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Bundessozialgericht
Beschl. v. 15.06.2015, Az.: B 4 AS 72/15 B
Übernahme einer Betriebskostennachforderung; Bedarf im Fälligkeitsmonat; Leistungsdeckelung und abstrakte kommunale Angemessenheitsgrenzen
Gericht: BSG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 15.06.2015
Referenz: JurionRS 2015, 20420
Aktenzeichen: B 4 AS 72/15 B
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LSG Berlin-Brandenburg - 04.03.2015 - AZ: L 18 AS 2708/13

BSG, 15.06.2015 - B 4 AS 72/15 B

Redaktioneller Leitsatz:

1. Das BSG hat bereits ausgeführt, dass Nachforderungen von Betriebs- und Heizkosten, die nach regelmäßiger Übernahme der Vorauszahlungen bzw. Abschläge der jeweiligen Monate entstehen, als einmalig geschuldete Zahlungen zum aktuellen Bedarf erst im Fälligkeitsmonat gehören.

2. Weiter hat das BSG dargelegt, dass aus der Zuordnung dieses Bedarfs zum Bewilligungszeitraum der Fälligkeit der Nachforderung nicht folgt, dass auch die Angemessenheit der Unterkunfts- und Heizkosten nach den Verhältnissen im Fälligkeitsmonat zu beurteilen ist.

3. Vielmehr sind - bei grundsätzlicher Berücksichtigung dieses Bedarfs - die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse desjenigen Zeitraums zu berücksichtigen, dem die fragliche Forderung nach ihrer Entstehung im tatsächlichen Sinne zuzuordnen ist.

4. Die Leistungsdeckelung des § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II greift nur ein, wenn und soweit zutreffend ermittelte abstrakte kommunale Angemessenheitsgrenzen bestehen.

in dem Rechtsstreit

Az: B 4 AS 72/15 B

L 18 AS 2708/13 (LSG Berlin-Brandenburg)

S 104 AS 31151/12 (SG Berlin)

.....................,

Klägerin und Beschwerdegegnerin,

Prozessbevollmächtigte: .............................................,

gegen

Jobcenter Berlin Marzahn-Hellersdorf,

Allee der Kosmonauten 29, 12681 Berlin,

Beklagter und Beschwerdeführer.

Der 4. Senat des Bundessozialgerichts hat am 15. Juni 2015 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. V o e l z k e sowie die Richterin B e h r e n d und den Richter S ö h n g e n

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 4. März 2015 wird als unzulässig verworfen.

Der Beklagte hat der Klägerin die notwendigen Kosten für das Beschwerdeverfahren zu erstatten.

Gründe

I

1

Die Klägerin, die ohne Zustimmung des Beklagten sowie ohne Notwendigkeit im Juli 2010 aus ihrer Erdgeschosswohnung, für deren Unterkunftskosten der Beklagte zuletzt 349 Euro anerkannte (355,79 Euro Bruttowarmmiete abzüglich 6,79 Euro Warmwasserpauschale), in eine Wohnung vergleichbarer Größe in der 6. Etage des Wohnhauses umzog (363,19 Euro an Bruttowarmmiete), beantragte die Übernahme einer Betriebskostennachforderung für das Jahr 2011 in Höhe von 602,38 Euro. Dies lehnte der Beklagte ab. Das SG hat den Beklagten verpflichtet, weitere Unterkunftskosten in beantragter Höhe zu erbringen (Urteil vom 13.8.2013). Das LSG hat der Berufung des Beklagten stattgegeben, soweit das SG den Beklagten zur Gewährung weiterer Leistungen von mehr als 537,12 Euro verurteilt hat (Urteil vom 4.3.2015). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, als "bisheriger Bedarf" iS des § 22 Abs 1 S 2 SGB II seien nicht 355,79 Euro, sondern 400,55 Euro monatlich zu berücksichtigen, weil die mit der letzten Betriebskostenabrechnung für die frühere Wohnung (Zeitraum 1.1.2010 bis 30.6.2010) geltend gemachte und seinerzeit von dem Beklagten übernommene Nachzahlung monatsanteilig als weiterer bisheriger Bedarf zu berücksichtigen sei.

2

Hiergegen wendet sich der Beklagte mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision.

II

3

Die Beschwerde ist nicht zulässig, weil die als Zulassungsgrund geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) nicht in der erforderlichen Weise dargetan worden ist (§ 160a Abs 2 S 3 SGG). Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 SGG iVm § 169 SGG zu verwerfen.

4

Eine grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache lässt sich nur darlegen, indem die Beschwerdebegründung ausführt, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 60 und 65; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 16 mwN, stRspr, BVerwG NJW 1999, 304; vgl auch: BVerfG SozR 3-1500 § 160a Nr 7). Der Beschwerdeführer hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und ggf des Schrifttums nicht ohne Weiteres zu beantworten ist und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im Allgemeininteresse vornehmen soll (BSG SozR 1500 § 160a Nr 31).

5

Mit seinem Vorbringen wird der Beklagte diesen Darlegungserfordernissen nicht gerecht. Er trägt vor, die Rechtsfrage, ob der SGB II-Leistungsträger, der nach nicht erforderlichem Umzug Leistungsberechtigter in eine teurere Wohnung nur den bisherigen Bedarf für Unterkunft und Heizung anerkannt habe, Betriebskostennachzahlungen für die bisherige Wohnung zu übernehmen habe, habe grundsätzliche Bedeutung. Die Rechtsfrage sei klärungsbedürftig. Beim BSG sei lediglich die Rechtsfrage einer zeitlichen Beschränkung der "Deckelung" auf die bisherigen KdU anhängig (Hinweis auf B 14 AS 6/14 R und B 14 AS 7/14 R). Es existierten unterschiedliche Entscheidungen des SG Berlin. Das LSG Mecklenburg-Vorpommern habe zutreffend ausgeführt, dass aus einer Betriebskostenabrechnung zu erbringende Nachzahlungen nicht zu den "bis dahin zu tragenden Aufwendungen" iS des § 22 Abs 1 S 2 SGB II gehörten (Hinweis auf LSG Mecklenburg-Vorpommern Urteil vom 4.12.2013 - L 10 AS 285/11, RdNr 40). Dies ergebe sich bereits aus dem Gesetzeswortlaut. Die Berücksichtigung einer solchen Nachzahlung (oder im umgekehrten Fall einer Gutschrift) als Unterkunftsaufwendungen führe dazu, dass erst Monate nach dem erfolgten Umzug überhaupt festgestellt werden könne, ob die Aufwendungen für die neue Wohnung diejenigen der alten überstiegen.

6

Nach dem Inhalt dieser Beschwerdebegründung des Beklagten, der § 22 Abs 1 S 2 SGB II offenbar eine grundsätzliche Nichtberücksichtigung von Betriebskostennachforderungen nach nicht genehmigtem Umzug entnehmen will, fehlt eine Auseinandersetzung mit der bisherigen Rechtsprechung des BSG zur rechtlichen Einordnung von Betriebskostennachforderungen, insbesondere den Urteilen vom 22.3.2010 (B 4 AS 62/09 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 38 RdNr 13) und vom 6.4.2011 (B 4 AS 12/10 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 45 RdNr 15). In diesen Entscheidungen hat das BSG bereits ausgeführt, dass Nachforderungen von Betriebs- und Heizkosten, die nach regelmäßiger Übernahme der Vorauszahlungen bzw Abschläge der jeweiligen Monate entstehen, als einmalig geschuldete Zahlungen zum aktuellen Bedarf erst im Fälligkeitsmonat gehören. Das BSG hat auch bereits dargelegt, dass aus der Zuordnung dieses Bedarfs zum Bewilligungszeitraum der Fälligkeit der Nachforderung nicht folgt, dass auch die Angemessenheit der Unterkunfts- und Heizkosten nach den Verhältnissen im Fälligkeitsmonat zu beurteilen ist. Vielmehr sind - bei grundsätzlicher Berücksichtigung dieses Bedarfs - die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse desjenigen Zeitraums zu berücksichtigen, dem die fragliche Forderung nach ihrer Entstehung im tatsächlichen Sinne zuzuordnen ist (BSG Urteil vom 6.4.2011 - B 4 AS 12/10 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 45 RdNr 17). Mit der Konsequenz dieser Rechtsprechung für die Auslegung des Begriffs des "bisherigen Bedarfs" iS des § 22 Abs 1 S 2 SGB II setzt sich der Beklagte nicht auseinander. Dies betrifft insbesondere die Frage, ob die Rechtsfolge des § 22 Abs 1 S 2 SGB II ("Deckelung auf die im Umzugszeitpunkt angemessenen Unterkunftskosten") auch die Nichtberücksichtigung später fällig werdender Nachforderungen beinhalten kann. Unabhängig hiervon hat sich der Beklagte auch nicht mit der Bedeutung der zur Zeit der Beschwerdebegründung bereits ergangenen Entscheidungen des 14. Senats des BSG vom 29.4.2015 (B 14 AS 6/14 R, B 14 AS 7/14 R ua zu LSG Mecklenburg-Vorpommern - L 10 AS 285/11) befasst, wonach die Leistungsdeckelung des § 22 Abs 1 S 2 SGB II nur eingreift, wenn und soweit zutreffend ermittelte abstrakte kommunale Angemessenheitsgrenzen bestehen. Insofern fehlen Ausführungen zur Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage.

7

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Prof. Dr. Voelzke
Behrend
Söhngen

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