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Bundessozialgericht
Beschl. v. 15.06.2015, Az.: B 10 ÜG 6/15 BH
Entschädigung wegen der überlangen Dauer eines Klageverfahrens; Verfahrensdauer und Nichtberücksichtigung von Vorverfahren
Gericht: BSG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 15.06.2015
Referenz: JurionRS 2015, 20049
Aktenzeichen: B 10 ÜG 6/15 BH
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LSG Bayern - 19.02.2015 - AZ: L 8 SF 353/13 EK

BSG, 15.06.2015 - B 10 ÜG 6/15 BH

Redaktioneller Leitsatz:

1. Das Verwaltungsverfahren und das dem gerichtlichen Verfahren vorausgegangene Vorverfahren bei einer Behörde (Widerspruchsverfahren) sind nicht Bestandteil des Gerichtsverfahrens i.S. von § 198 Abs. 1 S. 1 und § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG.

2. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut "Gerichtsverfahren" im Gesetz selbst und entspricht nach den Gesetzesmaterialien dem Willen des Gesetzgebers.

in dem Rechtsstreit

Az: B 10 ÜG 6/15 BH

L 8 SF 353/13 EK (Bayerisches LSG)

S 9 AS 985/08 (SG Bayreuth)

....................................,

Kläger und Antragsteller,

gegen

Freistaat Bayern,

vertreten durch das Landesamt für Finanzen,

Alexandrastraße 3, 80538 München,

Beklagter.

Der 10. Senat des Bundessozialgerichts hat am 15. Juni 2015 durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. S c h l e g e l sowie die Richter O t h m e r und Dr. R ö h l

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 19. Februar 2015 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.

Gründe

I

1

Mit Urteil vom 19.2.2015 hat das Bayerische LSG als Entschädigungsgericht dem Kläger 1500 Euro Entschädigung wegen der überlangen Dauer des Klageverfahrens S 9 AS 985/08 beim SG Bayreuth zugesprochen, weil das Verfahren über Kosten der Unterkunft nach dem SGB II insgesamt 15 Monate zu lange gedauert habe. Die auf höhere Entschädigung gerichtete Klage hat das LSG abgewiesen.

2

Mit seinem Antrag auf Prozesskostenhilfe (PKH) für die Erhebung einer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem genannten Urteil macht der Kläger Verfahrensmängel sowie die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend. Im Rahmen der Entschädigungsklage sei auch die vorherige überlange Behördenlaufzeit vor Klageerhebung zu den SGen anzuerkennen.

II

3

Der Antrag des Klägers, ihm PKH unter Beiordnung eines Rechtsanwalts für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision zu gewähren, ist abzulehnen. Nach § 73a Abs 1 S 1 SGG iVm §§ 114, 121 ZPO kann einem bedürftigen Beteiligten für das Beschwerdeverfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt und ein Rechtsanwalt beigeordnet werden, wenn ua die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Daran fehlt es. Der Kläger kann aller Voraussicht nach mit seinem Begehren auf Zulassung der Revision nicht durchdringen, weil es keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Nach Durchsicht der Akten fehlen Anhaltspunkte dafür, dass er einen der in § 160 Abs 2 Nr 1 bis 3 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe darlegen könnte.

4

1. Die Sache bietet keine Hinweise für eine über den Einzelfall des Klägers hinausgehende grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG). Grundsätzliche Bedeutung im Sinne dieser Vorschrift hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besitzt (BSGE 40, 158 [BSG 22.08.1975 - 11 BA 8/75] = SozR 1500 § 160a Nr 11; BSG SozR 1500 § 160a Nr 39) und die Anwendung mindestens einer Vorschrift des Bundesrechts betrifft (siehe § 162 SGG). Die Frage muss außerdem klärungsbedürftig sein. Das ist grundsätzlich nicht der Fall, wenn die Antwort darauf von vornherein praktisch außer Zweifel steht (vgl BSGE 40, 40 [BSG 04.06.1975 - 11 BA 4/75] = SozR 1500 § 160a Nr 4) oder bereits höchstrichterlich entschieden ist (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 13, 65). Rechtsfragen, die in diesem Sinne klärungsbedürftig sein könnten, sind hier nicht ersichtlich. Das gilt insbesondere für die vom Kläger aufgeworfene Frage, ob überlange Behördenlaufzeiten vor Klageerhebung für den Entschädigungsanspruch nach § 198 GVG zu berücksichtigen sind. Denn diese Frage hat die Rechtsprechung des BVerwG, der sich der Senat angeschlossen hat, bereits geklärt. Danach sind das Verwaltungsverfahren und das dem gerichtlichen Verfahren vorausgegangene Vorverfahren bei einer Behörde (Widerspruchsverfahren) nicht Bestandteil des Gerichtsverfahrens iS von § 198 Abs 1 S 1 und § 198 Abs 6 Nr 1 GVG. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut "Gerichtsverfahren" im Gesetz selbst und entspricht nach den Gesetzesmaterialien dem Willen des Gesetzgebers (Senat Urteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 12/13 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 4 RdNr 27 ff mwN).

5

2. Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass das LSG entscheidungstragend von der Rechtsprechung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abgewichen sein könnte (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 2 SGG). Vielmehr ist das LSG der aktuellen Senatsrechtsprechung zur Auslegung von § 198 GVG gefolgt. Insbesondere hat es im Anschluss an diese Rechtsprechung dem SG eine Überlegungs- und Bearbeitungszeit von 12 Monaten zugebilligt. Das LSG hat im Übrigen zutreffend die Zeiten aktiver Verfahrensförderung des SG von denjenigen gerichtlicher Untätigkeit sowie andererseits von solchen Zeiten unterschieden, die dem Kläger zuzurechnen sind und anschließend in eine Gesamtabwägung eingestellt (vgl Senat Urteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 3 RdNr 27 mwN; vgl Stotz, jurisPR-SozR 10/2015 Anm 1). Mit seiner Orientierung an statistischen Zahlen zur Länge sozialgerichtlicher Verfahren im Freistaat Bayern will das LSG ersichtlich nicht die geforderte wertende Gesamtabwägung der Einzelfallumstände durch eine starre mathematische Formel ersetzen, sondern lediglich das Ergebnis seiner methodengerechten Abwägung empirisch absichern. Dieses Vorgehen begegnet weder rechtlichen Bedenken noch wirft es grundsätzlich klärungsbedürftige rechtliche Fragen auf (vgl dazu Senat Urteil vom 21.2.2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - BSGE 113, 75 = SozR 4-1720 § 198 Nr 1 sowie Röhl, jurisPR-SozR 4/2014 Anm 5).

6

Ob das LSG im Übrigen den Einzelfall richtig entschieden hat, ist keine Frage grundsätzlicher Bedeutung und damit nicht Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7). Ohnehin sieht der Senat keine Anhaltspunkte für eine falsche Rechtsanwendung zulasten des Klägers. So ist die Wertung des LSG nicht zu beanstanden, die Verzögerungen, die der Kläger durch wiederholte unbegründete Befangenheitsanträge gegen den Kammervorsitzenden verursacht hat, nicht dem Beklagten anzulasten (vgl EGMR Urteil vom 29.5.1986, Rechtssache 9384/81 Deumeland gegen Deutschland, RdNr 80). Soweit das Entschädigungsgericht im Übrigen dem Ausgangsgericht jeweils eine Monatsfrist für die Bearbeitung der nach seinen Feststellungen umfangreichen und schwer zu lesenden Schriftsätzen des Klägers mit teils herabsetzendem Inhalt eingeräumt hat, hat es sich in jedem Fall noch innerhalb seines weiten tatrichterlichen Beurteilungsspielraums bewegt (vgl Senat Urteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 3 RdNr 26 mwN sowie Urteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 12/13 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 4 RdNr 38).

7

3. Ebenso wenig ist davon auszugehen, dass der Kläger einen die Revisionszulassung rechtfertigenden Verfahrensfehler des LSG bezeichnen könnte (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Danach ist die Revision nur zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Hierfür liegt nichts vor.

Prof. Dr. Schlegel
Othmer
Dr. Röhl

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