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Bundesverwaltungsgericht
Beschl. v. 24.06.2009, Az.: BVerwG 8 B 104.08
Voraussetzungen für das Vorliegen einer Divergenz im verwaltungsgerichtlichen Verfahren; Bestimmung des Enteignungsbegriffs des Vermögensgesetzes (VermG); Begriff der faktischen Enteignung; Verstoß gegen Denkgesetze beim Ziehen von unrichtigen oder fernliegenden Schlüssen seitens des Tatsachengerichts nach Meinung des Beschwerdeführers
Gericht: BVerwG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 24.06.2009
Referenz: JurionRS 2009, 16477
Aktenzeichen: BVerwG 8 B 104.08
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

VG Cottbus - 27.08.2008 - AZ: VG 1 K 770/03

Rechtsgrundlage:

§ 132 Abs. 2 VwGO

BVerwG, 24.06.2009 - BVerwG 8 B 104.08

In der Verwaltungsstreitsache
...
hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 24. Juni 2009
durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Gödel,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Pagenkopf und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. von Heimburg
beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Cottbus vom 27. August 2008 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 343 413,28 EUR festgesetzt.

Gründe

1

Die auf alle drei Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

2

1.

Das Urteil des Verwaltungsgerichts weicht nicht im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ab. Die Zulassung der Revision wegen Divergenz setzt voraus, dass die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen, die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (vgl. Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.

3

Soweit die Beschwerde meint, das Verwaltungsgericht weiche von dem in ständiger Rechtsprechung zum Enteignungsbegriff des Vermögensgesetzes vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten "faktischen Enteignungsbegriff" ab, legt sie keinen Rechtssatz dar, den das Verwaltungsgericht in Abweichung von dem faktischen Enteignungsbegriff der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellt haben soll. Vielmehr zitiert sie verschiedene Stellen des verwaltungsgerichtlichen Urteils, in denen vermeintlich der vom Verwaltungsgericht angenommene Sachverhalt fehlerhaft subsumiert wird. Darin läge aber nur eine fehlerhafte Anwendung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und keine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO. Auf eine fehlerhafte Anwendung der Rechtsprechung kann die Zulassung der Revision nicht gestützt werden.

4

Soweit die Beschwerde aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entnehmen will, dass eine faktische Enteignung jedenfalls dann zu bejahen sei, "wenn die fragliche Fläche bereits im Rahmen der üblichen Aufteilungsverfahren nach der Bodenreform aufgeteilt, respektive aufgesiedelt wurde", kann hieraus eine Divergenz nicht hergeleitet werden. Denn nach den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts liegen zwar Anhaltspunkte dafür vor, dass die Liegenschaft zeitweilig als Bestandteil des Bodenfonds angesehen wurde, die Enteignung erfolgte aber nicht im Rahmen der Bodenreform. Eine Aufsiedlung hat offenkundig nicht stattgefunden. Deshalb hat das Verwaltungsgericht auch keinen abweichenden Rechtssatz aufgestellt.

5

Ausweislich der Urteilsgründe hat das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung auch ohne ausdrückliche entsprechende Benennung den in der Rechtsprechung entwickelten faktischen Enteignungsbegriff des Vermögensgesetzes zugrunde gelegt. Denn sein Maßstab ist, dass der bisherige Eigentümer aus seinem Eigentum vollständig und endgültig verdrängt worden ist (vgl. Urteil vom 2. August 2001 - BVerwG 7 C 26.00 - Buchholz 428 § 1 Abs. 8 VermG Nr. 18 m.w.N.).

6

Auch die Rüge der Beschwerde, das Verwaltungsgericht weiche von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ab, weil es davon ausgehe, dass, solange ein Vermögenswert lediglich unter einer Treuhandverwaltung stand, noch keine Enteignung vorgelegen habe, greift nicht durch. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass die Übernahme eines Grundstücks in staatliche oder kommunale Verwaltung noch kein Enteignungsverfahren unumkehrbar in Gang setzt. Denn der verwaltete oder beschlagnahmte Vermögenswert konnte jederzeit wieder aus der Inhaftnahme entlassen werden (vgl. Urteil vom 27. Juni 1996 - BVerwG 7 C 53.95 - BVerwGE 101, 273 <276> ). Der von der Beschwerde insoweit dem Verwaltungsgericht unterstellte abstrakte Rechtssatz "Eine Enteignung i.S.d. VermG setzt zwingend eine Überführung des Grundstücks in das Eigentum des Volkes voraus. Sie ist ausgeschlossen, solange das Grundstück sich unter einer Treuhänderschaft befindet. Eine Enteignung i.S.d. VermG wird weder durch Aufnahme eines Grundstücks in den Bodenfonds noch durch Zuteilung des Grundstücks aus dem Bodenfonds an einen Landnehmer bewirkt." (Beschwerdebegründung S. 18), ist vom Verwaltungsgericht in dieser Form nicht aufgestellt worden und beruht auf einer vom Verwaltungsgericht abweichenden Würdigung der Tatsachen durch die Beschwerde.

7

Auch die Rüge, die angefochtene Entscheidung weiche von den Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. Dezember 1996 - BVerwG 7 C 9.96 - (Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 96) und vom 27. Februar 1997 - BVerwG 7 C 42.96 - (Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 106) ab, greift nicht durch. Beide Entscheidungen stützen sich, soweit die rechtliche Problematik hier vergleichbar ist, auf den faktischen Enteignungsbegriff, von dem das Verwaltungsgericht wie dargelegt nicht abgewichen ist. Soweit die Beschwerde rügt, das Verwaltungsgericht habe den Sachverhalt nicht unter die Rechtsprechung zum faktischen Enteignungsbegriff subsumiert, sondern einen eigenen Rechtssatz angelegt, demzufolge eine Enteignung nicht vorliegt, wenn der Vermögenswert lediglich unter einer Treuhandverwaltung stand, ohne bereits in Volkseigentum übergegangen zu sein, ist ein Widerspruch zum sog. faktischen Enteignungsbegriff nicht ersichtlich. Die Beschwerdeführerin verkennt, dass das Urteil vom 2. August 2001 (a.a.O. S. 64), auf dessen Aussage zur Treuhandverwaltung sie sich bezieht, den Sonderfall einer Treuhandbewirtschaftung eines bereits enteigneten Guts behandelt, während das Verwaltungsgericht hier von der Treuhandverwaltung eines Vermögenswertes ausgegangen ist, ohne dass dieser bereits in Volkseigentum übergegangen ist (UA S. 17).

8

2.

Die Revision kann auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen werden. Die von der Beschwerde als grundsätzlich klärungsbedürftig bezeichneten Fragen, wann eine Enteignung im Sinne des Vermögensgesetzes vorliegt und ob für eine Enteignung im Sinne des Vermögensgesetzes insbesondere die Überführung des enteigneten Grundstücks in das Eigentum des Volkes erforderlich ist, sind, wie die Beschwerde selbst vorträgt, in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hinreichend geklärt. Die Frage, ob eine treuhänderische Verwaltung des Grundstücks durch staatliche Stellen die Betrachtung hindere, das Grundstück sei zuvor faktisch und endgültig im Sinne des faktischen Enteignungsbegriffs enteignet worden, ist einer generellen Klärung im Revisionsverfahren nicht zugänglich, sondern vom Einzelfall abhängig. Die Fragen, ob die Aufführung eines Grundstücks in den Bodenfonds regelmäßig einen Nachweis für eine Enteignung im Sinne des Vermögensgesetzes darstellt oder nicht und ob zumindest eine durch ein Aufteilungsprotokoll nachgewiesene Landzuteilung an einen neuen Landnehmer einen Beweis für eine Enteignung im Sinne des Vermögensgesetzes darstellt oder nicht, würden sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen, weil die tatsächlichen Voraussetzungen für diese Fragestellung nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts nicht gegeben sind.

9

3.

Auch die gerügten Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegen nicht vor. Soweit die Beschwerde meint, "unter Berücksichtigung der obigen Rechtsprechungsgrundsätze ist hier festzustellen, dass das Verwaltungsgericht sich zunächst den Verfahrensfehler der aktenwidrigen Annahme von Sachverhalt zuschreiben lassen muss", ist darauf hinzuweisen, dass die Frage, ob ein vom Verwaltungsgericht festgestellter Sachverhalt aktenwidrig ist, sich allein danach beurteilt, ob ein zweifelsfreier, also ohne weitere Beweiserhebung offensichtlicher Widerspruch zwischen den Feststellungen des Gerichts und dem Akteninhalt vorliegt (stRspr; z.B. Beschluss vom 16. März 1999 - BVerwG 9 B 73.99 - Buchholz 310 § 108 Abs. 2 VwGO Nr. 7). Die Ausführungen der Beschwerde zur vermeintlichen Aktenwidrigkeit des festgestellten Sachverhalts beschränken sich auf eine vom Verwaltungsgericht abweichende Bewertung der tatsächlichen Feststellungen mit entsprechend abweichenden rechtlichen Schlussfolgerungen.

10

Auch der gerügte Verstoß gegen Denkgesetze liegt nicht vor. Ein Tatsachengericht hat nicht schon dann gegen die Denkgesetze verstoßen, wenn es nach Meinung des Beschwerdeführers unrichtige oder fernliegende Schlüsse gezogen hat; ebenso wenig genügen objektiv nicht überzeugende oder sogar unwahrscheinliche Schlussfolgerungen; es muss sich vielmehr um einen aus Gründen der Logik schlechthin unmöglichen Schluss handeln (stRspr; vgl. Urteil vom 20. Oktober 1987 - BVerwG 9 C 147.86 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 37). Davon kann hier keine Rede sein. Die Schlussfolgerungen der Beschwerde aus der Inventurkarte vom 10. April 1951 und dem Nachtrags-Aufteilungsprotokoll vom 31. Juli 1950 stellen von denen des Verwaltungsgerichts abweichende Rechtsfolgerungen dar, die nicht erkennen lassen, dass die des Verwaltungsgerichts aus Gründen der Logik schlechthin unmöglich seien. Das Verwaltungsgericht hat aus der Inventurkarte nicht entnehmen können, dass das Grundstück vor dem 1. Januar 1951 in Volkseigentum überführt worden ist, weil die dort angegebenen J. GmbH und der Rat der Gemeinde M. lediglich als Treuhänder bezeichnet seien. Die Beschwerde vermengt insoweit wiederum abweichende rechtliche Schlussfolgerungen mit den Denkgesetzen widersprechenden Schlüssen.

11

Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 133 Abs. 5 Satz 2 VwGO abgesehen.

12

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 47, 52 GKG.

Gödel
Dr. Pagenkopf
Dr. von Heimburg

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