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Bundessozialgericht
Beschl. v. 12.12.2014, Az.: B 9 SB 33/14 B
Prozessunfähigkeit eines Beteiligten und Vertreterbestellung; Nicht-Ladung eines Sachverständigen
Gericht: BSG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 12.12.2014
Referenz: JurionRS 2014, 31061
Aktenzeichen: B 9 SB 33/14 B
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LSG Niedersachsen-Bremen - 01.04.2014 - AZ: L 5 SB 142/12

SG Lüneburg - AZ: S 6 SB 30/10

BSG, 12.12.2014 - B 9 SB 33/14 B

Redaktioneller Leitsatz:

1. Ein Rechtsmittel, in welchem sich ein Beteiligter auf seine Prozessunfähigkeit beruft, ist zunächst ohne Rücksicht darauf zulässig, ob die für die Prozessfähigkeit erforderlichen Voraussetzungen festgestellt werden; entsprechend ist auch die zur Einlegung des Rechtsmittels erteilte Prozessvollmacht wirksam.

2. Die Prozessfähigkeit ist dann grundsätzlich so lange zu unterstellen, bis darüber rechtskräftig entschieden ist.

3. Sozialgerichtliche Verfahren sind schon grundsätzlich nicht wegen mangelnder Prozessfähigkeit des Klägers unzulässig; vielmehr ist dem Prozessunfähigen nach § 72 Abs. 1 SGG für das Verfahren ein besonderer Vertreter zu bestellen.

4. Die Nicht-Ladung eines Sachverständigen oder sachverständigen Zeugen zur Erläuterung seines Gutachtens oder zur Befragung in der mündlichen Verhandlung kann grundsätzlich einen Aufklärungsmangel und damit einen Verstoß gegen die §§ 103, 118 Abs. 1 SGG i.V.m. § 411 Abs. 3 ZPO darstellen.

5. Auch insoweit bedarf es neben einem rechtzeitigen Antrag der konkreten Formulierung von Fragen oder deren Umschreibung, die - vom Rechtsstandpunkt des LSG aus - objektiv sachdienlich sind.

in dem Rechtsstreit

Az: B 9 SB 33/14 B

L 5 SB 142/12 (LSG Niedersachsen-Bremen)

S 6 SB 30/10 (SG Lüneburg)

...............................................,

Kläger und Beschwerdeführer,

Prozessbevollmächtigte: ...............................................,

gegen

Land Niedersachsen,

vertreten durch das Niedersächsische Landesamt für Soziales, Jugend und Familie

- Landessozialamt -,

Domhof 1, 31134 Hildesheim,

Beklagter und Beschwerdegegner.

Der 9. Senat des Bundessozialgerichts hat am 12. Dezember 2014 durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. S c h l e g e l sowie die Richter O t h m e r und Dr. R ö h l

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 1. April 2014 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

I

1

Der Kläger wendet sich im Ausgangsverfahren gegen die Rücknahme des Bescheides vom 20.10.2009, mit dem ihm nach Begutachtung durch Dr. S. (2009) das Merkzeichen Blindheit ("BL") zuerkannt worden war. Die "Entziehung" des Merkzeichens erfolgte mit Wirkung für die Zukunft. Sie ist darauf gestützt, dass Mitarbeiter des Landkreises U., bei denen der Kläger zahlreiche Leistungen der Eingliederungshilfe beantragt hatte, den Kläger im Zeitraum vom 15.4.2004 bis Februar 2010 beim Führen eines Kraftfahrzeuges, beim Rasenmähen, beim Einkauf in einem Baumarkt mit Überprüfung des Kassenbons sowie bei verschiedenen Flohmarktbesuchen, bei denen der Kläger jeweils das Fahrzeug geführt habe, beobachtet hätten. Am 27.6.2009 sei der Kläger als Fahrer eines PKW innerhalb einer geschlossenen Ortschaft "geblitzt" worden und habe dies auch eingeräumt (Rücknahmebescheid nach § 45 SGB X vom 8.2.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.7.2010). Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben (Gerichtsbescheid des SG Lüneburg vom 7.8.2012; Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 1.4.2014).

2

Das LSG hat unter Bezugnahme auf die Entscheidung des SG im Wesentlichen ausgeführt, dass die Entscheidung des beklagten Landes formell und materiell rechtmäßig sei, weil bei dem Kläger bereits zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 20.10.2009, mit dem der Beklagte bei dem Kläger das Merkzeichen "BL" ab dem 1.9.2009 zuerkannt habe, die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens nicht vorgelegen hätten. Eine solche Feststellung hätten die im Zeitpunkt des Erlasses des begünstigenden Bescheides vom 20.10.2009 vorliegenden medizinischen Befunde bereits nicht erlaubt, eine gesicherte Diagnose zur vermeintlichen Haupterkrankung des Klägers ("Atrophie" des Sehnerves in Folge einer Erkrankung an einer Enzephalomyelitis disseminata - MS -) gebe es nach Aktenlage nicht; auch nicht nach den zahlreichen Berichten des den Kläger behandelnden Augenarztes Dr. L., der selbst die Sehschärfenbestimmung bei dem Kläger im Bericht vom 29.11.2010 als "unsicher" bezeichnet und in der Folgezeit weitere Untersuchungen empfohlen habe. Auch der Gutachter Dr. S. habe mit Schreiben vom 19.11.2009 wegen aufgekommener Zweifel sein Gutachten verworfen. Unabhängig davon führe allerdings - wie bereits das SG zutreffend und ausführlich gewürdigt habe - eine außergewöhnlich dichte und schlüssige Indizienkette zu der Feststellung, dass der Kläger im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides nicht blind im Sinne der zu fordernden Voraussetzungen gewesen sei. Ein schutzwürdiges Vertrauen des Klägers stehe der Rücknahme des Bescheides mit Wirkung für die Zukunft nicht entgegen, auch habe der Beklagte sein Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt.

3

Mit seiner Beschwerde macht der Kläger Verfahrensfehler geltend. Das LSG habe seinen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt, weil es ihm keinerlei Verwaltungsakten zur Einsicht übersandt habe, insbesondere finde sich in keiner der Gerichtsakten eine Kopie des Bescheides vom 8.2.2010. Der von ihm gestellte Antrag mit Schriftsatz vom 14.3.2014 auf Terminsverschiebung bis zur gerichtlichen Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) und gerichtlicher Beiordnung eines Fachanwalts sei nicht entschieden worden. Auch habe er darauf hingewiesen, dass ihm die Gerichtsschreiben in verständlicher Form mittels Hörkassetten übersandt werden sollten. Insoweit werde auf das Parallelverfahren B 3 P 2/14 B verwiesen. Er sei deshalb nicht wirksam geladen worden. Die Nicht-Zurverfügungstellung der Dokumente in behindertengerechter Form an den Kläger führe zudem gemäß Art 13 Abs 1 UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) iVm Art 3 Abs 3 S 2 und Art 103 Abs 1 GG, § 191a Gerichtsverfassungsgesetz (GVG), §§ 3, 6 Zugänglichmachungsverordnung (ZMV) und § 62 SGG zu einer Verletzung elementarer prozessualer Rechte. Die Grundsätze des rechtlichen Gehörs und des fairen Verfahrens erforderten den Beteiligten jedenfalls die Möglichkeit zu geben, entsprechende Angaben zur Terminsverlegung zu machen und die erforderlichen Unterlagen einzureichen, wenn dem Gericht ein Verhinderungsgrund nicht hinreichend substantiiert erscheine. Darüber hinaus habe das LSG Akten aus anderen Verfahren des Klägers beigezogen, ohne diesen hierüber zu informieren und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Er habe erst aus dem Urteil über die Beiziehung der Akten L 5 SB 142/12 und S 6 SB 87/11 = S 15 SB 36/14 WA erfahren. Auch verletze das Übergehen der Anträge des Klägers auf Akteneinsicht und PKH seinen Anspruch auf rechtliches Gehör.

4

Die fehlende weitere Amtsermittlung bezüglich der Blindheit des Klägers stelle zudem einen Verfahrensmangel nach § 103 SGG dar. Zum einen habe das LSG "den Beweisantrag des Klägers zu dem Vorliegen seiner Blindheit gemäß Schriftsatz Bl 50, 367, 431 ohne hinreichende Begründung übergangen". Zweitens habe das LSG versäumt, "den sachverständigen Zeugen zu vernehmen und dem Kläger und Beschwerdeführer die Möglichkeit zu eröffnen, ihn zu befragen (§ 18 SGG iVm §§ 414, 397 ZPO)". Soweit ärztliche Stellungnahmen vorgelegen hätten, habe das LSG diese in unzulässiger Weise einer vorweggenommenen Würdigung unterzogen.

5

Schließlich rügt der Kläger das Übergehen seiner Prozessunfähigkeit und die unterlassene Bestellung eines besonderen Vertreters durch das LSG.

II

6

1. Die mögliche Prozessunfähigkeit des Klägers stellt kein Verfahrenshindernis für die vorliegende Beschwerde dar. Denn ein Rechtsmittel, in welchem sich ein Beteiligter auf seine Prozessunfähigkeit beruft, ist zunächst ohne Rücksicht darauf zulässig, ob die für die Prozessfähigkeit erforderlichen Voraussetzungen festgestellt werden; entsprechend ist auch die zur Einlegung des Rechtsmittels erteilte Prozessvollmacht wirksam. Die Prozessfähigkeit ist dann grundsätzlich so lange zu unterstellen, bis darüber rechtskräftig entschieden ist (vgl BSGE 5, 176, 177; BGH NJW 1996, 1059 f; BGHZ 143, 122, 123). Sozialgerichtliche Verfahren sind schon grundsätzlich nicht wegen mangelnder Prozessfähigkeit des Klägers unzulässig; vielmehr ist dem Prozessunfähigen nach § 72 Abs 1 SGG für das Verfahren ein besonderer Vertreter zu bestellen (vgl BSG Beschluss vom 18.6.2014 - B 3 P 2/14 B - NZS 2014, 838, 839, RdNr 5 mwN). Ungeachtet der vorgebrachten Zweifel an der Prozessfähigkeit des Klägers war dessen Anliegen im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde bereits dadurch Rechnung getragen, dass der Kläger durch seine Prozessbevollmächtigte vertreten war (vgl BSG, aaO, RdNr 7 mwN).

7

2. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig. Die Beschwerde ist fristgerecht begründet worden; dies gilt auch in Hinblick auf das Vorbringen im Schriftsatz von 18.11.2014: Dieser ist zwar nach Ablauf der Begründungsfrist eingegangen, jedoch war der Prozessbevollmächtigten zuvor zur (insoweit fristgerechten) Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde vom 26.9.2014 keine vollständige Akteneinsicht in die Verwaltungsakten gewährt worden, und insoweit Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 67 SGG). Aber auch unter Berücksichtigung des Vorbringens im Schriftsatz vom 18.11.2014 genügt die Begründung nicht den gesetzlichen Anforderungen. Ein Zulassungsgrund ist nicht ordnungsgemäß dargetan worden (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).

8

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde - wie diejenige des Klägers - darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden.

9

a) Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel dabei auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Will die Beschwerde demnach einen Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht rügen (§ 103 SGG), so muss sie einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, dem das LSG nicht gefolgt ist.

10

Schon daran fehlt es hier. Die Beschwerde erwähnt zwar einen Beweisantrag und gibt die Seitenzahl in der Gerichtsakte an, auf dem sich dieser befinden soll. Der Kläger hat es indessen versäumt, den genauen Inhalt des Antrags sowie das Beweisthema wiederzugeben. Es ist nicht Aufgabe des Senats, sich den Inhalt des Beweisantrags anhand der Akten selber zu erarbeiten. Allein auf der Grundlage der Beschwerdebegründung vermag der Senat nicht zu ersehen, ob der Kläger überhaupt einen zulässigen Beweisantrag gestellt hat. Zudem ist das LSG als letztinstanzliche Tatsacheninstanz nur dann einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt, wenn es sich hätte gedrängt fühlen müssen, den beantragten Beweis zu erheben (BSG SozR 1500 § 160 Nr 5). Insoweit hätte es des klägerseitigen Vortrags bedurft, weshalb nach den dem LSG vorliegenden Beweismitteln Fragen zum tatsächlichen und medizinischen Sachverhalt aus der rechtlichen Sicht des LSG erkennbar offen geblieben sind und damit zu einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts zwingende Veranlassung bestanden haben soll (vgl Becker, Die Nichtzulassungsbeschwerde zum BSG [Teil II], SGb 2007, 328, 332 zu RdNr 188 unter Hinweis auf BSG Beschluss vom 14.12.1999 - B 2 U 311/99 B mwN). Dies hat der Kläger versäumt. Die bloße Darlegung, weshalb aus seiner Sicht weitere Ermittlungen erforderlich gewesen wären, entspricht diesem Erfordernis nicht (vgl BSG Beschluss vom 4.12.2006 -B2U 227/06 B - RdNr 3). Tatsächlich kritisiert der Kläger die Beweiswürdigung des LSG (vgl § 128 Abs 1 S 1 SGG), womit er nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG von vornherein keine Revisionszulassung erreichen kann. Entsprechendes gilt, soweit der Kläger eine unzureichende Rechtsanwendung des LSG rügen wollte (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7 S 10).

11

Ferner hat der Kläger auch die Entscheidungserheblichkeit der Nichtberücksichtigung seines Antrags auf Ausübung des Fragerechts gegenüber den vermeintlichen sachverständigen Zeugen nicht ordnungsgemäß dargelegt. Denn zur Darlegung der Entscheidungserheblichkeit der Nichteinholung eines Gutachtens oder der Rüge einer fehlerhaften und unterlassenen Vernehmung eines Zeugen oder Anhörung eines Sachverständigen ist auch rein hypothetisch darzulegen, welches Beweisergebnis dieses erbracht hätte (vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 und BSG SozR 1500 § 160a Nr 24), und dass dieses Beweisergebnis - ausgehend vom Rechtsstandpunkt des LSG - eine Entscheidung zugunsten des Beschwerdeführers hätte möglich machen können (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 34). Denn nur diese Darlegungen lassen erkennen, weshalb das LSG sich zu dieser weiteren Beweiserhebung hätte gedrängt sehen müssen und weshalb die Entscheidung des LSG auf diesem Verfahrensmangel beruhen soll (vgl Becker, aaO, S 333).

12

Zwar kann die Nicht-Ladung eines Sachverständigen oder sachverständigen Zeugen zur Erläuterung seines Gutachtens oder zur Befragung in der mündlichen Verhandlung grundsätzlich einen Aufklärungsmangel und damit einen Verstoß gegen die §§ 103, 118 Abs 1 SGG iVm § 411 Abs 3 ZPO darstellen. Aber auch insoweit bedarf es neben einem rechtzeitigen Antrag der konkreten Formulierung von Fragen oder deren Umschreibung, die - vom Rechtsstandpunkt des LSG aus - objektiv sachdienlich sind (vgl BSG SozR 1750 § 411 Nr 2). Wie oben bereits ausgeführt, mangelt es an der Darlegung konkreter Fragen durch den Kläger zum tatsächlichen und medizinischen Sachverhalt aus der rechtlichen Sicht des LSG.

13

b) Soweit der Kläger eine Verletzung seines rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG) durch das LSG darin sieht, dass dieses seine Beweisanträge übergangen habe, genügt sein Vorbringen ebenfalls nicht den Darlegungserfordernissen. § 62 SGG konkretisiert den verfassungsrechtlichen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG). Die Vorschrift soll verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten (s § 128 Abs 2 SGG; vgl BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 12; BVerfGE 84, 188, 190) und sicherstellen, dass ihr Vorbringen vom Gericht zur Kenntnis genommen und in seine Erwägungen miteinbezogen wird (BVerfGE 22, 267, 274 [BVerfG 19.07.1967 - 2 BvR 639/66]; 96, 205, 216 f). Das Gericht muss jedoch nicht ausdrücklich jedes Vorbringen der Beteiligten bescheiden. Ein Verstoß gegen die Pflicht zur Berücksichtigung von Vorbringen ist nur dann anzunehmen, wenn sich dies aus den besonderen Umständen des Falles ergibt (BVerfGE, aaO), zB wenn ein Gericht das Gegenteil des Vorgebrachten - ohne entsprechende Beweisaufnahme - annimmt oder den Vortrag eines Beteiligten als nicht existent behandelt (vgl BVerfGE 22, 267, 274 [BVerfG 19.07.1967 - 2 BvR 639/66]) oder wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, nicht eingeht, sofern der Tatsachenvortrag nach der Rechtsauffassung des Gerichts nicht unerheblich ist (BVerfGE 86, 133, 146 [BVerfG 19.05.1992 - 1 BvR 986/91]). Art 103 Abs 1 GG schützt indes nicht davor, dass ein Gericht die Rechtsansicht eines Beteiligten nicht teilt (BVerfGE 64, 1, 12; 76, 93, 98).

14

Mit der lediglich pauschal eingebrachten Behauptung, das LSG habe sich mit den Beweisanträgen des Klägers nicht auseinandergesetzt, sodass deren Nichtbeachtung rechtswidrig sei, stellt dieser eine Verletzung des § 62 SGG nicht ausreichend dar. Die Rüge der Verletzung des Fragerechts eines Beteiligten kann nach den §§ 116, 118 SGG iVm §§ 397, 402, 411 ZPO als Ausschluss des Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäß § 62 SGG und Art 103 Abs 1 GG (vgl BSG SozR 3-1750 § 411 Nr 1) einen wesentlichen Verfahrensmangel darstellen, wenn der Beteiligte die nach seiner Ansicht erläuterungsbedürftigen Punkte dem Gericht rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung schriftlich mitgeteilt hat und die aufgeworfenen Fragen objektiv sachdienlich sind (vgl BSG SozR 4-1500 § 62 Nr 4 RdNr 5 = Juris RdNr 6). Der Kläger hat es aber in seiner Beschwerde versäumt - wie bereits ausgeführt - konkrete erläuterungsbedürftige Punkte zu benennen, wegen derer die Sachverständigen und sachverständigen Zeugen befragt werden sollten und dass diese Fragen vor dem Hintergrund der Rechtsauffassung des LSG objektiv sachdienlich sind. Zwar behauptet der Kläger teilweise, dass seine Ausführungen insbesondere zu den medizinischen Befunden erheblich gewesen seien und dass das LSG diese übergangen habe. Substantiierte Tatsachen- und Rechtsausführungen dazu fehlen aber ebenso wie eine entsprechende Auseinandersetzung mit der Entscheidung des LSG zu den tatsächlichen Feststellungen des Beklagten aufgrund der Mitteilungen des Landkreises U..

15

Auch der Vortrag über die Nichtgewährung von Akteneinsicht durch das LSG und das Fehlen einer Kopie des Bescheides vom 8.2.2010 in den Gerichtsakten genügt nicht zur Bezeichnung eines Verfahrensmangels. Insoweit hätte sich der Kläger damit auseinandersetzen müssen, dass das LSG in seinem angefochtenen Urteil festgestellt hat, dass der Bescheid vom 8.2.2010 dem Kläger persönlich bekanntgegeben worden ist und dessen Prozessbevollmächtigten vom SG mit Verfügung vom 18.3.2010 Akteneinsicht auch in die Verwaltungsakten des Beklagten gewährt worden ist. Hieran fehlt es.

16

Für den Vorwurf, das LSG habe gegen die UN-BRK und gegen § 191a Abs 1 GVG iVm der ZMV verstoßen durch die Nicht-Zurverfügungstellung der Dokumente in behindertengerechter Form an den Kläger, gilt nichts anderes. Vor dem Hintergrund der vom Kläger selbst zitierten Ausführungen des BSG in dessen Parallelverfahren B 3 P 2/14 B (Beschluss vom 18.6.2014, NZS 2014, 838 [BSG 18.06.2014 - B 3 P 2/14 B]) muss sich das Berufungsgericht im Falle eines zuerkannten Merkzeichens "BL" nur dann zu weiterer Aufklärung veranlasst sehen, wenn es Zweifel hat, ob der Kläger eine blinde oder sehbehinderte und damit eine nach § 1 Abs 1 ZMV berechtigte Person ist. Auch insoweit fehlen substantiierte Tatsachen- und Rechtsausführungen dazu, weshalb sich das LSG von seinem Standpunkt aus hätte gedrängt sehen müssen, weitere Ermittlungen auf medizinischem Gebiet dahingehend anzustellen, ob der Kläger eine blinde oder sehbehinderte Person ist und weshalb es diesem einen entsprechenden barrierefreien Zugang - in Form einer Hörkassette - hätte gewähren müssen. Dies hat der Kläger versäumt. Er behauptet selbst nicht, dass das LSG tatsächlich Zweifel an seiner Sehfähigkeit gehabt und ihm deshalb die Prozessunterlagen nicht unmittelbar zur Verfügung gestellt habe (vgl hierzu: BVerfG Beschluss vom 10.10.2014 - 1 BvR 856/13 - zu Gründe II. 2. a) bb) und b) - Juris). Demgegenüber hat der Kläger nach den Feststellungen der Tatsachengerichte seine Blindheit vorgetäuscht, um entsprechende Feststellungen des Beklagten zu erwirken. Diese, dem 3. Senat des BSG in seinem Beschluss vom 18.6.2014 (B 3 P 2/14 B, NZS 2014, 838) offensichtlich nicht bekannten Feststellungen, binden den Senat nach § 163 SGG, weil der Kläger mit seinen dagegen gerichteten Rügen nicht durchzudringen vermag. Daher können auch die weiteren Verfahrensrügen, die auf der behaupteten Blindheit aufbauen, keinen Erfolg haben. Der Hinweis auf ein Beweisverwertungsverbot entsprechend den §§ 100h und 101 Strafprozessordnung lässt zudem Darlegungen zum nach dem SGG geltenden Beweisrecht, hier insbesondere zum Urkundsbeweis hinsichtlich der Mitteilung des Landkreises, vermissen.

17

Zwar kann auch - wie vom Kläger vorgetragen - die Verwertung beigezogener Akten und Urkunden aus anderen Verfahren einen Verstoß gegen die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 117 SGG), die Durchführung des Urkundsbeweises (§ 118 Abs 1 SGG iVm §§ 415 ff ZPO) sowie den Anspruch auf rechtliches Gehör bewirken, wenn die Beteiligten hierauf nicht zuvor hingewiesen worden sind und ihnen Gelegenheit zur Akteneinsicht und Stellungnahme gegeben worden ist. Ebenso kann die Ablehnung eines Vertagungsantrags zu einer Verletzung des rechtlichen Gehörs führen, wenn der Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) ggf dadurch verletzt worden ist (vgl BSG SozR 4-1500 § 62 Nr 1 SGG). Da aber eine Verletzung des rechtlichen Gehörs in sozialgerichtlichen Verfahren kein absoluter Revisionsgrund ist (vgl Becker, aaO, S 334 zu Fn 227 mwN), müssen auch die übrigen aufgeführten Voraussetzungen wie zB das Beruhenkönnen der LSG-Entscheidung auf der Verletzung und deren Entscheidungserheblichkeit dargelegt werden. Der Kläger hat es auch insoweit versäumt darzulegen, welches entscheidungserhebliche Vorbringen durch diese vermeintlichen Verfahrensfehler verhindert worden sein soll und inwieweit die Entscheidung des LSG darauf beruht (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 36).

18

Tatsächlich lässt die Beschwerde nahezu vollständig die erforderliche nachvollziehbare Darlegung der vom LSG festgestellten Tatsachen sowie seiner rechtlichen Erwägungen vermissen. Noch weniger stellt die Beschwerde deshalb substantiiert dar, warum die angefochtene Entscheidung überhaupt auf der geltend gemachten Gehörsverletzung beruhen könnte. Dies gilt insbesondere hinsichtlich des behaupteten neuerlichen PKH-Antrags mit Schreiben vom 14.3.2014. Hierzu fehlen zudem Darlegungen, weshalb sich aus dem Vorbringen, das Weitere folge nach erfolgter PKH-Bewilligung und Fachanwaltsbeiordnung, konkludent ein neuer Antrag zu sehen sei. Tatsächlich hat das LSG mit Beschluss vom selben Tag den vorliegenden PKH-Antrag abgelehnt. Insbesondere legt die Beschwerde - wie oben bereits angemerkt - nicht dar, zu welchem Ergebnis die begehrte Befragung von sachverständigen Zeugen oder weitergehende medizinische Ermittlungen voraussichtlich geführt hätten und warum sich dadurch das Verfahrensergebnis hätte ändern können. Hierzu hätte es vielmehr einer Auseinandersetzung mit den Feststellungen des LSG dazu bedurft, dass unabhängig von den medizinischen Befunden eine außergewöhnlich dichte und schlüssige Indizienkette zu der Feststellung vorliegt, dass der Kläger bereits im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides nicht blind im Sinne der erforderlichen Voraussetzungen gewesen ist. Auf diese tragende Begründung der Entscheidung des LSG geht der Kläger nicht ein.

19

c) Schließlich hat der Kläger auch nicht hinreichend substantiiert dargelegt, weshalb ihm das LSG - ausgehend von dessen Rechtsansicht - wegen mangelnder Prozessfähigkeit nach § 72 Abs 1 SGG einen besonderen Vertreter hätte bestellen müssen. Insoweit fehlt es bereits an der Darlegung der medizinischen und rechtlichen Voraussetzungen, nach denen sich das LSG zu diesem Vorgehen hätte veranlasst sehen müssen (zu den Voraussetzungen s zB Senatsbeschluss vom 14.11.2013 - B 9 SB 84/12 B - SozR 4-1500 § 72 Nr 3 RdNr 6). Die bloße Behauptung genügt nicht.

20

d) Die weiteren, vom Kläger geltend gemachten (vermeintlichen) Verfahrensmängel stützen sich ebenfalls alle auf seine Behauptung, blind zu sein. So rügt der Kläger auch die Ladung durch das LSG vom 10.3.2014 sowie die Ablehnung seines PKH-Antrages mit Beschluss vom 14.3.2014 ohne Zurverfügungstellung einer Hörkassette. Nach den Feststellungen des LSG liegt eine Blindheit des Klägers tatsächlich und rechtlich aber gerade nicht vor. Hierzu fehlen allerdings - wie gesagt - Darlegungen des Klägers. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat daher ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

21

3. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG).

22

4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.

Prof. Dr. Schlegel
Othmer
Dr. Röhl

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