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Bundesverwaltungsgericht
v. 03.08.2011, Az.: BVerwG 9 B 76.10
Fehlende Befassung des Gerichts mit einem wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei in den Entscheidungsgründen als Indiz für eine Nichtberücksichtigung
Gericht: BVerwG
Entscheidungsform: Entscheidung
Datum: 03.08.2011
Referenz: JurionRS 2011, 22053
Aktenzeichen: BVerwG 9 B 76.10
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

VG Freiburg - 21.06.2007 - AZ: 4 K 374/06

VGH Baden-Württemberg - 25.06.2010 - AZ: 3 S 2856/08

BVerwG, 03.08.2011 - BVerwG 9 B 76.10

Redaktioneller Leitsatz:

Geht das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer zentralen Frage in den Entscheidungsgründen nicht ein, ist von einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör auszugehen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder offensichtlich unsubstantiiert war.

In der Verwaltungsstreitsache
...
hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 3. August 2011
durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Storost,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Buchberger und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Christ
beschlossen:

Tenor:

Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 25. Juni 2010 wird aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 150 000 € festgesetzt.

Gründe

1

Die Beschwerde der Klägerin ist mit dem Ergebnis der Zurückverweisung an den Verwaltungsgerichtshof begründet (§ 133 Abs. 6 VwGO).

2

1.

Die angefochtene Entscheidung beruht auf einer - hinreichend dargelegten - Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 132 Abs. 2 Nr. 3, § 138 Nr. 3 VwGO).

3

Der Anspruch der Prozessbeteiligten auf rechtliches Gehör verpflichtet das Gericht, deren Ausführungen zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Zwar ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht das Vorbringen eines Beteiligten zur Kenntnis nimmt und in Erwägung zieht und dass ein Gericht nicht verpflichtet ist, jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden. Die wesentlichen, der Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung dienenden Tatsachenbehauptungen müssen aber jedenfalls in den Entscheidungsgründen verarbeitet werden. Geht das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war. Dementsprechend gebietet die Begründungspflicht des § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO, dass in den Urteilsgründen die tatsächlichen Umstände und rechtlichen Erwägungen wiedergegeben werden, die das Gericht bestimmt haben, die Voraussetzungen für seine Entscheidung als erfüllt anzusehen. Das Urteil muss erkennen lassen, dass das Gericht den ermittelten Tatsachenstoff wertend gesichtet hat und in welchen konkreten Bezug es ihn zu den angewandten Rechtsnormen gesetzt hat. Dies setzt voraus, dass das Gericht zum einen seinen rechtlichen Prüfungsmaßstab offen legt und zum anderen in tatsächlicher Hinsicht angibt, von welchem Sachverhalt es ausgeht und - sofern es den Tatsachenbehauptungen eines Beteiligten widerspricht - warum es dessen Vortrag nicht folgt und aufgrund welcher Erkenntnisse es eine ihm ungünstige Tatsachenlage als erwiesen ansieht. Aus den Entscheidungsgründen muss sowohl für die Beteiligten als auch für das Rechtsmittelgericht nachvollziehbar sein, aus welchen Gründen des materiellen Rechts oder des Prozessrechts nach Meinung des Gerichts dem Vortrag eines Beteiligten, jedenfalls soweit es sich um einen zentralen Punkt seiner Rechtsverfolgung handelt, nicht zu folgen ist (Beschluss vom 18. Oktober 2006 - BVerwG 9 B 6.06 - Buchholz 310 § 108 Abs. 2 VwGO Nr. 66 m.w.N.). Gemessen daran rügt die Beschwerde zu Recht, dass der Verwaltungsgerichtshof das Vorbringen der Klägerin zur Bedeutung der in § 2 Nr. 2 des notariellen Kaufvertrags vom 28. März 2001 enthaltenen Klausel übergangen hat, dass sich bei Nichtgewährung der Fördermittel in Höhe des zunächst gestundeten Restkaufpreises der Restkaufpreis entsprechend verringere.

4

Die Klägerin hat im Berufungsverfahren schriftsätzlich unter Bezugnahme auf entsprechendes Vorbringen auch der Beklagten selbst vorgetragen, dass mit dieser Klausel der Kaufpreis automatisch in Höhe ausbleibender Fördermittel des Landes habe verringert werden sollen. Bei diesem Vortrag handelt es sich erkennbar um einen zentralen Punkt der Rechtsverfolgung. Wenn die genannte Klausel in § 2 des notariellen Kaufvertrags in diesem Sinne auszulegen und für die Beteiligten rechtsverbindlich wäre, könnte nicht - wie der Verwaltungsgerichtshof angenommen hat - nach § 7h Abs. 1 Satz 4 EStG von den steuerlich anzuerkennenden Herstellungskosten ein durch Verrechnung des Förderanspruchs der Klägerin gegenüber der Beklagten aus der Modernisierungsvereinbarung mit der Restkaufpreisforderung gewährter Zuschuss in Höhe von 281 469,75 € (550 507 DM) abgezogen werden (Feststellung in der angefochtenen Bescheinigung vom 13. März 2006), sondern nur der erheblich geringere Zuschuss, den das Land tatsächlich bewilligt hat. Denn bei der dann anzunehmenden Verringerung der Restkaufpreisforderung der Beklagten in Höhe der Differenz zwischen 281 469,75 € und dem vom Land bewilligten Förderbetrag würde es sich auch nach der maßgeblichen Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs nicht um einen anrechenbaren Zuschuss i.S.d. § 7h Abs. 1 Satz 4 EStG handeln. Gleichwohl wird die genannte Klausel in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils nicht behandelt. Der Verwaltungsgerichtshof begründet seine Annahme, die steuerlich anzuerkennenden Herstellungskosten seien um einen Zuschuss in Höhe von 281 469,75 € zu kürzen, allein unter Hinweis auf einen von der Zuschussbewilligung des Landes unabhängigen Förderanspruch der Klägerin gegenüber der Beklagten aus der maßgeblichen Modernisierungsvereinbarung in dieser Höhe, der nach § 2 des Kaufvertrages mit der Restkaufpreisforderung zu verrechnen sei. Bei dieser Beurteilung der vertraglichen Beziehungen kommt der genannten Klausel keinerlei Bedeutung zu, worauf die Beschwerde zutreffend verweist. Aus den Entscheidungsgründen ist jedoch nicht nachvollziehbar, weshalb hiervon auszugehen und beispielsweise eine Modifizierung der Modernisierungsvereinbarung durch den nachfolgenden Kaufvertrag auszuschließen ist, obwohl das übereinstimmende Vorbringen der Beteiligten und die Unterscheidung zwischen "tatsächlich gewährten Fördermitteln" und "Sanierungszuschuss" in § 2 des Kaufvertrages Anhaltspunkte für eine Anrechnung nur der vom Land gewährten Fördermittel auf den Restkaufpreis geben könnten.

5

Die weiteren Gehörsrügen können hingegen keinen Erfolg haben. Die Beschwerde wendet sich insoweit lediglich gegen die Würdigung des Sachverhalts durch den Verwaltungsgerichtshof.

6

2.

Eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) kommt nicht in Betracht. Die Beschwerde will geklärt wissen,

"ob man durch schuldrechtliche Verträge vereinbaren kann, dass so getan wird, als ob eine Vertragspartei Aufwendungen gehabt hätte bzw. als ob Zuschüsse geflossen seien oder ob tatsächlich entsprechende Vermögensbewegungen erfolgt sein müssen,

ob Zuschüsse nicht nur gegen die gesamte Steuersystematik angenommen werden können, sondern auch gegen § 194 BauGB,

ob auf der Grundlage von Fiktionen Bürger besteuert werden dürfen."

7

Damit wird keine konkrete, jedoch fallübergreifende Rechtsfrage bezeichnet, die für die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs von Bedeutung war und deren noch ausstehende höchstrichterliche Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Vielmehr kleidet die Beschwerde ihre Angriffe gegen die tatsächliche und rechtliche Würdigung des vorliegenden Streitfalles durch den Verwaltungsgerichtshof nur in abstrakte hypothetische Fragen, die in den Feststellungen und Rechtsausführungen des angefochtenen Urteils keine hinreichende Grundlage finden.

8

3.

Der Senat übt sein ihm im Rahmen von § 133 Abs. 6 VwGO eingeräumtes Ermessen im Interesse der Prozessökonomie dahin aus, dass die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen wird. Der Verwaltungsgerichtshof wird nunmehr in eine nähere Prüfung der Bedeutung der genannten Klausel des notariellen Kaufvertrages im Kontext der vertraglichen Beziehungen zwischen den Beteiligten - ggf. unter Würdigung tatsächlicher Absprachen und dem tatsächlichen Wert der von der Klägerin erworbenen Immobilie - eintreten müssen.

9

4.

Die Kostenentscheidung ist der Schlussentscheidung vorzubehalten. Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.

Dr. Storost
Buchberger
Dr. Christ

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