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Bundesverwaltungsgericht
Beschl. v. 07.07.2016, Az.: BVerwG 2 B 1.16
Rügeobliegenheit eines Beamten bei Mängeln des behördlichen Disziplinarverfahrens i.R.d. Zulassung der Revision; Beförderungssperre wegen Dienstvergehens (hier: sexistische Äußerungen)
Gericht: BVerwG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 07.07.2016
Referenz: JurionRS 2016, 21836
Aktenzeichen: BVerwG 2 B 1.16
ECLI: ECLI:DE:BVerwG:2016:070716B2B1.16.0

Verfahrensgang:

vorgehend:

VG Kassel - 02.10.2013 - AZ: 28 K 1299/10.KS.D

VGH Hessen - 20.10.2015 - AZ: 28 A 178/14.D

Rechtsgrundlagen:

§ 55 Abs. 1 BDG

§ 132 Abs. 2 Nr. 1, 3 VwGO

§ 27 Abs. 4 S. 2 HDG

§ 60 Abs. 1 HDG

§ 60 Abs. 2 HDG

§ 60 Abs. 3 HDG

Fundstellen:

IÖD 2016, 225-228

JZ 2016, 569

NJW 2016, 10

NVwZ-RR 2016, 5

NVwZ-RR 2016, 788-789

VR 2017, 34

VRÜ 2017, 34

BVerwG, 07.07.2016 - BVerwG 2 B 1.16

Amtlicher Leitsatz:

Eine Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO scheidet aus, wenn der Beamte im gerichtlichen Disziplinarverfahren den nunmehr in Gestalt der Grundsatzrüge beanstandeten Mangel des behördlichen Disziplinarverfahrens nicht entsprechend der ordnungsgemäßen Belehrung des Gerichts geltend gemacht hat (hier: gemäß § 60 Abs. 1 HDG, entspricht § 55 Abs. 1 BDG).

In der Verwaltungsstreitsache
hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 7. Juli 2016
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hartung und Dollinger
beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 20. Oktober 2015 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1

Die auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 73 HDG und § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde des Beklagten ist unbegründet.

2

1. Der 1961 geborene Beklagte steht als Polizeioberkommissar im Dienst des Klägers. Der Beklagte ist disziplinarisch vorbelastet. Im November 2008 wurden seine Dienstbezüge für die Dauer von 18 Monaten um 15 v.H. gekürzt. Zum einen hatte der Beklagte bei einer Bußgeldstelle telefonisch und sodann schriftlich unter Verwendung des Briefkopfs des Polizeipräsidiums erreicht, dass ein Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen einen Bekannten eingestellt wurde. Dabei hatte er gegenüber dem Mitarbeiter der Bußgeldstelle wahrheitswidrig behauptet, die betreffende Ordnungswidrigkeit bereits geahndet zu haben. Zudem hatte er zuvor vergeblich versucht, eine Kollegin zur Rücknahme der betreffenden Anzeige zu bewegen. Zum anderen war der Beklagte Ende Februar 2007 nach einer Brauereibesichtigung unter Alkoholeinfluss in eine Schlägerei verwickelt, die einen Polizeieinsatz erforderlich gemacht hatte.

3

Gegenstand des streitgegenständlichen Disziplinarverfahrens ist der Vorwurf, eine Verwaltungsangestellte der Polizei über einen längeren Zeitraum hinweg mit sexistischen Äußerungen verbal und körperlich belästigt sowie gegenüber einer Auszubildenden und einer sechzehnjährigen Schülerpraktikantin ebenfalls Bemerkungen sexistischen Inhalts gemacht zu haben. Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten in das Amt eines Polizeikommissars zurückgestuft. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung des Beklagten mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beförderungssperre auf zwei Jahre verkürzt wird. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt:

4

Der Beklagte habe durch sein innerdienstlich begangenes Dienstvergehen seine Dienstpflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten vorsätzlich und schuldhaft verletzt. Bei Abwägung der mildernden und erschwerenden Gesichtspunkte unter Berücksichtigung des Persönlichkeitsbildes des Beklagten sei die Zurückstufung in das Amt eines Polizeikommissars die tat- und schuldangemessene Disziplinarmaßnahme. Das Dienstvergehen könne mit einer erneuten Kürzung der Bezüge nicht mehr angemessen geahndet werden. Im Hinblick auf die Dauer des Disziplinarverfahrens, das bereits vor sechseinhalb Jahren eingeleitet worden sei, sei die Beförderungssperre nach § 12 Abs. 3 Satz 2 HDG auf zwei Jahre zu verkürzen.

5

2. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 73 HDG und § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), die ihr die Beschwerde des Beklagten beimisst.

6

Grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine - vom Beschwerdeführer zu bezeichnende - grundsätzliche, bisher höchstrichterlich nicht beantwortete Rechtsfrage aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder einer Weiterentwicklung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf und die für die Entscheidung des Revisionsgerichts erheblich sein wird (stRspr, BVerwG, Beschluss vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91 f.>). Das ist hier nicht der Fall.

7

Die in der Beschwerde aufgeworfene Frage,

"ob es notwendig ist, dass ein Ermittlungsführer im Rahmen eines förmlichen Disziplinarverfahrens bei der Annahme eines 'wichtigen Grundes' i.S.v. § 27 Abs. 4 HDG vor einer Entscheidung allen am Verfahren beteiligten Personen, somit auch Zeugen, rechtliches Gehör gewähren muss."

vermag die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nicht zu rechtfertigen, weil der Beklagte das für die Geltendmachung von Mängeln des behördlichen Disziplinarverfahrens im Hessischen Disziplinargesetz vorgeschriebene Verfahren, das bei einem Fehler des Berufungsgerichts zu einem Verfahrensmangel i.S.v. § 73 HDG und § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO führen kann, nicht beachtet hat.

8

Das Vorbringen, der mit der Durchführung der Ermittlungen beauftragte Bedienstete (§ 24 Abs. 3 HDG) müsse vor einer Entscheidung über den Ausschluss des betroffenen Beamten von der Teilnahme an der Vernehmung von Zeuginnen und Zeugen dem Beamten und auch den Zeuginnen und Zeugen nach § 27 Abs. 4 HDG rechtliches Gehör gewähren, und die Rüge, der Ermittlungsführer habe hier vor seiner Entscheidung über den Ausschluss des Beklagten vor der Vernehmung der Zeuginnen sowohl den Beklagten als auch die Zeuginnen nicht angehört, betreffen den Ablauf des behördlichen Disziplinarverfahrens.

9

Fehler des behördlichen Disziplinarverfahrens sind für das gerichtliche Verfahren nur insoweit von Belang, als das Gericht die Vorschrift des § 60 HDG zu beachten hat. Das Hessische Disziplinargesetz sieht zur Klärung von Fragen, die etwaige Mängel des behördlichen Disziplinarverfahrens betreffen, eine Rügeobliegenheit des betroffenen Beamten und ein gesondertes Verfahren vor, das - wird der Mangel nicht behoben - zu Gunsten des Beamten in Gestalt eines rechtskräftigen Beschlusses über die Einstellung des Disziplinarverfahrens nach § 60 Abs. 3 Satz 3 HDG sogar die Durchführung eines weiteren Disziplinarverfahrens wegen des zugrunde liegenden Dienstvergehens ausschließt. Dieses Verfahren hat der Beklagte wegen des nunmehr der Sache nach gerügten Mangels des behördlichen Disziplinarverfahrens aber nicht eingehalten. Beschreitet der Beamte im Hinblick auf - tatsächliche oder vermeintliche - Mängel des behördlichen Verfahrens nicht den ihm durch seine Rügeobliegenheit vorgegebenen Weg, der bei einer fehlerhaften Handhabung des § 60 HDG durch das Berufungsgericht (§ 70 Abs. 1 und 2 HDG) die Möglichkeit der Verfahrensrüge nach § 73 HDG und § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO eröffnet (BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2010 - 2 C 15.09 - BVerwGE 137, 192 Rn. 18 f.; Beschlüsse vom 26. Februar 2008 - 2 B 122.07 - Buchholz 235.1 § 55 BDG Nr. 2 Rn. 3 und vom 23. September 2013 - 2 B 51.13 - Rn. 5), kann im Hinblick auf einen vermeintlichen Mangel des behördlichen Disziplinarverfahrens nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache erreicht werden.

10

Nach § 60 Abs. 1 HDG hat der Beamte bei einer Disziplinarklage wesentliche Mängel des behördlichen Disziplinarverfahrens innerhalb zweier Monate nach Zustellung der Klage geltend zu machen. Damit hat der Gesetzgeber dem Beamten in Bezug auf solche Mängel eine Rügeobliegenheit auferlegt (Gansen, Disziplinarrecht in Bund und Ländern, § 55 BDG Rn. 9; Weiss, in: GKÖD, § 55 BDG Rn. 19), deren Verletzung nach § 60 Abs. 2 HDG die Nichtberücksichtigung nicht oder nicht rechtzeitig vorgebrachter Mängelrügen zur Folge hat. Ein Mangel des behördlichen Disziplinarverfahrens ist wesentlich i.S.d. § 60 HDG, wenn sich nicht mit hinreichender Sicherheit ausschließen lässt, dass er sich auf das Ergebnis des gerichtlichen Disziplinarverfahrens ausgewirkt haben kann. Hingegen kommt es für die Frage der Wesentlichkeit eines Mangels weder darauf an, ob er behebbar ist noch darauf, ob und ggf. wie intensiv schutzwürdige - insbesondere grundrechtsbewehrte - Rechtspositionen Betroffener durch den Mangel berührt worden sind. Maßgeblich ist wegen der Funktion des Disziplinarverfahrensrechts, bei der Prüfung und ggf. Ahndung von Dienstvergehen gesetzmäßige Ergebnisse zu erzielen, vielmehr die Ergebnisrelevanz (BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2010 - 2 C 15.09 - BVerwGE 137, 192 Rn. 19 zur inhaltsgleichen Vorschrift des § 55 BDG). Das Gericht kann dem Dienstherrn nach § 60 Abs. 3 HDG zur Beseitigung eines wesentlichen Mangels, den der Beamte rechtzeitig geltend gemacht hat oder dessen Berücksichtigung es unabhängig davon für angezeigt hält, eine Frist setzen. Wird der Mangel innerhalb dieser Frist nicht beseitigt, wird das Disziplinarverfahren durch Beschluss des Gerichts eingestellt (§ 60 Abs. 3 Satz 3 HDG); die rechtskräftige Einstellung nach Abs. 3 steht einem rechtskräftigen Urteil gleich (§ 60 Abs. 4 HDG).

11

Mit Verfügung vom 28. September 2010, mit der dem Beklagten die Klageschrift zugestellt worden ist, ist er vom Verwaltungsgericht über seine aus § 60 Abs. 1 HDG folgende Pflicht zur Geltendmachung von wesentlichen Mängeln des behördlichen Disziplinarverfahrens entsprechend § 60 Abs. 2 HDG belehrt worden. Der Beklagte hat auch im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht die Umstände der Vernehmung der Zeuginnen gerügt. Er hat aber unter Verweis auf eine angebliche Verletzung des rechtlichen Gehörs lediglich geltend gemacht, ein Grund für seinen Ausschluss von der Vernehmung der Zeuginnen im behördlichen Disziplinarverfahren habe nicht vorgelegen. Dagegen hat er nicht gerügt, dass - was die Beschwerde nunmehr als Frage von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft - er selbst und auch die Zeuginnen vor der auf § 27 Abs. 4 Satz 2 HDG gestützten Entscheidung des Ermittlungsführers über seinen Ausschluss von der Zeugenvernehmung von diesem hätten angehört werden müssen. Im Berufungsverfahren hat der Beklagte nicht einmal den vom Verwaltungsgericht als unbegründet bewerteten Einwand aufrechterhalten, er sei zu Unrecht von der Vernehmung der Zeuginnen ausgeschlossen gewesen.

12

3. Eine Zulassung der Revision kann der Beklagte auch nicht erreichen, wenn man zu seinen Gunsten die von ihm aufgeworfene Grundsatzfrage als Rüge eines Verfahrensmangels i.S.v. § 133 Abs. 2 Nr. 3 VwGO verstünde.

13

Insoweit kommt allenfalls die Rüge in Betracht, der Verwaltungsgerichtshof habe die Vorschrift des § 60 Abs. 3 Satz 1 HDG fehlerhaft gehandhabt (BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2010 - 2 C 15.09 - BVerwGE 137, 192 Rn. 18 f.; Beschlüsse vom 26. Februar 2008 - 2 B 122.07 - Buchholz 235.1 § 55 BDG Nr. 2 Rn. 3, vom 23. September 2013 - 2 B 51.13 - Rn. 5 und zuletzt vom 30. Juni 2016 - 2 B 40.15 - Rn. 10). Dies ist aber gerade ausgeschlossen, weil es der Beklagte, wie dargelegt, versäumt hat, den von ihm nunmehr als Grundsatzfrage thematisierten Mangel des behördlichen Disziplinarverfahrens, zu dessen Behebung das Gericht dem Dienstherrn eine Frist hätte setzen müssen, im gerichtlichen Verfahren geltend zu machen.

14

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 4 HDG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren bedarf es nicht, weil für das Verfahren Gebühren nach dem Gebührenverzeichnis der Anlage zu § 82 Abs. 1 Satz 1 HDG erhoben werden.

Domgörgen

Dr. Hartung

Dollinger

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