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Bundessozialgericht
Beschl. v. 24.06.2015, Az.: B 12 KR 55/14 B
Pflichtmitgliedschaft in der gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung; Bezeichnung eines Verfahrensmangels; Beruhen der Entscheidung auf einem Verfahrensmangel; Erforderlichkeit einer erneuten Anhörung
Gericht: BSG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 24.06.2015
Referenz: JurionRS 2015, 20011
Aktenzeichen: B 12 KR 55/14 B
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LSG Nordrhein-Westfalen - 09.12.2013 - AZ: L 16 KR 595/12

SG Aachen - AZ: S 14 KR 318/11

BSG, 24.06.2015 - B 12 KR 55/14 B

Redaktioneller Leitsatz:

1. Ein Verfahrensmangel i.S. von § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG ist der Verstoß des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens im unmittelbar vorangehenden Rechtszug.

2. Neben der Geltendmachung des Vorliegens eines Verstoßes gegen das Verfahrensrecht ist mit der Beschwerdebegründung darzulegen, dass die angefochtene Entscheidung auf diesem Verstoß beruhen kann.

3. Ein entscheidungserheblicher Mangel des Berufungsverfahrens wird nur dann substantiiert bezeichnet, wenn der Beschwerdeführer diesen hinsichtlich aller ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen darlegt, sodass das Beschwerdegericht allein anhand dieser Begründung darüber befinden kann, ob die angegriffene Entscheidung des LSG möglicherweise auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruht.

4. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG ist eine erneute Anhörung gemäß § 153 Abs. 4 S. 2 SGG erforderlich, wenn sich nach der ersten Anhörungsmitteilung die Prozesslage entscheidungserheblich ändert.

in dem Rechtsstreit

Az: B 12 KR 55/14 B

L 16 KR 595/12 (LSG Nordrhein-Westfalen)

S 14 KR 318/11 (SG Aachen)

.......................,

Kläger und Beschwerdeführer,

Prozessbevollmächtigte: ..........................................,

gegen

BIG direkt gesund,

Rheinische Straße 1, 44137 Dortmund,

Beklagte und Beschwerdegegnerin.

Der 12. Senat des Bundessozialgerichts hat am 24. Juni 2015 durch den Richter Dr. M e c k e als Vorsitzenden, den Richter Dr. K a l t e n s t e i n und die Richterin Dr. K ö r n e r

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 9. Dezember 2013 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten über die Pflichtmitgliedschaft des Klägers in der gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung nach § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V (sog Auffangsversicherungspflicht) bei der Beklagten bzw bei deren errichteten Pflegekasse sowie die Festsetzung von Beiträgen.

2

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des LSG Nordrhein-Westfalen vom 9.12.2013 ist in entsprechender Anwendung von § 169 S 2 und 3 SGG als unzulässig zu verwerfen. Der Kläger hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen § 160a Abs 2 S 3 SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.

3

Das BSG darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn

- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder

- das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder

- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).

4

Die Behauptung, das Berufungsurteil sei inhaltlich unrichtig, kann demgegenüber nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).

5

Der Kläger beruft sich in seiner Beschwerdebegründung vom 7.7.2014 auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache und macht das Vorliegen eines Verfahrensmangels geltend.

6

1. Bei Geltendmachung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 60 und 65; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 16 mwN stRspr; vgl auch BVerwG NJW 1999, 304 und BVerfG SozR 3-1500 § 160a Nr 7). Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (BSG SozR 1500 § 160a Nr 31).

7

Der Kläger trägt vor (S 3 f der Beschwerdebegründung), er sei nach wie vor von der Verfassungswidrigkeit der seine Pflichtmitgliedschaft ("§ 5 Abs. 1 Nr. 13 lit. a SGB V, 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 12 SGB XI") und seine Beitragspflichten begründenden Vorschriften überzeugt. "Soweit hier bekannt", sei das BSG in seinen bisherigen Entscheidungen "nur inzident von der Verfassungsgemäßheit der die Pflicht- und Beitragspflichten des Klägers begründenden Vorschriften ausgegangen".

8

Unabhängig davon, dass der Kläger - anders als erforderlich - schon keine abstrakt-generelle Rechtsfrage iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG formuliert hat, legt er auch die Klärungsbedürftigkeit der von ihm aufgeworfenen Problematik nicht dar. Zwar kann auch eine Frage, mit der die Verfassungswidrigkeit gesetzlicher Regelungen geltend gemacht wird, Gegenstand einer Grundsatzrüge sein, jedoch muss die Frage dann hinreichend klar in den jeweiligen gesetzlichen und verfassungsrechtlichen Kontext eingeordnet werden. Dazu bedarf es substanzieller Argumentation und einer Erörterung der Ausgestaltung und des Bedeutungsgehalts der in Frage stehenden Normen sowie der Auseinandersetzung mit dazu ergangener höchstrichterlicher Rechtsprechung. Die bloße Behauptung der Verfassungswidrigkeit im Groben genügt dazu nicht, vielmehr sind insoweit nähere erläuternde Ausführungen und eine sorgfältige Analyse der Rechtsprechung des BSG und des BVerfG geboten (vgl zum Ganzen zB Leitherer in Meyer Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 160a RdNr 14e mit umfangreichen Rechtsprechungsnachweisen). Dem wird der Kläger in seiner Beschwerdebegründung nicht annähernd gerecht.

9

2. Ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist der Verstoß des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens im unmittelbar vorangehenden Rechtszug (vgl zB BSGE 2, 81, 82; 15, 169, 172 = SozR Nr 3 zu § 52 SGG). Nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann sich der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 S 1 SGG stützen. Ferner kann die Geltendmachung eines Verfahrensmangels auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungspflicht) gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Prüfungsmaßstab ist die materiell-rechtliche Rechtsauffassung des LSG (BSG SozR Nr 79 zu § 162 SGG; BSG SozR 1500 § 160 Nr 33). Neben der Geltendmachung des Vorliegens eines Verstoßes gegen das Verfahrensrecht ist mit der Beschwerdebegründung darzulegen, dass die angefochtene Entscheidung auf diesem Verstoß beruhen kann. Ein entscheidungserheblicher Mangel des Berufungsverfahrens wird nur dann substantiiert bezeichnet, wenn der Beschwerdeführer diesen hinsichtlich aller ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen darlegt, sodass das Beschwerdegericht allein anhand dieser Begründung darüber befinden kann, ob die angegriffene Entscheidung des LSG möglicherweise auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruht.

10

Der Kläger rügt einen Verstoß gegen § 153 Abs 4 S 2 SGG. Er trägt vor (S 2 f der Beschwerdebegründung): Der ihm erteilte Hinweis des LSG auf eine Entscheidung gemäß § 153 Abs 4 SGG sei zum Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung verbraucht gewesen und hätte vor einer Beschlussfassung erneut erteilt werden müssen. Denn nach der Anhörungsmitteilung des Berufungsgerichts vom 3.6.2013 habe sich die materielle Rechtslage mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung vom 15.7.2013 (BGBl I 2423) maßgeblich geändert. Ohne ihn zuvor darauf hinzuweisen, habe das LSG "unter anderem (ausdrücklich) auf die gegebene neue Rechtslage" abgestellt. Dadurch habe er keine Gelegenheit gehabt, sich mit der neuen Rechtslage auseinanderzusetzen. Aufgrund seines diesbezüglichen Vortrags wäre das LSG - gegebenenfalls nach Anberaumung einer mündlichen Verhandlung - zu einem für ihn günstigeren Ergebnis gelangt.

11

Gemäß § 153 Abs 4 S 1 SGG kann das LSG die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Nach S 2 der Vorschrift sind die Beteiligten vorher zu hören. Die Anhörungspflicht nach § 153 Abs 4 S 2 SGG ist Ausdruck des verfassungsrechtlichen Gebots des rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 SGG), das bei Anwendung des vereinfachten Verfahrens im Berufungsrechtszug nicht verkürzt werden darf (vgl BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 5 RdNr 5; BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 4 S 11 f mwN).

12

Nach ständiger Rechtsprechung des BSG ist eine erneute Anhörung gemäß § 153 Abs 4 S 2 SGG erforderlich, wenn sich nach der ersten Anhörungsmitteilung die Prozesslage entscheidungserheblich ändert (vgl zB BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 11 RdNr 13; BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 4 S 12; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 153 RdNr 20).

13

Entsprechenden substantiierten Vortrag enthält die Beschwerdebegründung aber nicht. Zwar behauptet der Kläger, das LSG stelle "unter anderem (ausdrücklich) auf die gegebene neue Rechtslage" ab, indem es ausgeführt habe, dass "etwaige verfassungsrechtliche Bedenken" gegen die Pflichtversicherung im Hinblick auf die Höhe von Beiträgen und Säumniszuschlägen mit dem inzwischen in Kraft getretenen Gesetz zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung "hinfällig" seien, er legt jedoch nicht hinreichend dar, inwieweit sich die vom LSG als maßgeblich angesehene Rechtslage bezogen auf den vom Berufungsgericht für das Revisionsgericht verbindlich festgestellten Sachverhalt (vgl § 163 SGG) entscheidungserheblich geändert habe. Der Senat kann daher allein anhand der Beschwerdebegründung nicht beurteilen, ob die Vorinstanz vor einer Entscheidung nach § 153 Abs 4 SGG den Kläger wegen Verbrauchs der Anhörungsmitteilung vom 3.6.2014 erneut hätte anhören müssen.

14

3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

15

4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dr. Mecke
Dr. Kaltenstein
Dr. Körner

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