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Bundessozialgericht
Beschl. v. 29.06.2015, Az.: B 13 R 119/15 B
Rente wegen Erwerbsminderung; Würdigung eines Gutachtens; Freie richterliche Beweiswürdigung; Geltendmachung von Rechtsanwendungsfehlern im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gericht: BSG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 29.06.2015
Referenz: JurionRS 2015, 21003
Aktenzeichen: B 13 R 119/15 B
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LSG Thüringen - 21.01.2015 - AZ: L 3 R 558/12

SG Altenburg - AZ: S 9 R 1486/08

BSG, 29.06.2015 - B 13 R 119/15 B

Redaktioneller Leitsatz:

1. Wenn die auf der Grundlage von Gutachten getroffene Beweiswürdigung für "rechtsfehlerhaft" gehalten wird, so kann diese Rüge von vornherein der Nichtzulassungsbeschwerde nicht zum Erfolg verhelfen.

2. Nach dem ausdrücklichen Wortlaut von § 160 Abs. 2 Nr. 3 Halbsatz 2 SGG kann ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung von § 128 Abs. 1 S. 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) gestützt werden.

3. Insoweit kann man sich auch nicht auf "Rechtsanwendungsfehler" berufen; denn im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde kommt es nicht darauf an, ob die angefochtene Entscheidung des LSG richtig oder vermeintlich falsch ist.

4. Vielmehr geht es darum, ob hinreichende Gründe für die Zulassung der Revision ausreichend dargelegt worden sind.

in dem Rechtsstreit

Az: B 13 R 119/15 B

L 3 R 558/12 (Thüringer LSG)

S 9 R 1486/08 (SG Altenburg)

.................,

Kläger, Antragsteller und Beschwerdeführer,

Prozessbevollmächtigter: ..................................,

gegen

Deutsche Rentenversicherung Mitteldeutschland,

Erfurter Straße 38, 99423 Weimar,

Beklagte und Beschwerdegegnerin.

Der 13. Senat des Bundessozialgerichts hat am 29. Juni 2015 durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. S c h l e g e l , den Richter Dr. F i c h t e und die Richterin Dr. O p p e r m a n n

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 21. Januar 2015 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt A. aus G. zu bewilligen, wird abgelehnt.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im oben bezeichneten Urteil wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

Gründe

1

Das Thüringer LSG hat mit Urteil vom 21.1.2015 einen Anspruch des Klägers auf Rente wegen Erwerbsminderung, auch bei Berufsunfähigkeit, ab 1.8.2007 verneint.

2

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt und Antrag auf Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung seines Rechtsanwalts gestellt. Er beruft sich auf Verfahrensfehler.

3

Der Antrag auf PKH ist abzulehnen.

4

Gemäß § 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 114 Abs 1 S 1 ZPO kann einem Beteiligten, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, für das Verfahren vor dem BSG PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

5

Hier fehlt es der beabsichtigten Rechtsverfolgung an hinreichender Aussicht auf Erfolg. Es ist nicht zu erkennen, dass einer Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers Erfolg beschieden sein könnte. Daher kommt die Beiordnung eines Rechtsanwalts nicht in Betracht (§ 121 Abs 1 ZPO).

6

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Seine Begründung vom 5.6.2015 genügt den gesetzlichen Anforderungen nicht, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund des Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht ordnungsgemäß bezeichnet worden ist (§ 160a Abs 2 S 3 SGG).

7

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen für die Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

8

Wird - wie vorliegend - ein Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) gerügt, muss die Beschwerdebegründung hierzu folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne weiteres auffindbaren Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen und zur weiteren Sachaufklärung drängen müssen, (3) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (4) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf einer angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme von seinem Standpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (zum Ganzen s Senatsbeschluss vom 12.12.2003 - BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5 mwN).

9

Ein anwaltlich vertretener Beteiligter kann nur dann mit der Rüge des Übergehens eines Beweisantrags iS von § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG gehört werden, wenn er diesen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung durch entsprechenden Hinweis zu Protokoll aufrechterhalten hat oder das Gericht den Beweisantrag in seinem Urteil wiedergibt (stRspr, vgl BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN). Nach Sinn und Zweck des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG soll die Sachaufklärungsrüge die Revisionsinstanz nur dann eröffnen, wenn das Tatsachengericht vor seiner Entscheidung durch einen Beweisantrag ausdrücklich darauf hingewiesen worden ist, dass ein Beteiligter die Sachaufklärungspflicht des Gerichts (§ 103 SGG) noch nicht als erfüllt ansieht (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 9 S 21; Nr 31 S 52).

10

Diesen aufgezeigten Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht. Der Kläger führt in seiner Beschwerdebegründung (Seite 3) aus, das LSG habe seinen im Schriftsatz vom 28.9.2012 gestellten Antrag, "den Gutachter des ersten Rechtszuges nochmals zu befragen, um eine eindeutige Position zu erhalten", übergangen. Diese Befragung sei im Hinblick auf die Fähigkeit leichte körperliche Arbeiten von sechs bis zu drei Stunden zu bewältigen, entscheidungserheblich gewesen. Ungeachtet dessen, ob es sich um einen (prozessordnungsgemäßen) Beweisantrag handelt, fehlt es bereits an Darlegung, dass der Kläger einen solchen Beweisantrag bis zuletzt vor dem LSG aufrechterhalten habe bzw dass das LSG diesen Beweisantrag in seiner Entscheidung wiedergegeben habe.

11

Wenn der Kläger überdies die auf der Grundlage der vorliegenden Gutachten getroffene Beweiswürdigung für "rechtsfehlerhaft" hält, so kann diese Rüge von vornherein der Nichtzulassungsbeschwerde nicht zum Erfolg verhelfen. Nach dem ausdrücklichen Wortlaut von § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung von § 128 Abs 1 S 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) gestützt werden. Insoweit kann er sich auch nicht auf "Rechtsanwendungsfehler" berufen. Denn im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde kommt es nicht darauf an, ob die angefochtene Entscheidung des LSG richtig oder vermeintlich falsch ist. Vielmehr geht es darum, ob hinreichende Gründe für die Zulassung der Revision ausreichend dargelegt worden sind.

12

Soweit der Kläger der Ansicht ist, dass sich das LSG nicht mit seinen Einwendungen auseinandergesetzt habe, liegt auch keine formgerechte Bezeichnung der Verletzung seines rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) vor. Hierzu trägt er vor, dass das LSG seine Kenntnisse und Fertigkeiten, die über die Fähigkeit zum Führen eines LKWs hinausgehen, nicht bewertet habe. Das LSG habe daher das "Gesamtbild" seiner Tätigkeit nicht bzw fehlerhaft bewertet. Denn ansonsten wäre das LSG zur Einstufung in die Gruppe der Facharbeiter gelangt und eine Verweisbarkeit wäre nicht möglich gewesen.

13

Mit diesem Vortrag ist eine Gehörsverletzung nicht hinreichend bezeichnet. Das Gebot der Wahrung rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht regelmäßig nur dazu, die Ausführungen von Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Es ist erst verletzt, wenn sich klar ergibt, dass das Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung gar nicht erwogen worden ist (vgl BVerfGE 65, 293, 295 f = SozR 1100 Art 103 Nr 5 S 3 f; BSG vom 25.2.1997 - 12 BK 17/96 - Juris RdNr 5; vom 16.1.2007 - B 1 KR 133/06 B - Juris RdNr 4 mwN). Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass Gerichte das entgegen genommene Beteiligtenvorbringen auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben, zumal sie nicht verpflichtet sind, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen (vgl BVerfG SozR 1500 § 62 Nr 16 mwN). Insbesondere gewährt Art 103 Abs 1 GG keinen Schutz gegen Entscheidungen, die den Sachvortrag eines Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts teilweise oder ganz unberücksichtigt lassen (BVerfG aaO; BVerfGE 21, 191, 194 [BVerfG 15.02.1967 - 2 BvR 658/65]; 50, 32, 35).

14

Im Kern rügt der Kläger mit diesem Vortrag erneut die seiner Ansicht nach unzutreffende Beweiswürdigung des LSG. Einen Verfahrensfehler kann er auch nicht daraus herleiten, dass er eine Bescheinigung vom 12.2.2015 über seine Befähigung zum Berufskraftfahrer im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde vorgelegt hat. Das BSG ist insoweit an die Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) gebunden.

15

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

16

Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

17

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Prof. Dr. Schlegel
Dr. Fichte
Dr. Oppermann

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