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Bundessozialgericht
Beschl. v. 28.11.2014, Az.: B 14 AS 215/14 B
Grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache; Anforderungen an die Beschwerdebegründung bei Divergenz; Herausarbeitung und Benennung abstrakter Rechtssätze
Gericht: BSG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 28.11.2014
Referenz: JurionRS 2014, 28447
Aktenzeichen: B 14 AS 215/14 B
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LSG Niedersachsen-Bremen - 29.04.2014 - AZ: L 7 AS 330/13

BSG, 28.11.2014 - B 14 AS 215/14 B

Redaktioneller Leitsatz:

1. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist.

2. Zur Bezeichnung einer Abweichung hat die Beschwerdebegründung einen Widerspruch im Grundsätzlichen oder ein Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze in der Entscheidung des LSG einerseits und in einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG andererseits aufzuzeigen und die in Bezug genommene Entscheidung so zu kennzeichnen, dass sie ohne Weiteres aufzufinden ist.

3. Dabei muss die Beschwerdebegründung deutlich machen, dass in der angefochtenen Entscheidung eine sie tragende Rechtsansicht entwickelt und nicht etwa nur ungenaue oder unzutreffende Rechtsausführungen oder ein Rechtsirrtum im Einzelfall die Entscheidung bestimmen; ferner muss aufgezeigt werden, dass auch das Revisionsgericht die obergerichtliche Rechtsprechung im Revisionsverfahren seiner Entscheidung zu Grunde zu legen haben wird.

4. Nötig ist dazu die Herausarbeitung und Benennung abstrakter Rechtssätze, die sich im Grundsätzlichen widersprechen; auf die Würdigung des Einzelfalls bezogene Aussagen reichen dazu nicht.

in dem Rechtsstreit

Az: B 14 AS 215/14 B

L 7 AS 330/13 (LSG Niedersachsen-Bremen)

S 37 AS 1341/09 (SG Hildesheim)

1. ......................,

2. ......................,

3. ......................,

Kläger, Antragsteller und Beschwerdegegner,

Prozessbevollmächtigter zu 1. bis 3.: ...........................................,

gegen

Landkreis Göttingen,

vertreten durch den Landrat,

Reinhäuser Landstraße 4, 37083 Göttingen,

Beklagter und Beschwerdeführer.

Der 14. Senat des Bundessozialgerichts hat am 28. November 2014 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. V o e l z k e und die Richter Prof. Dr. B e c k e r und Dr. S c h ü t z e

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 29. April 2014 wird als unzulässig verworfen.

Den Klägern wird für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt R bewilligt.

Der Beklagte hat den Klägern die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

Gründe

I

1

Mit Urteil vom 29.4.2014 hat das Landessozialgericht (LSG) im Wesentlichen die vom beklagten Landkreis mit der Berufung angegriffene erstinstanzliche Entscheidung bestätigt, den Beschwerdegegnern für den Zeitraum vom 1.1. bis 31.3.2009 höhere Kosten der Unterkunft nach § 22 Abs 1 S 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) unter Heranziehung der rechten Spalte der Tabelle zu § 12 Wohngeldgesetz (WoGG) zuzusprechen. Maßgebend dafür seien die tatsächlichen Mietaufwendungen, denn es sei dem Beklagten nicht gelungen, nachvollziehbar darzulegen, wie hoch die regional abstrakt angemessene Wohnungsmiete sei, und zu eigenen Ermittlungen sei der Senat in Anbetracht des fünf Jahre zurückliegenden Streitzeitraumes nicht gehalten gewesen. Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG richtet sich die Beschwerde des Beklagten.

II

2

Die Beschwerde ist als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 iVm § 169 Sozialgerichtsgesetz [SGG]), weil die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG), der Divergenz der Entscheidung des LSG von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) sowie eines Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht in der nach § 160a Abs 2 S 3 SGG gebotenen Weise dargetan sind.

3

a) Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Nach den aus § 160a Abs 2 S 3 SGG sich ergebenden Anforderungen muss ein Beschwerdeführer dazu anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufzeigen, welche Frage sich stellt, dass diese Rechtsfrage noch nicht geklärt ist, weshalb deren Klärung aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung dieser Rechtsfrage erwarten lässt (vgl Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, IX, RdNr 63 ff).

4

Diesen Darlegungsanforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Als grundsätzlich bedeutsam erachtet sie es, ob "die Angemessenheitsgrenze i. S. des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II unabhängig vom Bedarf an Wohnraum allein über einen an Ausstattungsmerkmalen zu definierenden Standard hergeleitet werden muss" und ob ein Gericht bei mehreren den gesetzlichen Vorgaben entsprechenden Anforderungen "einen von der Verwaltung gewählten Ansatz zu Gunsten des vom Gericht präferierten Ansatzes verwerfen" könne bzw ob bundesrechtliche Vorgaben zum mathematisch-statistischen Vorgehen bestehen. Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung dessen hätte der Beklagte in Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung der Grundsicherungssenate des BSG zum Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs 1 S 1 SGB II (zuletzt eingehend BSG Urteil vom 10.9.2013 - B 4 AS 77/12 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 70 mwN) dartun müssen, inwieweit diese Fragen entweder noch nicht geklärt worden oder erneut streitig geworden sind. Daran fehlt es indessen. Ausgewertet aus der umfangreichen Rechtsprechung zur Bestimmung der angemessenen Referenzmiete ist nur die Entscheidung vom 22.9.2009 (- B 4 AS 18/09 R -, BSGE 104, 192 = SozR 4-4200 § 22 Nr 30) und auch sie nur in Teilen. So fehlt es insbesondere an einer Auseinandersetzung mit den dort aufgestellten Anforderungen an die Schlüssigkeit des Konzepts, auf dem die Bestimmung des maßgeblichen Quadratmeterpreises beruht (aaO RdNr 19), und den Wahlmöglichkeiten bei der dazu einzuschlagenden Vorgehensweise (aaO RdNr 20). Erst recht mangelt es an jeder Befassung mit den zahlreichen Folgeentscheidungen des BSG zur Auslegung von § 22 Abs 1 S 1 SGB II. Zur Darlegung weiteren Klärungsbedarfs reicht dies nicht aus.

5

b) Auch eine Abweichung (Revisionszulassungsgrund nach § 160 Abs 2 Nr 2 SGG) ist nicht formgerecht bezeichnet. Dazu hat die Beschwerdebegründung einen Widerspruch im Grundsätzlichen oder ein Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze in der Entscheidung des LSG einerseits und in einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG andererseits aufzuzeigen und die in Bezug genommene Entscheidung so zu kennzeichnen, dass sie ohne Weiteres aufzufinden ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 67; SozR 4-1500 § 160 Nr 13). Dabei muss die Beschwerdebegründung deutlich machen, dass in der angefochtenen Entscheidung eine sie tragende Rechtsansicht entwickelt und nicht etwa nur ungenaue oder unzutreffende Rechtsausführungen oder ein Rechtsirrtum im Einzelfall die Entscheidung bestimmen (BSG SozR 1500 § 160a Nr 67). Ferner muss aufgezeigt werden, dass auch das Revisionsgericht die obergerichtliche Rechtsprechung im Revisionsverfahren seiner Entscheidung zu Grunde zu legen haben wird (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 21, 29, 54 und 67).

6

Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Zwar benennt der Beklagte verschiedene Entscheidungen des BSG, von denen das LSG im dargelegten Sinne abgewichen sein soll. Jedoch sind keine Rechtssätze herausgearbeitet, auf die das LSG seine Entscheidung tragend gestützt hat und die in Widerspruch zu ebenfalls ausdrücklich bezeichneten Rechtssätzen des BSG stehen. Vielmehr leitet der Beklagte jeweils aus Entscheidungen des BSG Aussagen ab, die nach seiner Ansicht die Rechtsprechung tragen ("der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts liegt damit der Rechtssatz zugrunde"; "der Leistungsträger muss also nach der Rechtsprechung"; "diesen Gedankengang hat das Bundessozialgericht auf ... die Erstellung schlüssiger Konzepte übertragen"), und stellt ihnen Wertungen gegenüber, die seiner Auffassung nach als Rechtssatz der Entscheidung des LSG "zugrunde" lägen und mit denen es implizit abweichende Anforderungen aufstelle ("Das Landessozialgericht legt damit der eigenen Entscheidung als Rechtssatz die volle Überprüf- und Austauschbarkeit des Konzepts zugrunde"). Mit diesem Vorgehen rügt der Beklagte allenfalls eine fehlerhafte Anwendung revisionsgerichtlich aufgestellter Maßstäbe, nicht aber eine bewusste Abweichung in dem dargelegten Sinne. Nötig wäre dazu die Herausarbeitung und Benennung abstrakter Rechtssätze, die sich im Grundsätzlichen widersprechen; auf die Würdigung des Einzelfalls bezogene Aussagen reichen dazu nicht (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 160 RdNr 13 mwN). Einen solchen und den maßgebenden Entscheidungen auch ohne Weiteres zu entnehmenden Widerspruch hat die Beschwerdebegründung nicht benannt.

7

c) Auch das Vorliegen eines Verfahrensmangels, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), ist nicht schlüssig bezeichnet. Erforderlich ist dazu die substantiierte Bezeichnung der den Mangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 34, 36) und weiter die Darlegung, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 36). Mindestens hieran fehlt es. Die Beschwerde bezeichnet zwar einen Beweisantrag, den das LSG zu Unrecht übergangen haben soll, nämlich dass "bei der Erstellung des Gutachtens der F + B GmbH die anerkannten mathematisch statistischen Grundsätze eingehalten sind". Nicht zu entnehmen ist dem Vorbringen dagegen, dass die Entscheidung des LSG tragend auf der Überzeugung beruht, der Ansatz des Beklagten sei in einem dem Sachverständigenbeweis zugänglichen mathematisch-statistischen Sinne fehlerhaft gewesen. Dargetan ist vielmehr nur, dass das LSG den vom Beklagten gewählten Beobachtungsgegenstand als unzutreffend gerügt habe. Das betrifft allerdings Fragen der materiell zutreffenden Entscheidungsgrundlage, nicht aber den Stand mathematisch-statistischer Erkenntnis. Soweit die Beschwerde demzufolge hierin hilfsweise Fragen grundsätzlicher Bedeutung sieht, mangelt es aus den dargelegten Gründen an einer hinreichenden Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des BSG zur Auslegung von § 22 Abs 1 S 1 SGB II, die eine Zulassung nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG rechtfertigen würde.

8

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG, die Entscheidung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe auf § 73a Abs 1 S 1 SGG iVm §§ 114, 119 Abs 1 S 2 Zivilprozessordnung.

Prof. Dr. Voelzke
Prof. Dr. Becker
Dr. Schütze

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