Suche

Nutzen Sie die Schnellsuche, um nach den neuesten Urteilen in unserer Datenbank zu suchen!

Bundessozialgericht
Beschl. v. 02.06.2015, Az.: B 5 R 118/15 B
Substantiierung einer Gehörsrüge; Besondere Umstände des Einzelfalls; Nichtberücksichtigung substantiierten Vortrags
Gericht: BSG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 02.06.2015
Referenz: JurionRS 2015, 19347
Aktenzeichen: B 5 R 118/15 B
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LSG Berlin-Brandenburg - 25.02.2015 - AZ: L 3 R 390/13

SG Neuruppin - AZ: S 22 R 451/08

BSG, 02.06.2015 - B 5 R 118/15 B

Redaktioneller Leitsatz:

1. Soweit ein Gehörsverstoß (§ 62 SGG, Art. 103 Abs. 1 GG) in Form der sog. Erwägensrüge geltend gemacht werden soll, gilt die tatsächliche Vermutung, dass ein Gericht das Vorbringen der Beteiligten und den Akteninhalt zur Kenntnis genommen und erwogen hat, zumal es nach Art. 103 Abs. 1 GG nicht verpflichtet ist, auf jeden Gesichtspunkt einzugehen, der im Laufe des Verfahrens von der einen oder anderen Seite zur Sprache gebracht worden ist.

2. Deshalb muss die Beschwerdebegründung "besondere Umstände" des Einzelfalls aufzeigen, aus denen auf das Gegenteil geschlossen werden kann.

3. Besondere Umstände liegen etwa vor, wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Beteiligtenvortrags zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, nicht eingeht, obwohl das Vorbringen nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts erheblich und nicht offensichtlich unsubstantiiert war.

4. Im Übrigen gewährleistet der Anspruch auf rechtliches Gehör nur, dass der Kläger "gehört", nicht jedoch "erhört" wird; Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet die Gerichte nicht, der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen.

in dem Rechtsstreit

Az: B 5 R 118/15 B

L 3 R 390/13 (LSG Berlin-Brandenburg)

S 22 R 451/08 (SG Neuruppin)

.....................,

Kläger und Beschwerdeführer,

Prozessbevollmächtigter: ......................................,

gegen

Deutsche Rentenversicherung Bund,

Ruhrstraße 2, 10709 Berlin,

Beklagte und Beschwerdegegnerin,

beigeladen:

AOK NORDWEST - Die Gesundheitskasse,

Kreuzweg 11, 23558 Lübeck.

Der 5. Senat des Bundessozialgerichts hat am 2. Juni 2015 durch den Vorsitzenden Richter Dr. B e r c h t o l d sowie die Richter Dr. K o l o c z e k und K a r m a n s k i

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 25. Februar 2015 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

Gründe

1

Mit Urteil vom 25.2.2015 hat es das LSG Berlin-Brandenburg abgelehnt, die Entscheidung der Beklagten aufzuheben, wonach die Regelaltersrente des Klägers mit Forderungen der Beigeladenen verrechnet wird (Bescheid vom 16.1.2008 und Widerspruchsbescheid vom 22.7.2008).

2

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung wurde Beschwerde zum BSG eingelegt. In der Beschwerdebegründung werden Verfahrensmängel (I.) und die "grundlegende" Bedeutung der Rechtssache (II.) geltend gemacht.

3

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist. Es kann deshalb dahinstehen, ob die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 67 SGG wegen Versäumung der am 5.5.2015 abgelaufenen zweimonatigen Beschwerdebegründungsfrist (vgl § 160a Abs 2 S 1 iVm § 64 Abs 2 SGG) vorliegen.

4

Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG),

- das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (aaO Nr 2) oder

- ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (aaO Nr 3).

5

Derartige Gründe werden in der Beschwerdebegründung nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 S 3 SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.

6

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht.

7

Der Kläger rügt, das LSG sei "überhaupt nicht auf die in der Berufungsbegründung vom 28.06.2013 aufgeführten Argumente eingegangen". Soweit damit ein Gehörsverstoß (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG) in Form der sog Erwägensrüge (vgl BVerfG SozR 1500 § 62 Nr 13; BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 19 S 33 mwN) geltend gemacht werden soll, gilt die tatsächliche Vermutung, dass ein Gericht das Vorbringen der Beteiligten und den Akteninhalt zur Kenntnis genommen und erwogen hat, zumal es nach Art 103 Abs 1 GG nicht verpflichtet ist, auf jeden Gesichtspunkt einzugehen, der im Laufe des Verfahrens von der einen oder anderen Seite zur Sprache gebracht worden ist (vgl BVerfG SozR 1500 § 62 Nr 16; BVerfGE 96, 205, 217 [BVerfG 08.07.1997 - 1 BvR 1621/94]). Deshalb muss die Beschwerdebegründung "besondere Umstände" des Einzelfalls aufzeigen, aus denen auf das Gegenteil geschlossen werden kann (vgl BVerfGE 28, 378, 384 f [BVerfG 27.05.1970 - 2 BvR 578/69]; 47, 182, 187 f; 54, 86, 91 f). Besondere Umstände liegen etwa vor, wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Beteiligtenvortrags zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, nicht eingeht, obwohl das Vorbringen nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts erheblich und nicht offensichtlich unsubstantiiert war (vgl BVerfGE 86, 133, 146 [BVerfG 19.05.1992 - 1 BvR 986/91], BVerfG Kammerbeschluss vom 29.10.2009 - 1 BvR 1729/09 - NZS 2010, 497, 498, RdNr 12). Der Kläger gibt jedoch weder den verbindlich festgestellten Sachverhalt (§ 163 SGG) noch die hierauf beruhenden Entscheidungsgründe des LSG wieder, sodass der erkennende Senat nicht prüfen kann, ob und inwiefern die angeblich ignorierten tatsächlichen Ausführungen und rechtlichen Argumente - auf der Basis der Rechtsauffassung des LSG - für das Verfahren entscheidungserheblich und für die Falllösung zentral bedeutsam waren. Im Übrigen gewährleistet der Anspruch auf rechtliches Gehör nur, dass der Kläger "gehört", nicht jedoch "erhört" wird (BSG Beschlüsse vom 9.5.2011 - B 13 R 112/11 B - BeckRS 2011, 73125; vgl auch BVerfG Kammerbeschlüsse vom 29.10.2009 - 1 BvR 1729/09 - NZS 2010, 497, RdNr 17 und vom 8.4.2014 - 1 BvR 2933/13 - NZS 2014, 539 RdNr 13 mwN). Art 103 Abs 1 GG verpflichtet die Gerichte nicht, der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen (BVerfG Kammerbeschlüsse vom 4.9.2008 - 2 BvR 2162/07 ua - BVerfGK 14, 238 und vom 29.10.2009 - 1 BvR 1729/09 - NZS 2010, 497 RdNr 17; BSG Beschluss vom 24.8.2011 - B 6 KA 3/11 C - Juris RdNr 9).

8

Auch die Grundsatzrüge hat keinen Erfolg. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN).

9

Der Kläger hält die Frage für "grundlegend" bedeutsam, "ob ein Ehevertrag, der keinen Unterhaltsverzicht, sondern lediglich eine Unterhaltsbeschränkung beinhaltet, gegen die Rechtsnormen des SGB verstößt oder ob der grundgesetzlich geschützten Familie das Recht der Gestaltung der Ehe verbleibt."

10

Damit hat er die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht dargetan. Denn sie lässt schon völlig offen, welche "Rechtsnormen des SGB" mit dem Ehevertrag kollidieren bzw konkurrieren und "das Recht der Gestaltung der Ehe" beeinträchtigen könnten. Darüber hinaus fehlen jegliche Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit der angesprochenen Problematik. Keinesfalls genügt in diesem Zusammenhang die bloße Behauptung, "weder das erstinstanzliche Urteil noch das zurückweisende Urteil des Berufungsgerichts" gingen "auf diese Frage ein".

11

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

12

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.

Dr. Berchtold
Dr. Koloczek
Karmanski

Hinweis: Das Dokument wurde redaktionell aufgearbeitet und unterliegt in dieser Form einem besonderen urheberrechtlichen Schutz. Eine Nutzung über die Vertragsbedingungen der Nutzungsvereinbarung hinaus - insbesondere eine gewerbliche Weiterverarbeitung außerhalb der Grenzen der Vertragsbedingungen - ist nicht gestattet.