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Bundesverwaltungsgericht
Beschl. v. 21.01.2010, Az.: BVerwG 4 B 50.09
Mindestvoraussetzungen des bauplanungsrechtlichen Gewerbe(betriebs)begriffs i.R.d. Nutzung eines Betriebsinhaberhauses im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans (Gewerbegebiet)
Gericht: BVerwG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 21.01.2010
Referenz: JurionRS 2010, 10728
Aktenzeichen: BVerwG 4 B 50.09
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

OVG Nordrhein-Westfalen - 28.05.2009 - AZ: 10 A 949/08

Rechtsgrundlagen:

§ 2 Abs. 3 BauNVO

§ 8 Abs. 3 BauNVO

§ 61 Abs. 1 S. 2 BauO NRW

BVerwG, 21.01.2010 - BVerwG 4 B 50.09

Redaktioneller Leitsatz:

  1. 1.

    Mit der Frage, welche Mindestvoraussetzungen an den bauplanungsrechtlichen Gewerbe(betriebs)begriff im Sinne von § 2 Abs. 3, § 8 Abs. 3 BauNVO zu stellen sind, damit die Nutzung eines Betriebsinhaberhauses im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans, der das Gebiet als reines Gewerbegebiet ausweist, bauordnungs- und bauplanungsrechtlich legal ist, lässt sich die Zulassung der Grundsatzrevision nicht erreichen, weil sie nicht den erforderlichen Konkretisierungsgrad aufweist. Sie ist nicht nur präzisierungsbedürftig, sondern auch so unbestimmt-offen gestellt, dass sie nur in der Art eines Lehrbuchs beantwortet werden könnte. Das ist nicht Sinn eines Revisionsverfahrens.

  2. 2.

    Die Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang für die "Dauerhaftigkeit" eines Gewerbebetriebes eine Prognose in Bezug auf dessen Wirtschaftlichkeit zulässig und geboten ist, rechtfertigt die Durchführung eines Revisionsverfahrens nicht. Die Beantwortung dieser Frage hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls, insbesondere davon ab, in welcher Weise das in Rede stehende Gewerbe tatsächlich ausgeübt wird, und lässt sich nicht im Sinne eines allgemeinen Rechtssatzes beantworten.

  3. 3.

    Eine die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffnende Divergenz ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem (unter anderem) in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen entscheidungstragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat.

  4. 4.

    Die fehlerhafte Anwendung eines rechtlichen Grundsatzes begründet nicht die Zulassung der Divergenzrevision, weil in einem solchen Fall kein der höchstrichterlichen Rechtsprechung widersprechender Rechtssatz aufgestellt worden ist.

  5. 5.

    Ist die vorinstanzliche Entscheidung auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, so kann die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Revisionszulassungsgrund aufgezeigt wird und vorliegt.

In der Verwaltungsstreitsache
...
hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 21. Januar 2010
durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Petz
beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 28. Mai 2009 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 000 EUR festgesetzt.

Gründe

1

Die auf sämtliche Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision bleibt ohne Erfolg.

2

1.

Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), die ihr die Beschwerde beimisst.

3

a)

Für rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig hält die Beschwerde die Frage,

welche Mindestvoraussetzungen an den bauplanungsrechtlichen Gewerbe(betriebs)begriff im Sinne von § 2 Abs. 3, § 8 Abs. 3 BauNVO zu stellen sind, damit die Nutzung eines Betriebsinhaberhauses im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans, der das Gebiet als reines Gewerbegebiet ausweist, bauordnungs- und bauplanungsrechtlich legal ist.

4

Mit dieser Frage lässt sich die Zulassung der Grundsatzrevision nicht erreichen, weil sie nicht den erforderlichen Konkretisierungsgrad aufweist. Sie ist nicht nur präzisierungsbedürftig, sondern auch so unbestimmt-offen gestellt, dass sie der Senat nur in der Art eines Lehrbuchs beantworten könnte. Das ist nicht Sinn eines Revisionsverfahrens.

5

b)

Rechtsgrundsätzlich klären lassen möchte die Beschwerde ferner die Frage,

inwieweit die bloße Behauptung des "Betriebsinhabers", es werde ein Gewerbe ausgeübt, für die Zulässigkeit der Wohnnutzung in einem festgesetzten Gewerbegebiet genügt.

6

Diese Frage würde sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Sie ist nach dem vom Oberverwaltungsgericht festgestellten Sachverhalt nicht entscheidungserheblich. Das Oberverwaltungsgericht hat seine Annahme, der Betrieb der Beigeladenen zu 1 erfülle im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (wieder) den in § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO tatbestandlich vorausgesetzten Begriff eines Gewerbebetriebes, auf die Feststellung gestützt, dass die Beigeladene zu 1 gegenwärtig im Wesentlichen ein von ihr neu entwickeltes Wohnwagenmodell produziere und vertreibe. Die erforderliche Gewinnerzielungsabsicht hat es (unter anderem) aus den Umsatzzahlen der letzten Jahre sowie der für das laufende Jahr (2009) überreichten Bescheinigung des Steuerberaters der Beigeladenen zu 1 abgeleitet. Auf eine - von der Beschwerde unterstellte - bloße Behauptung der Beigeladenen zu 1 hat es also gerade nicht abgehoben, sondern vielmehr umgekehrt die Behauptung der Klägerin, die Beigeladenen übten kein Gewerbe aus, sondern spielten einen Geschäftsbetrieb nur vor, angesichts der tatsächlichen Verhältnisse und der vorgelegten Unterlagen für abwegig gehalten (UA S. 14 f.).

7

c)

Auch die von der Beschwerde weiter aufgeworfene Frage,

ob und gegebenenfalls in welchem Umfang für die "Dauerhaftigkeit" eines Gewerbebetriebes eine Prognose in Bezug auf dessen Wirtschaftlichkeit zulässig und geboten ist,

rechtfertigt die Durchführung eines Revisionsverfahrens nicht. Die Beantwortung dieser Frage hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls, insbesondere davon ab, in welcher Weise das in Rede stehende Gewerbe tatsächlich ausgeübt wird, und lässt sich nicht im Sinne eines allgemeinen Rechtssatzes beantworten. Aber selbst wenn man zugunsten der Beschwerde unterstellt, sie wolle - worauf die weiteren Ausführungen in der Beschwerdebegründung hindeuten - rechtsgrundsätzlich klären lassen, ob eine drohende Insolvenz der erforderlichen Prognose der Dauerhaftigkeit eines Gewerbebetriebes entgegensteht, führt dies mangels Entscheidungserheblichkeit nicht zur Zulassung der Revision, weil das Oberverwaltungsgericht mit bindender Wirkung (§ 137 Abs. 2 VwGO) festgestellt hat, dass die Vermutungen und Behauptungen der Klägerin - auch was die Frage betreffe, ob die Beigeladene zu 1 insolvenzreif sein könnte - eines nachprüfbaren Tatsachenkerns entbehrten und sich als nicht belastbar erwiesen hätten (UA S. 16 f.).

8

d)

Schließlich hängt auch die Frage,

ob der Betriebsschwerpunkt, und damit der Gewerbebetrieb als solcher, als Kern der gewerblichen Tätigkeit nicht (zwangsläufig) in dem Ort liegt, wo sich die Produktion befindet und die Reparaturen durchgeführt werden,

von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Auch sie lässt sich nicht im Sinne eines allgemeinen Rechtssatzes beantworten.

9

2.

Die Divergenzrügen (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) greifen ebenfalls nicht durch.

10

Eine die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffnende Divergenz ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem (unter anderem) in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen entscheidungstragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - NJW 1997, 3328; stRspr). Diesen Darlegungsanforderungen genügen die Divergenzrügen der Klägerin nicht.

11

a)

Sie macht geltend, das Oberverwaltungsgericht habe seiner Entscheidung einen unvollständigen Gewerbebegriff zugrunde gelegt, indem es angenommen habe, ein Gewerbe im Sinne des § 8 BauNVO sei jede selbständige, auf Dauer und Gewinnerzielung angelegte Tätigkeit (UA S. 14), wohingegen das Bundesverwaltungsgericht in ständiger Rechtsprechung nur dann vom Vorliegen eines Gewerbes ausgehe, wenn die Tätigkeit nicht der bloßen Verwaltung des eigenen Vermögens zuzurechnen sei. Den betreffenden Ausführungen im Berufungsurteil stellt die Beschwerde Entscheidungen des 1. Senats des Bundesverwaltungsgerichts gegenüber (Urteile vom 24. Juni 1974 - BVerwG 1 C 56.74 - Buchholz 451.20 § 14 GewO Nr. 2 und vom 1. Juli 1987 - BVerwG 1 C 25.85 - BVerwGE 78, 6; Beschluss vom 16. Februar 1995 - BVerwG 1 B 205.93 - Buchholz 360 § 13 GKG Nr. 84), die allesamt gewerberechtliche Vorschriften zum Gegenstand hatten und nicht § 8 BauNVO. Abgesehen von diesem Darlegungsmangel liegt eine die Zulassung der Revision rechtfertigende Divergenz auch in der Sache nicht vor. Eine den Gewerbebegriff ausschließende Verwaltung eigenen Vermögens nimmt die Beschwerde an für den Fall, dass "nur die in die Insolvenzmasse der aufgelösten Vorgesellschaft fallenden Wohnwagen und Ersatzteile für den Insolvenzverwalter abverkauft werden". Hiervon ist das Oberverwaltungsgericht aber nicht ausgegangen. Es hat - wie dargelegt - vielmehr festgestellt, dass die Beigeladene zu 1 gegenwärtig im Wesentlichen ein von ihr neu entwickeltes Wohnwagenmodell produziere und vertreibe.

12

b)

Den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO ist auch nicht Genüge getan, soweit die Beschwerde geltend macht, das Berufungsgericht sei in rechtsfehlerhafter Weise von einer Gleichstellung der Begriffe des Gewerbes und des Gewerbebetriebes ausgegangen, weshalb es weder das Vorhandensein einer Betriebsanlage noch von Betriebsmitteln geprüft habe. Die fehlerhafte Anwendung eines rechtlichen Grundsatzes begründet nicht die Zulassung der Divergenzrevision, weil in einem solchen Fall kein der höchstrichterlichen Rechtsprechung widersprechender Rechtssatz aufgestellt worden ist (Beschluss vom 25. Februar 1997 - BVerwG 11 B 5.97 - <[...]>).

13

3.

Zum Erfolg führen auch die geltend gemachten Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) nicht.

14

a)

Die Klägerin macht eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) geltend, weil das Oberverwaltungsgericht im Termin zur mündlichen Verhandlung ihre Anträge auf Gewährung einer Schriftsatzfrist und auf Vertagung zurückgewiesen habe, obwohl der Bevollmächtigte der Beigeladenen im Termin einen Schriftsatz nebst einem ca. 50-seitigen Anlagenkonvolut übergeben habe und kurz vor dem Termin einen weiteren Schriftsatz übersandt habe. Die Beschwerde räumt aber selbst ein, dass das Oberverwaltungsgericht beides, Schriftsatzfrist wie Vertagung, abgelehnt habe, weil die übergebenen Unterlagen nach seiner Überzeugung nicht entscheidungserheblich gewesen seien. Ein Gehörsverstoß ist damit schon nicht schlüssig vorgetragen.

15

b)

Unbehelflich ist schließlich auch der geltend gemachte Gehörsverstoß wegen einer angeblich unberechtigten Zurückweisung der im Termin zur mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträge zu 1 und 2. Relevanz misst die Beschwerde diesen Beweisanträgen ausdrücklich nur für eine negative Prognose im Rahmen der Ermessensausübung zu. Das Oberverwaltungsgericht hat die Klageabweisung in doppelter Weise begründet. Zum einen und in erster Linie hat es die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 61 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW verneint, weil die von der Beigeladenen zu 1 ausgeübte Wohnnutzung materiell legal sei (UA S. 13 ff.). "Abgesehen davon" hat es einen Anspruch der Klägerin auf bauaufsichtliches Einschreiten auch deshalb verneint, weil der Beklagte auch im Falle der Illegalität der Wohnnutzung wegen der Besonderheiten des Einzelfalls im Rahmen der Ermessensentscheidung nicht zum Einschreiten verpflichtet sei (UA S. 20 ff). Ist die vorinstanzliche Entscheidung auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, so kann die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Revisionszulassungsgrund aufgezeigt wird und vorliegt (vgl. Beschluss vom 9. Dezember 1994 - BVerwG 11 PKH 28.94 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 4; stRspr). Hinsichtlich des ersten Begründungselements liegt ein Revisionszulassungsgrund - wie dargelegt - nicht vor. Die das zweite Begründungselement betreffenden Gehörsrügen können deshalb hinweggedacht werden, ohne dass sich der Ausgang des Verfahrens ändert.

16

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung stützt sich auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.

Prof. Dr. Rubel
Dr. Philipp
Petz

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