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Bundesverfassungsgericht
Beschl. v. 13.10.2015, Az.: 2 BvR 2436/14
Verletzung des Willkürverbots durch unvertretbare Auferlegung von Kosten und Auslagen im Ordnungswidrigkeitenverfahren nach Verfahrenseinstellung; Verfassungsrechtliches Eingreifen gegenüber den Entscheidungen der Fachgerichte
Gericht: BVerfG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 13.10.2015
Referenz: JurionRS 2015, 28389
Aktenzeichen: 2 BvR 2436/14
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

AG Halle - 24.09.2013 - AZ: 381 OWi 127 Js 19437/13

Fundstellen:

NJW 2016, 861-863

RVGreport 2016, 158

StRR 2015, 474-475

SVR 2016, 4

SVR 2020, 374

ZAP EN-Nr. 935/2015

ZAP 2015, 1292

BVerfG, 13.10.2015 - 2 BvR 2436/14

Amtlicher Leitsatz:

  1. 1.

    Die Vorschriften der §§ 33, 33a StPO beschränken die gebotene nachträgliche Anhörung nicht auf Tatsachen und Beweisergebnisse; vielmehr ist über den Wortlaut der Bestimmungen i.e.S. hinaus jeder Aspekt des rechtlichen Gehörs erfasst.

  2. 2.

    Zur Verletzung des Willkürverbots durch schlechthin unvertretbare Auferlegung von Kosten und Auslagen im OWi-Verfahren nach Verfahrenseinstellung.

Tenor:

  1. 1.

    Der Beschluss des Amtsgerichts Halle (Saale) vom 24. September 2013 - 381 OWi 127 Js 19437/13 - verletzt, soweit darin über die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen entschieden ist, den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird insoweit aufgehoben. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung an das Amtsgericht zurückverwiesen.

  2. 2.

    Die Beschlüsse des Amtsgerichts Halle (Saale) vom 23. Juli 2014 - 381 OWi 127 Js 19437/13 - und des Landgerichts Halle vom 4. September 2014 - 5 Qs 177/14 - werden damit gegenstandslos.

  3. 3.

    Das Land Sachsen-Anhalt hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.

  4. 4.

    Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 8.000 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Kosten- und Auslagenentscheidung nach gerichtlicher Einstellung eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens.

I.

1. Der Beschwerdeführer ist Geschäftsführer einer im Umzugsgewerbe tätigen GmbH, die einen Lkw mit einem zulässigen Gesamtgewicht von 7,49 Tonnen bis Januar 2013 dauerhaft an ein anderes Unternehmen vermietet hatte. Im Rahmen einer polizeilichen Kontrolle am 9. November 2012 wurde festgestellt, dass das Transportfahrzeug mehrfach ohne Fahrerkarte gelenkt worden war. Der Beschwerdeführer trug im daraufhin eingeleiteten Bußgeldverfahren unter anderem vor, das anmietende Unternehmen habe den Lkw seinerseits für private Zwecke weitervermietet.

Das Landesamt für Verbraucherschutz Sachsen-Anhalt setzte mit Bußgeldbescheid vom 18. Februar 2013 gegen den Beschwerdeführer als GmbH-Geschäftsführer eine Geldbuße in Höhe von 375 Euro fest. Ihm wurde zur Last gelegt, als Vermieter des Lkw entgegen § 2 Abs. 6 Satz 1 FPersV nicht sichergestellt zu haben, dass die Daten aus dem Massespeicher des digitalen Kontrollgerätes zur Verfügung standen und keine Maßnahmen zur Sicherstellung des Datenschutzes und der Datensicherheit getroffen zu haben; eine Kontrolle sei aus diesem Grunde nicht möglich gewesen. Er habe daher ordnungswidrig im Sinne von § 8 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a des Fahrpersonalgesetzes in Verbindung mit § 21 Abs. 1 Nr. 8 der Verordnung zur Durchführung des Fahrpersonalgesetzes (FPersV) gehandelt.

2. Der Beschwerdeführer legte fristgerecht Einspruch gegen den Bußgeldbescheid ein und führte zur Begründung aus, dass ihm bereits aus Rechtsgründen die Begehung der Ordnungswidrigkeit nicht vorgeworfen werden könne, da § 2 Abs. 6 Satz 1 FPersV im hier gegebenen Fall nicht anwendbar sei. Überdies sei der Bescheid inhaltlich nicht hinreichend bestimmt, weshalb das Verfahren nach §§ 206a, 260 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG einzustellen sei.

3. Das Amtsgericht Halle (Saale) stellte das Verfahren, ohne den Beschwerdeführer dazu anzuhören, durch angegriffenen Beschluss vom 24. September 2013 außerhalb der Hauptverhandlung gemäß § 47 Abs. 2 OWiG ein, nachdem die Staatsanwaltschaft dem unter der Voraussetzung, dass kein Auslagenersatz angeordnet werde, zugestimmt hatte. Mit dem Beschluss wurden dem Beschwerdeführer zugleich die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen auferlegt, weil dies - wie das Amtsgericht ohne weitere Begründung ausführte - der Sach- und Rechtslage angemessen erscheine.

4. Der Beschwerdeführer erhob hiergegen Anhörungsrüge mit dem Ziel einer Änderung der Kosten- und Auslagenentscheidung. Unter Verweis auf den Verfahrensgang beanstandete er eine Verletzung rechtlichen Gehörs und hinsichtlich der Entscheidung über die Verfahrenskosten und seine notwendigen Auslagen, die zu § 467 Abs. 1 und Abs. 4 StPO in Widerspruch stehe, zudem einen - von ihm näher ausgeführten - Verstoß gegen das Willkürverbot.

Das Amtsgericht verwarf den Rechtsbehelf mit ebenfalls angegriffenem Beschluss vom 23. Juli 2014, ohne auf die rechtliche Argumentation des Beschwerdeführers einzugehen. Die Voraussetzungen des § 33a StPO seien nicht gegeben. Bei der Entscheidung vom 24. September 2013 sei der gesamte Akteninhalt zur Kenntnis genommen und gewürdigt worden. Der gerügte Gehörsverstoß sei nicht entscheidungserheblich, weil keine Umstände oder Anhaltspunkte dafür ersichtlich oder vorgetragen seien, dass sich der Beschwerdeführer bei erneuter Anhörung zu der erfolgten und von ihm selbst angeregten Verfahrensweise anders als geschehen verteidigt und dies zu einer anders lautenden Entscheidung des Gerichts geführt hätte. Das Gericht habe weder Tatsachen noch Beweisergebnisse verwertet, die dem Beschwerdeführer nicht bekannt gewesen seien.

5. Gegen diese Entscheidung legte der Beschwerdeführer - seinen rechtlichen Standpunkt aufrechterhaltend - Beschwerde ein, welche das Landgericht Halle mit angegriffenem Beschluss vom 4. September 2014 verwarf. Da der Beschwerdeführer in seiner Einspruchsbegründung ausführlich zu dem erhobenen Vorwurf Stellung genommen habe, sei sein Anspruch auf rechtliches Gehör im Hinblick auf die Einstellungsentscheidung nicht verletzt. Gleiches gelte auch bezüglich der Kosten- und Auslagenentscheidung, weil er hierzu auch im Nachhinein keinerlei Tatsachen, die das Gericht zu einer anderen Entscheidung hätten führen können, vorgetragen, sondern lediglich seine Rechtsauffassung dargestellt habe. Darüber hinaus könne das Amtsgericht seine Kosten- und Auslagenentscheidung zwar von sich aus ändern, ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung über die Einstellung und die Kosten und Auslagen stehe dem Beschwerdeführer aber grundsätzlich nicht zu. Das Willkürverbot werde dadurch nicht verletzt.

II.

Mit seiner am 8. Oktober 2014 erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) sowie einen Verstoß gegen das Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG) durch die ihn belastende Kosten- und Auslagenentscheidung.

Das Amtsgericht sei verpflichtet gewesen, ihm vor der nicht von ihm angeregten, unanfechtbaren Einstellung des Verfahrens nach § 47 Abs. 2 OWiG Gelegenheit zu geben, auf eine andere Art der Erledigung des Verfahrens hinzuwirken und ihn zu der beabsichtigten Entscheidung über die Verfahrenskosten und seine notwendigen Auslagen anzuhören. Da dies nicht geschehen und damit sein Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden sei, hätten die Gerichte im Verfahren nach § 33a StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG auf seinen Rechtsvortrag hin die grundsätzlich ebenfalls unanfechtbare, ihn allein beschwerende Kosten- und Auslagenentscheidung ändern müssen, denn diese Entscheidung sei willkürlich ergangen. Das Amtsgericht habe ihm abweichend von § 467 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 StPO und damit ohne gesetzliche Grundlage die Gebühren und Auslagen der Staatskasse auferlegt. Auch die notwendigen Auslagen eines Betroffenen habe nach § 467 Abs. 1 StPO grundsätzlich die Staatskasse zu tragen. Die Voraussetzungen einer hier allenfalls in Betracht kommenden Ausnahme nach § 467 Abs. 4 StPO hätten nicht vorgelegen, weil nach gefestigter Rechtsprechung dabei auf die Stärke des Tatverdachts abzustellen sei, ein solcher gegen ihn jedoch bereits aus Rechtsgründen nicht bestanden habe.

III.

1. Zu der Verfassungsbeschwerde hat die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg Stellung genommen. Sie hält die Verfassungsbeschwerde für begründet. Das Amtsgericht habe den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör dadurch verletzt, dass es ihn vor der Entscheidung über die Einstellung des Verfahrens (§ 47 Abs. 2 OWiG) nicht angehört habe. Für eine solche Einstellung bedürfe es zwar keiner Zustimmung des Betroffenen; bei einer Entscheidung außerhalb der Hauptverhandlung sei auch keine Anhörung des Betroffenen notwendig. Hiervon seien jedoch Fälle auszunehmen, bei denen eine für den Betroffenen ungünstige Kostenentscheidung getroffen werde. Da der Beschluss des Amtsgerichts vom 24. September 2013 insoweit greifbar gesetzeswidrig sei, habe der Beschwerdeführer Anspruch auf Nachholung des rechtlichen Gehörs gemäß § 33a StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG und das Gericht damit Gelegenheit gehabt, seine grundsätzlich unanfechtbare Kostenentscheidung zu ändern. Diese verstoße gegen das Willkürverbot, denn das Amtsgericht habe § 467 Abs. 4 StPO, der sich ausschließlich auf die notwendigen Auslagen des Betroffenen beziehe, auch auf die Kosten des Verfahrens angewendet.

2. Die Akte des Ausgangsverfahrens hat dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.

IV.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 3 Abs. 1 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor. Das Bundesverfassungsgericht hat die hier maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden.

1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Insbesondere hat der Beschwerdeführer den Rechtsweg im Sinne des § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG ordnungsgemäß erschöpft und die Einlegungsfrist (§ 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG) gewahrt. Die von ihm erhobene Anhörungsrüge und die Beschwerde gegen deren Zurückweisung waren geeignet, die Frist zur Erhebung der Verfassungsbeschwerde offen zu halten, weil sie nicht von vornherein aussichtslos waren. Aussichtslos ist ein Rechtsbehelf nur dann, wenn er offensichtlich unstatthaft oder unzulässig ist (vgl. BVerfGE 5, 17 <19>; 28, 1 <6>; 48, 341 <344>; BVerfGK 7, 115 <116>; 11, 203 <205 ff.>; 20, 300 <302 ff.>). Davon ist hier nicht auszugehen.

a) Nach § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG war der Beschwerdeführer aus Gründen der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde gehalten, gegen die nicht anfechtbare (§ 47 Abs. 2 Satz 3 OWiG; § 464 Abs. 3 Satz 1, Halbsatz 2 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG) Entscheidung des Amtsgerichts vom 24. September 2013 Anhörungsrüge zu erheben. Das Amtsgericht hatte ihn zu der auf § 47 Abs. 2 OWiG gestützten Einstellung des Verfahrens und insbesondere zu der beabsichtigten, ihn belastenden Kosten- und Auslagenentscheidung nicht angehört. Das Gericht kann in einem solchen Fall im Verfahren nach § 33a StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG seine an sich unanfechtbare Entscheidung über die Kosten und Auslagen prüfen und ändern (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 8. Oktober 2001 - 2 BvR 1424/01 -, , Rn. 1; BayObLG, Beschluss vom 25. Juni 1980 - 1 Ob OWi 288/80 -, , Rn. 4 f.; VerfGH des Landes Berlin, Beschluss vom 18. Juli 2006 - 43/03 -, , Rn. 16; LG Flensburg, DAR 1985, 93 <94>; Mitsch, in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, 4. Aufl. 2014, § 47 Rn. 140; Bücherl, in: Beck-OK OWiG, Stand: 15.12.2014, § 47 Rn. 31; Seitz, in: Göhler, OWiG, 16. Aufl. 2012, § 47 Rn. 36).

Dabei beschränken die Vorschriften der §§ 33, 33a StPO - entgegen der Ansicht von Amtsgericht und Landgericht - die gebotene nachträgliche Anhörung nicht auf Tatsachen und Beweisergebnisse; vielmehr ist über den Wortlaut der Bestimmungen im engeren Sinne hinaus jeder Aspekt des rechtlichen Gehörs erfasst (vgl. BVerfGE 42, 243 [BVerfG 30.06.1976 - 2 BvR 164/76] <250>; BVerfGK 12, 111 <116>). Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistet dem Verfahrensbeteiligten das Recht, sich nicht nur zu dem einer Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt, sondern auch zur Rechtslage zu äußern (vgl. BVerfGE 60, 175 <210, 211 f.>; 86, 133 <144>) und verpflichtet die entscheidenden Gerichte, die entsprechenden Ausführungen zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. BVerfGE 21, 191 [BVerfG 15.02.1967 - 2 BvR 658/65] <194>; 96, 205 <216>; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 5. Juli 2013 - 1 BvR 1018/13 -, , Rn. 14).

b) Die gegen den die Anhörungsrüge zurückweisenden Beschluss des Amtsgerichts vom 23. Juli 2014 eingelegte Beschwerde (§ 304 Abs. 1 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG) gehörte ebenfalls zum Rechtsweg im Sinne von § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG. Der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde verpflichtet den Beschwerdeführer, von einem Rechtsmittel auch dann Gebrauch zu machen, wenn nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre zweifelhaft ist, ob es statthaft ist und in zulässiger Weise eingelegt werden kann (vgl. BVerfGE, 16, 1 [BVerfG 26.03.1963 - 1 BvR 451/62] <2 f.>; 28, 1<6>; 48, 341 <344>; 91, 93 <106>; BVerfGK 20, 300 <302>).

Es ist streitig, ob gegen eine nach § 33a StPO ergangene Entscheidung die Beschwerde statthaft ist. Die überwiegende Auffassung bejaht dies jedenfalls für den Fall, dass das Gericht die Durchführung des Nachverfahrens aus formellen Gründen abgelehnt hat (vgl. zum Streitstand OLG Celle, Beschluss vom 1. August 2012 - 1 Ws 290/12, 1 Ws 291/12 -, , Rn. 4). Da das Amtsgericht sich einer erneuten sachlichen Prüfung verschlossen hat, weil es der unzutreffenden Ansicht war, Rechtsvortrag des Beschwerdeführers im Anhörungsverfahren generell nicht berücksichtigen zu müssen, waren diese Voraussetzungen hier gegeben. Der Beschwerdeführer durfte deshalb davon ausgehen, dass seine Beschwerde nicht von vornherein aussichtslos war.

c) Die Verfassungsbeschwerde ist schließlich nicht deshalb unzulässig, weil sie sich lediglich gegen eine Kostenentscheidung richtet und nicht zugleich gegen die damit verbundene Entscheidung in der Hauptsache. Der geltend gemachte Verfassungsverstoß bezieht sich allein auf den Ausspruch über die Kosten und Auslagen. In einem solchen Fall besteht ein Rechtsschutzbedürfnis für dessen verfassungsgerichtliche Überprüfung. Anderenfalls wäre der verfassungsgerichtliche Rechtsschutz lückenhaft, denn der Betroffene hätte keine Möglichkeit, sich gegen eine selbständig in einer Kostenentscheidung enthaltene Verletzung seiner verfassungsmäßigen Rechte zur Wehr zu setzen (vgl. BVerfGE 74, 78 [BVerfG 03.12.1986 - 1 BvR 872/82] <89 f.>; BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammer des Ersten Senats vom 18. April 2006 - 1 BvR 2094/05 -, , Rn. 11 und vom 17. November 2009 - 1 BvR 1964/09 -, , Rn. 9; vgl. ferner VerfGH des Landes Berlin, Beschluss vom 18. Juli 2006 - 43/03 -, , Rn. 13).

2. Die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Das Amtsgericht hat mit der angegriffenen Kosten- und Auslagenentscheidung gegen Art. 3 Abs. 1 GG in der Ausprägung als Willkürverbot verstoßen.

a) Die Auslegung des Gesetzes und seine Anwendung auf den einzelnen Fall sind Sache der dafür zuständigen Gerichte und daher der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich entzogen; ein verfassungsrechtliches Eingreifen gegenüber den Entscheidungen der Fachgerichte kommt nur in seltenen Ausnahmefällen unter dem Gesichtspunkt der Verletzung des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) in seiner Bedeutung als Willkürverbot in Betracht (vgl. BVerfGE 74, 102 [BVerfG 13.01.1987 - 2 BvR 209/84] <127>; stRspr). Ein Richterspruch verstößt nicht schon dann gegen das Verbot objektiver Willkür, wenn die angegriffene Rechtsanwendung oder das dazu eingeschlagene Verfahren fehlerhaft sind. Hinzukommen muss, dass Rechtsanwendung oder Verfahren unter keinem denkbaren Aspekt mehr rechtlich vertretbar sind und sich daher der Schluss aufdrängt, dass die Entscheidung auf sachfremden und damit willkürlichen Erwägungen beruht (vgl. BVerfGE 80, 48 [BVerfG 15.03.1989 - 1 BVR 1428/88] <51>), etwa wenn eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt, der Inhalt einer Norm in krasser Weise missdeutet oder sonst in nicht mehr nachvollziehbarer Weise angewendet wird (vgl. BVerfGE 87, 273 [BVerfG 03.11.1992 - 1 BvR 1243/88] <278 f.>; 89, 1 <13 f.>; 96, 189 <203>).

Dieser aus Art. 3 Abs. 1 GG gewonnene materiell-verfassungsrechtliche Prüfungsmaßstab verlangt mit Rücksicht auf die Bindung des Richters an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) eine Begründung auch letztinstanzlicher Entscheidungen jedenfalls dann und insoweit, als von dem eindeutigen Wortlaut einer Rechtsnorm abgewichen werden soll und der Grund hierfür sich nicht schon eindeutig aus den Beteiligten bekannten und für sie ohne Weiteres erkennbaren Besonderheiten des Falles ergibt (vgl. BVerfGE 71, 122 [BVerfG 05.11.1985 - 2 BvR 1434/83] <136>). Dabei kann von einer willkürlichen Missdeutung des Inhalts einer Norm nicht gesprochen werden, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinandergesetzt hat und seine Auffassung nicht jedes sachlichen Grundes entbehrt (vgl. BVerfGE 87, 273 [BVerfG 03.11.1992 - 1 BvR 1243/88] <279>).

b) Nach diesen Maßstäben verletzt die angegriffene Kosten- und Auslagenentscheidung den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG.

aa) Die Entscheidung des Amtsgerichts über die Kosten des Verfahrens (§ 464a Abs. 1 Satz 1 StPO) ist offensichtlich fehlerhaft. Sie entbehrt von vornherein jeder gesetzlichen Grundlage.

(1) Wird das gerichtliche Verfahren gegen einen Betroffenen nach § 47 Abs. 2 OWiG eingestellt, fallen die Auslagen der Staatskasse nach § 467 Abs. 1 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG grundsätzlich der Staatskasse zur Last. Hiervon ist nach § 467 Abs. 2 Satz 1 StPO nur abzuweichen und sind dem Betroffenen die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, wenn er sie durch schuldhafte Säumnis verursacht hat. Nach einhelliger Auffassung der Fachgerichte und der Literatur setzt dies die schuldhafte Versäumung eines Termins oder einer Frist voraus (vgl. OLG Stuttgart, NJW 1974, S. 512 [OLG Stuttgart 05.12.1973 - 3 Ws 326/73]; OLG Karlsruhe, NJW 1961, S. 1128 [OLG Karlsruhe 19.01.1961 - 1 Ss 263/60] <1129>; Gieg, in: Karlsruher Kommentar StPO, 7. Aufl. 2013, § 467 Rn. 4; Meier, in: Dölling/Duttge/Rössner, Gesamtes Strafrecht, 3. Aufl. 2013, § 467 Rn. 4; Gürtler, in: Göhler, OWiG, a.a.O., vor § 105 Rn. 81; Hilger, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2010, § 467 Rn. 24). Ein solcher Fall ist hier ersichtlich nicht gegeben.

(2) Die Regelungen in § 467 Abs. 3 bis Abs. 5 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG können ebenso wie die Bestimmung des § 109a Abs. 2 OWiG nicht dafür herangezogen werden, die Kosten des Verfahrens dem Betroffenen aufzuerlegen; sie beziehen sich nach ihrem eindeutigen Wortlaut ausschließlich auf dessen notwendige Auslagen.

(3) Die angegriffenen Entscheidungen enthalten keinerlei Erwägungen, die ein Abweichen von diesen unmissverständlichen gesetzlichen Regelungen rechtfertigen oder auch nur nachvollziehbar machen könnten. Insbesondere ist der pauschale Verweis des Amtsgerichts im Beschluss vom 24. September 2013 auf die "Sach- und Rechtslage" ohne jeden sachlichen Gehalt. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens ist daher unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt verständlich und schlechthin unvertretbar. Sie verstößt gegen den durch Art. 3 Abs. 1 GG verfassungskräftig verbürgten Anspruch des Beschwerdeführers auf willkürfreie Entscheidung (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 27. November 1989 - 2 BvR 1333/87 -, , Rn. 9 ff.).

bb) Dieser Verfassungsverstoß erfasst auch die ebenfalls angegriffene Entscheidung des Amtsgerichts über die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers.

(1) Gemäß § 467 Abs. 1 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG hat die nach Einstellung eines Bußgeldverfahrens zu treffende Entscheidung über die notwendigen Auslagen des Betroffenen grundsätzlich dahingehend auszufallen, dass diese zu Lasten der Staatskasse gehen. Zwar kann oder muss hiervon in einigen gesetzlich geregelten Fällen abgesehen werden (§ 109a Abs. 2 OWiG, § 467 Abs. 2 bis Abs. 4 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG). Der Entscheidung des Amtsgerichts über die notwendigen Auslagen lässt sich jedoch nicht einmal im Ansatz entnehmen, aus welchem Grunde diese dem Beschwerdeführer auferlegt wurden. Daher kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich das Amtsgericht auch insoweit von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen.

(2) Die Voraussetzungen für eine Ermessensentscheidung nach § 109a Abs. 2 OWiG waren hier nicht gegeben, denn dem Beschwerdeführer sind ersichtlich keine vermeidbaren Auslagen dadurch entstanden, dass er entlastende tatsächliche Umstände (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 16. August 2013 - 2 BvR 864/12 -, , Rn. 23 m.w.N.; Gürtler, in: Göhler, OWiG, a.a.O., § 109a Rn. 10; Heidrich, in: Karlsruher Kommentar OWiG, 4. Aufl. 2014; § 109a Rn. 10) nicht rechtzeitig vorbrachte. Der Tatbestand des § 467 Abs. 2 Satz 2 StPO ist gleichfalls nicht einschlägig, weil eine schuldhafte Säumnis des Beschwerdeführers aus den bereits genannten Gründen nicht vorlag. Eine unwahre Selbstanzeige (§ 467 Abs. 3 Satz 1 StPO) war ebenso wenig Ausgangspunkt des gegen ihn eingeleiteten Verfahrens, wie eine wahrheitswidrige Selbstbelastung (§ 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StPO) der Grund für dessen Fortführung. Da das Amtsgericht das Verfahren nach § 47 Abs. 2 OWiG und nicht wegen eines Verfahrenshindernisses eingestellt hat, konnte die Auslagenentscheidung auch nicht auf § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO gestützt werden.

(3) Nach der Bestimmung des § 467 Abs. 4 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG kann ein Gericht davon absehen, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen, wenn es das Verfahren nach einer Vorschrift einstellt, die dies - wie § 47 Abs. 2 OWiG - nach seinem Ermessen zulässt. Dabei darf auf die Stärke des Tatverdachts abgestellt, aber ohne prozessordnungsgemäße Feststellung keine Schuldzuweisung vorgenommen werden (vgl. BVerfGE 82, 106 <117>).

Das Amtsgericht hat seine Auslagenentscheidung, die ihm - zusammen mit der Entscheidung über die Kosten des Verfahrens - aufgrund der "Sach- und Rechtslage angemessen" erschien, über diesen formelhaften Hinweis hinaus weder im Beschluss vom 24. September 2013 näher begründet, noch die fehlende Begründung in seiner Entscheidung über die Anhörungsrüge des Beschwerdeführers vom 23. Juli 2014 nachgeholt. Das Fehlen der Begründung einer gerichtlichen Entscheidung kann dazu führen, dass ein Verfassungsverstoß nicht auszuschließen und die Entscheidung deshalb aufzuheben ist, weil erhebliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen (vgl. BVerfGE 55, 205 [BVerfG 18.11.1980 - 1 BvR 194/78] <206>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 25. Februar 1993 - 2 BvR 251/93 -, , Rn. 4; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 12. März 2008 - 2 BvR 378/05 -, , Rn. 33).

Solche nicht auszuräumenden Zweifel drängen sich hier auf. Die im angegriffenen Beschluss vom 24. September 2013 enthaltenen Formulierungen legen die Vermutung nahe, dass das Amtsgericht von vornherein und trotz der bestehenden unterschiedlichen gesetzlichen Regelungen nicht zwischen der Entscheidung über die Kosten des Verfahrens und der über die notwendigen Auslagen unterschieden hat. Da sie hinsichtlich der notwendigen Auslagen - ungeachtet der vom Beschwerdeführer rechtlich und tatsächlich in Abrede gestellten Verdachtslage - keine Hinweise auf die maßgeblichen rechtlichen Gesichtspunkte für eine vom Grundsatz des § 467 Abs. 1 StPO abweichende Kostentragung gemäß § 467 Abs. 4 StPO enthält, kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Amtsgericht sich auch insoweit von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen und deshalb das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt ist.

c) Ob der Beschwerdeführer durch die Kosten- und Auslagenentscheidung des Amtsgerichts zusätzlich in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt ist, bedarf keiner Entscheidung. Er verfolgt mit seiner entsprechenden Rüge kein weitergehendes Anfechtungsziel.

V.

Die angegriffene Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf dem festgestellten Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Sie ist daher nach § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben; die Sache ist insoweit an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Die Beschlüsse des Amtsgerichts und des Landgerichts über die Anhörungsrüge werden damit gegenstandslos.

VI.

Die Anordnung der Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG, die Festsetzung des Wertes des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit aus § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG und den Grundsätzen für die Festsetzung des Gegenstandswerts im verfassungsgerichtlichen Verfahren (vgl. BVerfGE 79, 365 [BVerfG 28.02.1989 - 1 BvR 1291/85] <366 ff.>; BVerfGK 20, 336 <337 ff.>).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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