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Bundesverwaltungsgericht
Urt. v. 22.06.2011, Az.: BVerwG 1 C 5/10
Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis bei Stellen eines Verlängerungsantrags vor Ablauf ihrer Geltungsdauer; Erfassung der Zeiträume vor der Antragstellung bei der Ausländerbehörde von der Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4 AufenthG
Gericht: BVerwG
Entscheidungsform: Urteil
Datum: 22.06.2011
Referenz: JurionRS 2011, 21839
Aktenzeichen: BVerwG 1 C 5/10
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

VG Berlin - 12.08.2008 - AZ: 38 V 26.08

OVG Berlin-Brandenburg - 21.01.2010 - AZ: 3 B 2/09

Fundstellen:

BVerwGE 140, 64 - 72

AUAS 2011, 218-221

DÖV 2011, 863

InfAuslR 2011, 373-375

NVwZ 2011, 1340-1341

VR 2011, 359

ZAR 2011, 404-406

ZAR 2011, 30-31

BVerwG, 22.06.2011 - BVerwG 1 C 5/10

Amtlicher Leitsatz:

  1. 1.

    Die Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis kommt in aller Regel nur in Betracht, wenn der Verlängerungsantrag vor Ablauf ihrer Geltungsdauer gestellt worden ist.

  2. 2.

    Zeiträume vor der Antragstellung bei der Ausländerbehörde werden von der Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4 AufenthG nicht erfasst.

In der Verwaltungsstreitsache
hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 22. Juni 2011
durch
die Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Eckertz-Höfer,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig, Richter und Prof. Dr. Kraft sowie
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fricke
ohne mündliche Verhandlung
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 21. Januar 2010 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.

Gründe

I

1

Die Klägerin, eine vietnamesische Staatsangehörige, begehrt die Erteilung eines Visums.

2

Die Klägerin reiste im Februar 2000 in das Bundesgebiet ein; ihr Aufenthalt wurde im Anschluss an ein erfolgloses Asylverfahren geduldet. Im Juli 2000 heiratete sie einen vietnamesischen Staatsangehörigen, der kurz darauf die deutsche Staatsangehörigkeit erwarb. Daraufhin erteilte ihr die Ausländerbehörde im Juni 2001 eine befristete Aufenthaltserlaubnis, die zuletzt bis zum 6. März 2006 verlängert wurde. In den Verlängerungsbescheiden findet sich der Hinweis, die Klägerin möge an eine rechtzeitige Terminvereinbarung zur Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung denken.

3

Im Juli 2004 erklärte der Ehemann gegenüber der Ausländerbehörde, er lebe von der Klägerin seit April 2003 getrennt. Demgegenüber machte die Klägerin geltend, erst Mitte September 2004 von der Trennungsabsicht ihres Ehemannes erfahren zu haben. Die Ehe wurde auf Antrag des Ehemannes vom 29. Mai 2006 am 15. Oktober 2008 geschieden. Dem Urteil des Amtsgerichts ist zu entnehmen, dass der Ehemann gegenüber dem Familiengericht angegeben hat, jedenfalls seit September 2004 endgültig getrennt von der Klägerin zu leben.

4

Die Klägerin, die im Januar 2006 nach Vietnam gereist war, beantragte am 9. März 2006 beim Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland in Ho-Chi-Minh-Stadt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, legte die Eheschließungsurkunde vor und gab als Zweck "verheiratet" an. Mit Schreiben vom 22. August 2006 lehnte das Generalkonsulat den Antrag u.a. mit der Begründung ab, dass die der Klägerin erteilte Aufenthaltserlaubnis während des Auslandsaufenthaltes abgelaufen sei. Darüber hinaus sei ihr Lebensunterhalt im Bundesgebiet nicht gesichert.

5

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 12. August 2008 abgewiesen und ausgeführt, die Voraussetzungen einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug seien angesichts der Trennung der Eheleute und des anhängigen Scheidungsverfahrens nicht erfüllt. Eine Verlängerung der bis zum 6. März 2006 erteilten Aufenthaltserlaubnis als eigenständiges Aufenthaltsrecht komme nicht in Betracht, weil der Aufenthaltstitel drei Tage vor Stellung des Verlängerungsantrags erloschen sei.

6

Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Klägerin mit Urteil vom 21. Januar 2010 zurückgewiesen. Zwar sei das Generalkonsulat der Beklagten für die Erteilung des begehrten Aufenthaltstitels gemäß § 71 Abs. 2 AufenthG zuständig. Der Klägerin stehe aber kein Anspruch auf Verlängerung der ihr zuletzt bis zum 6. März 2006 erteilten Aufenthaltserlaubnis zu. Nachdem ihre Ehe rechtskräftig geschieden sei, komme als Rechtsgrundlage für das Begehren allein § 31 AufenthG in Betracht. Die danach mögliche Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis des Ehegatten scheide jedoch aus Rechtsgründen aus, wenn sie erst nach deren Erlöschen beantragt werde. Mangels Existenz eines Aufenthaltstitels im Zeitpunkt der Antragstellung könne schon begrifflich nicht von einer "Verlängerung" gesprochen werden. Der verspätete Antrag habe auch keine Fiktionswirkung gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG ausgelöst. Die Gegenauffassung, die bei Bestehen eines inneren Zusammenhangs zwischen dem Ablauf der Geltungsdauer und dem Zeitpunkt der Antragstellung von einer Fiktionswirkung auch eines verspäteten Antrags ausgehe, führe zu Rechtsunsicherheit. Der Gesetzgeber habe jedenfalls mit dem Richtlinienumsetzungsgesetz vom 19. August 2007 klargestellt, dass nach § 81 Abs. 4 AufenthG die Verlängerung eines Aufenthaltstitels nach Ablauf seiner Geltungsdauer nicht möglich sei. Die Obliegenheit zur rechtzeitigen Stellung eines Verlängerungsantrags sei nicht unzumutbar. Zudem sei die Klägerin in den Verlängerungsbescheiden ausdrücklich darauf hingewiesen worden, vor Ablauf der Geltungsdauer an eine rechtzeitige Terminvereinbarung zu denken. Ob in Fällen einer unverschuldeten Verhinderung etwas anderes gelte, bedürfe keiner Entscheidung, da die Klägerin keinerlei Gesichtspunkte geltend gemacht habe, die sie entlasten könnten.

7

Die Klägerin macht zur Begründung der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision geltend, das Berufungsgericht habe § 31 Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz AufenthG nicht geprüft, wonach von dem Besitz einer Aufenthaltserlaubnis abgesehen werden könne, wenn der Ausländer die Verlängerung aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen nicht rechtzeitig habe beantragen können. Die Klägerin habe den Ablauf der Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis während ihres Auslandsaufenthaltes übersehen und sich drei Tage verspätet bei der Auslandsvertretung gemeldet. Auch unter Rückgriff auf § 81 Abs. 4 AufenthG sei die kurzfristige Verspätung unbeachtlich, denn andernfalls könnten die Folgen einer Verspätung im Einzelfall unverhältnismäßig sein. Im Übrigen habe das Berufungsgericht die Voraussetzungen einer humanitären Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG mit Blick auf eine Verwurzelung der Klägerin im Bundesgebiet nicht geprüft.

8

Die Beklagte verteidigt das Berufungsurteil.

II

9

Die Revision der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 i.V.m. § 141 Satz 1 und § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO), ist unbegründet. Das Berufungsgericht hat einen Anspruch der Klägerin auf Erteilung eines Visums auf der Grundlage eines eigenständigen Aufenthaltsrechts als Ehegatte in Übereinstimmung mit Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) abgelehnt; weitere Ansprüche sind nicht Gegenstand des Verfahrens. Die Beklagte ist gemäß § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO passivlegitimiert, denn die Auslandsvertretung war für die begehrte Entscheidung sachlich zuständig (1.). Die bereits erloschene Aufenthaltserlaubnis konnte jedoch nicht gemäß § 31 AufenthG verlängert werden (2.).

10

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Begehren der Klägerin auf Erteilung eines Visums zur Verlängerung ihrer ehegattenbezogenen Aufenthaltserlaubnis als ehegattenunabhängiges Aufenthaltsrecht gemäß § 6 Abs. 4, § 8 Abs. 1 i.V.m. § 28 Abs. 3 und § 31 AufenthG. Einen Anspruch aus § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG hat die Klägerin im Revisionsverfahren nicht mehr geltend gemacht; nach der Scheidung von ihrem Ehemann fehlt dafür in der Sache auch jeglicher Anknüpfungspunkt. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG, die von der Klägerin erstmals im Revisionsverfahren angesprochen worden ist, war von ihrem ursprünglich verfolgten Klagebegehren, das einen anderen Streitgegenstand betrifft (Urteil vom 4. September 2007 - BVerwG 1 C 43.06 - BVerwGE 129, 226 Rn. 12 = Buchholz 402.242 § 31 AufenthG Nr. 2), nicht umfasst. Im Übrigen sieht § 25 Abs. 5 AufenthG die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an einen Ausländer, der sich nicht mehr im Bundesgebiet aufhält, nicht vor.

11

1.

Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Beklagte der richtige Anspruchsgegner für das Begehren der Klägerin ist (§ 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Im Ausland sind die vom Auswärtigen Amt ermächtigten Auslandsvertretungen gemäß § 71 Abs. 2 AufenthG für Pass- und Visaangelegenheiten zuständig. Diese sachliche Zuständigkeit erfasst auch das von der Klägerin beantragte Visum, mit dem sie nach Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft die Verlängerung ihrer ehegattenbezogenen Aufenthaltserlaubnis als ehegattenunabhängiges Aufenthaltsrecht erstrebt. Die Erteilung des Visums für einen längerfristigen Aufenthalt richtet sich gemäß § 6 Abs. 4 Satz 2 AufenthG u.a. nach den für die Aufenthaltserlaubnis geltenden Vorschriften; auf die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis finden dieselben Vorschriften Anwendung wie auf die Erteilung (§ 8 Abs. 1 AufenthG). Die Zuständigkeit der Auslandsvertretung entfällt nicht deshalb, weil als materiellrechtliche Grundlage für die Erteilung des Visums ein Anspruch auf Verlängerung einer im Inland erteilten Aufenthaltserlaubnis geltend gemacht wird.

12

2.

Die Klägerin hat keinen Anspruch aus § 28 Abs. 3 i.V.m. § 31 AufenthG auf Verlängerung ihrer ehegattenbezogenen Aufenthaltserlaubnis als ehegattenunabhängiges Aufenthaltsrecht.

13

Gemäß § 31 Abs. 1 AufenthG (i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008, BGBl I S. 162) wird die Aufenthaltserlaubnis des Ehegatten im Fall der Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft als eigenständiges, vom Zweck des Familiennachzugs unabhängiges Aufenthaltsrecht für ein Jahr verlängert, wenn u.a. die eheliche Lebensgemeinschaft seit mindestens zwei Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet bestanden hat. Danach kann die Aufenthaltserlaubnis verlängert werden, solange die Voraussetzungen für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG nicht vorliegen (§ 31 Abs. 4 Satz 2 AufenthG). Im vorliegenden Fall kann die Klägerin für den von ihr begehrten künftigen Aufenthalt im Bundesgebiet allenfalls ein subjektiv-öffentliches Recht auf fehlerfreie Ausübung des Verlängerungsermessens gemäß § 31 Abs. 4 Satz 2 AufenthG geltend machen. Denn der Anspruch nach Absatz 1 der Vorschrift bezieht sich auf den Aufenthalt nur in dem Jahr unmittelbar nach Ablauf der Gültigkeit der ehegattenbezogenen Aufenthaltserlaubnis (Urteile vom 29. Juli 1993 - BVerwG 1 C 25.93 - BVerwGE 94, 35 <42> = Buchholz 402.240 § 7 AuslG 1990 Nr. 1 und vom 16. Juni 2004 - BVerwG 1 C 20.03 - BVerwGE 121, 86 <89 f.> zu § 19 AuslG 1990 = Buchholz 402.240 § 19 AuslG 1990 Nr. 10; vgl. auch Urteil vom 9. Juni 2009 - BVerwG 1 C 11.08 - BVerwGE 134, 124 Rn. 19 zu § 31 AufenthG = Buchholz 402.242 § 7 AufenthG Nr. 3). Dieser Anspruch ist aber Voraussetzung für eine darauf aufbauende Verlängerung im Ermessenswege nach § 31 Abs. 4 Satz 2 AufenthG. Die der Sache nach begehrte Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis gemäß § 31 Abs. 4 Satz 2 AufenthG käme demzufolge nur in Betracht, wenn der Klägerin vom 7. März 2006 bis zum 6. März 2007 ein Verlängerungsanspruch nach Absatz 1 der Vorschrift zugestanden hätte. Das ist jedoch nicht der Fall. Die mit Ablauf ihrer Geltungsdauer am 6. März 2006 erloschene Aufenthaltserlaubnis konnte auf den verspätet gestellten Antrag hin nicht als eigenständiges Aufenthaltsrecht verlängert werden; eine Neuerteilung sieht § 31 Abs. 1 AufenthG nicht vor.

14

Das Berufungsgericht hat zutreffend entschieden, dass ein erloschener Aufenthaltstitel nicht verlängert werden kann. Denn eine Verlängerung im Sinne des § 8 Abs. 1 AufenthG ist auf die weitere lückenlose Legalisierung des Aufenthalts ohne Wechsel des Aufenthaltszwecks gerichtet (vgl. Dienelt/Röseler, in: Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl. 2011, § 8 AufenthG Rn. 3). Der Gesetzgeber unterscheidet im Aufenthaltsgesetz - wie bereits zuvor im Ausländergesetz - deutlich zwischen der Erteilung und der Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis; in einigen Fällen unterliegt - abweichend von dem Grundsatz des § 8 Abs. 1 AufenthG - die Verlängerung günstigeren Voraussetzungen als die (Neu-)Erteilung (z.B. § 30 Abs. 3, § 34 Abs. 1 und § 37 Abs. 4 AufenthG). Vor dem Hintergrund der in § 51 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG angeordneten Rechtsfolge, wonach eine Aufenthaltserlaubnis mit Ablauf ihrer Geltungsdauer erlischt, setzt die Verlängerung aber noch einen wirksamen Aufenthaltstitel und demzufolge einen grundsätzlich vor Ablauf der Aufenthaltserlaubnis gestellten Antrag voraus (Albrecht, in: Storr u.a., Zuwanderungsgesetz, 2. Aufl. 2008, § 81 AufenthG Rn. 21 m.w.N.). Der Systematik des Aufenthaltsgesetzes widerspräche es, eine bereits abgelaufene Aufenthaltserlaubnis mit Rückwirkung vor den Zeitpunkt der Antragstellung zu verlängern (Urteil vom 1. März 1983 - BVerwG 1 C 14.81 - BVerwGE 67, 47 <51> zu § 7 Abs. 2 Satz 2 AuslG 1965 = Buchholz 402.24 § 10 AuslG 1990 Nr. 93; Beschluss vom 19. August 1993 - BVerwG 1 B 49.93 - Buchholz 402.240 § 48 AuslG 1990 Nr. 2 zu § 13 AuslG 1990). Das verkennt die Revision, wenn sie sich darauf beruft, dass bei Vorliegen eines schutzwürdigen Interesses die Erteilung eines Aufenthaltstitels auch für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum beansprucht werden kann. Eine Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis für die Vergangenheit kommt nur für Zeiten nach der Antragstellung bei der Ausländerbehörde in Betracht (Urteil vom 9. Juni 2009 - BVerwG 1 C 7.08 - Buchholz 402.242 § 9a AufenthG Nr. 1 Rn. 13).

15

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 81 Abs. 4 AufenthG. Danach gilt, wenn der Ausländer die Verlängerung seines Aufenthaltstitels oder die Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels beantragt, der bisherige Aufenthaltstitel vom Zeitpunkt seines Ablaufs bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als fortbestehend. Der Auffassung, dass die sog. Fiktionswirkung in allen Fällen einer verspäteten Antragstellung (Hofmann, in: Hofmann/Hoffmann, Ausländerrecht - Handkommentar, 1. Aufl. 2008, AufenthG § 81 Rn. 29 ff.) oder zumindest dann greift, wenn noch ein innerer Zusammenhang zwischen dem Ablauf der Geltungsdauer des Titels und dem Antrag besteht (OVG Münster, Beschluss vom 23. März 2006 - 18 B 120/06 - InfAuslR 2006, 448; OVG Bautzen, Beschluss vom 30. November 2009 - 3 B 174/08 - [...] Rn. 3; VGH München, Beschluss vom 28. September 2009 - 19 CS 09.1610 - [...] Rn. 4; Dienelt, InfAuslR 2005, 136; Benassi, InfAuslR 2006, 178 <182 ff.>; Hailbronner, Ausländerrecht, A 1 § 81 AufenthG - Stand: Februar 2010 - Rn. 40: "leichte Verspätung"), folgt der Senat nicht.

16

Die Materialien zur Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift, die während des Gesetzgebungsverfahrens verändert worden ist (Gesetzentwurf der Bundesregierung BTDrucks 15/420 S. 30 und 96, Beschlussempfehlung und Bericht des Bundestagsinnenausschusses BTDrucks 15/955 S. 30, Empfehlungen der Ausschüsse des Bundesrates BRDrucks 22/1/03 S. 71, Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses BTDrucks 15/3479 S. 11), liefern dafür keinen eindeutigen Befund (so zutreffend Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, II-§ 81 - Stand: Oktober 2010 - Rn. 41 ff.). Vielmehr lässt die amtliche Begründung des Richtlinienumsetzungsgesetzes vom 19. August 2007 (BTDrucks 16/5065 S. 184 zu § 58 AufenthG) erkennen, dass auch der Gesetzgeber davon ausgeht, verspätet gestellte Verlängerungsanträge lösten keine Fiktionswirkung aus. Abgesehen davon, dass die Gegenauffassung die klare datumsmäßige Fixierung der Geltungsdauer von Aufenthaltstiteln durch wertende Kriterien wie "zeitlicher Zusammenhang" oder "leichte Verspätung" aufweicht und auf diese Weise zu einem erheblichen Verlust an Rechtssicherheit führen würde, sprechen Sinn und Zweck des § 81 Abs. 4 AufenthG gegen sie. Die Fiktionswirkung schützt den Ausländer davor, dass sich die bloße Dauer des Verwaltungsverfahrens materiell zu seinen Lasten auswirkt. Deshalb soll er durch eine verspätete Entscheidung über seinen Antrag nicht schlechter, aber auch nicht besser gestellt werden, als wenn die Behörde sofort entschieden hätte. Die Fiktion nach § 81 Abs. 4 AufenthG hat besitzstandswahrende, nicht aber rechtsbegründende Wirkung (Urteil vom 30. März 2010 - BVerwG 1 C 6.09 - BVerwGE 136, 211 Rn. 21[BVerwG 30.03.2010 - BVerwG 1 C 6.09] = Buchholz 402.242 § 26 AufenthG Nr. 5); Zeiträume vor der Antragstellung bei der Ausländerbehörde erfasst sie demzufolge nicht.

17

Der allgemeine aufenthaltsrechtliche Grundsatz, dass die Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis einen (noch) wirksamen Aufenthaltstitel und demzufolge einen vor Ablauf der Aufenthaltserlaubnis gestellten Antrag voraussetzt, gilt auch für § 31 AufenthG. Die Vorschrift eröffnet einem ausländischen Ehepartner den Übergang von einem ehegattenbezogenen akzessorischen zu einem verselbstständigten Aufenthaltsrecht. Sie bietet ihm die Möglichkeit, das zum Zweck des Ehegattennachzugs begründete Aufenthaltsrecht befristet zu verlängern, um den Aufbau einer eigenständigen Lebensführung in Deutschland zu ermöglichen, nachdem seine geschützten Erwartungen in den Bestand der Ehe enttäuscht wurden. Mit Blick auf diesen Normzweck kann eine verlängerungsfähige "Aufenthaltserlaubnis des Ehegatten" im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nur eine zum Zweck des Ehegattennachzugs erteilte Aufenthaltserlaubnis sein (Urteil vom 4. September 2007 - BVerwG 1 C 43.06 - BVerwGE 129, 226 Rn. 17 ff. = Buchholz 402.242 § 31 AufenthG Nr. 2). In der gesetzlichen Ausgestaltung der Gesamtregelung des § 31 AufenthG knüpft der Anspruchstatbestand in Absatz 1 an den Bestand der ehelichen Lebensgemeinschaft in der Vergangenheit an und leitet daraus das einjährige Aufenthaltsrecht ab. Die Vorschrift ermöglicht - wie oben bereits ausgeführt - den Aufenthalt nur in dem Jahr unmittelbar nach Ablauf der Gültigkeit der ehegattenbezogenen Aufenthaltserlaubnis. Damit geht der Gesetzgeber von einem engen zeitlichen Zusammenhang zwischen ehebezogener Aufenthaltserlaubnis und deren Verlängerung zum eigenständigen Aufenthaltsrecht aus. Dem entspricht es, dass er in § 31 AufenthG nur die Rechtsfolge der Verlängerung, nicht aber einer (Neu-)Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vorgesehen hat. Folglich gilt auch bei § 31 AufenthG, dass der Ehegatte bei Stellung des Verlängerungsantrags noch im Besitz einer gültigen Aufenthaltserlaubnis sein muss; ein Verlängerungsanspruch ist nach Erlöschen der Aufenthaltserlaubnis grundsätzlich ausgeschlossen.

18

Wenn die Revision demgegenüber auf § 31 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AufenthG verweist, verhilft ihr das nicht zum Erfolg. Nach dieser Vorschrift setzt die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis des Ehegatten u.a. voraus, dass der Ausländer während des mindestens zweijährigen Bestands der ehelichen Lebensgemeinschaft oder bis zu deren Beendigung durch seinen Tod im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis, Niederlassungserlaubnis oder Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG war, es sei denn, er konnte die Verlängerung aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen nicht rechtzeitig beantragen. Diese Regelung begünstigt nicht die Klägerin, da mit "Ausländer" der Stammberechtigte und nicht der Ehegatte gemeint ist, der die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis begehrt.

19

Der Ausschluss des Anspruchs auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis als Folge der verspäteten Antragstellung erweist sich nicht als unverhältnismäßig. Die Befristung der Aufenthaltserlaubnis (§ 7 Abs. 2 Satz 1 AufenthG) dient dem Zweck effektiver und zeitnaher Überwachung (vgl. BTDrucks 15/420 S. 71). Den Ausländer trifft die Obliegenheit, rechtzeitig tätig zu werden und der Ausländerbehörde sein Interesse an einem weiteren Aufenthalt kundzutun. § 31 Abs. 1 AufenthG sanktioniert die verfahrensrechtliche Säumnis durch einen materiellen Rechtsverlust, denn die Regelung schließt im Falle verspäteter Antragstellung eine - bei anderen aufenthaltsrechtlichen Anspruchsgrundlagen zumeist mögliche - Neuerteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus. Diese Folge ist jedenfalls dann nicht unverhältnismäßig und unzumutbar, wenn der Betreffende die verspätete Antragstellung zu vertreten hat. Ob in Fällen einer unverschuldeten Verspätung etwas anderes gilt, braucht hier nicht entschieden zu werden. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Klägerin habe "keinerlei Gesichtspunkte" in dieser Richtung geltend gemacht (UA S. 12 f.).

20

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO.

Streitwertbeschluss:

Der Wert des Streitgegenstands wird für das Revisionsverfahren auf 5 000 € festgesetzt (§ 47 Abs. 1 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG).

Eckertz-Höfer
Prof. Dr. Dörig
Richter
Prof. Dr. Kraft
Fricke

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