reichswehrministerium und der Wehrmacht um eine Wohnungsbaugesellschaft gehandelt habe, die seit ihrer Gründung zum Reichsfiskus gehört habe und dass ihre private Form nur zu Tarnzwecken gewählt worden sei.

21

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Streitwertbeschluss:

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 455 589 € festgesetzt.

Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert

Dr. Rudolph

Dr. Held-Daab

Dr. Hauser

Dr. Deiseroth

Verkündet am 28. November 2012

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