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Bundesverwaltungsgericht
Urt. v. 06.09.2012, Az.: BVerwG 2 WD 26.11
Vergleichbarkeit eines vorsätzlichen Verhaltens als Dienstvergehen mit einem Verstoß gegen die politische Treuepflicht im aktiven Dienst; Verhängung der Höchstmaßnahme für die vorsätzliche Verletzung der Verfassungstreuepflicht durch einen Unteroffizier der Reserve (hier: Wahl zum Landesvorstand der NPD)
Gericht: BVerwG
Entscheidungsform: Urteil
Datum: 06.09.2012
Referenz: JurionRS 2012, 31866
Aktenzeichen: BVerwG 2 WD 26.11
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

TDiG Nord - 04.07.2011 - AZ: TDiG N 3 VL 10/09

Rechtsgrundlagen:

Art. 6 Abs. 1 EMRK

§ 8 SG

§ 23 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 SG

§ 38 Abs. 1 WDO

§ 58 Abs. 7 WDO

Fundstellen:

DÖV 2013, 863-864

NVwZ-RR 2013, 5

NVwZ-RR 2013, 971

NZWehrR 2014, 32-36

BVerwG, 06.09.2012 - BVerwG 2 WD 26.11

Amtlicher Leitsatz:

Ein vorsätzliches Verhalten, das nach § 23 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 SG als Dienstvergehen gilt, wiegt in der Regel genauso schwer wie ein Verstoß gegen die politische Treuepflicht im aktiven Dienst. Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen für die vorsätzliche Verletzung der Verfassungstreuepflicht durch einen Unteroffizier der Reserve ist daher die Verhängung der Höchstmaßnahme.

In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren
g e g e n
Herrn Oberfeldwebel der Reserve ...,
...,
...,
...,
hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der nichtöffentlichen Hauptverhandlung am 6. September 2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. von Heimburg, Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer, Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eppelt, ehrenamtlicher Richter Oberst Reinelt und ehrenamtlicher Richter Stabsfeldwebel d.R. Sonnendecker,
Leitender Regierungsdirektor ...
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Rechtsanwalt ..., ..., als Pflichtverteidiger,
Geschäftsstellenverwalterin ...
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Wehrdisziplinaranwaltschaft wird das Urteil der 3. Kammer des Truppendienstgerichts Nord vom 4. Juli 2011 im Ausspruch über die Disziplinarmaßnahme geändert.

Dem früheren Soldaten wird wegen eines Dienstvergehens und eines als Dienstvergehen geltenden Verhaltens das Ruhegehalt aberkannt.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem früheren Soldaten auferlegt.

Sachverhalt

Das Truppendienstgericht hatte festgestellt, dass der frühere Soldat vor seinem Dienstzeitende in einen Landesvorstand der NPD gewählt worden war und für diese weitere herausgehobene Funktionen wahrgenommen hatte. Diese Funktionen habe er bis zum Dienstzeitende inne gehabt. Die NPD sei im gesamten von den Vorwürfen erfassten Zeitraum von einer verfassungsfeindlichen Zielrichtung getragen. Damit habe er eine verfassungsfeindliche Partei aktiv unterstützt und gefördert und so seine Dienstpflicht aus § 8 SG verletzt. Dabei habe er die Verfassungsfeindlichkeit der NPD erkennen können und müssen und damit fahrlässig gehandelt. Nach seinem Dienstzeitende habe er seine Funktionärstätigkeit fortgesetzt und ausgeweitet. Dadurch habe er die NPD und ihre verfassungsfeindlichen Ziele aktiv gefördert und unterstützt und sich damit im Sinne von § 23 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 SG objektiv gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung betätigt. Dies sei anfangs fahrlässig, später aber bedingt vorsätzlich geschehen. Die Truppendienstkammer hat daher wegen eines Dienstvergehens und eines als Dienstvergehen geltenden Verhaltens eine Dienstgradherabsetzung verhängt.

Die auf die Maßnahmebemessung beschränkte Berufung der Wehrdisziplinaranwaltschaft hatte Erfolg.

Aus den Gründen

(...)

34

2. a) Von der Beschränkung der Berufung unberührt bleiben die Prüfung der Prozessvoraussetzungen und möglicher Verfahrenshindernisse (Dau, WDO, 5. Auflage 2009, § 116 Rn. 20). Ein Verfahrenshindernis liegt hier nicht in der den Anforderungen des Art. 6 EMRK nicht mehr genügenden Länge des Verfahrens:

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aa) Das Wehrdisziplinarverfahren steht nicht außerhalb des Anwendungsbereiches von Art. 6 Abs. 1 EMRK (so bereits EGMR, Urteil vom 8. Juni 1976 - Engel u.a. - EuGRZ 1976, 221 <232>). Die EMRK gilt in der deutschen Rechtsordnung im Range eines Bundesgesetzes und ist bei der Interpretation des nationalen Rechts - auch der Grundrechte und rechtsstaatlichen Garantien - zu berücksichtigen (BVerfG, Beschluss vom 14. Oktober 2004 - 2 BVR 1481/04 -BVerfGE 111, 307 [BVerfG 14.10.2004 - 2 BvR 1481/04] <315 f.> und [...] Rn. 30). Selbst wenn ein auf die Verhängung der Höchstmaßnahme gerichtetes Disziplinarverfahren keine Entscheidung über eine strafrechtliche Anklage darstellt, gilt dort Art. 6 EMRK jedenfalls unter seinem zivilrechtlichen Aspekt und gibt Betroffenen einen Anspruch darauf, dass über die Streitigkeit innerhalb angemessener Frist verhandelt wird (EGMR, Urteil vom 16. Juli 2009 - 8453/04 (Bayer/Deutschland) - NVwZ 2010, 1015 <1016>).

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bb) Ob die Dauer eines konkreten Verfahrens noch angemessen ist, ist unter Berücksichtigung der Umstände des Falls und folgender Kriterien zu beurteilen: die Schwierigkeit des Falls, das Verhalten des Betroffenen und das der zuständigen Behörden und Gerichte sowie die Bedeutung des Rechtsstreits für den Betroffenen (EGMR, Urteil vom 16. Juli 2009 - 8453/04 - NVwZ 2010, 1015 <1017> m.w.N.).

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Hiernach rechtfertigen weder die hohe Komplexität der Vorfrage nach der Verfassungsfeindlichkeit der NPD noch die Vorgreiflichkeit des teilweise sachgleichen Strafverfahrens die Gesamtdauer des vorliegenden Verfahrens. Schon das Strafverfahren ist nicht mit der gebotenen Beschleunigung bearbeitet worden. Die Anfang August 2003 beim Amtsgericht ... eingegangene Anklageschrift konnte dort erst Ende Mai 2005 in Bearbeitung genommen werden. Über die Berufung gegen das erstinstanzliche Strafurteil vom Juli 2005 konnte wegen der hohen Belastung der zuständigen Kammer erst im März 2007 verhandelt und entschieden werden. Auch im gerichtlichen Disziplinarverfahren ist es zu nicht mehr durch einen normalen Geschäftsablauf veranlassten Verzögerungen gekommen. Obwohl seit Ende Mai 2007 bekannt war, dass mit dem rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens der Grund für die Aussetzung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens entfallen war, ist erst Mitte März 2009 eine Anschuldigungsschrift beim Truppendienstgericht eingereicht worden. Diese Verzögerung ist nicht in voller Länge durch die Komplexität der aufgeworfenen Rechtsfrage, den notwendigen Umfang der Anschuldigungsschrift und die Notwendigkeit der Gewährung von Schlussgehör gerechtfertigt. Nicht durch den früheren Soldaten zu verantworten waren auch die Verzögerungen, die sich durch die durch Versäumnisse der Wehrdisziplinaranwaltschaft im Ermittlungsverfahren und bei der Formulierung der Anschuldigungsschrift veranlasste Aussetzung des Verfahrens durch das Truppendienstgericht im Mai 2009 ergaben. In der Zeit zwischen dem Eingang der Nachtragsanschuldigungsschrift vom 24. Juli 2009 und der Verzögerungsrüge des früheren Soldaten Ende Januar 2011 ist das Verfahren beim Truppendienstgericht nicht erkennbar gefördert worden. Auch die Dauer des Berufungsverfahrens war wesentlich nicht durch den früheren Soldaten zu verantworten, vielmehr der Belastung des Senats mit noch älteren Verfahren geschuldet.

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cc) Dass die Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 EMRK vorliegend nicht gewahrt wurden, verlangt aber keine Einstellung des Verfahrens.

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Eine Einstellung entsprechend § 108 Abs. 3 Satz 2 WDO kann geboten sein, wenn wegen eines Dienstvergehens eine pflichtenmahnende Disziplinarmaßnahme im Raum steht. Denn bei solchen Maßnahmen bildet eine unangemessen lange Verfahrensdauer einen Milderungsgrund (vgl. Urteile vom 17. Juni 2003 - BVerwG 2 WD 2.02 - NZWehrr 2004, 83 ff. und [...] Rn. 18; vom 26. September 2006 - BVerwG 2 WD 2.06 - BVerwGE 127, 1 <32>; vom 13. März 2008 - BVerwG 2 WD 6.07 - [...] Rn. 116; vom 22. Oktober 2008 - BVerwG 2 WD 1.08 - [...] Rn. 122 und vom 4. Mai 2011 - BVerwG 2 WD 2.10 - Buchholz 450.2 § 58 WDO 2002 Nr. 5 Rn. 47, vgl. auch Beschluss vom 11. Mai 2010 -BVerwG 2 B 5.10 - [...] Rn. 3 für das Disziplinarrecht der Beamten m.w.N.).

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In extrem gelagerten Fällen kann wegen eines von Verfassungs wegen anzunehmenden Verfahrenshindernisses eine Einstellung in Betracht kommen, wenn unter Berücksichtigung des bisherigen und des noch zu erwartenden Verfahrensverlaufs, des noch im Raum stehenden Vorwurfs und gegebenenfalls besonderer persönlicher Umstände des Beschuldigten dessen weitere Belastung mit dem Verfahren selbst unter der Voraussetzung, dass sich die Tatvorwürfe später bestätigen, nicht mehr verhältnismäßig wäre (BVerfG, Beschluss vom 4. September 2009 - 2 BvR 1089/09 - [...] Rn. 6 für das Strafverfahren). Eine Verfahrenseinstellung kommt jedenfalls bei einem außergewöhnlich großen Ausmaß an Verfahrensverzögerung und damit verbundenen besonders schweren Belastungen des Beschuldigten in Betracht (vgl. BGH, Urteil vom 7. Dezember 2009 - StbSt (R) 2/09 - NJW 2010, 1155 <1156> = [...] Rn. 15 für das berufsrechtliche Verfahren gegen Steuerberater).

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Anders ist dies aber, wenn - wie hier - die Verhängung der Höchstmaßnahme geboten ist. Diese hat keinen pflichtenmahnenden Charakter. Sie zieht vielmehr die Konsequenz aus dem Verlust des Vertrauens des Dienstherrn in die Integrität und Zuverlässigkeit des Soldaten und dem Entfallen der Grundlage für die Fortsetzung des gegenseitigen Dienst- und Treueverhältnisses. Der Zweck der Verhängung der Höchstmaßnahme kann nicht durch eine besonders intensiv wirkende Belastung durch das Verfahren als solches erreicht werden. Ihre Verhängung kann daher auch nicht neben der pflichtenmahnenden Wirkung des Verfahrens unverhältnismäßig sein. Hinzu kommt noch, dass hier weder die Überschreitung der im Lichte des Art. 6 Abs. 1 EMRK angemessenen Verfahrensdauer extrem hoch ist noch damit besonders schwere Belastungen für den früheren Soldaten, der bis Ende September 2006 Übergangsgebührnisse bezogen und das Ende seiner Dienstzeit ohnehin erreicht hatte, verbunden sind.

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b) Verfahrensmängel werden bei einer beschränkten Berufung zwar regelmäßig gegenstandslos, soweit sie nicht das gesamte disziplinargerichtliche Verfahren oder den gerichtlichen Verfahrensabschnitt unzulässig machen (so Urteil vom 4. Mai 1988 - BVerwG 2 WD 64.87 - S. 10 des Urteilsabdrucks). Beachtlich sind allerdings Aufklärungs- und Verfahrensmängel von solcher Schwere, dass sie die Grundlage der vom Senat zu treffenden Entscheidung über die Maßnahmebemessung - die tatsächlichen und disziplinarrechtlichen Feststellungen zur Schuld des früheren Soldaten - erschüttern (vgl. Beschlüsse vom 19. August 2009 - BVerwG 2 WD 31.08 - Buchholz 450.2 § 121 WDO 2002 Nr. 1 = [...] Rn. 12, 17 - und vom 24. März 2010 - BVerwG 2 WD 10.09 - [...] Rn. 12, 15, 17). Ein derartiger Verfahrensmangel liegt nicht in der Besetzung der Richterbank in der Vorinstanz:

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Da einem Soldaten nach der Wehrdisziplinarordnung das Recht zusteht, dass seine Sache in zwei ordnungsgemäß besetzten Instanzen verhandelt und entschieden wird, würde die Verletzung des § 75 Abs. 3 Satz 3 WDO zwar einen schweren Verfahrensmangel darstellen (stRspr, vgl. u.a. Beschlüsse vom 24. September 1991 - BVerwG 2 WD 17.91 - BVerwGE 93, 161 f. zur Vorgängerregelung § 69 Abs. 3 Satz 3 WDO a.F. - und vom 11. Mai 2006 - BVerwG 2 WD 25.05 - Buchholz 11 Art. 101 GG Nr. 22 Rn. 13). Das Truppendienstgericht hat aber zu Recht keinen Reservisten als ehrenamtlichen Richter herangezogen.

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Nach § 75 Abs. 3 Satz 3 WDO soll in Verfahren vor der Truppendienstkammer gegen frühere Soldaten wegen eines Verhaltens, das als Dienstvergehen gilt, ein ehrenamtlicher Richter Angehöriger der Reserve sein; er muss der Dienstgradgruppe des früheren Soldaten angehören. Diese Norm ist trotz der im Gesetzeswortlaut gewählten Formulierung ("soll") nicht als bloße Ordnungsvorschrift zu verstehen, deren Verletzung grundsätzlich ohne Folgen für den Bestand der Entscheidung bliebe (Beschluss vom 11. Mai 2006 a.a.O. - [...] Rn. 7). § 75 Abs. 3 Satz 3 WDO stellt für die Bestimmung der Zugehörigkeit eines angeschuldigten früheren Soldaten zur Gruppe der Angehörigen der Reserve und damit auch derjenigen des betreffenden ehrenamtlichen Richters auf den Tatzeitpunkt ab (Beschluss vom 11. Mai 2006 a.a.O. - [...] Rn. 8). Die Norm kommt nicht nur zur Anwendung, wenn sich die Truppendienstkammer in der Hauptverhandlung ausschließlich mit einem Verhalten des früheren Soldaten auseinandersetzen muss, "das als Dienstvergehen gilt". Vielmehr ist bei einer Anschuldigungsschrift, in der sowohl Dienstpflichtverletzungen während des Wehrdienstverhältnisses als auch Verstöße gegen über das Dienstverhältnis hinauswirkende Pflichten zur Last gelegt werden, darauf abzustellen, worin der Schwerpunkt der Tatvorwürfe zu sehen ist (Beschluss vom 11. Mai 2006 -a.a.O. - [...] Rn. 10; so auch Lingens, in: NZWehrr 1988, 59 <61>).

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Hiernach hat die Truppendienstkammer für die Entscheidung über die Besetzungsrüge zutreffend darauf abgestellt, dass nach der Anschuldigungsschrift die größere Zahl der vorgeworfenen einzelnen Dienstpflichtverletzungen in die aktive Dienstzeit des früheren Soldaten fiel. Eine andere Bestimmung des Schwerpunktes ist im konkreten Fall weder wegen der Art der einzelnen vorgeworfenen Pflichtverletzungen noch der in der Anschuldigungsschrift bzw. den Nachtragsanschuldigungsschriften jeweils erhobenen Verschuldensvorwürfe geboten. Den Gegenstand des gerichtlichen Disziplinarverfahrens bildet die Anschuldigungsschrift. Von ihr ausgehend ist daher auch die Frage nach der Besetzung der Richterbank des Truppendienstgerichts zu entscheiden. In der Berufungsinstanz gilt nur deswegen für die Anwendung von § 75 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 80 Abs. 3 Satz 2 WDO etwas anderes, weil es sich um eine maßnahmebeschränkte Berufung handelt. Ist die Berufung auf die Bemessung der Disziplinarmaßnahme beschränkt, hat der Senat gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO in Verbindung mit § 327 StPO die Tat- und Schuldfeststellungen sowie die disziplinarrechtliche Würdigung des Truppendienstgerichts seiner Entscheidung zugrunde zu legen und auf dieser Grundlage über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden. Damit ist Verfahrensgegenstand nur noch die Bemessung der Maßnahme für die durch die Vorinstanz festgestellten und das einheitliche Dienstvergehen bildenden Dienstpflichtverletzungen. Hiernach bildet vorliegend sowohl im Hinblick auf das schwerer wiegende Maß der Schuld für einen Teilzeitraum als auch wegen des insgesamt längeren Zeitraumes der Dienstpflichtverletzung das Verhalten den Schwerpunkt des Verfahrens, das von § 23 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 SG erfasst wird.

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3. Bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist von der von Verfassungs wegen allein zulässigen Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts auszugehen. Diese besteht ausschließlich darin, dazu beizutragen, einen ordnungsgemäßen Dienstbetrieb wiederherzustellen und/oder aufrechtzuerhalten ("Wiederherstellung und Sicherung der Integrität, des Ansehens und der Disziplin in der Bundeswehr", vgl. dazu.U.rteil vom 11. Juni 2008 - BVerwG 2 WD 11.07 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 26 m.w.N.). Bei Art und Maß der Disziplinarmaß-nahme sind nach § 58 Abs. 7 i.V.m. § 38 Abs. 1 WDO Eigenart und Schwere des Dienstvergehens und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und die Beweggründe des früheren Soldaten zu berücksichtigen. Dem früheren Soldaten ist hiernach wegen eines Dienstvergehens und eines als Dienstvergehen geltenden Verhaltens das Ruhegehalt abzuerkennen (§ 58 Abs. 2 Nr. 4, § 67 Abs. 4 WDO). Da ihm die Übergangsbeihilfe noch nicht ausgezahlt wurde und er damit als Soldat im Ruhestand gilt (§ 1 Abs. 3 WDO i.V.m. § 3 Abs. 4 Nr. 3 SVG), wird der Rahmen der zulässigen Maßnahmen durch § 58 Abs. 2 WDO bestimmt.

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a) Eigenart und Schwere des Dienstvergehens bestimmen sich nach dem Unrechtsgehalt der Verfehlungen, d.h. nach der Bedeutung der verletzten Dienstpflichten. Danach wiegt das Dienstvergehen sehr schwer.

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aa) Dies gilt zunächst für die Verletzung des § 8 SG.

49

Wer als Staatsdiener in einem besonderen Treueverhältnis zu diesem Staat steht und geschworen hat, Recht und Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen, zerstört die für eine Fortsetzung des Dienstverhältnisses unabdingbare Vertrauensgrundlage, wenn er vorsätzlich Bestrebungen unterstützt, die mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland nicht zu vereinbaren sind (Urteil vom 20. Mai 1983 - BVerwG 2 WD 11.82 - BVerwGE 83, 136 <154>). Die Bundeswehr als Organ der Exekutive der Bundesrepublik Deutschland kann erwarten und muss davon ausgehen, dass sich die Soldaten zu den rechtsstaatlichen Anforderungen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes, insbesondere zu den Grundrechten, bekennen und für ihre Verwirklichung einsetzen (Urteile vom 22. Januar 1997 - BVerwG 2 WD 24.96 - BVerwGE 113, 58 = Buchholz 236.1 § 7 SG Nr. 12 = NZWehrr 1997, 161 und vom 20. Oktober 1999 - BVerwG 2 WD 9.99 - BVerwGE 111, 25 <27> = Buchholz 236.1 § 7 SG Nr. 32). Die politische Treuepflicht fordert von jedem Angehörigen des öffentlichen Dienstes, dass er nicht nur die Grundordnung des Staates anerkennt, sondern auch die Bereitschaft zeigt, sich zu der Idee des Staates, dem er dient, zu bekennen und aktiv für ihn einzutreten. Da diese Pflicht zu den absolut elementaren soldatischen Pflichten gehört, ist ihre Verletzung eine der schwersten denkbaren Pflichtwidrigkeiten (Urteil vom 7. November 2000 - BVerwG 2 WD 18.00 - Buchholz 236.1 § 7 SG Nr. 40 = [...] Rn. 4 und 8 m.w.N.).

50

Dies gilt vor allem für Soldaten in Vorgesetzteneigenschaft, die in Haltung und Pflichterfüllung ein Beispiel zu geben haben (§ 10 Abs. 1 SG), also auch für den früheren Soldaten, der aufgrund seines Dienstgrades als Oberfeldwebel in einem Vorgesetztenverhältnis stand (§ 1 Abs. 3 Sätze 1 und 2 SG i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr.2, Abs. 3 VorgV). Soldaten in Vorgesetztenstellung obliegt eine höhere Verantwortung für die Wahrung dienstlicher Interessen. Wegen seiner herausgehobenen Stellung ist ein Vorgesetzter in besonderem Maße für die ordnungsgemäße Erfüllung seiner Dienstpflichten verantwortlich und unterliegt damit im Falle einer Pflichtverletzung einer verschärften Haftung, da Vorgesetzte in ihrer Haltung und Pflichterfüllung ein Beispiel geben sollen (§ 10 Abs. 1 SG). Dabei ist nicht erforderlich, dass es der Soldat bei seinem Fehlverhalten innerhalb eines konkreten Vorgesetztenverhältnisses an Beispielhaftigkeit hat fehlen lassen. Es reicht das Innehaben einer Vorgesetztenstellung aufgrund des Dienstgrades aus (vgl. Urteile vom 25. Juni 2009 - BVerwG 2 WD 7.08 -m.w.N., vom 13. Januar 2011 - BVerwG 2 WD 20.09 - [...] Rn. 28 und vom 4. Mai 2011 - BVerwG 2 WD 2.10 - [...] Rn. 30).

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bb) Diese Erwägungen beanspruchen aber ebenso Geltung für das als Dienstvergehen geltende Verhalten nach § 23 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 SG, jedenfalls wenn eine vorsätzliche Verletzung in Rede steht:

52

Der Gesetzgeber hat in § 23 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 SG für Offiziere und Unteroffiziere die Betätigung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung dem Dienstvergehen gleichgestellt. Damit hat er aus dem für aktive Soldaten geltenden Pflichtenkreis des § 8 SG einen Teilbereich auch für die Zeit nach dem Dienstzeitende mit einer Sanktionsdrohung versehen. Diese richtet sich nur gegen den nach § 10 Abs. 1 SG besonders verpflichteten Personenkreis und betrifft auch nur aktive Handlungen, die in besonders intensiver Weise gegen die politische Treuepflicht verstoßen. Der Gesetzgeber greift mithin aus der Summe des Pflichtenkreises gem. § 8 SG nur die besonders schwer wiegenden Pflichtverletzungen heraus und sanktioniert nur sie über das Dienstzeitende hinaus. Damit macht er deutlich, dass er der Erfüllung dieser Pflicht für den betroffenen Personenkreis auch über das Dienstzeitende hinaus hohe Bedeutung beimisst. Er trägt damit dem schützenswerten Interesse Rechnung, dass auch Reservisten für die Bundeswehr untragbar werden können, wenn sie elementare Pflichten verletzen und so die Grundlage des Vertrauens in ihre Integrität und Zuverlässigkeit als Grundlage ihrer Wiederverwendung schwer beeinträchtigen oder gar zerstören. Wer vorsätzlich durch aktives Tun Bestrebungen unterstützt, die sich gegen Kernelemente der Verfassungsordnung richten, die er als Soldat -und auch als Reservist im Falle einer Heranziehung zu Dienstleistungen - zu verteidigen hätte, zerstört das hierfür erforderliche Vertrauen in ihn. Eine Verletzung auch der nachwirkenden Verfassungstreuepflicht durch einen Reservisten wiegt damit ebenfalls besonders schwer.

53

b) Das Dienstvergehen hat nachteilige Auswirkungen für das Ansehen der Bundeswehr in der Öffentlichkeit, weil der frühere Soldat auf seiner eigenen in der Berufungshauptverhandlung auszugsweise verlesenen Internetseite neben seiner parteipolitischen Betätigung und seiner Position innerhalb der Partei auch auf seinen Wehrdienst und den dort erreichten Dienstgrad hinwies. Damit wird er in der Öffentlichkeit als einflussreicher Funktionär der NPD und zugleich als Reserveunteroffizier wahrgenommen. Diese Kombination ist geeignet, das Vertrauen der Bevölkerung in die Streitkräfte zu gefährden, weil dieses Vertrauen darauf gründet, dass die Angehörigen der Streitkräfte ohne Einschränkungen auf dem Boden der Verfassungsordnung stehen, die sie nach außen verteidigen sollen. Diese Vertrauensgrundlage wird beschädigt, wenn in der Öffentlichkeit der Eindruck entsteht, es bestehe eine gerade von den Führungskräften der Bundeswehr ausgehende Affinität zwischen den Streitkräften und verfassungsfeindlichen Parteien.

54

c) Die Beweggründe des früheren Soldaten wirken sich für die Bemessung der Maßnahme nicht zu seinem Nachteil aus:

Die Bereitschaft, staatsbürgerliche Verantwortung durch parteipolitische Arbeit wahrzunehmen, spricht grundsätzlich für einen (früheren) Soldaten. Dass er sich für die parteipolitische Arbeit als Repräsentant in herausgehobener Stellung einer als verfassungsfeindlich bewerteten Partei entschieden hat, ist Teil der Dienstpflichtverletzung und damit nicht zugleich ein ihr Gewicht erschwerender Umstand.

55

d) Das Maß der Schuld des früheren Soldaten wird vor allem dadurch bestimmt, dass er jedenfalls einen Teil der Dienstpflichtverletzungen während eines Teilzeitraumes vorsätzlich begangen hat. Für eine verminderte Schuldfähigkeit oder Milderungsgründe in den Umständen der Tat spricht nichts, solche Milderungsgründe sind vom früheren Soldaten auch nicht behauptet worden.

56

Nach den Ausführungen des früheren Soldaten in der Berufungshauptverhandlung glaubt der Senat ihm, dass er einem Irrtum über die Pflichtwidrigkeit seines Tuns unterlegen war. Denn der frühere Soldat hat in der Berufungshauptverhandlung angegeben, ein formales Verbot der NPD durch das Bundesverfassungsgericht sei für ihn eine zwingende Voraussetzung für die Annahme einer Pflichtwidrigkeit seines Handelns auch als Reservist. Dies sei für ihn ein entscheidendes rechtsstaatliches Kriterium. Dies spricht dafür, dass er das Parteienprivileg grundsätzlich kannte und aus ihm die Folgerung ableitete, die Betätigung für eine nicht verbotene Partei sei deshalb auch nicht disziplinarrechtlich zu sanktionieren.

57

Soweit er damit seine Einlassung aus der Vorinstanz wiederholt, er habe zu keinem Zeitpunkt den Schluss auf die Verfassungsfeindlichkeit der NPD gezogen, weil das Bundesverfassungsgericht sie nicht verboten habe, ist sein Vortrag für den Zeitraum ab 2006 unerheblich. Denn damit behauptet er einen Irrtum über ein Tatbestandselement der Dienstpflichtverletzung, das zum Ausschluss des Vorsatzes führt. Vorsatz hat das Truppendienstgericht aber für den Zeitraum ab 2006 für den Senat bindend festgestellt.

Einem grundsätzlich für die Bemessungsentscheidung relevanten Irrtum über die Pflichtwidrigkeit seines Tuns auch für diesen Teilzeitraum unterlag er nur, soweit er mit seinem Vortrag sinngemäß geltend macht, er habe - trotz der vom Truppendienstgericht festgestellten Kenntnis der Verfassungsfeindlichkeit der NPD - jedenfalls geglaubt, sich als Reservist bis zu einem Verbot der Partei für diese betätigen zu dürfen, ohne dass dies disziplinarische Konsequenzen haben könne.

58

Dass dieser Irrtum für den gesamten verfahrensgegenständlichen Zeitraum jedenfalls nicht unvermeidbar gewesen war, steht für den Senat allerdings wegen der ihn bindenden Schuldfeststellungen des Truppendienstgerichts fest. Ein unvermeidbarer Irrtum hätte entsprechend § 17 Satz 1 StGB schuldausschließende Wirkung. Das Truppendienstgericht geht aber von einem schuldhaften Handeln, ab 2006 sogar von einem vorsätzlichen Handeln aus.

59

Bei einem vermeidbaren Verbotsirrtum kann das Wehrdienstgericht das Disziplinarmaß nach den Grundsätzen des § 17 Satz 2 StGB mildern (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Februar 2004 - BVerwG 2 WD 14.03 - BVerwGE 120, 166 <174> = Buchholz 235.01 § 38 WDO 2002 Nr. 16 = [...] Rn. 32 m.w.N). Von dieser Möglichkeit ist aber nicht zwingend Gebrauch zu machen. Unbeachtlich ist jedenfalls ein Verbotsirrtum, der auf Rechtsblindheit beruht (Scherer/Alff/Poretschkin, SG, § 23 Rn. 9 a.E. unter Hinweis auf das Urteil vom 28. September 1978 - BVerwG 2 WD 25.78). Ein Verbotsirrtum beruht auf Rechtsblindheit, wenn sich ein (früherer) Soldat einer naheliegenden, sich dem durchschnittlichen Angehörigen seiner Dienstgradgruppe aufdrängenden Erkenntnis aus eigennützigen Motiven verschließt.

60

So liegt der Fall zur Überzeugung des Senats jedenfalls für den Zeitraum vorsätzlichen Handelns auch hier. Der frühere Soldat hat in der Berufungshauptverhandlung deutlich gemacht, dass es ihm auch darauf ankam, möglichst schnell eine herausgehobene politische Position einzunehmen, um Einfluss ausüben und seine politischen Ziele verwirklichen zu können. Denn dass er dieses Ziel in der NPD eher erreichen konnte als in einer der mitgliederstärkeren etablierten Volksparteien - von deren Programminhalten zu aktuellen Fragen er auch enttäuscht war -, hat er als eines der Motive für die Wahl gerade der NPD als Betätigungsfeld für sein politisches Engagement angegeben. Damit hat sich der frühere Soldat selbst als zielstrebig und karriereorientiert charakterisiert. Dass er über eine hohe Intelligenz verfügt, weisen die in der Berufungshauptverhandlung verlesene Beurteilung wie auch die Ausführungen des letzten Disziplinarvorgesetzten als Leumundszeugen aus. Es entspricht auch dem Eindruck, den der Senat von dem früheren Soldaten nach dessen Ausführungen in der Berufungshauptverhandlung gewonnen hat. Nach den bindenden Feststellungen des Truppendienstgerichts ist davon auszugehen, dass der frühere Soldat ab 2006 billigend in Kauf genommen hat, dass er sich als Funktionär einer verfassungsfeindlichen Partei betätigte. Dass eine derartige politische Betätigung nicht ohne weiteres mit der nachwirkenden Verfassungstreuepflicht eines Unteroffiziers der Reserve vereinbar ist, ist eine Erkenntnis, die sich jedem früheren Unteroffizier, der wie der frühere Soldat weiß, dass er noch Anspruch auf eine Dienstzeitversorgung hat, Inhaber eines Dienstgrades ist und im Falle einer Wiederverwendung eine Vorgesetztenstellung innehat, aufdrängen muss. Denn dass hiermit fortbestehende Treuepflichten verbunden sind, liegt nahe. Ein Reservist befindet sich in einem besonderen Näheverhältnis zum Dienstherrn, das nachwirkende Dienstpflichten begründet. Dies ist für einen Unteroffizier der Reserve ebenso offensichtlich wie der Umstand, dass an ihn besondere Anforderungen gerade bezüglich der zentralen Pflicht zur Verfassungstreue zu stellen sind, weil er im Falle einer Wiederverwendung als Vorgesetzter eingesetzt würde. Damit liegt es auch nahe, zumindest während ohnehin laufender disziplinarischer Ermittlungen wegen Verstößen gegen die politische Treuepflicht, beim Dienstvorgesetzten letzte Unklarheiten über den Umfang der nachwirkenden Verfassungstreuepflicht durch Nachfrage aufzuklären. Wer dies - wie der frühere Soldat - unterlässt, verschließt sich bewusst der Erkenntnis über die Reichweite dieser Pflichten. Dies geschah hier auch aus eigennützigen Motiven, nämlich um nicht die Konsequenz eines Verzichts auf die weitere Parteikarriere ziehen zu müssen. Vor diesem Hintergrund wird die Erklärung des früheren Soldaten, er habe geglaubt, auch eine verfassungsfeindliche Partei aktiv als Funktionär in herausgehobener Stellung ohne disziplinarische Konsequenzen unterstützen zu dürfen, solange sie noch nicht durch das Bundesverfassungsgericht verboten sei, zur unbeachtlichen Schutzbehauptung, die eine Milderung der durch die vorsätzliche Dienstpflichtverletzung verwirkten Sanktion nicht rechtfertigt.

61

e) Im Hinblick auf die Zumessungskriterien "Persönlichkeit" und "bisherige Füh-rung" sprechen die durch die Beurteilungen und die förmliche Anerkennung ausgewiesenen guten Leistungen, die auch der Leumundszeuge in der Berufungshauptverhandlung bestätigt hat, für den früheren Soldaten.

62

Für ihn spricht auch, dass er bislang weder strafrechtlich noch disziplinarrechtlich vorbelastet ist, auch wenn diesem Umstand kein hohes Gewicht zukommt, da der frühere Soldat damit nur die Mindesterwartungen des Dienstherrn pflichtgemäß erfüllt und keine besonderen Leistungen erbracht hat, die ihn aus dem Kameradenkreis herausheben.

63

Der Senat hält ihm auch zugute, dass er sich im streitgegenständlichen Zeitraum nach eigenen Angaben dafür eingesetzt hat, dass nationalsozialistische Tendenzen in der NPD an Einfluss verlieren und so für die Partei breitere Wählerschichten erschlossen werden können. Trotz der wenig substantiierten Angaben des früheren Soldaten zu konkreten Bemühungen in dieser Richtung war dies deshalb glaubhaft, weil es gerade wegen des Zieles, der Partei bessere Wahlchancen zu sichern, in Übereinstimmung mit dem zielstrebigen und karriereorientierten Charakter des früheren Soldaten steht. Zudem hat er sich nach den bindenden tatsächlichen Feststellungen des Truppendienstgerichts selbst nicht an solchen Äußerungen oder Aktionen beteiligt. Der Senat kann diesem Aspekt aber kein hohes Gewicht einräumen, weil diese Bemühungen jedenfalls im verfahrensgegenständlichen Zeitraum, wie der frühere Soldat einräumt, keine Erfolge gezeitigt haben.

64

f) Bei der Gesamtwürdigung aller vorgenannten be- und entlastenden Umstände ist im Hinblick auf die Bemessungskriterien des § 38 Abs. 1 WDO und die Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts der Ausspruch einer - gemäß § 58 Abs. 2 Nr. 4 in Verbindung mit § 67 Abs. 4 WDO zulässigen - Aberkennung des Ruhegehaltes erforderlich und angemessen.

65

Bei der konkreten Bemessung der Disziplinarmaßnahme geht der Senat in seiner gefestigten Rechtsprechung (vgl. Urteil vom 10. Februar 2010 - BVerwG 2 WD 9.09 - [...] Rn. 35 ff.) von einem zweistufigen Prüfungsschema aus:

66

aa) Auf der ersten Stufe bestimmt er im Hinblick auf das Gebot der Gleichbehandlung vergleichbarer Fälle sowie im Interesse der rechtsstaatlich gebotenen Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regelmaßnahme für die in Rede stehende Fallgruppe als "Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen".

67

Vorliegend ist auf dieser ersten Stufe von der Truppendienstkammer zutreffend zugrunde gelegt worden, dass bei einer vorsätzlichen Verletzung der Verfassungstreuepflicht durch einen Soldaten mit Vorgesetztendienstgrad grundsätzlich die disziplinare Höchstmaßnahme zu verhängen ist, während bei einem fahrlässigen Verstoß gegen diese Pflicht die Dienstgradherabsetzung Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen ist (Urteil vom 20. Mai 1983 -BVerwG 2 WD 11.82 - BVerwGE 83, 136 LS 5). Da wie oben ausgeführt, das als Dienstvergehen geltende Verhalten im Sinne von § 23 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 SG nach Eigenart und Schwere ebenso zu bewerten ist wie der Verstoß gegen § 8 SG, gilt für die Verletzung der nachwirkenden Dienstpflichten des Reservisten nichts anderes.

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Da hier für den Teilzeitraum ab 2006 eine vorsätzliche Verletzung der nachwirkenden Verfassungstreuepflicht durch das Truppendienstgericht für den Senat bindend festgestellt worden ist, bildet die Höchstmaßnahme den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen. Dass weitere Pflichtverletzungen hinzukommen, für die für sich genommen nur eine Dienstgradherabsetzung Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen wäre, lässt das Dienstvergehen nicht in einem milderen Licht erscheinen.

69

bb) Auf der zweiten Stufe ist dann zu prüfen, ob im konkreten Einzelfall im Hinblick auf die in § 38 Abs. 1 WDO normierten Bemessungskriterien und die Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts Umstände vorliegen, die die Möglichkeit einer Milderung gegenüber der auf der ersten Stufe in Ansatz gebrachten Regelmaßnahme eröffnen. Dabei ist vor allem angesichts der Eigenart und Schwere des Dienstvergehens sowie dessen Auswirkungen zu klären, ob es sich angesichts der be- und entlastenden Umstände um einen schweren, mittleren oder leichten Fall der schuldhaften Pflichtverletzung handelt. Liegt kein mittlerer, sondern ein höherer bzw. niedrigerer Schweregrad vor, ist gegenüber dem Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen die zu verhängende Disziplinarmaßnahme nach "oben" bzw. nach "unten" zu modifizieren. Für die "Eigenart und Schwere des Dienstvergehens" kann z.B. von Bedeutung sein, ob der Soldat eine herausgehobene Dienststellung hatte, einmalig oder wiederholt oder in einem besonders wichtigen Pflichtenbereich versagt hat. Bei den Auswirkungen des Fehlverhaltens sind die konkreten Folgen für den Dienstbetrieb sowie schädliche Weiterungen für das Außenbild der Bundeswehr in der Öffentlichkeit zu berücksichtigen. Hinsichtlich des Zumessungskriteriums "Maß der Schuld" hat der Senat neben der Schuldform und der Schuldfähigkeit das Vorliegen von Erschwerungs- und Milderungsgründen in den Tatumständen in Betracht zu ziehen.

70

Hiernach sind keine mildernden Aspekte einzustellen, die ihrer Art und ihrem Gewicht nach geeignet wären, von der Verhängung der Höchstmaßnahme im Einzelfall abzusehen. Die Anforderungen, die an entlastende Umstände zu stellen sind, werden durch die Schwere des Dienstvergehens bestimmt (Urteil vom 4. Mai 2011 - BVerwG 2 WD 2.10 - [...] Rn. 46). Von einer verwirkten Höchstmaßnahme abzusehen, erfordert deshalb mildernde Umstände von hohem Gewicht.

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Aus den oben ausgeführten Gründen macht der Senat von der Milderungsmöglichkeit entsprechend § 17 Satz 2 StGB für den Zeitraum ab 2006 keinen Gebrauch. Dass dem früheren Soldaten ein vermeidbarer Verbotsirrtum auch für den davor liegenden Zeitraum zuzubilligen ist und diesbezüglich auch eine Milderung der Sanktion zu rechtfertigen ist, kommt hier nicht mehr zum Tragen.

Denn dieser Umstand mildert zwar das Gewicht der fahrlässig begangenen Dienstpflichtverletzungen. Diese kommen aber zu den vorsätzlichen Pflichtverletzungen noch hinzu, die bereits die Verhängung der Höchstmaßnahme gebieten. Auch wenn damit das Gewicht der hinzutretenden fahrlässigen Pflichtverletzungen deutlich geringer ist, werden nicht deshalb schon die vorsätzlichen Pflichtverletzungen weniger gravierend.

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Die guten Leistungen des früheren Soldaten während seiner aktiven Dienstzeit tragen ein Abgehen von einer an sich verwirkten Aberkennung des Ruhegehaltes nach der ständigen Rechtsprechung des Senats nicht:

73

Die persönliche Integrität eines Soldaten steht gleichberechtigt neben dem Erfordernis der fachlichen Qualifikation, sodass gravierende Defizite an der persönlichen Integrität, die bei objektiver Betrachtung zu einem endgültigen Vertrauensverlust des Dienstherrn führen müssen (Urteil vom 13. Januar 2011 -BVerwG 2 WD 20.09 - [...] Rn. 51 m.w.N), auch nicht durch fachliche Kompetenz ausgeglichen werden können (Urteil vom 16. Juni 2011 - BVerwG 2 WD 11.10 - [...] Rn. 40).

74

Die fehlende Vorbelastung kann ebenfalls kein anderes Ergebnis rechtfertigen. Dasselbe gilt für die im verfahrensgegenständlichen Zeitraum nicht erfolgreichen Bemühungen, nationalsozialistische Tendenzen in der NPD zu bekämpfen.

Diesen für den früheren Soldaten sprechenden Aspekten steht bei der Gesamtabwägung nämlich der Umstand gegenüber, dass zu den die Höchstmaßnahme bereits tragenden Pflichtverletzungen ab 2006 weitere Pflichtverletzungen für den vom Urteil der Vorinstanz erfassten Vorzeitraum hinzutreten, auch wenn diese wegen der fahrlässigen Begehungsweise und wegen des insoweit eingreifenden vermeidbaren Verbotsirrtums deutlich geringeres Gewicht haben.

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§ 17 Abs. 2 bis 4 WDO steht der Verhängung der Höchstmaßnahme nicht entgegen, da die Norm für diese Maßnahme kein Verhängungsverbot durch Zeitablauf vorsieht. Diese Beschränkung des Verhängungsverbotes wegen Zeitablauf ist auch verfassungskonform. Das Verhängungsverbot beruht auf der Überlegung, dass eine disziplinare Maßregelung von leichten und mittelschweren Dienstvergehen als Erziehungszweck nach Ablauf gewisser Fristen fragwürdig ist (Dau, WDO, 5. Auflage 2009, § 17 Rn. 3). Damit greift diese Überlegung überhaupt nur bei Maßnahmen mit pflichtenmahnendem Charakter und nicht bei der Verhängung der Höchstmaßnahme ein, die die Folgerungen aus dem Verlust des Vertrauens in die Zuverlässigkeit und Integrität eines Soldaten zieht.

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Ist die Verhängung der Höchstmaßnahme geboten, ist dem früheren Soldaten die Dauer des gerichtlichen Disziplinarverfahrens nicht maßnahmemildernd zugute zu halten (vgl. Urteil vom 4. Mai 2011 - BVerwG 2 WD 2.10 - [...] Rn. 47 und für das Beamtendisziplinarrecht: Urteil vom 29. März 2012 - BVerwG 2 A 11.10 - [...] Rn. 86 und Beschlüsse vom 26. Oktober 2011 - BVerwG 2 B 69.10 - [...] Rn. 33, vom 14. März 2012 - BVerwG 2 B 5.12 - [...] Rn. 7, vom 16. Mai 2012 - BVerwG 2 B 3.12 - [...] Rn. 10 - 14 und vom 1. Juni 2012 - BVerwG 2 B 123.11 - [...] Rn. 9 ff.).

Dass es hier um die Verhängung einer Maßnahme wegen eines Verhaltens geht, das im Schwerpunkt als Dienstvergehen gilt, führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn auch hier wird die Konsequenz daraus gezogen, dass ein früherer Soldat durch sein als Dienstvergehen geltendes Verhalten die Grundlage für die Fortsetzung eines fortbestehenden Treueverhältnisses zerstört hat. Die unangemessen lange Dauer des Verfahrens kann nichts an dem endgültigen Vertrauensverlust ändern, der durch das Fehlverhalten herbeigeführt wurde. Das verlorene Vertrauen kann nicht durch Zeitablauf wiederhergestellt werden. Der Gesetzgeber verlangt nicht, eine überlange Verfahrensdauer auch dann bei der Bemessung einer Sanktion zu berücksichtigen, wenn dies mit dem Zweck der gebotenen Sanktion nicht zu vereinbaren ist. § 198 GVG, der wegen § 91 Abs. 1 Satz 3 WDO auch für das Wehrdisziplinarverfahren Anwendung findet, sieht für Verletzungen des Art. 6 Abs. 1 EMRK vielmehr grundsätzlich lediglich einen Schadensersatzanspruch als Ausgleich vor. Auch der Umstand, dass in § 17 WDO die Verhängung der Höchstmaßnahme von Verhängungsverboten wegen Zeitablaufes ausgenommen wird, indiziert, dass der Gesetzgeber von dieser Maßnahme nicht wegen der Belastungen eines langen Verfahrens absehen wollte. Da er mit § 198 GVG einen angemessenen Ausgleich geschaffen hat, ist er hierzu auch nicht aus europa- oder verfassungsrechtlichen Gründen verpflichtet.

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Art. 10 und 11 EMRK stehen der disziplinaren Ahndung eines Verstoßes gegen die politische Treuepflicht grundsätzlich nicht entgegen (Urteil vom 18. Mai 2001 - BVerwG 2 WD 42.00 und 43.00 - BVerwGE 114, 258 <260, 264> = Buchholz 236.1 § 8 SG Nr. 3).

(...)

Dr. von Heimburg

Dr. Eppelt

Dr. Langer

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