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Bundesverwaltungsgericht
Urt. v. 12.05.2011, Az.: BVerwG 5 C 17.10
Anderer Erlöschensgrund im Sinne des § 3 Abs. 4 S. 2 EntschG ist auch das Erlöschen der Verbindlichkeit durch erbfolgebedingte Konfusion; Erlöschen der Verbindlichkeit durch erbfolgebedingte Konfusion als anderer Erlöschensgrund im Sinne des § 3 Abs. 4 S. 2 EntschG
Gericht: BVerwG
Entscheidungsform: Urteil
Datum: 12.05.2011
Referenz: JurionRS 2011, 19505
Aktenzeichen: BVerwG 5 C 17.10
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

VG Leipzig - 24.02.2010 - AZ: VG 1 K 604/09

Rechtsgrundlagen:

§ 1 Abs. 1 AusglLeistG

§ 1 Abs. 2 AusglLeistG

§ 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EntschG

§ 3 Abs. 4 S. 2 EntschG

Fundstellen:

DÖV 2011, 784

DVBl 2011, 1112

BVerwG, 12.05.2011 - BVerwG 5 C 17.10

Amtlicher Leitsatz:

Ein anderer Erlöschensgrund im Sinne des § 3 Abs. 4 Satz 2 EntschG ist auch das Erlöschen der Verbindlichkeit durch erbfolgebedingte Konfusion.

In der Verwaltungsstreitsache
...
hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 12. Mai 2011
durch
den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Hund,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Stengelhofen und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Störmer, Dr. Häußler
und Dr. Fleuß
ohne mündliche Verhandlung
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 24. Februar 2010 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Gründe

I

1

Die Parteien streiten um den Abzug eines nachträglich durch Erbfolge erloschenen Ehegattendarlehens bei der Berechnung der Höhe eines Ausgleichsleistungsanspruchs.

2

Der Kläger ist einer von drei Erbeserben des Gutsbesitzers B., dem ein etwa 232 ha umfassendes Rittergut gehörte. Der Einheitswert des vorwiegend landwirtschaftlich geprägten Betriebes wurde zum 1. Januar 1940 mit 305 700 RM festgestellt. Das Gut wurde im Zuge der Umsetzung der Verordnung vom 10. September 1945 über die landwirtschaftliche Bodenreform im Jahr 1946 enteignet und in das Eigentum des Landes Sachsen überführt. Ausweislich des Jahresabschlusses für das Wirtschaftsjahr 1944/1945 lastete auf dem Rittergut u.a. eine Schuld zugunsten der Ehefrau des Gutsbesitzers in Höhe von 47 768,25 RM.

3

Der Gutsbesitzer wurde von seiner Ehefrau zu einem Viertel und seiner Tochter zu drei Vierteln beerbt. Alleinerbin der Ehefrau war die Tochter, die wiederum vom Kläger und seinen beiden Geschwistern jeweils zu einem Drittel beerbt wurde.

4

Mit Bescheid vom 18. Januar 2007 erkannte das Sächsische Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen die Ausgleichsberechtigung des Klägers und seiner Geschwister an und setzte die gekürzte Bemessungsgrundlage für das Gut auf 135 450,79 DM (= 69 254,89 €) fest. Dabei ging es vom dreifachen Einheitswert des Anwesens aus, von dem es sämtliche Verbindlichkeiten einschließlich der Ehegattenschuld abzog.

5

Auf die dagegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht den Beklagten verpflichtet, die gekürzte Bemessungsgrundlage für das Rittergut auf 142 616,02 DM (= 72 918,41 €) festzusetzen. Zwar seien nach § 3 Abs. 4 Satz 1 EntschG grundsätzlich alle langfristigen Verbindlichkeiten in Abzug zu bringen. Dies gelte aber nach § 3 Abs. 4 Satz 2 EntschG nur vorbehaltlich des Nachweises von Tilgungsleistungen oder anderer Erlöschungsgründe seitens des Berechtigten. Erlösche eine langfristige Verbindlichkeit - wie hier - nachträglich durch die Vereinigung von Schuldner und Gläubiger in einer Person, sei dies aus verfassungsrechtlichen Gründen ebenfalls beachtlich. Denn das Erlöschen beruhe nicht auf reinem Zeitablauf, sondern auf der Erbfolge, mithin auf dem Willen des Erblassers.

6

Mit der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Revision rügt der Beklagte eine Verletzung des § 3 Abs. 4 Satz 1 und 2 EntschG. Das Verwaltungsgericht habe die nach der Schädigung eingetretene Vereinigung von Forderungsinhaber und Ausgleichsleistungsberechtigten zu Unrecht als einen anderen Erlöschungsgrund im Sinne des § 3 Abs. 4 Satz 2 EntschG angesehen.

7

Der Kläger verteidigt das angegriffene Urteil.

II

8

Die zulässige Revision, über die mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann (§ 141 Satz 1, § 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO), ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten ohne Verstoß gegen die bundesrechtliche Vorschrift des § 3 Abs. 4 EntschG dazu verpflichtet, bei der Bestimmung der Höhe der Ausgleichsleistung für das landwirtschaftliche Gut die zum Zeitpunkt der Enteignung bestehende, später aber durch Erbfolge erloschene Ehegattenverbindlichkeit unberücksichtigt zu lassen.

9

1.

Der Kläger kann als anteiliger Erbeserbe einen Anspruch auf Ausgleichsleistung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AusglLeistG für die Erbengemeinschaft geltend machen (§ 2039 Satz 1 BGB), weil sein Großvater das Rittergut auf besatzungshoheitlicher Grundlage im Zuge der Bodenreform im Jahr 1946 durch entschädigungslose Enteignung verloren hat. Die Höhe der Ausgleichsleistung richtet sich gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 AusglLeistG nach den §§ 1 bis 8 EntschG. Nach den für das Revisionsgericht gemäß § 137 Abs. 2 VwGO bindenden tatrichterlichen Feststellungen lag entsprechend den damaligen Grundbucheintragungen ein landwirtschaftlich geprägter Betrieb vor, so dass der Beklagte bei der Berechnung der Bemessungsgrundlage zutreffend nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EntschG den dreifachen Einheitswert in Höhe von 917 100 RM angesetzt hat.

10

2.

Von diesem Betrag sind nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 3 Abs. 4 Satz 1 EntschG langfristige Verbindlichkeiten, die im Zeitpunkt der Schädigung mit Vermögen im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 EntschG in wirtschaftlichem Zusammenhang standen oder an solchem Vermögen dinglich gesichert waren, in Höhe ihres zu diesem Zeitpunkt valutierenden Betrages abzuziehen. Diese im Kern bereits im Regierungsentwurf zum Entschädigungs- und Ausgleichleistungsgesetz (BTDrucks 12/4887 S. 8) enthaltene Regelung wurde damit begründet, "dass nur der Nettowert eines Vermögensgegenstandes die Höhe der Entschädigung bestimmen" könne (BTDrucks 12/4887 S. 33). Denn wirtschaftlich betrachtet waren die Enteignungsbetroffenen nur in diesem Umfang entreichert. Daher hat der Beklagte nach der Grundregel des § 3 Abs. 4 Satz 1 EntschG verschiedene hier nicht im Streit stehende Betriebsdarlehen in Höhe von 312 993,18 RM von der Bemessungsgrundlage abgezogen. Auch bei der umstrittenen Forderung der Ehefrau des Gutsbesitzers in Höhe von 47 768,25 RM handelte es sich nach den bindenden tatrichterlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts nicht um eine stille Einlage, sondern um eine betriebsbezogene Verbindlichkeit, die - wie das Bundesverwaltungsgericht bereits zu § 12 des Gesetzes über die Feststellung von Vertreibungsschäden und Kriegssachschäden (Feststellungsgesetz - FG) entschieden hat (vgl. Urteil vom 6. Juli 1967 - BVerwG 3 C 28.65 - Buchholz 427.2 § 12 FG Nr. 36 S. 94 f.) - auch als langfristige Verbindlichkeit angesehen werden konnte.

11

3.

Dem grundsätzlich vorgesehenen Abzug der Ehegattenschuld steht allerdings im vorliegenden Fall § 3 Abs. 4 Satz 2 EntschG entgegen. Nach dieser Vorschrift gilt als valutierender Betrag der Nennwert des früheren Rechts vorbehaltlich des Nachweises von Tilgungsleistungen oder anderer Erlöschungsgründe seitens des Berechtigten. Die Norm verändert nicht nur die Beweislast in Bezug auf den noch offenen "valutierenden" Betrag und dient damit der Verwaltungsvereinfachung (vgl. Beschluss vom 22. Juni 2006 - BVerwG 5 B 62.06 - [...] Rn. 3 f.; BTDrucks 12/7588 S. 7). § 3 Abs. 4 Satz 2 EntschG ist darüber hinaus als Ausnahmeregelung zu § 3 Abs. 4 Satz 1 EntschG zu verstehen, die den Nachweis von "Tilgungsleistungen oder anderer Erlöschensgründe seitens des Berechtigten" auch in dem Zeitraum nach der Schädigung (Enteignung) bis zur Entscheidung über die Anrechnung zulässt.

12

Der Wortlaut des § 3 Abs. 4 EntschG schließt - wie das Bundesverfassungsgericht (Urteil vom 22. November 2000 - 1 BvR 2307/94 u.a. - BVerfGE 102, 254 <327>) ausgeführt hat - eine solche Auslegung nicht aus. Satz 1 der Vorschrift knüpft zwar für den ursprünglichen Bestand, die dingliche Sicherung und die ursprüngliche Höhe der jeweiligen Altverbindlichkeit an den Zeitpunkt der Schädigung an. Satz 2 lässt aber den Nachweis von Tilgungsleistungen und anderen Erlöschensgründen zu, ohne für diese einen bestimmten Zeitpunkt oder eine zeitliche Grenze zu bestimmen.

13

Ein solches Verständnis ist auch im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Gebot der Gleichbehandlung der Wiedergutmachungsberechtigten geboten. Denn der in § 3 Abs. 4 Satz 1 EntschG vorgesehene Abzug der Verbindlichkeiten geht von der Überlegung aus, dass der Geschädigte mit der Enteignung des Vermögenswertes in der Regel auch von den damit verbundenen Belastungen und Verbindlichkeiten frei geworden ist. Ist dies ausnahmsweise nicht der Fall, kann es zu der vom Bundesverfassungsgericht (a.a.O.) beanstandeten doppelten Benachteiligung kommen, dass der Geschädigte zum einen mit der Verbindlichkeit weiter belastet bleibt und zum anderen wegen der Anrechnung der Verbindlichkeit auf die Bemessungsgrundlage eine geringere Entschädigung oder Ausgleichsleistung erhält. Eine solche Doppelbelastung würde nicht nur - wie den tragenden Gründen der genannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu entnehmen ist - das in Art. 3 Abs. 1 GG verankerte Gebot der Gleichbehandlung verletzen, sondern wäre auch mit dem in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Gebot der materiellen Gerechtigkeit unvereinbar (vgl. Urteil vom 31. Juli 1973 - BVerwG 3 C 151.69 - BVerwGE 44, 23 [BVerwG 31.07.1973 - BVerwG III C 151.69] <26> zu § 8 BFG). Deshalb sind bei verfassungskonformer Auslegung des § 3 Abs. 4 Satz 2 EntschG Tilgungsleistungen oder andere Erlöschensgründe auch dann beachtlich, wenn sie nach der Schädigung bis zum Zeitpunkt der Anrechnung erbracht worden oder eingetreten sind (BVerfG, Urteil vom 22. November 2000 a.a.O. S. 327).

14

Der Wortlaut des § 3 Abs. 4 Satz 2 EntschG und das verfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgebot verlangen allerdings nur die Berücksichtigung nachträglicher Tilgungsleistungen und Erlöschensgründe, die ihre Ursache in der Rechtssphäre des Wiedergutmachungsberechtigten haben. In dem ebenfalls denkbaren Fall, dass eine Schuld ohne Zutun des Betroffenen nachträglich erlischt, verlangt das Gleichbehandlungsgebot mangels Doppelbelastung keine unterschiedliche Behandlung bei der Entschädigung.

15

Dies bedeutet allerdings nicht, dass im Ergebnis nur nachträgliche Tilgungsleistungen des Wiedergutmachungsberechtigten Berücksichtigung finden. Denn § 3 Abs. 4 Satz 2 EntschG stellt "Tilgungsleistungen oder andere Erlöschensgründe seitens des Berechtigten" gleichwertig nebeneinander. Auch andere nachträglich eintretende Erlöschensgründe sind danach zu beachten, wenn sie ihre Ursache in der Rechtssphäre des Berechtigten haben und dort ein Vermögensverlust festzustellen ist. Denn auch in diesem Fall liegt eine gegen das Gebot der materiellen Gerechtigkeit und auf Art. 3 Abs. 1 GG verstoßende ungleiche Doppelbelastung vor. Erlässt beispielsweise eine dem Entschädigungs- oder Ausgleichsleistungsberechtigten nahestehende Person die Verbindlichkeit, geschieht dies regelmäßig mit Zuwendungsabsicht gegenüber dem Berechtigten, so dass dies einer Tilgungsleistung durch den Berechtigten gleichstehen muss.

16

Auch der hier vorliegende Fall eines Erlöschens der Verbindlichkeit durch erbfolgebedingte Konfusion gründet in der Sphäre des Berechtigten. Wirtschaftlich betrachtet tritt mit der Annahme der Erbschaft bei dem nun wiedergutmachungsberechtigten Erben ein Verlust der Forderung ein. Dieser ist unabhängig davon, ob die Konfusion aktiv durch testamentarische Erbfolgeregelung herbeigeführt oder passiv durch Eintritt der gesetzlichen Erbfolge hingenommen wurde. Denn die Vermögenseinbuße beruht auf der Annahme der Erbschaft. Soweit der Erbe mit der Annahme der Erbschaft auf eine eigene betriebsbezogene Forderung verzichtet, ist dies wirtschaftlich betrachtet ebenso ein Vermögensopfer, wie wenn er nach Antritt des Erbes eine betriebsbezogene Verbindlichkeit eines Dritten tilgt. Dieser Vermögensverlust bewirkt eine andere Entschädigungsberechtigte nicht anzutreffende Doppelbelastung, die im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG einen Abzug der Schuld hindert.

17

Diese Auslegung führt auch nicht - wie der Beklagte meint - zu einer im Ausgleichsleistungsgesetz nicht vorgesehenen Entschädigung mittelbar Betroffener. Entschädigt wird der Kläger hier nicht mittelbar als Erbe der Darlehensforderung, sondern unmittelbar als Erbe des (durch das Erlöschen der als solche nicht entschädigungsfähigen Darlehensforderung) wieder unbelasteten Ritterguts.

18

4.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Streitwertbeschluss:

Der Streitwert wird entsprechend dem wirtschaftlichen Interesse des Beklagten als Rechtsmittelführer auf 3 663,57 € festgesetzt (§ 47 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG).

Hund
Stengelhofen
Dr. Störmer
Dr. Häußler
Dr. Fleuß

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