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Bundesverwaltungsgericht
Beschl. v. 27.06.2013, Az.: BVerwG 8 AV 2.12
Anrufung des Bundesverwaltungsgerichts zur Feststellung des zuständigen Gerichts bei vorheriger Zuweisung durch ein sich für unzuständig erklärendes Gericht
Gericht: BVerwG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 27.06.2013
Referenz: JurionRS 2013, 40536
Aktenzeichen: BVerwG 8 AV 2.12
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

VG Frankfurt am Main - 09.11.2012 - AZ: VG 9 K 3854/12.F

BVerwG, 27.06.2013 - BVerwG 8 AV 2.12

Redaktioneller Leitsatz:

§ 53 VwGO hat nicht den Sinn, dem Bundesverwaltungsgericht die Entscheidung von Zweifelsfragen, die sich aus der Auslegung von § 52 VwGO oder anderen Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung ergeben, gleichsam in der Art einer Vorabentscheidung zuzuweisen.

In der Verwaltungsstreitsache
hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 27. Juni 2013
durch
den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth
und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Rudolph
beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 9. November 2012 auf Bestimmung des örtlich zuständigen Verwaltungsgerichts wird als unzulässig verworfen.

Gründe

I

1

Die Klägerin, ein Wertpapierhandelsunternehmen, hat nach erfolglosem Widerspruchsverfahren beim Verwaltungsgericht Berlin Klage gegen die Entschädigungseinrichtung der Wertpapierhandelsunternehmen (EdW) mit dem Begehren erhoben, den von der EdW erlassenen Beitragsbescheid vom 2. März 2010 über 316 527,24 EUR sowie den Widerspruchsbescheid der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) vom 2. Februar 2011 aufzuheben, mit dem diese den im Ausgangsbescheid geforderten Betrag auf 312 722,67 EUR ermäßigt, eine Widerspruchsgebühr von 9 800 EUR festgesetzt und die Kosten des Widerspruchsverfahrens zu 98,8% der Klägerin und zu 1,2% der EdW auferlegt hatte. Mit Bescheid vom 15. August 2012 hat die BaFin die Widerspruchsgebühr auf 7 000 EUR ermäßigt.

2

Nachdem die Klägerin auf gerichtliche Anregung - unter Aufrechterhaltung ihres gegen den Beitragsbescheid der EdW vom 2. März 2010 gerichteten Begehrens - mit Schriftsatz vom 8. Oktober 2012 ihre Klage gegen die Festsetzung der Widerspruchsgebühr nunmehr allein gegen die BaFin gerichtet hatte, hat das Verwaltungsgericht Berlin nach Anhörung der Beteiligten mit Beschluss vom 16. Oktober 2012 das Klageverfahren gegen die BaFin über die Festsetzung der Widerspruchsgebühr im Widerspruchsbescheid vom 2. Februar 2011 in Gestalt des Abänderungsbescheides vom 15. August 2012 abgetrennt, sich dafür für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit insoweit an das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main verwiesen. Dieses hat sich seinerseits mit Beschluss vom 9. November 2012 für örtlich unzuständig erklärt und zur Feststellung der örtlichen Zuständigkeit gemäß § 53 VwGO das Bundesverwaltungsgericht angerufen.

II

3

Der Antrag ist unzulässig. Das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main hat eine nach § 83 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17a GVG nicht vorgesehene und damit rechtswidrige Entscheidung getroffen.

4

Nach § 53 Abs. 3 VwGO hat u.a. auf Anrufung eines mit dem Rechtsstreit befassten Gerichts das nächsthöhere Gericht oder das Bundesverwaltungsgericht das zuständige Gericht innerhalb der Verwaltungsgerichtsbarkeit (nur) unter den in § 53 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 VwGO normierten Voraussetzungen zu bestimmen. Eine Entscheidung nach § 53 VwGO ist ausgeschlossen, wenn das zuständige Gericht feststeht oder sich ohne Anrufung des nächsthöheren oder des Bundesverwaltungsgerichts ermitteln lässt. § 53 VwGO durchbricht nicht die Regelung über den gesetzlichen Richter, sondern ergänzt sie für den Fall, dass das Prozessrecht keine oder keine widerspruchsfreie Zuweisung enthält. Es ist nicht der Sinn des § 53 VwGO, dem Bundesverwaltungsgericht die Entscheidung von Zweifelsfragen, die sich aus der Auslegung von § 52 VwGO oder anderen Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung ergeben, gleichsam in der Art einer Vorabentscheidung zuzuweisen (vgl. u.a. Beschlüsse vom 7. Februar 2006 - BVerwG 1 AV 1.06 - Buchholz 310 § 53 VwGO Nr. 30 m.w.N. und vom 4. Juni 2007 - BVerwG 2 AV 1.07 - [...] m.w.N.).

5

Für das allein auf die Festsetzung der Widerspruchsgebühr im Widerspruchsbescheid vom 2. Februar 2011 in Gestalt des Abänderungsbescheides vom 15. August 2012 bezogene und isoliert gegen die BaFin gerichtete Klagebegehren, auf das sich der Vorlagebeschluss ausschließlich bezieht, steht das örtlich zuständige Gericht bereits fest, so dass der Antrag auf Bestimmung des örtlich zuständigen Verwaltungsgerichts unzulässig ist.

6

Das Verwaltungsgericht Berlin hat sich mit seinem Beschluss vom 16. Oktober 2012 hinsichtlich des Verfahrens gegen die beklagte BaFin in Bezug auf deren Widerspruchsbescheid vom 2. Februar 2011 in Gestalt ihres Abänderungsbescheides vom 15. August 2012 betreffend die Widerspruchsgebühr für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit gemäß § 83 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG an das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main verwiesen. Dieser gemäß § 83 Satz 2 VwGO unanfechtbare Beschluss ist für das Gericht, an das verwiesen worden ist, hinsichtlich der Zuständigkeit bindend (§ 83 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG). Auch das Bundesverwaltungsgericht hat die durch den vorangegangenen Verweisungsbeschluss ausgelöste Bindungswirkung zu beachten, und zwar unabhängig davon, ob dieser Beschluss sachlich richtig gewesen ist (vgl. Beschlüsse vom 4. Juni 1993 - BVerwG 9 A 1.93 - [...], vom 15. Juni 1993 - BVerwG 9 A 2.93 - und vom 8. November 1994 - BVerwG 9 AV 1.94 - Buchholz 300 § 17a GVG Nr. 13).

7

Ob eine Vorlage an das Bundesverwaltungsgericht ausnahmsweise dann in Betracht kommt, wenn Streit über die Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses entsteht (vgl. Beschluss vom 5. März 1993 - BVerwG 11 ER 400.93 -Buchholz 310 § 53 VwGO Nr. 21), bedarf aus Anlass der vorliegenden Verfahren keiner Entscheidung. Eine Durchbrechung der Bindungswirkung ist allenfalls bei "extremen Verstößen" denkbar (vgl. Beschlüsse vom 14. November 1975 - BVerwG 6 ER 403.75 - Buchholz 310 § 53 VwGO Nr. 10, vom 1. Dezember 1992 - BVerwG 7 A 4.92 - DÖV 1993, 388 = Buchholz 407.3 VerkPBG Nr. 3, vom 4. Juni 1993 a.a.O. und vom 15. Juni 1993 a.a.O. m.w.N.; Kraft, in: Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 53 Rn. 11). Solche liegen hier nicht vor.

8

Das örtlich zuständige Verwaltungsgericht bestimmt sich bei Anfechtungsklagen gegen den Verwaltungsakt einer Bundesbehörde oder einer bundesunmittelbaren Anstalt des öffentlichen Rechts gemäß § 52 Nr. 2 Satz 1 VwGO nach deren Sitz. Die Klägerin hat im Wege der objektiven Klagehäufung (§ 44 VwGO) Anfechtungsklagen sowohl gegen die im Bescheid der EdW vom 2. März 2010 in der Gestalt von Ziffer 1 des Widerspruchsbescheides der BaFin getroffene Sachregelung (Beitragsfestsetzung) als auch - mit gesonderter gebührenrechtlicher Begründung - gegen die in Ziffer 4 des genannten Widerspruchsbescheides der BaFin in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 15. August 2012 festgesetzte Widerspruchsgebühr erhoben. Das Verwaltungsgericht Berlin hat angenommen, dass sich das örtlich zuständige Gericht für die Anfechtungsklage gegen die Widerspruchsgebühr unabhängig von der Anfechtungsklage gegen die Sachregelung bestimme, und deshalb insoweit das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main als das Verwaltungsgericht, in dessen Bezirk die BaFin ihren Sitz hat, für zuständig angesehen. Eine willkürliche Verletzung des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 VwGO (vgl. dazu u.a. Kraft, in: Eyermann, a.a.O. § 53 Rn. 11 m.w.N.) kann darin nicht gesehen werden.

9

Das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main meint zwar sinngemäß, das Verwaltungsgericht Berlin habe die Anfechtungsklage gegen die Widerspruchsgebühr von derjenigen gegen die Sachregelung nicht trennen dürfen, weil diese für jene vorgreiflich sei. Ob dem zu folgen wäre, stehe dahin, keinesfalls ergäbe sich hieraus eine willkürliche Verletzung des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter oder ein sonstiger "extremer Verstoß" gegen die geltenden Zuständigkeitsvorschriften. Richtig ist, dass die Anfechtungsklage gegen die Sachregelung insofern vorgreiflich ist, als bei deren Erfolg die Festsetzung der Widerspruchsgebühr ohne Rücksicht auf die von der Klägerin zusätzlich erhobenen gebührenrechtlichen Einwände keinen Bestand haben könnte. Dem Verwaltungsgericht Frankfurt am Main ist aber unbenommen, diesem Umstand dadurch Rechnung zu tragen, dass es das bei ihm anhängige Verfahren bis zur Entscheidung über die Klage gegen die Sachregelung aussetzt (§ 94 VwGO).

Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert

Dr. Rudolph

Dr. Deiseroth

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