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Bundesverfassungsgericht
Beschl. v. 22.03.2013, Az.: 1 BvR 791/12
Entziehung der Zulassung für ein Medizinisches Versorgungszentrum
Gericht: BVerfG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 22.03.2013
Referenz: JurionRS 2013, 33856
Aktenzeichen: 1 BvR 791/12
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

SG Berlin - 07.07.2010 - AZ: S 22 KA 605/09

LSG Berlin-Brandenburg - 23.02.2011 - AZ: L 7 KA 62/10

BSG - 21.03.2012 - AZ: B 6 KA 22/11

Fundstellen:

GesR 2013, 355-357

InsbürO 2013, 329

MedR 2013, 664-665

NJW 2013, 2739

NJW-RR 2013, 1141-1142

NZI 2013, 717-718

NZI 2014, 305

NZS 2013, 543-544

ZInsO 2013, 1028-1029

ZIP 2013, 986-987

BVerfG, 22.03.2013 - 1 BvR 791/12

Redaktioneller Leitsatz:

Die kassenärztliche Zulassung ist ein höchstpersönliches Recht und unterfällt nicht der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters. Dies gilt auch dann, wenn sie einem in der Rechtsform einer juristischen Person des Privatrechts betriebenen Medizinischen Versorgungszentrum erteilt wird.

In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde

des Rechtsanwalts Dr. N...
als Insolvenzverwalter über das Vermögen der M... GmbH

Bevollmächtigter:

Rechtsanwalt Dr. Michael Kleine-Cosack

in Sozietät Rechtsanwälte Hiddemann, Kleine-Cosack,

Maria-Theresia-Straße 2, 79102 Freiburg -

gegen

a)

das Urteil des Bundessozialgerichts vom 21. März 2012 - B 6 KA 22/11 -,

b)

das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 23. Februar 2011 - L 7 KA 62/10 -,

c)

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 7. Juli 2010 - S 22 KA 605/09 -,

d)

den Beschluss des Berufungsausschusses für Ärzte vom 15. Juli 2009,

e)

den Beschluss des Zulassungsausschusses für Ärzte vom 27. April 2009

hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch

die Richter Gaier,
Schluckebier,
Paulus

gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 22. März 2013 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

I.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft ein sozialgerichtliches Verfahren wegen der Entziehung der Zulassung für ein Medizinisches Versorgungszentrum.

2

1. Die ursprüngliche, jetzt insolvente Beschwerdeführerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, deren Unternehmensgegenstand der Betrieb eines Medizinischen Versorgungszentrums ist. Auf Antrag der Kassenärztlichen Vereinigung B... entzog ihr der Zulassungsausschuss mit Beschluss vom 27. April 2009 die im Jahr zuvor erteilte Zulassung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung.

3

Klage und Berufung gegen die Entziehung der Zulassung waren erfolglos. Das Bundessozialgericht wies auch die Revision zurück (Urteil vom 21. März 2012).

4

Mit Beschluss vom 1. April 2012 wurde über das Vermögen der Gesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet. Der zum Insolvenzverwalter bestellte Beschwerdeführer hat mit Schriftsatz vom 4. April 2012 erklärt, er führe das von der ursprünglichen Beschwerdeführerin eingeleitete Verfassungsbeschwerdeverfahren fort.

5

Mit Ablauf des 30. Juni 2012 wurde die vertragsärztliche Tätigkeit im Medizinischen Versorgungszentrum eingestellt und die Arbeitsverträge mit den angestellten Ärzten gekündigt. Daraufhin stellte der Zulassungsausschuss für Ärzte mit Beschluss vom 1. August 2012 die Beendigung der vertragsärztlichen Tätigkeit der angestellten Ärzte mit Wirkung zum 30. Juni 2012 fest.

6

2. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 und Art. 14 GG jeweils in Verbindung mit Art. 19 Abs. 3 GG.

II.

7

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil Annahmegründe im Sinne des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Die von dem Beschwerdeführer fortgeführte Verfassungsbeschwerde ist mangels Beschwerdebefugnis unzulässig (1.). Darüber hinaus fehlt dem Beschwerdeführer aufgrund der Einstellung der vertragsärztlichen Tätigkeit des Medizinischen Versorgungszentrums zum 30. Juni 2012 für das Verfassungsbeschwerdeverfahren das Rechtsschutzbedürfnis (2.).

8

1. a) Die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde setzt voraus, dass der Beschwerdeführer geltend macht, durch eine Maßnahme der öffentlichen Gewalt in eigenen Rechten betroffen zu sein. Im Verfassungsbeschwerdeverfahren ist eine Prozessstandschaft grundsätzlich unzulässig (vgl. BVerfGE 2, 292 [BVerfG 13.05.1953 - 1 BvR 93/52] <294>; 10, 134 <136>; 11, 30 <35>; 19, 323 <329>; 56, 296 <297>; 77, 263 <268>; 79, 1 <19>). "Parteien kraft Amtes" - wie Insolvenzverwalter - sind jedoch befugt, Verfassungsbeschwerde zu erheben (vgl. BVerfGE 51, 405 [BVerfG 18.07.1979 - 1 BvR 655/779] <409>; 65, 182 <190>; 95, 267 <299>). Der Beschwerdeführer beruft sich weder auf die Verletzung eigener Prozessgrundrechte (vgl. BVerfGE 82, 286 [BVerfG 10.07.1990 - 1 BvR 984/87] <295 f.>) noch ist er aufgrund seiner Stellung als Partei kraft Amtes berechtigt, die gerügten Grundrechtsverstöße eigenständig geltend zu machen.

9

b) Soweit die Entziehung der Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung betroffen ist, mangelt es dem Beschwerdeführer an der für die prozessuale Handlungsfähigkeit vorausgesetzten materiell-rechtlichen Handlungsfähigkeit (vgl. BVerfGE 51, 405 [BVerfG 18.07.1979 - 1 BvR 655/779] <409>). Letztere folgt jedenfalls nach Einstellung der vertragsärztlichen Tätigkeit des Medizinischen Versorgungszentrums weder aus den aus der Zulassung abgeleiteten Rechten noch aus der Zulassung selbst.

10

aa) Die kassenärztliche Zulassung unterfällt als höchstpersönliches Recht nicht der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters. Die Zulassung setzt eine Reihe von Qualifikationen voraus, die in der Person des zulassungswilligen Arztes erfüllt sein müssen (vgl. § 95 Abs. 1 und § 95a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung <SGB V> i.V.m. § 3 Abs. 2 ff. der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte <Ärzte-ZV>; § 98 Abs. 2 Nr. 10 SGB V i.V.m. §§ 18, 20, 21 Ärzte-ZV; vgl. Ramolla, in: Liebold/Zalewski, Kassenarztrecht, § 95 Rn. C 95-15). Die Zulassung als Vertragsarzt ist daher höchstpersönlicher Natur und nicht übertragbar (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 31. März 1998 - 1 BvR 2167/93, 1 BvR 2198/93 -, NJW 1998, S. 1776 <1778>). Die einer natürlichen Person erteilte Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung kann als öffentlichrechtliche Berechtigung bei Vermögensverfall nicht in die Insolvenzmasse fallen (vgl. BSG, Urteil vom 10. Mai 2000 - B 6 KA 67/98 R -, BSGE 86, 121 <123>; vorgehend LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 7. Oktober 1998 - L 11 KA 62/98 -, MedR 1999, S. 333 <337>; OLG München, Beschluss vom 7. Mai 2008 - 34 Sch 8/07 u.a -, [...] <Rn. 22>; Henckel, in: Jäger, InsO, § 35 Rn. 14; Ramolla, in: Liebold/Zalewski, Kassenarztrecht, § 95 Rn. C 95-29 ).

11

bb) Bei der Zulassung handelt es sich auch dann um eine höchstpersönliche Rechtsposition, wenn sie einem in der Rechtsform einer juristischen Person des Privatrechts betriebenen Medizinischen Versorgungszentrum erteilt wird (vgl. BSG, Urteil vom 21. März 2012 - B 6 KA 22/11 R -, MedR 2013, S. 66; Dumoulin, Das Medizinische Versorgungszentrum in der Insolvenz, FLF 2012, S. 8 <11>). Auch die an die Trägergesellschaft eines Medizinischen Versorgungszentrums gebundene ärztliche Zulassung ist nicht übertragbar. Dies folgt schon daraus, dass für den vertragsärztlichen Teilnahmestatus des Medizinischen Versorgungszentrums die Qualifikationsvoraussetzungen gleichwohl über die im Medizinischen Versorgungszentrum tätigen Ärzte durchgesetzt werden (vgl. Wenner, Vertragsarztrecht nach der Gesundheitsreform, § 16 Rn. 3). Zudem steht einer Übertragung bei Veräußerung der Trägergesellschaft die Verknüpfung der Zulassung mit der Gründungsgesellschaft entgegen.

12

2. Eine Fortdauer des Rechtsschutzbedürfnisses ist nach Betriebseinstellung zum 30. Juni 2012 weder schlüssig vorgetragen noch ersichtlich.

13

Die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde setzt voraus, dass im Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts noch ein Bedürfnis für die Aufhebung des angegriffenen Hoheitsakts oder wenigstens für die Feststellung seiner Verfassungswidrigkeit besteht (vgl. BVerfGE 33, 247 [BVerfG 28.06.1972 - 1 BvR 275/68] <253>; 50, 244 <247>; stRspr). Ist das mit der Verfassungsbeschwerde ursprünglich verfolgte Begehren erledigt, so besteht ein Rechtsschutzbedürfnis nur dann, wenn die - vordergründig - erledigte Maßnahme den Beschwerdeführer aufgrund von Folgewirkungen weiterhin beeinträchtigt (vgl. BVerfGE 99, 129 [BVerfG 28.10.1998 - 1 BvR 2349/96] <138>; 110, 177 <188>), wenn eine Wiederholung des gerügten Verstoßes konkret zu besorgen ist, wenn der gerügte Grundrechtseingriff besonders schwer wiegt (vgl. BVerfGE 105, 239 [BVerfG 15.05.2002 - 2 BvR 2292/00] <246>) oder wenn anderenfalls die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage von grundsätzlicher Bedeutung unterbliebe und der gerügte Grundrechtseingriff gewichtig ist (vgl. BVerfGE 119, 309 <317>*).

14

a) Das mit der Verfassungsbeschwerde verfolgte Begehren hat sich erledigt. Die mit der Zulassungsentziehung verbundene Beschwer ist spätestens mit der Einstellung des Betriebes weggefallen.

15

Die Zulassungsentziehung entfaltet keine rechtlichen Wirkungen mehr. Die Zulassung ist ohne förmliches Entziehungsverfahren durch Auflösung des Medizinischen Versorgungszentrums kraft Gesetzes beendet (§ 95 Abs. 7 Satz 2, Alt. 2 SGB V).

16

Der Beschwerdeführer hat nicht dargetan, dass eine Wiederaufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit innerhalb einer angemessenen Frist zu erwarten ist, und deshalb ein bloßes Ruhen der Zulassung (§ 95 Abs. 5 SGB V) in Betracht kommt (vgl. Hencke, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Stand: Januar 2007, § 95 Rn. 33).

17

b) Das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis besteht nicht ausnahmsweise deshalb fort, weil anderenfalls die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage grundsätzlicher Bedeutung unterbliebe (vgl. BVerfGE 119, 309 <317>). Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen im Zusammenhang mit der Entziehung einer Vertragsarztzulassung sind in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt. Die Entziehung der Vertragsarztzulassung wegen gröblicher Pflichtverletzung schränkt die Berufsfreiheit in einem Maße ein, das in seiner Wirkung der Beschränkung der Berufswahl nahe kommt (vgl. BVerfGE 69, 233 <244>). Solche Eingriffe sind nur unter strengen Voraussetzungen zum Schutze wichtiger Gemeinschaftsgüter und unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit statthaft (vgl. BVerfGE 44, 105 [BVerfG 02.03.1977 - 1 BvR 124/76] <117 f.>). Darüber hinaus ist weder eine weitere Beeinträchtigung durch die angegriffenen Entscheidungen (vgl. BVerfGE 99, 129 [BVerfG 28.10.1998 - 1 BvR 2349/96] <138>; 110, 177 <188>) noch eine Wiederholungsgefahr (vgl. BVerfGE 33, 247 [BVerfG 28.06.1972 - 1 BvR 275/68] <257>; 81, 208 <213>) ersichtlich. Schließlich rechtfertigen auch die geltend gemachten ideellen Interessen nicht ein fortbestehendes Rechtsschutzbedürfnis.

18

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Gaier

Schluckebier

Paulus

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