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Bundesverwaltungsgericht
Beschl. v. 05.04.2012, Az.: BVerwG 4 BN 21.12
Ermessen des Tatsachengerichts bei der Einholung zusätzlicher Sachverständigengutachten oder gutachtlicher Stellungnahmen
Gericht: BVerwG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 05.04.2012
Referenz: JurionRS 2012, 14187
Aktenzeichen: BVerwG 4 BN 21.12
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

VGH Baden-Württemberg - 30.11.2011 - AZ: VGH 3 S 2302/09

BVerwG, 05.04.2012 - BVerwG 4 BN 21.12

Redaktioneller Leitsatz:

  1. 1.

    Die Einholung zusätzlicher Sachverständigengutachten oder gutachtlicher Stellungnahmen liegt im Ermessen des Tatsachengerichts. Ein Verfahrensmangel liegt nur dann vor, wenn sich die Einholung eines weiteren Gutachtens wegen fehlender Eignung der vorliegenden Gutachten hätte aufdrängen müssen.

  2. 2.

    Gutachten und fachtechnische Stellungnahmen sind nur dann ungeeignet, wenn sie grobe, offen erkennbare Mängel oder unlösbare Widersprüche aufweisen, wenn sie von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder der Unparteilichkeit des Gutachters besteht.

  3. 3.

    Die Verfahrensrüge der Aktenwidrigkeit verlangt eine genaue Darstellung des Verstoßes und zwar durch konkrete Angaben von Textstellen aus den vorinstanzlichen Verfahren, aus denen sich der Widerspruch ergeben soll.

In der Normenkontrollsache
hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 5. April 2012
durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Jannasch und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bumke
beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 30. November 2011 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 000 € festgesetzt.

Gründe

1

Die sinngemäß auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg.

2

1.

Den Vortrag des Antragstellers, das Rechtsmittel sei wegen zweier Rechtsfehler begründet, weil eine umweltwirksame Richtlinie unrichtig angewandt worden sei und die Beweiswürdigung fehlerhaft sei, versteht der Senat als Geltendmachung von Verfahrensfehlern gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.

3

1.1

Soweit der Antragsteller in Bezug auf das vom Verwaltungsgerichtshof zugrunde gelegte Gutachten Einwände gegen die Methode der Abstandsfestlegung erhebt und geltend macht, die Ställe des Betriebs lägen "tatsächlich" mehr als 50 m voneinander entfernt (Beschwerdebegründung S. 2), wird nicht beachtet, dass nach den für die revisionsgerichtliche Beurteilung bindenden Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs, "die Ställe nicht mehr als 50 m auseinander liegen" (UA S. 13). Aktenwidrigkeit macht der Antragsteller nicht geltend; er behauptet lediglich, die Feststellung des Verwaltungsgerichtshofs sei falsch. Ein Verfahrensfehler i.S.d. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wird damit nicht aufgezeigt.

4

1.2

Der Vortrag, der Verwaltungsgerichtshof habe seine Pflicht zur Amtsermittlung verletzt, weil er der Aufforderung des Antragstellers nicht gefolgt sei und darauf verzichtet habe, die von ihm genannten Sachverständigen anzuhören (Beschwerdebegründung S. 3), genügt ebenfalls nicht den Anforderungen gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO an die Darlegung eines Verfahrensfehlers i.S.d. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.

5

Die Einholung zusätzlicher Sachverständigengutachten oder gutachtlicher Stellungnahmen liegt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gemäß § 98 VwGO i.V.m. §§ 404, 412 ZPO im Ermessen des Tatsachengerichts. Ein Verfahrensmangel liegt nur dann vor, wenn sich die Einholung eines weiteren Gutachtens wegen fehlender Eignung der vorliegenden Gutachten hätte aufdrängen müssen. Gutachten und fachtechnische Stellungnahmen sind nur dann ungeeignet, wenn sie grobe, offen erkennbare Mängel oder unlösbare Widersprüche aufweisen, wenn sie von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder der Unparteilichkeit des Gutachters besteht.

6

Der Antragsteller zeigt nicht auf, dass der Verwaltungsgerichtshof, der die Ermittlungen des Gutachters als methodisch zutreffend erachtet hat, Anlass zu weiteren Maßnahmen der Sachverhaltsaufklärung durch Sachverständige gehabt hätte. Der Verwaltungsgerichtshof hat ausführlich dargelegt, dass das Gutachten vom 6. März 2007 nicht zu beanstanden sei. Ausdrücklich weist er dabei darauf hin, dass die Ermittlungsmethode der TA Luft 2002 geeignet sei (UA S. 12) und er das Verfahren nach Nr. 5.4.7.1 TA Luft 2002 bereits als aussagekräftige Methode zur Lösung des Nutzungskonflikts zwischen dem Geflügelhof des Antragstellers und dem Wohngebiet "Näherer Grund" eingestuft habe (UA S. 13).

7

Der Vorwurf, der Gutachter sei ohne Begründung von der TA Luft 2002 abgewichen (Beschwerdebegründung S. 3), erschöpft sich in einem Angriff auf die tatrichterliche Beweiswürdigung. Das gilt auch für den Einwand, das Gutachten sei widersprüchlich, weil es sich einerseits auf die neue TA Luft beziehe, aber andererseits die VDI 3474 E anwende (Beschwerdebegründung S. 3).

8

1.3

Den Vorwurf, der Verwaltungsgerichtshof habe nicht erkannt, dass das Gutachten vom 6. März 2007 ebenso überholt sei wie das Gutachten vom 8. Februar 2000 (in der Beschwerdeschrift als Gutachten vom 8. Juni 2000 bezeichnet), da es sowohl die alte TA Luft als auch die neue TA Luft als Grundlage habe, begründet der Antragsteller mit einem der Beschwerdebegründung beigelegten Schreiben des Gutachters vom 15. Januar 2008 an die Antragsgegnerin (in der Beschwerdeschrift als Schreiben vom 15. August 2008 bezeichnet). Auch damit zeigt der Antragsteller keinen Verfahrensfehler auf, sondern macht lediglich geltend, entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs beruhe das Gutachten nicht auf einer geeigneten Ermittlungsmethode. Angesichts der Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofs zum Gutachten vom 8. Februar 2000 (UA S. 14) kann auch keine Rede davon sein, dass nicht geklärt worden sei, worauf die vom Antragsteller geltend gemachte "Diskre-panz" (Beschwerdebegründung S. 4) beruht. Mit der Behauptung, die TA Luft 2002 sei unverändert geblieben, lässt sich ein Verfahrensfehler nicht begründen.

9

Sollte der Vortrag als Rüge der Aktenwidrigkeit zu verstehen sein, würde er den Anforderungen an die Darlegung einer solchen Rüge nicht gerecht. Die Verfahrensrüge der "Aktenwidrigkeit" verlangt eine genaue Darstellung des Verstoßes, und zwar durch konkrete Angaben von Textstellen aus den vorinstanzlichen Verfahren, aus denen sich der Widerspruch ergeben soll. Diese Voraussetzungen sind erforderlich, da mit einer Kritik an der tatrichterlichen Beweiswürdigung und Überzeugungsbildung ein Verfahrensmangel nicht dargelegt wird (stRspr; vgl. nur Beschlüsse vom 2. November 1999 - BVerwG 4 BN 41.99 - und vom 4. Juli 2001 - BVerwG 4 B 51.01 -).

10

1.4

Auch soweit der Antragsteller meint, es habe geklärt werden müssen, warum die Kaltluftabflüsse nicht mehr relevant seien (Beschwerdebegründung 5. 4), wendet er sich nur dagegen, dass der Verwaltungsgerichtshof dem Gutachter attestiert, besondere Umstände unter Bezugnahme auf umfangreiche Untersuchungen überzeugend verneint zu haben (UA S. 13).

11

1.5

Der Hinweis, nach dem GIRL-Gutachten würden in mehreren Quadranten die zulässigen 15 % Geruchsstunden überschritten (Beschwerdebegründung S. 4), deckt sich nicht mit der Feststellung des Verwaltungsgerichtshofs, der Gutachter halte dies nur für den Fall der Aufstockung des bestehenden Stalls für möglich und eine solche Erweiterung sei nie Planziel der Antragsgegnerin gewesen und vom Antragsteller auch nicht substantiiert ins Spiel gebracht worden (UA S. 15).

12

1.6

Mit dem Einwand, es treffe nicht zu, dass die Kosten für den Mediationsstall nicht substantiiert waren, zeigt der Antragsteller nicht auf, dass der Verwaltungsgerichtshof, der unter Bezugnahme auf das Urteil vom selben Tag zum Bebauungsplan "Sondergebiet Geflügelhof" - 3 S 895/10 - dargelegt hat, dass eine Betriebserweiterung baulich und finanziell auf zumutbare Weise realisiert werden könne (UA S. 15), seinen Vortrag nicht zur Kenntnis genommen hat. Er hat eine Erweiterung auf bis zu 36 000 Legehennen auf der Grundlage von Käfighaltung zugrunde gelegt und - in der Sache 3 S 895/10 - dargelegt, dass die aus dem Mediationsverfahren stammende "3-Ställe-Variante" bereits Gegenstand der Entscheidung des Senats im Urteil vom 4. März 2009 war und er dort entschieden habe, dass ein Stallneubau trotz baulicher Erfordernisse (Aufstän-derung) auch finanziell noch zumutbar wäre. Der Verwaltungsgerichtshof weist in der Parallelsache auch darauf hin, dass der Antragsteller diese Einschätzung, an der festzuhalten sei, substantiiert nicht in Frage gestellt habe. Dem hält der Antragsteller lediglich entgegen, er habe höhere Kosten nachgewiesen. Das genügt indes nicht, um einen Verfahrensfehler darzulegen. Vielmehr hätte es zumindest einer Auseinandersetzung mit dem in Bezug genommenen Urteil vom 4. März 2009 und der Darlegung bedurft, dass er dem Verwaltungsgerichtshof im Hinblick auf die dortigen Feststellungen "neue" hinreichend substantiierte Tatsachen vorgetragen habe, die Anlass zu einer abweichenden Einschätzung gegeben hätten.

13

2.

Auch soweit sich der Antragsteller auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO beruft, genügt der Vortrag nicht den Darlegungsanforderungen gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.

14

2.1

Die Grundsatzrüge, mit der der Antragsteller als grundsätzlich klärungsbedürftig die Frage aufwirft, ob und inwieweit die VDI-Richtlinie 3474 E noch Anwendung finden darf (Beschwerdebegründung S. 5), erschöpft sich in der Behauptung, der Gutachter habe seine Berechnungen auf diese Richtlinie bezogen. Dass diese Frage entscheidungserheblich sein könnte, legt der Antragsteller nicht dar. Ausführungen zur VDI-Richtlinie 3474 E enthält das angefochtene Urteil nicht.

15

2.2

Der Einwand, es sei von rechtsgrundsätzlicher Bedeutung, welche Umweltrichtlinie anzuwenden sei, GIRL oder TA Luft (Beschwerdebegründung S. 2), wird nicht weiter begründet. Mit der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs, dass die Genehmigungsbehörde nach Nr. 1 Abs. 6 der GIRL 2004 und 2008 und seit Inkrafttreten der TA Luft 2002 bei genehmigungsbedürftigen Tierhaltungsanlagen (Nr. 7 des Anhangs zur 4. BImSchV) auf das Verfahren nach GIRL verzichten kann (UA S. 12), setzt sich der Antragsteller nicht auseinander. Im Übrigen hat der Verwaltungsgerichtshof den Gutachter zu den Ergebnissen einer aktuellen GIRL-Bewertung befragt (UA S. 14). Auch der Antragsteller trägt - im Rahmen der Verfahrensrügen - vor, dass der Gutachter beide Methoden verwendet habe (Beschwerdebegründung S. 4). Dennoch fehlen Darlegungen zur Entscheidungserheblichkeit.

16

3.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.

Prof. Dr. Rubel
Dr. Jannasch
Dr. Bumke

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