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Bundesverwaltungsgericht
Beschl. v. 27.06.2011, Az.: BVerwG 6 VR 4.10 (6 A 2.10)
Humanitäre Hilfe leistender Verein darf keine für die palästinensischen Gebiete im Gazastreifen und im Westjordanland bestimmten der Hamas zuzuordnenden Hilfeleistungen erbringen oder unterstützen; Zulässigkeit der Erbringung der Hamas zuzuordnenden Hilfeleistungen durch einen humanitären Verein
Gericht: BVerwG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 27.06.2011
Referenz: JurionRS 2011, 18589
Aktenzeichen: BVerwG 6 VR 4.10 (6 A 2.10)
ECLI: [keine Angabe]

Fundstelle:

NVwZ 2011, 6

BVerwG, 27.06.2011 - BVerwG 6 VR 4.10 (6 A 2.10)

Redaktioneller Leitsatz:

Die sofortige Vollziehung einer Verbotsverfügung aufrecht zu erhalten, obwohl die Erfolgsaussichten der Klage offen sind, ist mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes nur dann vereinbar, wenn die mit der Anordnung der sofortigen Vollziehung verbundene Rechtsbeeinträchtigung des Betroffenen mit hinreichend gewichtigen Gründen des Allgemeinwohls zu rechtfertigen ist.

In der Verwaltungsstreitsache
hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 27. Juni 2011
durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Neumann und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Graulich und Dr. Möller
beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Verfügung des Bundesministeriums des Innern vom 23. Juni 2010 wird mit folgenden Maßgaben wiederhergestellt:

    1. a)

      Der Antragsteller darf keine für die palästinensischen Gebiete im Gazastreifen und im Westjordanland (Westbank) bestimmten Hilfeleistungen erbringen oder unterstützen.

    2. b)

      Der Antragsteller hat - beginnend mit dem 12. August 2011 - bis zum zehnten Werktag eines jeden Monats eine Aufstellung der einzelnen Beträge seiner Einnahmen und Ausgaben des Vormonats - bei den Ausgaben unter Angabe des Empfängers und des Verwendungszwecks - bei dem Bundesministerium des Innern vorzulegen.

  2. 2.

    Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

  3. 3.

    Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 15 000 € festgesetzt.

Gründe

I

1

Der Antragsteller ist ein im Jahr 1997 gegründeter Verein mit Sitz in Frankfurt a.M. Er sieht seinen Zweck darin, weltweit humanitäre Hilfe zu leisten. Er unterstützt unter anderem Projekte in den palästinensischen Gebieten des Gazastreifens und des Westjordanlands (Westbank). Mit Verfügung vom 23. Juni 2010 stellte das Bundesministerium des Innern unter Berufung auf § 3 Abs. 1 Satz 1 Alt. 3 VereinsG i.V.m. Art. 9 Abs. 2 Alt. 3 GG fest, dass der Antragsteller sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung richte, deshalb verboten sei und aufgelöst werde. Zur Begründung hat das Bundesministerium im Wesentlichen ausgeführt, der Antragsteller leite seit langem und in beträchtlichem Umfang Spendengelder an in den palästinensischen Gebieten ansässige Sozialvereine weiter, die der HAMAS zuzuordnen seien. Dadurch unterstütze er mittelbar die Gewalt, die die HAMAS gegen Israel ausübe.

2

Der Antragsteller hat am 22. Juli 2010 Anfechtungsklage gegen die Verbotsverfügung erhoben. Er hat zudem unter dem 3. Dezember 2010 um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Hierüber hat der Senat zunächst mit Blick auf die im Klageverfahren zeitnah anberaumte mündliche Verhandlung vom 25. Mai 2011 im Einvernehmen mit den Beteiligten nicht entschieden.

3

Aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 25. Mai 2011 hat der Senat den Beteiligten durch Beschluss einen Vergleichsvorschlag unterbreitet. Die Antragsgegnerin hat den Vergleichsvorschlag mit Schriftsatz vom 20. Juni 2011 abgelehnt und weitere Tatsachen vorgetragen, die das Vereinsverbot rechtfertigen sollen. Daraufhin hat der Senat am 22. Juni 2011 beschlossen, die mündliche Verhandlung in dem Klageverfahren wiederzueröffnen.

II

4

Nachdem die zeitnah anberaumte mündliche Verhandlung nicht zu einer abschließenden Entscheidung in der Hauptsache geführt hat, ist die Grundlage für das Einverständnis der Beteiligten mit einem Aufschub der Entscheidung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes weggefallen und dem Antragsteller ein weiterer Aufschub nicht zumutbar.

5

Der nach § 80 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO statthafte und auch sonst zulässige Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage hat mit den aus der Beschlussformel ersichtlichen Maßgaben Erfolg.

6

Bei der im Rahmen der Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden Interessenabwägung gebührt dem Interesse des Antragstellers am Aufschub der Vollziehung der Verbotsverfügung bei Beachtung der bezeichneten Maßgaben der Vorrang vor dem von der Antragsgegnerin geltend gemachten öffentlichen Interesse an einer sofortiger Vollziehung.

7

Nach der in dem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allein gebotenen und möglichen summarischen Prüfung sind die Erfolgsaussichten der Klage gegen die Verbotsverfügung offen. Der Senat verweist hierzu auf die ausführlichen Gründe des Beschlusses vom 25. Mai 2011, mit dem er den Beteiligten eine vergleichsweise Beilegung des Rechtsstreits vorgeschlagen hat. Die von der Antragsgegnerin in dem Schriftsatz vom 20. Juni 2011 bezeichneten Umstände erfordern die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung in der Hauptsache und eine weitere Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts. Sie rechtfertigen demgegenüber nicht, ohne Weiteres von der Beurteilung der Erfolgaussichten abzurücken, die sich nach Durchführung der mündlichen Verhandlung vom 25. Mai 2011 ergeben hat.

8

Die sofortige Vollziehung der Verbotsverfügung aufrecht zu erhalten, obwohl die Erfolgsaussichten der Klage offen sind, wäre mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes nur dann vereinbar, wenn die mit der Anordnung der sofortigen Vollziehung verbundene Rechtsbeeinträchtigung des Antragstellers mit hinreichend gewichtigen Gründen des Allgemeinwohls zu rechtfertigen wäre. Dies ist nicht der Fall. Dem Anliegen der Antragsgegnerin, bereits vor der Entscheidung in der Hauptsache eine Fortsetzung der Tätigkeiten des Antragstellers zu unterbinden, die Anlass der erlassenen Verbotsverfügung sind, wird vielmehr durch die in der Beschlussformel bezeichneten Maßgaben hinreichend Rechnung getragen. Kommt der Antragsteller diesen Maßgaben nicht nach, kann die Antragsgegnerin einen Änderungsantrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO stellen.

9

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstands beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG.

Neumann
Dr. Graulich
Dr. Möller

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