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Bundessozialgericht
Beschl. v. 21.01.2015, Az.: B 4 AS 312/14 B
Substantiierung einer Divergenz; Anforderungen an eine Beschwerdebegründung; Missverstehen eines höchstrichterlichen Rechtssatzes
Gericht: BSG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 21.01.2015
Referenz: JurionRS 2015, 14552
Aktenzeichen: B 4 AS 312/14 B
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LSG Thüringen - 17.09.2014 - AZ: L 7 AS 1053/11

SG Altenburg - AZ: S 40 AS 1161/09

Rechtsgrundlage:

§ 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG

BSG, 21.01.2015 - B 4 AS 312/14 B

Redaktioneller Leitsatz:

1. Zur Begründung einer Divergenz ist erforderlich, dass in der Beschwerdebegründung die Entscheidung, von der das Urteil des LSG abweichen soll, zumindest so bezeichnet wird, dass sie ohne Schwierigkeiten auffindbar ist.

2. Ferner ist deutlich zu machen, worin die Abweichung zu sehen sein soll; der Beschwerdeführer muss darlegen, zu welcher konkreten Rechtsfrage eine das Berufungsurteil tragende Abweichung in dessen rechtlichen Ausführungen enthalten sein soll.

3. Er muss einen abstrakten Rechtssatz aus dem vorinstanzlichen Urteil und einen abstrakten Rechtssatz aus der höchstrichterlichen Entscheidung so bezeichnen, dass die Divergenz erkennbar wird; es reicht hingegen nicht aus, auf eine bestimmte höchstrichterliche Entscheidung mit der Behauptung hinzuweisen, das angegriffene Urteil weiche hiervon ab; schließlich ist darzulegen, dass die berufungsgerichtliche Entscheidung auf der gerügten Divergenz beruht.

4. Auch in dem Fall, in dem das Berufungsgericht einen höchstrichterlichen Rechtssatz missversteht und deshalb das Recht fehlerhaft anwendet, kann nicht angenommen werden, es habe einen divergierenden Rechtssatz aufgestellt.

5. Die Bezeichnung einer Abweichung i.S. des § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG setzt vielmehr die Darlegung voraus, dass das LSG die höchstrichterliche Rechtsprechung im angefochtenen Urteil in Frage stellt; dies ist nicht der Fall, wenn es eine höchstrichterliche Entscheidung in ihrer Tragweite für den entschiedenen Fall lediglich verkannt haben sollte.

in dem Rechtsstreit

Az: B 4 AS 312/14 B

L 7 AS 1053/11 (Thüringer LSG)

S 40 AS 1161/09 (SG Altenburg)

1. ......................,

2. ......................,

Kläger und Beschwerdeführer,

Prozessbevollmächtigter zu 1. und 2.: .........................................,

gegen

Jobcenter Stadt Gera,

Reichsstraße 15, 07545 Gera,

Beklagter und Beschwerdegegner.

Der 4. Senat des Bundessozialgerichts hat am 21. Januar 2015 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. V o e l z k e sowie die Richterinnen S. K n i c k r e h m und B e h r e n d

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 17. September 2014 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

I

1

Streitig ist die Rechtmäßigkeit der vorläufigen Bewilligung von Alg II durch den Beklagten für das Jahr 2006 auf Grundlage der von den Klägern getätigten Angaben über ihre voraussichtlichen Einnahmen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit sowie des Erstattungsbegehrens des Beklagten nach Vorlage des Einkommenssteuerbescheides für das Jahr 2006, nach der endgültigen Festsetzung der Leistungen.

2

Das SG hat beides im Grundsatz bejaht. Es hat den Beklagten lediglich verurteilt, unter Abänderung des Bescheides vom 27.1.2009 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 10.3.2009 und 11.3.2009 den Klägern Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 1.1. bis 30.6.2006 in Höhe von insgesamt 238 Euro monatlich und für den Zeitraum vom 1.7. bis 31.12.2006 in Höhe von insgesamt 182 Euro zu bewilligen. Den Erstattungsbescheid vom 26.1.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.3.2009 bezüglich der Klägerin zu 1 hat das Gericht insoweit aufgehoben, als die Erstattungssumme einen Betrag von 3628,69 Euro überstieg. Auch die Erstattungsforderung des Beklagten gegenüber dem Kläger zu 2 hat es auf 3628,62 Euro begrenzt und den Erstattungsbescheid vom 26.1.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.3.2009 hinsichtlich des überschießenden Teils aufgehoben. Im Übrigen hat das SG die Klage abgewiesen (Urteil vom 23.2.2011). Die Berufung der Kläger hiergegen hat das LSG durch Urteil vom 17.9.2014 zurückgewiesen. Es hat zur Begründung im Wesentlichen auf die Entscheidungsgründe des SG Bezug genommen.

3

Gegen die Nichtzulassung der Revision im zuvor bezeichneten Urteil des LSG wenden sich die Kläger mit ihrer Beschwerde an das BSG. Sie machen eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) und rügen eine Abweichung des Urteils des LSG von Entscheidungen des BSG (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG).

II

4

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig. Ihre Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, da der geltend gemachte Zulassungsgrund nicht ordnungsgemäß dargetan worden ist (§ 160a Abs 2 S 3 SGG).

5

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Ein Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums angeben, welche Rechtsfragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss der Beschwerdeführer mithin Folgendes aufzeigen: (1) eine konkrete Rechtsfrage, (2) ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, (3) ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie (4) die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung, also eine Breitenwirkung (BSG SozR 1500 § 160 Nr 17 und § 160a Nr 7, 11, 12, 31, 59, 65). Diesen Anforderungen genügt die vorliegende Beschwerdebegründung nicht.

6

In der Beschwerdebegründung mangelt es bereits an der Formulierung einer konkreten Rechtsfrage. Selbst wenn man jedoch durch wohlwollende Auslegung des Vortrags der Beschwerdebegründung dazu gelangen wollte, die Kläger erachteten die vorläufige Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts als gegen Art 1 Abs 1 iVm Art 20 Abs 1 GG verstoßende darlehensweise Leistungsgewährung, wenn Teile der gewährten Leistung nach Vorlage der Unterlagen, die eine endgültige Leistungsfestsetzung ermöglichen, erstattet werden müssten, weil die tatsächlichen Einnahmen höher waren als bei der vorläufigen Bewilligung angenommen, ist es ihnen nicht gelungen dessen höchstrichterliche Klärungsbedürftigkeit darzulegen. Sie führen zwar aus, dass das LSG unter Beachtung der Rechtsprechung des BSG zu dem Ergebnis der Rechtswidrigkeit des Erstattungsanspruchs hätte kommen müssen. Sie arbeiten jedoch nicht heraus, welche grundsätzlich klärungsbedürftige Frage über die herangezogene Rechtsprechung zur Zulässigkeit der vorläufigen Bewilligung von existenzsichernden Leistungen, deren späterer endgültiger Bewilligung und den Voraussetzungen einer Erstattungsforderung des Leistungsträgers hinaus verbleibt (s insbesondere BSG vom 21.6.2011 - B 4 AS 21/10 R - BSGE 108, 258 = SozR 4-4200 § 11 Nr 39, RdNr 16). Dies gilt auch für ihre Ausführungen zu den ebenfalls von ihnen benannten höchstrichterlichen Entscheidungen betreffend die Frage der bereiten Mittel bei der Bedarfsdeckung im Verhältnis zur Erstattungsverpflichtung für die Vergangenheit iS der Schuldentilgung (BSG vom 29.11.2012 - B 14 AS 33/12 R - BSGE 112, 229 = SozR 4-4200 § 11 Nr 57, RdNr 15; BSG vom 10.9.2013 - B 4 AS 89/12 R - BSGE 114, 188 = SozR 4-4200 § 11 Nr 62, RdNr 21ff).

7

Es ist ihnen auch nicht gelungen, den Zulassungsgrund einer Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG formgerecht zu rügen. Zur Begründung erforderlich ist insoweit, dass in der Beschwerdebegründung die Entscheidung, von der das Urteil des LSG abweichen soll, zumindest so bezeichnet wird, dass sie ohne Schwierigkeiten auffindbar ist. Ferner ist deutlich zu machen, worin die Abweichung zu sehen sein soll. Der Beschwerdeführer muss darlegen, zu welcher konkreten Rechtsfrage eine das Berufungsurteil tragende Abweichung in dessen rechtlichen Ausführungen enthalten sein soll. Er muss einen abstrakten Rechtssatz aus dem vorinstanzlichen Urteil und einen abstrakten Rechtssatz aus der höchstrichterlichen Entscheidung so bezeichnen, dass die Divergenz erkennbar wird. Es reicht hingegen nicht aus, auf eine bestimmte höchstrichterliche Entscheidung mit der Behauptung hinzuweisen, das angegriffene Urteil weiche hiervon ab. Schließlich ist darzulegen, dass die berufungsgerichtliche Entscheidung auf der gerügten Divergenz beruht (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 21, 29, 54, 67). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung hier nicht.

8

Die Kläger benennen bereits keine konkreten Rechtssätze aus der Entscheidung des LSG, von denen die Entscheidungen des BSG abweichen sollen. Der Vortrag der Kläger läuft vielmehr darauf hinaus, dass sie meinen, ihr Fall sei unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG anders zu beurteilen. Eine Abweichung liegt jedoch nicht schon dann vor, wenn das Berufungsurteil nicht den Kriterien entsprechen sollte, die das BSG aufgestellt hat, sondern erst dann, wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen, also andere Maßstäbe entwickelt hat.

9

Auch in dem Fall, in dem das Berufungsgericht einen höchstrichterlichen Rechtssatz missversteht und deshalb das Recht fehlerhaft anwendet, kann nicht angenommen werden, es habe einen divergierenden Rechtssatz aufgestellt. Die Bezeichnung einer Abweichung iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG setzt vielmehr die Darlegung voraus, dass das LSG die höchstrichterliche Rechtsprechung im angefochtenen Urteil in Frage stellt. Dies ist nicht der Fall, wenn es eine höchstrichterliche Entscheidung in ihrer Tragweite für den entschiedenen Fall lediglich verkannt haben sollte (vgl BSG vom 2.2.2011 - B 13 R 381/10 B - juris RdNr 10).

10

Die nicht formgerecht begründete Beschwerde war daher nach § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen.

11

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

Prof. Dr. Voelzke
Knickrehm
Behrend

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