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Bundesverfassungsgericht
Beschl. v. 23.07.2013, Az.: 2 BvC 4/13
Ablehnung der Anerkennung als wahlvorschlagsberechtigte Partei für die Wahl zum 18. Deutschen Bundestag wegen Fehlens der formellen Voraussetzungen des § 18 Abs. 2 BWG
Gericht: BVerfG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 23.07.2013
Referenz: JurionRS 2013, 41158
Aktenzeichen: 2 BvC 4/13
ECLI: [keine Angabe]

Rechtsgrundlage:

§ 18 Abs. 2 BWG

Fundstelle:

BayVBl 2014, 80-81

BVerfG, 23.07.2013 - 2 BvC 4/13

In dem Verfahren
über
die Nichtanerkennungsbeschwerde

der Vereinigung Partei der Bedrängten,
vertreten durch den Vorsitzenden F ...,

gegen

die Entscheidung des Bundeswahlausschusses vom 5. Juli 2013

hat das Bundesverfassungsgericht - Zweiter Senat - unter Mitwirkung der Richterinnen und Richter

Lübbe-Wolff,
Gerhardt,
Landau,
Huber,
Hermanns,
Müller,
Kessal-Wulf

am 23. Juli 2013 beschlossen:

Tenor:

Die Nichtanerkennungsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

A.

1

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Ablehnung der Anerkennung als Partei für die Wahl zum 18. Deutschen Bundestag.

2

Die Beschwerdeführerin wurde im August 2012 in Schwerin gegründet. Sie besteht aus acht Mitgliedern und verfügt lediglich über einen Bundesverband, nicht aber über Landesverbände. Die Öffentlichkeitsarbeit erfolgt nach Angaben der Beschwerdeführerin gegenüber dem Bundeswahlausschuss auf der eigenen Internetseite und durch verschiedene Aktivitäten wie Beteiligung an Podiumsdiskussionen und Petitionen, Herausgabe einer Parteizeitung, Durchführung wöchentlicher öffentlicher Sitzungen und Unterschriftensammlungen.

3

Nachdem die Beschwerdeführerin dem Bundeswahlleiter rechtzeitig ihre geplante Beteiligung an der Bundestagswahl angezeigt hatte, stellte der Bundeswahlausschuss am 5. Juli 2013 die Nichtanerkennung der Beschwerdeführerin als Partei für die Wahl zum 18. Deutschen Bundestag fest. Die formellen Voraussetzungen des § 18 Abs. 2 BWG seien erfüllt, nicht jedoch die Kriterien der Parteieigenschaft gemäß § 2 PartG. Die erst kürzlich erfolgte Gründung sei zwar positiv anzurechnen, allerdings seien keine Angaben zu Landesverbänden gemacht worden und die Vereinigung verfüge lediglich über acht Mitglieder.

4

Hiergegen wendet sich die Beschwerdeführerin mit ihrer Nichtanerkennungsbeschwerde vom 8. Juli 2013. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, sie halte ihre Parteieigenschaft für gegeben. Nach dem Parteiengesetz sei ein Landesverband nicht zwingend erforderlich. Sie habe einen Direktkandidaten für die Bundestagswahl benannt; ein weiteres Mitglied kandidiere als Privatperson für den Bundestag. Insoweit lägen die erforderlichen Unterstützerunterschriften vor. Die Ernsthaftigkeit ihrer Zielsetzung werde belegt durch nachweisbar langjährige Aktivitäten und ihr Hervortreten in der Öffentlichkeit.

5

Dem Bundeswahlausschuss wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

B.

6

Die Nichtanerkennungsbeschwerde ist jedenfalls unbegründet. Die Beschwerdeführerin ist nicht als wahlvorschlagsberechtigte Partei für die Wahl zum Deutschen Bundestag anzuerkennen.

7

1. Parteien sind Vereinigungen von Bürgern, die dauernd oder für längere Zeit für den Bereich des Bundes oder eines Landes auf die politische Willensbildung Einfluss nehmen und an der Vertretung des Volkes im Deutschen Bundestag oder einem Landtag mitwirken wollen, wenn sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere nach Umfang und Festigkeit ihrer Organisation, nach der Zahl ihrer Mitglieder und nach ihrem Hervortreten in der Öffentlichkeit eine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit dieser Zielsetzung bieten (§ 2 Abs. 1 Satz 1 PartG). Das Bundesverfassungsgericht geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass der Gesetzgeber den Parteienbegriff des Art. 21 Abs. 1 GG durch diese Legaldefinition in verfassungsmäßiger Weise konkretisiert hat (vgl. BVerfGE 89, 266 <269 f.>, m.w.N.). Sie ist danach auch für die im vorliegenden Verfahren zu entscheidende Frage maßgeblich, ob die Beschwerdeführerin eine Partei ist. § 2 PartG muss allerdings im Lichte des Art. 21 Abs. 1 GG ausgelegt und angewendet werden (vgl. BVerfGE 89, 266 <270>).

8

Parteien müssen auch in der Gründungsphase mindestens ansatzweise in der Lage sein, die ihnen nach § 2 Abs. 1 Satz 1 PartG in Übereinstimmung mit dem Grundgesetz zugedachten Aufgaben wirksam zu erfüllen. Allein der Wille, "Partei" zu sein, ist nicht ausreichend. Im Blick auf die bei der Zulassung zur Wahl zu stellenden Anforderungen hat der Senat festgestellt, sie sollten gewährleisten, dass sich nur ernsthafte politische Vereinigungen und keine Zufallsbildungen von kurzer Lebensdauer um Wähler bewerben (vgl. BVerfGE 89, 266 <270>). Daraus folgt, dass es gewisser objektiver, im Lauf der Zeit an Gewicht gewinnender Voraussetzungen bedarf, um einer politischen Vereinigung den Status einer Partei zuerkennen zu können.

9

Wegen der den Parteien um der Offenheit des politischen Prozesses willen verfassungsrechtlich verbürgten Gründungsfreiheit ist bei politischen Vereinigungen, die am Beginn ihres Wirkens als Parteien stehen, zu berücksichtigen, dass der Aufbau einer Organisation, die sie zur Wahrnehmung ihrer Funktionen befähigt, eine gewisse Zeit erfordert. Entscheidend ist das "Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse". Die in § 2 Abs. 1 Satz 1 PartG angesprochenen, nicht trennscharf voneinander abzugrenzenden objektiven Merkmale - deren Aufzählung nicht erschöpfend ist (vgl. BVerfGE 89, 266 <270>), denen regelmäßig aber ein großes Gewicht zukommt (vgl. BVerfGE 89, 291 [BVerfG 23.11.1993 - 2 BvC 15/91] <306>) - sind Indizien für die Ernsthaftigkeit der politischen Zielsetzung. Keines ist für sich genommen ausschlaggebend, und nicht alle müssen von der Partei stets im gleichen Umfang erfüllt werden. Vielmehr bleibt es der Partei grundsätzlich überlassen, wie sie die Ernsthaftigkeit ihrer Zielsetzung unter Beweis stellt. Ihr ist es unbenommen, in ihrer politischen Arbeit Schwerpunkte zu setzen, sei es etwa im Bereich der Mitgliederwerbung und -aktivierung, der Öffentlichkeitsarbeit zwischen den Wahlen oder der Wahlteilnahme. Zurückhaltung in einem Bereich kann durch verstärkte Bemühungen auf anderen Gebieten in gewissen Grenzen ausgeglichen werden (BVerfGE 91, 262 <271>).

10

Insgesamt kommt es darauf an, ob die Gesamtwürdigung der tatsächlichen Verhältnisse einer Partei - unter Einschluss der Dauer ihres Bestehens - den Schluss zulässt, dass sie ihre erklärte Absicht, an der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken, ernsthaft verfolgt. Daraus ergibt sich, dass Vereinigungen, die nach ihrem Organisationsgrad und ihren Aktivitäten offensichtlich nicht imstande sind, auf die politische Willensbildung des Volkes Einfluss zu nehmen, bei denen die Verfolgung dieser Zielsetzung erkennbar unrealistisch und aussichtslos ist und damit nicht (mehr) als ernsthaft eingestuft werden kann, nicht als Parteien anzusehen sind (BVerfGE 91, 262 <271 f.>).

11

2. Gemessen an diesem Maßstab hat die Beschwerdeführerin nach der erforderlichen Gesamtwürdigung der tatsächlichen Verhältnisse nicht die Eigenschaft einer Partei. Nach der Zahl ihrer Mitglieder und ihrem Organisationsgrad ist sie derzeit nicht imstande, auf die politische Willensbildung des Volkes Einfluss zu nehmen. Auch ihr Hervortreten in der Öffentlichkeit bietet bislang keine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit ihrer politischen Zielsetzung.

12

Die Beschwerdeführerin verfügt nur über acht Mitglieder. Es ist nicht ersichtlich, wie die Vereinigung mit nur acht Mitgliedern auf Bundesebene Einfluss auf die politische Willensbildung des Volkes nehmen will und einen Wahlkampf mit dem Ziel parlamentarischer Vertretung führen will (vgl. BVerfGE 91, 262 <274>). Auch ist damit nicht gesichert, dass das Bestehen der Vereinigung von einem Mitgliederwechsel unabhängig ist. Die Partei weist über das Bestehen eines Bundesverbandes hinaus keine weiteren organisatorischen Strukturen auf und kann daher nicht als hinreichend organisatorisch verfestigt angesehen werden. Ein Ausbau der Organisation ist seit Parteigründung nicht erfolgt. Auch ist die Beschwerdeführerin in der Öffentlichkeit bislang kaum hervorgetreten. Nachweise für die von der Beschwerdeführerin behauptete Öffentlichkeitsarbeit liegen kaum vor. Ständige Aktivitäten entwickelt die Beschwerdeführerin lediglich in der Herausgabe einer Zeitschrift ("Zukunftsangst"), von der schon unklar ist, in welchen Zeitabständen und in welcher Auflage sie erscheint. Ferner führt sie wöchentlich "öffentliche Versammlungen" durch, deren Teilnehmerkreis unbekannt bleibt. Über die lokale Öffentlichkeit hinausgreifende Wirksamkeit kommt diesen Aktivitäten offensichtlich nicht zu. Selbst unter Berücksichtigung der besonderen Situation von Parteien in der Gründungsphase kann von einer Ernsthaftigkeit der politischen Zielsetzung der Beschwerdeführerin nach alledem gegenwärtig nicht ausgegangen werden.

Lübbe-Wolff

Gerhardt

Landau

Huber

Hermanns

Müller

Kessal-Wulf

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