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Bundessozialgericht
Beschl. v. 17.09.2014, Az.: B 9 V 27/14 B
Gericht: BSG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 17.09.2014
Referenz: JurionRS 2014, 26289
Aktenzeichen: B 9 V 27/14 B
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LSG Niedersachsen-Bremen - 17.09.2014 - AZ: L 10 VE 13/14

SG Braunschweig - AZ: S 12 VE 35/11

BSG, 17.09.2014 - B 9 V 27/14 B

in dem Rechtsstreit

Az: B 9 V 27/14 B

L 10 VE 13/14 (LSG Niedersachsen-Bremen)

S 12 VE 35/11 (SG Braunschweig)

.....................................,

Kläger und Beschwerdeführer,

Prozessbevollmächtigte: ...........................................,

gegen

Land Niedersachsen,

vertreten durch das Niedersächsische Landesamt für Soziales,

Jugend und Familie - Landessozialamt -,

Domhof 1, 31134 Hildesheim,

Beklagter und Beschwerdegegner.

Der 9. Senat des Bundessozialgerichts hat am 17. September 2014 durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. S c h l e g e l sowie die Richterin Dr. R o o s und den Richter O t h m e r

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 19. Juni 2014 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

I

1

Mit Beschluss vom 19.6.2014 hat das LSG Niedersachsen-Bremen einen Anspruch des Klägers auf Entschädigungsleistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) iVm dem Bundesversorgungsgesetz verneint. Die in der Zeit zwischen dem 25.2. und 18.3.2010 verübten schriftlichen Erpressungsversuche gegenüber seiner Mutter ua unter Drohung, diese und den Kläger sowie seine Schwester zu töten, stellten keinen "tätlichen Angriff" im Sinne des OEG dar. Ein solcher liege auch nach der neueren Rechtsprechung des BSG nur vor bei einer gegen die körperliche Unversehrtheit einer anderen Person gerichteten Kraftentfaltung (Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 36 f). An einer solchen habe es im vorliegenden Fall zweifelsfrei gefehlt. Zur Vermeidung von Wiederholungen werde auf das parallele Senatsurteil vom 14.11.2013 (Az: L 10 VE 46/12 betreffend den Entschädigungsanspruch der Mutter des Klägers) sowie auf den die Nichtzulassungsbeschwerde gegen das vorgenannte Urteil zurückweisenden Beschluss des BSG vom 25.2.2014 (B 9 V 65/13 B) verwiesen. Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Beschluss hat der Kläger beim BSG Beschwerde eingelegt, die er mit dem Vorliegen einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache begründet (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG).

II

2

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Ihre Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, da keiner der in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe ordnungsgemäß dargetan worden ist (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).

3

Grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Ein Beschwerdeführer muss anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums angeben, welche Rechtsfragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss der Beschwerdeführer mithin Folgendes aufzeigen: (1) eine bestimmte Rechtsfrage, (2) ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, (3) ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit sowie (4) die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung, also eine Breitenwirkung (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 17; BSGE 40, 158 [BSG 22.08.1975 - 11 BA 8/75] = SozR 1500 § 160a Nr 11; BSG SozR 1500 § 160a Nr 7, 13, 31, 59 und 65). Diesen Anforderungen genügt die vorliegende Beschwerdebegründung des Klägers nicht.

4

Der Kläger hält es für eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, "ob eine Erpressung als tätlicher Angriff einzustufen ist". Jedoch fehlt es an der Darlegung, dass diese Frage auch klärungsbedürftig ist.

5

Das Bedürfnis für die Klärung einer Rechtsfrage in einem Revisionsverfahren fehlt, wenn die Frage bereits höchstrichterlich geklärt ist und ihre Beantwortung keinem vernünftigen Zweifel unterliegt (vgl zB BSG Beschluss vom 21.10.2010 - B 1 KR 96/10 B - RdNr 7 mwN).

6

Dies ist hier der Fall. Der erkennende Senat des BSG hat bereits klargestellt: Bei der Anwendung des OEG ist von dessen Grundgedanken auszugehen, dass nur Opfer von Gewalttaten entschädigt werden sollen und das OEG nicht alle aus dem Gesellschaftsleben folgenden Verletzungsrisiken abdeckt (BSG Urteil vom 14.2.2001 - B 9 VG 4/00 R - BSGE 87, 276 = SozR 3-3800 § 1 Nr 18 - "Mobbing"). Das OEG setzt eine "gewaltsame" Einwirkung voraus; der Gesetzgeber des OEG hat entschieden, dass der Begriff des "tätlichen Angriffs" den schädigenden Vorgang iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG in rechtlich nicht zu beanstandender Weise begrenzt und den im Strafrecht uneinheitlich verwendeten Gewaltbegriff einschränkt (s Senatsurteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 36). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff zeichnet sich der tätliche Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG grundsätzlich durch eine körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen Menschen ein. Die Verwirklichung eines Straftatbestandes allein reicht nicht aus, wenn dies - wie zB bei Vermögensdelikten - ohne körperliche Einwirkung auf das Opfer geschieht (vgl BSG, aaO, RdNr 62 f). Es ist nicht darauf abzustellen, ob die Angriffshandlung "körperlich wirkt" bzw zu körperlichen Auswirkungen im Sinne eines pathologisch, somatisch, objektivierbaren Zustands führt (vgl BSG, aaO, RdNr 47). In Fällen der Bedrohung oder Drohung mit Gewalt sieht das BSG die Grenze der Wortlautinterpretation jedenfalls dann erreicht, wenn sich die auf das Opfer gerichteten Einwirkungen - ohne Einsatz körperlicher Mittel - allein als intellektuell oder psychisch vermittelte Beeinträchtigung darstellt und nicht unmittelbar auf die körperliche Integrität abzielt. Eine Wertung als tätlicher Angriff lehnte der Senat für Telefonate, SMS, Briefe, Karten und dergleichen ab, weil es insoweit an einer unmittelbar drohenden Gewaltanwendung fehle, auch soweit einzelne Mitteilungen ernste Drohungen enthielten (BSG, aaO, RdNr 71).

7

Eine Rechtsfrage über die bereits höchstrichterlich entschieden worden ist, kann dennoch - weiterhin - klärungsbedürftig sein, wenn der Rechtsprechung in nicht geringfügigem Umfang widersprochen wird und gegen sie nicht von vorneherein abwegige Einwendungen vorgebracht werden (vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 13 S 19 mwN). Dies ist im Rahmen der Beschwerdebegründung darzulegen. Daran fehlt es. Der Kläger legt nicht dar, dass trotz der auch vom LSG zitierten BSG Rechtsprechung noch Klärungsbedarf verblieben ist, der eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besitzt, weil von einer Entscheidung der Rechtssache im Revisionsverfahren in einer die Interessen der Allgemeinheit berührenden Weise die Wahrung, Sicherung oder Herstellung von Rechtseinheit oder die Fortbildung des Rechts erwartet werden kann.

8

Zwar führt der Kläger die oben genannte Entscheidung des BSG vom 7.4.2011 (B 9 VG 2/10 R - aaO) auf und verweist auf deren wesentlichen Inhalt hinsichtlich der Bewertung von Stalkinghandlungen im Rahmen des § 1 Abs 1 S 1 OEG. Auch benennt er die weiter zurückliegende Entscheidung des BSG über die Bewertung von Angriffen auf die körperliche Bewegungsfreiheit als tätlichen Angriff iS des § 1 OEG (zB BSG Urteil vom 30.11.2006 - B 9a VG 4/05 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 10). Es wird jedoch nicht aufgezeigt, in welchem Rahmen auch eine weitere Ausgestaltung, Erweiterung oder Änderung der vorliegenden Rechtsprechung zur Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits erforderlich ist (vgl Becker, Die Nichtzulassungsbeschwerde zum BSG [Teil I], SGb 2007, 261, 266 zu Fußnote 58). Insoweit hätte sich der Kläger auch mit der bereits vom LSG benannten Entscheidung des BSG im parallelen Verfahren betreffend seine Mutter vom 25.2.2014 (B 9 V 65/13 B) und der darin benannten Rechtsprechung des BSG mit Urteil vom 2.10.2008 (B 9 VG 2/07 R) hinsichtlich der Möglichkeit eines tätlichen Angriffs durch eine Drohung gegenüber dem Opfer auseinandersetzen müssen (s BSG Urteil vom 2.10.2008 - B 9 VG 2/07 R - Juris RdNr 16). Schließlich hat der Senat auch in der vom Kläger selbst benannten Entscheidung vom 30.11.2006 (B 9a VG 4/05 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 10) ausdrücklich ausgeführt, dass eine Freiheitsberaubung jedenfalls dann ein tätlicher Angriff ist, wenn sie auch durch den Einsatz körperlicher Gewalt erfolgt. In der Sache kritisiert der Kläger letztlich die Rechtsanwendung des LSG, die er für unzutreffend hält. Damit kann er allerdings keine Revisionszulassung erreichen (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7 S 10).

9

Die Beschwerde ist daher ohne Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 3 SGG).

10

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Prof. Dr. Schlegel
Dr. Roos
Othmer

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