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Bundesverfassungsgericht
Beschl. v. 20.11.2014, Az.: 1 BvR 977/14
Verfassungsrechtliche Relevanz einer Nichtzulassung zum Habilitationsverfahren
Gericht: BVerfG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 20.11.2014
Referenz: JurionRS 2014, 34524
Aktenzeichen: 1 BvR 977/14
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

OVG Hamburg - 28.03.2014 - AZ: 3 Bf 107/13.Z

VG Hamburg - 05.04.2013 - AZ: 2 K 1378/12

Rechtsgrundlagen:

Art. 5 Abs. 3 GG

Art. 12 Abs. 1 GG

§ 71 Abs. 3 S. 1 HmbHG

Fundstellen:

JuS 2015, 855-856

NJW 2015, 1667

NVwZ 2015, 431-432

VR 2015, 107

VRÜ 2015, 107

BVerfG, 20.11.2014 - 1 BvR 977/14

In dem Verfahren
XXX
gegen a) den Beschluss des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 28. März 2014 - 3 Bf 107/13.Z -,
b) das Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 5. April 2013 - 2 K 1378/12 -,
c) den Widerspruchsbescheid der Universität Hamburg
vom 24. Mai 2012 - 312.2/470.2340-0010/003(W/10) -,
d) den Ablehnungsbescheid der Universität Hamburg
vom 14. Februar 2012 - EA-gra -
hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Vizepräsidenten Kirchhof,
den Richter Masing
und die Richterin Baer
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)
am 20. November 2014 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

I.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Zulassung zum Habilitationsverfahren.

1. Der Beschwerdeführer wurde im Jahr 2005 in Kiel promoviert. Seine Dissertation wurde mit der Note 0,7 als "opus eximium" beurteilt, das Promotionsverfahren schloss er mit dem Gesamturteil "summa cum laude" und der Gesamtnote 0,7 ab. Nachdem er 2009 vergeblich versucht hatte, sich in Kiel zu habilitieren, beantragte er die Zulassung zur Habilitation in Hamburg. Seine besondere Befähigung zu selbständiger wissenschaftlicher Forschung wollte er gemäß § 71 Abs. 3 Satz 1 Hamburgisches Hochschulgesetz (HmbHG) durch seine Dissertation nachweisen. Nach dieser Regelung wird die besondere Befähigung

durch eine Habilitationsschrift, durch eine oder mehrere wissenschaftliche Veröffentlichungen oder Leistungen von außerordentlicher Bedeutung oder in Ausnahmefällen durch eine hervorragende Dissertation nachgewiesen.

In § 9 der anwendbaren Habilitationsordnung (HabilO) heißt es insoweit:

In besonderen Ausnahmefällen kann auch eine entsprechend hervorragende, bereits gedruckte Dissertation als Habilitationsschrift zugelassen werden, wenn zwei von dem Dekan bzw. der Dekanin des Fachbereichs Psychologie im Einvernehmen mit dem Zulassungsausschuss für Habilitationen bestimmte auswärtige Gutachter bzw. Gutachterinnen die Eröffnung des Habilitationsverfahrens auf Grund der Dissertation schriftlich empfehlen.

2. Die Universität lehnte den Antrag ab. Widerspruch und Klage hatten keinen Erfolg.

a. Das Verwaltungsgericht führte aus, die Zulassung zum Habilitationsverfahren aufgrund der Dissertation sei eine erhebliche Erleichterung. Es sei gerechtfertigt, dies nur im besonderen Ausnahmefall zu ermöglichen, soweit die Anforderungen des Art. 12 Abs. 1 GG beachtet würden, dessen Schutz Art. 5 Abs. 3 GG verstärke. Ein "besonderer Ausnahmefall" sei nur gegeben, wenn während des Promotionsvorhabens der mögliche Habilitationscharakter der Dissertation erkannt werde und deswegen entschieden werden müsse, für welches Vorhaben die Arbeit "verbraucht" werden solle. Dies sei hier nicht der Fall.

b. Das Oberverwaltungsgericht lehnte den Antrag auf Zulassung der Berufung ab. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts sei nicht zu eng. Der Gesetzgeber habe diese für die Berufsfreiheit wesentliche Frage selbst geregelt, denn § 9 HabilO wiederhole nahezu wortgleich die Vorgabe des § 71 Abs. 3 HmbHG. Aus dem eindeutigen Wortlaut beider Vorschriften ergebe sich, dass neben einer hervorragenden Dissertation zusätzlich ein Ausnahmefall vorliegen müsse. Dieser sei nicht dargelegt; der bloße Hinweis auf eine persönliche Situation, auf ein gescheitertes Habilitationsverfahren und die altersbedingt verbleibende, für eine Habilitation knappe Zeit von drei Jahren, reiche nicht aus.

3. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1, Art 5 Abs. 3 Satz 1 und Art. 12 Abs. 1 GG. Er macht im Wesentlichen geltend, seine Dissertation sei als Ausnahmefall im Sinne des § 71 Abs. 3 HmbHG zu bewerten.

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Annahmegründe im Sinne von § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu. Sie ist auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt, weil sie unbegründet ist und daher keine Aussicht auf Erfolg hat.

Ein Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG liegt nicht vor.

1. Die verfassungsrechtlichen Maßstäbe für die Kontrolle von Prüfungsentscheidungen und Prüfungsverfahren ergeben sich sowohl aus der Berufsfreiheit als auch aus dem Grundsatz der Chancengleichheit nach Art. 3 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 84, 34 <50>; BVerfGK 18, 158 <170 f.>). Dieser Grundsatz erfährt durch die bei Habilitations- wie Berufungsentscheidungen zu beachtende Wissenschaftsfreiheit des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG (vgl. BVerfGE 35, 79 <132 f.>) im Wissenschaftsbereich eine besondere Ausprägung (vgl. BVerfGK 18, 158 <171>).

2. Danach sind die angegriffenen Entscheidungen nicht zu beanstanden. Sie begegnen ebenso wie die ihnen zugrunde liegenden Vorschriften keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken.

a. Eine Habilitation ist Teil einer Berufszulassungsprüfung (vgl. BVerfGK 18, 158 <169> m.w.N.). Die Regelung des § 71 Abs. 3 Satz 1 HmbHG, die in der Habilitationsordnung konkretisiert wird, stellt formale Anforderungen an die Zulassung zur Habilitation, die somit in das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 12 Abs. 1 GG eingreifen. Dieser Eingriff ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt, wenn er den Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit genügt. Diese Anforderungen fallen umso strenger aus, je mehr eine Regelung in die Freiheit der Berufswahl eingreift, während Beschränkungen der Berufsausübung eher zu rechtfertigen sind. Je empfindlicher die Berufsausübenden in ihrer Berufsfreiheit beeinträchtigt werden, desto stärker müssen die Interessen des Gemeinwohls sein, denen die Regelung zu dienen bestimmt ist (vgl. BVerfGE 103, 1 [BVerfG 13.12.2000 - 1 BvR 335/97] <10>; 106, 181 <192>; stRspr). Wird der Zugang zur Wissenschaft als Beruf beschränkt, ist die Gewährleistung des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG zu berücksichtigen.

b. Die Regelungen des hamburgischen Hochschulrechts zur Habilitation verfolgen den besonders gewichtigen Gemeinwohlbelang der Sicherung der Qualität freier wissenschaftlicher Arbeit. Sie verwehren denjenigen die Zulassung zum Habilitationsverfahren, bei denen nicht erkennbar ist, dass sie eine besondere Befähigung zu selbständiger wissenschaftlicher Forschung besitzen. Die Anforderung eines nach der Promotion zu erbringenden weiteren Nachweises gemäß § 71 Abs. 3 Satz 1 HmbHG zur Qualifikation für die Berufung auf eine Professur an einer Universität dient insofern der Funktionsfähigkeit des in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG garantierten freien Wissenschaftsbetriebs wie auch der Funktionsfähigkeit der von Art. 12 Abs. 1 GG geschützten akademischen Berufsausbildung. Das gestufte Zulassungsverfahren soll die Betroffenen vor von vornherein erfolglosen Versuchen schützen, habilitiert zu werden und dient zugleich dem Schutz der Qualität der Wissenschaft selbst.

Die Regelungen sind zur Erreichung dieser Zwecke geeignet, erforderlich und für die Betroffenen zumutbar. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass § 71 HmbHG neben der Promotion grundsätzlich einen (weiteren) Nachweis für die besondere Befähigung zu selbständiger wissenschaftlicher Arbeit fordert. Die Promotion dient gemäß § 70 Abs. 1 HmbHG dem Nachweis der Befähigung vertiefter selbständiger wissenschaftlicher Arbeit; die Habilitation ist darauf aufbauend die entscheidende Qualifikationsprüfung für eine Professur an einer Universität und vermittelt die "Lehrstuhlreife" (vgl. Hartmer, in: Hartmer/Detmer, Hochschulrecht, 2. Aufl. 2011, S. 212). Zwar wäre es durchaus zulässig, den Zugang zu Wissenschaft als Beruf anders auszugestalten. Das Bundesverfassungsgericht prüft jedoch nicht, ob der Gesetzgeber die beste oder zweckmäßigste Regelung gewählt hat, denn er verfügt hier über einen weiten Gestaltungsspielraum (vgl. BVerfGE 77, 308 [BVerwG 22.05.1987 - BVerwG 4 N 4.86] <332>; stRspr). Dies umfasst die Möglichkeit, den Zugang auch zu wissenschaftlichen Berufen durch typisierte Qualifikationsstufen zu regeln. Jede Typisierung birgt zwar gerade im Bereich der Wissenschaft das Risiko in sich, Qualifizierte in unzumutbarer Weise vom Zugang auszuschließen. Vorliegend ermöglichen die einschlägigen Regelungen aber gerade, dass "in Ausnahmefällen" davon abgewichen werden kann. Damit bestehen verschiedene Möglichkeiten, die Befähigung zu selbständiger wissenschaftlicher Arbeit nachzuweisen, die einen angemessenen Ausgleich zwischen den Interessen der Bewerberinnen und Bewerber und der Funktionsfähigkeit des Wissenschaftsbetriebs ermöglichen.

Ob der im Gesetz neben einer hervorragenden Dissertation geforderte Ausnahmefall vorliegt, um diese auch als Habilitationsleistung anzuerkennen, ist im Lichte des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG und damit wissenschaftsbezogen zu entscheiden (vgl. zum Entzug des Doktorgrades BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 3. September 2014 - 1 BvR 3353/13 -, , Rn. 17). Das Oberverwaltungsgericht hat in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise das Vorliegen eines solchen Ausnahmefalls verneint und festgestellt, dass insbesondere persönliche Gründe wie das Lebensalter oder ein zuvor gescheitertes Habilitationsverfahren nicht als ein solcher Ausnahmefall zu berücksichtigen sind.

III.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Kirchhof

Masing

Baer

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