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Bundessozialgericht
Beschl. v. 08.01.2015, Az.: B 4 AS 295/14 B
Verbot widersprüchlichen Verhaltens; Anspruch auf ein faires Verfahren; Verstoß gegen die Grundsätze der freien Beweiswürdigung; Verschaffung rechtlichen Gehörs
Gericht: BSG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 08.01.2015
Referenz: JurionRS 2015, 11410
Aktenzeichen: B 4 AS 295/14 B
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LSG Niedersachsen-Bremen - 24.04.2014 - AZ: L 15 AS 358/12 ZVW

SG Hannover - AZ: S 45 AS 2588/07

BSG, 08.01.2015 - B 4 AS 295/14 B

Redaktioneller Leitsatz:

1. Das Verbot des widersprüchlichen Verhaltens ist Ausfluss des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs; dieses Verfahrensgrundrecht (Art. 103 GG, § 62 SGG) soll nach der ständigen Rechtsprechung des BSG und des BVerfG verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht haben äußern können, und sicherstellen, dass ihr Vorbringen vom Gericht in seine Erwägungen mit einbezogen wird.

2. Der aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Anspruch auf ein faires Verfahren ist nur verletzt, wenn grundlegende Rechtsschutzstandards, wie das Gebot der Waffengleichheit zwischen den Beteiligten, das Verbot widersprüchlichen Verhaltens oder einer Überraschungsentscheidung nicht gewahrt werden.

3. Auf einen Verstoß gegen die Grundsätze der freien Beweiswürdigung kann die Verfahrensrüge nach § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG jedoch nur dann gestützt werden, wenn hinreichend dargelegt wird, dass die Grenzen der freien Beweiswürdigung überschritten worden sind.

4. Denn ein Verstoß gegen § 62 SGG kann nicht geltend gemacht werden, wenn der Beteiligte von gegebenen prozessualen Möglichkeiten, sich Gehör zu verschaffen, keinen Gebrauch gemacht hat.

5. Dementsprechend hat er mit der Nichtzulassungsbeschwerde darzulegen, dass er seinerseits alles getan habe, um sich Gehör zu verschaffen.

in dem Rechtsstreit

Az: B 4 AS 295/14 B

L 15 AS 358/12 ZVW (LSG Niedersachsen-Bremen)

S 45 AS 2588/07 (SG Hannover)

..........................................................,

Klägerin und Beschwerdeführerin,

Prozessbevollmächtigte: .................................................,

gegen

JobCenter Region Hannover,

Lange Laube 32, 30159 Hannover,

Beklagter und Beschwerdegegner.

Der 4. Senat des Bundessozialgerichts hat am 8. Januar 2015 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. V o e l z k e sowie die Richterin S. K n i c k r e h m und den Richter S ö h n g e n

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 24. April 2014 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

I

1

Im Streit ist die Berücksichtigung des Einkommens des Herrn L. bei der Berechnung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts der Klägerin im Zeitraum vom 1.6.2007 bis 31.12.2010.

2

Die Klägerin wohnt seit 1975 mit Herrn L. zusammen. 1986 erfolgte der Umzug in ein gemeinsam finanziertes und im jeweils hälftigen Eigentum stehendes Eigenheim. Die laufenden Ausgaben für die Finanzierung des Hauses, die Versorgung mit Energie und den Telefonanschluss finanzieren sie seither über ein gemeinsames Konto. Darüber hinaus verfügen beide über eigene Konten, für die dem jeweils anderen eine Verfügungsvollmacht erteilt worden war. Für die das Hauseigentum und den Hausrat betreffenden Versicherungen sind beide Versicherungsnehmer. Nachdem der Beklagte der Klägerin ab Mitte 2005 zunächst Alg II bewilligt hatte, lehnte er eine Fortzahlung für die Zeit ab Juni 2007 ab, da die Klägerin in einer Bedarfsgemeinschaft mit Herrn L. lebe und ihr Hilfebedarf durch die Berücksichtigung seines Einkommens gedeckt werden könne.

3

Nach Anhörung der Klägerin und Vernehmung des Herrn L. als Zeugen hat das SG die Klage abgewiesen. Das LSG hat die Berufung der Klägerin hiergegen zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin sei nicht hilfebedürftig. Sie lebe mit Herrn L. in einer auf Dauer angelegten Verbindung, sodass die Vermutung bestehe, die Partner fühlten sich derart füreinander verantwortlich, dass sie zunächst ihren gemeinsamen Lebensunterhalt sicherstellten, bevor sie ihr persönliches Einkommen zur Befriedigung eigener Bedürfnisse verwendeten. Die Klägerin habe diese Vermutung nicht widerlegen können. Darauf, dass die Klägerin nach ihrem eigenen Vorbringen von der erteilten Vollmacht niemals Gebrauch gemacht habe, komme es nicht an, denn bereits die diesbezügliche Verfügungsbefugnis genüge, um eine Partnerschaft zu indizieren. Maßgeblich bleibe insoweit das Bestehen einer auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaft, die daneben keine Lebensgemeinschaft gleicher Art zulasse und sich durch eine enge innere Bindung auszeichne, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründe.

4

Auf die von der Klägerin eingelegte Revision hat der erkennende Senat die Sache durch Urteil vom 23.8.2012 (BSGE 111, 250 = SozR 4-4200 § 7 Nr 32) an das LSG zurückverwiesen. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt, dass er das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft im Sinne einer Einkommens- und Verantwortungsgemeinschaft zwischen der Klägerin und Herrn L. auf Grundlage der Feststellungen des LSG nicht abschließend beurteilen könne. § 7 Abs 3 Nr 3 Buchst c SGB II normiere für das Vorliegen einer solchen drei Voraussetzungen, die kumulativ vorliegen müssten: Es müsse sich 1. um Partner handeln, die 2. in einem gemeinsamen Haushalt zusammenlebten und zwar 3. so, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen sei, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen. Bei den Kriterien zu 1. und 2. - nämlich der Partnerschaft und des Zusammenlebens in einem gemeinsamen Haushalt - handele es sich um objektive Tatbestandsvoraussetzungen, die nach der Systematik des § 7 Abs 3 Nr 3 SGB II jeweils zusätzlich zu der subjektiven Voraussetzung des Einstehens- und Verantwortungswillens gegeben sein müssten. Von dem Bestehen einer Partnerschaft sei auszugehen, wenn eine Ausschließlichkeit der Beziehung in dem Sinne gegeben sei, dass sie keine vergleichbare Lebensgemeinschaft daneben zulasse. Zudem müsse zwischen dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und dem Dritten die grundsätzliche rechtlich zulässige Möglichkeit der Heirat bzw Begründung einer Lebenspartnerschaft nach dem LPartG bestehen. Das "Zusammenleben in einem gemeinsamen Haushalt" iS des § 7 Abs 3 Nr 3 Buchst c SGB II erfordere das Bestehen einer "Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft". Die Vorschrift stelle mithin ihrerseits auf zwei Elemente ab, das Zusammenleben einerseits und das "Wirtschaften aus einem Topf" andererseits. Dies bedeute, dass die Partner in "einer Wohnung" zusammenleben und die Haushaltsführung an sich sowie das Bestreiten der Kosten des Haushalts gemeinschaftlich durch beide erfolgen müsse. Im wiedereröffneten Berufungsverfahren werde das LSG ggf auch die Widerlegung der Vermutung des Einstands- und Verantwortungswillen erneut zu überprüfen haben.

5

Das LSG hat nach Vernehmung der Zeugen K., P. und H. sowie informatorischer Anhörung der Klägerin die Berufung gegen das Urteil des SG Hannover vom 28.4.2009 erneut zurückgewiesen. Abgesehen von Zweifeln an der Vereinbarkeit der Rechtsprechung des BSG zur Auslegung des § 7 Abs 3 Nr 3 Buchst c SGB II mit Art 3 Abs 1 und Art 6 Abs 1 GG, hat es unter Anwendung der vom BSG formulierten Vorgaben und nach umfassender Würdigung des Sachverhalts das Vorliegen einer Einstehens- und Verantwortungsgemeinschaft festgestellt und damit die Hilfebedürftigkeit der Klägerin verneint. Die Revision hat das LSG nicht zugelassen.

6

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde an das BSG. Sie rügt Verfahrensfehler des LSG (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG).

II

7

Die Beschwerde ist unzulässig. Die von der Klägerin gerügten Verfahrensfehler des LSG - Verstöße gegen das "Verbot des widersprüchlichen Verhaltens" und den Grundsatz der freien Beweiswürdigung sowie das "Übergehen eines Beweisantrags" und das Verbot einer "Überraschungsentscheidung" - sind nicht in dem erforderlichen Maße von ihr dargelegt worden.

8

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 34, 36). Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 36). Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Der Beweisantrag, dem das LSG nicht gefolgt ist, ist ferner so genau zu bezeichnen, dass er für das BSG ohne Weiteres auffindbar ist (BSG SozR 1500 § 160 Nr 5); ist er nicht in dem letzten Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem LSG gestellt worden, ist ferner darzulegen, dass er bis zur Entscheidung des LSG aufrechterhalten wurde (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 12). Diesen Erfordernissen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

9

1. Soweit die Klägerin im Hinblick auf die zu erwartende Aussage der Zeugin Sch. und die Unterstellung deren erwarteter Aussage als wahr durch das LSG sowie dessen nach Auffassung der Klägerin im Ergebnis hierzu im Widerspruch stehenden Beweiswürdigung einen Verstoß gegen das Verbot des widersprüchlichen Verhaltens rügt, hat sie diesen Verfahrensfehler bereits nicht hinreichend bezeichnet. Das Verbot des widersprüchlichen Verhaltens ist Ausfluss des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Dieses Verfahrensgrundrecht (Art 103 GG, § 62 SGG) soll nach der ständigen Rechtsprechung des BSG und des BVerfG verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht haben äußern können (vgl BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 1 mwN; BVerfGE 84, 188, 190), und sicherstellen, dass ihr Vorbringen vom Gericht in seine Erwägungen mit einbezogen wird (BVerfGE 22, 267, 274 [BVerfG 19.07.1967 - 2 BvR 639/66]; 96, 205, 216 f). Der aus Art 2 Abs 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Anspruch auf ein faires Verfahren ist nur verletzt, wenn grundlegende Rechtsschutzstandards, wie das Gebot der Waffengleichheit zwischen den Beteiligten, das Verbot widersprüchlichen Verhaltens oder einer Überraschungsentscheidung nicht gewahrt werden (vgl BVerfGE 78, 123, 126 [BVerfG 26.04.1988 - 1 BvR 669/87]; BVerfG SozR 3-1500 § 161 Nr 5; BSG SozR 3-1750 § 565 Nr 1; SozR 3-1500 § 112 Nr 2; BSG Beschluss vom 25.6.2002 - B 11 AL 21/02 B; vgl insbesondere auch BSG vom 17.4.2013 - B 9 V 36/12 B - SozR 4-1500 § 118 Nr 3 RdNr 16). Derartiges hat die Klägerin jedoch nicht dargetan. Sie trägt vielmehr vor, dass sie einen Beweisantrag gestellt habe, im Hinblick auf die getrennte Haushaltsführung von ihr und Herrn L. sowie das "Wirtschaften aus einem Topf". Dieser Beweisantrag sei auch protokolliert und vom LSG beschieden worden. Das LSG habe die von der Klägerin angekündigte Aussage der Zeugin Sch. zu diesen Tatsachen als wahr unterstellt, sei im Ergebnis jedoch gleichwohl zu der Auffassung gelangt, die Klägerin und L. hätten einen gemeinsamen Haushalt geführt und aus einem "Topf gewirtschaftet". Damit rügt sie jedoch die Beweiswürdigung des LSG und bringt kein widersprüchliches Verhalten des Gerichts dar.

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2. Auf einen Verstoß gegen die Grundsätze der freien Beweiswürdigung kann die Verfahrensrüge nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG jedoch nur dann gestützt werden, wenn hinreichend dargelegt wird, dass die Grenzen der freien Beweiswürdigung überschritten worden sind. Abgesehen davon, dass die Klägerin diesen Verfahrensmangel gar nicht bezeichnet hat, ist auch ihren Ausführungen nicht zu entnehmen, worin eine derartige Grenzüberschreitung durch das LSG bestehen soll. Sie macht lediglich geltend, dass das LSG bei nach ihrer Auffassung zutreffender Beweiswürdigung zu einem anderen Ergebnis hätte gelangen müssen. An einer Auseinandersetzung damit, dass das LSG in Abwägung zwischen der von ihm als wahr unterstellten Aussage der Zeugin Sch. und anderen Tatsachen, etwa durch einen Verstoß gegen allgemeine Erfahrungssätze oder Denkgesetze zu dem Ergebnis seiner Beweiswürdigung gelangt ist oder das Gesamtergebnis des Verfahrens nicht ausreichend und umfassend berücksichtigt hat, mangelt es jedoch. Derartige Darlegungen wäre jedoch erforderlich gewesen, denn die Beweiswürdigung ist nicht dem äußeren Verfahrensgang zuzuordnen, also kein Verfahrensfehler, sondern ein Mangel in der Urteilsfindung (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 128 RdNr 10; s nur BSG vom 8.11.2005 - B 1 KR 18/04 R - SozR 4-2500 § 44 Nr 7 RdNr 16). Sie ist nur dann, wenn sie auf einem der benannten Verstöße beruht, verfahrensfehlerhaft iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG.

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3. Auch soweit es das Übergehen eines Beweisantrags betrifft, ist der behauptete Verfahrensfehler nicht ausreichend dargebracht. Die Klägerin hat zwar den ihrer Ansicht nach übergangenen Beweisantrag benannt und auch dargelegt, was die Vernehmung der Zeugin Sch. erbracht hätte. Es mangelt jedoch an Ausführungen dazu, dass die Entscheidung des LSG auf der unterlassenen Vernehmung der Zeugin Sch. beruht. Ausgangspunkt ist insoweit die Rechtsauffassung des LSG. Dieses hat hierzu ausgeführt, dass es die in der mündlichen Verhandlung am 24.4.2014 von der Prozessbevollmächtigten der Klägerin unter Beweis gestellten Tatsachen zugrunde lege, soweit diese nicht die eigenen Angaben der Klägerin und die der Sache nach unbestrittenen Angaben der anderen Zeuginnen durch apodiktische Vereinfachungen modifizierten und daher ihrerseits schon keinen substantiierten Vortrag darstellten oder bloße ergebnisbezogene Wertungen im Hinblick auf die vom BSG in dessen Revisionsurteil vom 23.8.2012 aufgestellten Anforderungen an das Vorliegen einer Partnerschaft darstellten und deshalb einem auf die Feststellung von Tatsachen bezogenen Zeugenbeweis nicht zugänglich seien. Das LSG ist insbesondere davon ausgegangen, dass die Klägerin ihren Lebensunterhalt, soweit sie nicht über eigene Mittel verfügte, in der mit Schriftsatz vom 24.3.2014 geschilderten Weise mit Hilfe ihrer Schwester bestritten habe. Auch hat das Berufungsgericht die Angaben der Klägerin der durchgängig getrennten Erledigung der Wäsche und der schon wegen unterschiedlicher Essgewohnheiten immerhin überwiegend getrennten Zubereitung der Mahlzeiten berücksichtigt. Es hat dem dann jedoch andere Erkenntnisse aus den eigenen Angaben der Klägerin bzw aus den Verwaltungsakten gegenübergestellt und ist daraufhin zu einer anderen Würdigung der Tatsachen gelangt, als die Klägerin. Die Klägerin hätte mithin ausgehend hiervon darlegen müssen, dass das LSG dem Beweisantrag gleichwohl hätte nachkommen müssen und dann wegen des Beweisergebnisses zu einem anderen Urteilsspruch gekommen wäre. Letztlich rügt sie an dieser Stelle auch wiederum nur die Beweiswürdigung des LSG. Insoweit wird auf die vorgehenden Ausführungen Bezug genommen. Dies gilt im Übrigen auch für die Rüge der vorweggenommenen Beweiswürdigung.

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4. Im Hinblick auf die von der Klägerin ferner vorgebrachte Verletzung rechtlichen Gehörs iS von Art 103 GG, § 62 SGG durch eine Überraschungsentscheidung mangelt es, soweit es die Aspekte der gemeinsamen Hausfinanzierung und der finanziellen Unterstützung der Klägerin durch Herrn L. betrifft, wiederum an hinreichenden Darlegungen dieses Verfahrensfehlers. Zur Wahrung des rechtlichen Gehörs gilt zwar, dass das Urteil eines Gerichtes nicht auf tatsächliche oder rechtliche Gesichtspunkte gestützt werden darf, die bisher nicht erörtert worden sind, wenn dadurch der Rechtsstreit eine unerwartete Wendung nimmt (vgl BVerfG vom 12.6.2003 - 1 BvR 2285/02 - BVerfGK 1, 211). Dies behauptet die Klägerin jedoch nicht, sondern bringt selbst vor, der Senat habe in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt, dass er nunmehr von dem Vorliegen einer Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft zwischen der Klägerin und Herrn L. ausgehe. Dann mangelt es jedoch an Ausführungen dazu, dass sie sich in Kenntnis dessen bemüht habe, sich das von ihr vermisste rechtliche Gehör zu verschaffen. Denn ein Verstoß gegen § 62 SGG kann nicht geltend gemacht werden, wenn der Beteiligte von gegebenen prozessualen Möglichkeiten, sich Gehör zu verschaffen, keinen Gebrauch gemacht hat. Dementsprechend hat er mit der Nichtzulassungsbeschwerde darzulegen, dass er seinerseits alles getan habe, um sich Gehör zu verschaffen (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 22). Hierzu legt die Klägerin in ihrer Beschwerdebegründung bezogen auf die eingangs benannten Aspekte der Entscheidung des LSG nichts dar. Sie setzt sich an dieser Stelle nur damit auseinander, dass die Entscheidung des LSG materiell-rechtlich unzutreffend sei, weil sie die vom BSG formulierten Maßstäbe falsch angewendet habe. Dies war im Rahmen der auf einen Verfahrensfehler gestützten Beschwerdebegründung keiner Überprüfung durch das Revisionsgericht zu unterziehen. Der erkennende Senat weist in diesem Zusammenhang jedoch ausdrücklich darauf hin, dass er trotz der vom LSG dargelegten Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Auslegung des § 7 Abs 3 Nr 3 Buchst c SGB II durch das BSG an seiner Rechtsauffassung aus der Entscheidung vom 23.8.2012 - B 4 AS 34/12 R - (BSGE 111, 250 = SozR, aaO) festhält.

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5. Soweit die Klägerin einen Gehörsverstoß geltend macht, weil das LSG in seiner Entscheidung von Tatsachen ausgegangen sei - gemeinsames Reinigen des Hauses, Aufteilung der Arbeit zwischen der Klägerin und Herrn L. bezüglich Garten und Hausreparaturen, systematische Aufteilung der Einkäufe - von denen sie keine Kenntnis gehabt und zu denen sie sich nicht habe äußern können, genügt die Beschwerdebegründung ebenfalls nicht den eingangs dargelegten formellen Anforderungen. Sie behauptet zwar zunächst, diese Tatsachen seien in dem gesamten Verfahren nicht zur Sprache gekommen und hätten daher, wenn sie ihr bekannt gewesen wären, durch von ihr benannte Zeugen als unwahr widerlegt werden können, sodass das LSG zu einer Entscheidung zu ihren Gunsten gelangt wäre. Insoweit ist jedoch zu berücksichtigen, dass der in § 62 SGG konkretisierte Anspruch auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG) lediglich verhindern soll, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht haben äußern können (s § 128 Abs 2 SGG; vgl BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 12; BVerfGE 84, 188, 190), und sicherstellen, dass ihr Vorbringen vom Gericht zur Kenntnis genommen und in seine Erwägungen miteinbezogen wird (BVerfGE 22, 267, 274 [BVerfG 19.07.1967 - 2 BvR 639/66]; 96, 205, 216 f). In diesem Rahmen besteht jedoch weder eine allgemeine Aufklärungspflicht des Gerichts über die Rechtslage, noch die Pflicht bei der Erörterung der Sach- und Rechtslage im Rahmen der mündlichen Verhandlung bereits die endgültige Beweiswürdigung darzulegen; denn das Gericht kann und darf das Ergebnis der Entscheidung, die in seiner nachfolgenden Beratung erst gefunden werden soll, nicht vorwegnehmen. Es gibt keinen allgemeinen Verfahrensgrundsatz, der das Gericht verpflichten würde, die Beteiligten vor einer Entscheidung auf eine in Aussicht genommene Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gründe zuvor mit den Beteiligten zu erörtern. Art 103 Abs 1 GG gebietet vielmehr lediglich dann einen Hinweis, wenn das Gericht auf einen Gesichtspunkt abstellen will, mit dem ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nicht zu rechnen brauchte (vgl BVerfG vom 29.5.1991 - 1 BvR 1383/90 - BVerfGE 84, 188; vgl zuletzt BSG vom 7.8.2014 - B 13 R 441/13 B - RdNr 12; s auch BSG vom 17.4.2013 - B 9 SB 3/12 R - RdNr 44). Dass sie nicht mit der Einbeziehung der benannten Tatsachen in die Beweiswürdigung durch das LSG zu rechnen brauchte, hat die Klägerin jedoch nicht dargelegt.

14

Derartige Darlegungen waren im konkreten Fall auch erforderlich, denn alle drei von ihr als überraschend neue Feststellungen benannten Aspekte der Beweiswürdigung des LSG waren ihr bzw ihrer Prozessbevollmächtigen als kundiger Prozessbeteiligter bekannt. Das LSG legt seiner Beweiswürdigung zugrunde, dass die Klägerin ihre Einkäufe nicht durchgängig selbstständig durchgeführt habe, diese vielmehr, soweit zu umfangreich, mit dem Auto von Herrn L. durchgeführt worden seien. Diese Ausführungen basieren auf den der Klägerin bekannten Äußerungen des Herrn L. anlässlich seiner Vernehmung als Zeuge vor dem SG Hannover vom 28.4.2009. Zu dem Aspekt des teilweisen gemeinsamen Reinigens des Hauses hat die Klägerin selbst angegeben, dass dies in dem Protokoll des Hausbesuches durch den Außendienst des Beklagten entsprechend angekreuzt worden sei. Diese Tatsache war ihr mithin ebenfalls bekannt. Die Feststellung im Urteil des LSG, dass die Klägerin allein für die Gartenarbeit zuständig gewesen sei, entstammt ihrer informatorischen Befragung vor dem LSG am 29.11.2013. Sie hat dort angegeben, dass der Garten ihr gehöre und Herrn L. die Garage. Er beteilige sich kaum an den häuslichen Arbeiten. Wenn etwas zu reparieren gewesen sei, dann habe er lieber einen Handwerker geholt und diesen selbst bezahlt, als Hand anzulegen. Eine andere rechtliche Würdigung dessen durch das LSG, als von der Klägerin für zutreffend befunden, reicht für sich allein genommen jedoch nicht, um eine Verletzung des rechtlichen Gehörs hinreichend darzubringen. Aus den Entscheidungen von SG, LSG und BSG war ihr zudem bekannt, dass es darum ging, die festgestellten Tatsachen im Hinblick darauf zu würdigen, ob eine Einstehens- und Verantwortungsgemeinschaft zwischen ihr und Herrn L. vorlag. Dass dies ein überraschender, neuer rechtlicher Gesichtspunkt sein könnte, hätte daher ebenfalls näherer Begründung bedurft. Unabhängig davon, dass das LSG das Ergebnis seiner Beweiswürdigung im Hinblick auf die Einstehens- und Verantwortungsgemeinschaft der Klägerin nicht vorab hätte darbringen müssen, hat es dies zudem nach den eigenen Angaben der Klägerin gleichwohl gemacht. Es wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.

15

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 SGG.

Prof. Dr. Voelzke
Knickrehm
Söhngen

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