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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 28.02.2012, Az.: StB 1/12
Aufrechterhaltung eines Haftbefehls wegen des dringenden Tatverdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung zur Begehung von Mordanschlägen auf ausländische Mitbürger; Anforderungen an das Vorliegen einer bewussten und gewollten Förderung der Ziele des "Nationalsozialistischen Untergrunds" durch Erledigung logistischer Aufgaben
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 28.02.2012
Referenz: JurionRS 2012, 11056
Aktenzeichen: StB 1/12
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

AG Zwickau - 07.11.2011 - AZ: Gs 1009/11

BGH - 13.11.2011 - AZ: 3 BGs 6/11

Rechtsgrundlagen:

§ 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB

§ 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB

§ 306b Abs. 2 Nr. 2 StPO

Verfahrensgegenstand:

Bildung einer terroristischen Vereinigung u.a.

BGH, 28.02.2012 - StB 1/12

Redaktioneller Leitsatz:

Der "Nationalsozialistischer Untergrund" ("NSU") ist einer terroristische Vereinigung.

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts sowie der Beschwerdeführerin und ihrer Verteidiger am 28. Februar 2012 gemäß § 304 Abs. 5 StPO beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Beschuldigten gegen den Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 13. November 2011 - 3 BGs 6/11 - wird verworfen.

Die Beschwerdeführerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1

Aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Zwickau vom 7. November 2011 (Gs 1009/11) - nachfolgend ersetzt durch den Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 13. November 2011 (3 BGs 6/11) - wurde die Beschuldigte am 8. November 2011 festgenommen. Sie befindet sich seitdem ununterbrochen in Untersuchungshaft. Gegenstand des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs ist der Vorwurf, die Beschuldigte habe im Januar 1998 in Zwickau mit Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos eine Vereinigung gegründet, deren Zwecke und deren Tätigkeit darauf gerichtet waren, Mord (§ 211 StGB) zu begehen, und sich in der Folge bis zum 4. November 2011 hieran beteiligt. In der Absicht, diese ihr zur Last fallende Straftat zu verdecken, namentlich das Auffinden von Beweismitteln zu vereiteln, habe sie am 4. November 2011 in Zwickau ein der Wohnung von Menschen dienendes Gebäude durch Brandlegung zerstört. Sie habe sich daher der Bildung einer terroristischen Vereinigung (§ 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB) und der besonders schweren Brandstiftung (§ 306b Abs. 2 Nr. 2, § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB) schuldig gemacht.

2

Die Beschwerde der Beschuldigten gegen den Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs bleibt ohne Erfolg.

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1. Die Beschuldigte ist des ihr in dem Haftbefehl vorgeworfenen Tatgeschehens dringend verdächtig.

4

a) Nach gegenwärtigem Erkenntnisstand ist von folgendem Sachverhalt auszugehen:

5

(1) Ende 1997 ergaben sich Hinweise darauf, dass eine von der Beschuldigten am 10. August 1996 angemietete Garage in Jena von ihr sowie von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos - nach kriminalpolizeilichen Erkenntnissen seinerzeit wie sie aktive Mitglieder der "Kameradschaft Jena" in der rechtsextremen Vereinigung "Thüringer Heimatschutz" - zur Herstellung von Sprengsätzen genutzt wird. Eine Durchsuchung der Garage am 26. Januar 1998, bei der funktionsfähige Rohrbomben sowie insgesamt ca. 1,4 kg TNT aufgefunden wurden, nahmen Böhnhardt, Mundlos und die Beschuldigte zum Anlass, unter Verschleierung ihrer Identität unterzutauchen. Haftbefehle vom 28. Januar 1998 wegen des dringenden Verdachts des Verstoßes gegen das Sprengstoffgesetz u.a. konnten nicht vollstreckt werden; die eingeleiteten Ermittlungsverfahren wurden am 15. September 2003 wegen Eintritts der Strafverfolgungsverjährung eingestellt.

6

Nach Diskussionen mit den damaligen Gesinnungsgenossen Ge. und W. über die nach den Vorfällen in Jena einzuschlagende politische Strategie kamen Böhnhardt, Mundlos und die Beschuldigte noch Anfang 1998 überein, sich nunmehr zu einer eigenständigen Gruppierung zusammenzuschließen, sich dabei dem gemeinsamen Ziel der Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland hin zu einem an der nationalsozialistischen Ideologie ausgerichtetem System unterzuordnen und dieses Ziel künftig aus dem Untergrund heraus mit Waffengewalt weiterzuverfolgen. Den Boden für den angestrebten Systemwechsel wollten sie dadurch bereiten, dass sie durch Mordanschläge auf "Feinde des deutschen Volkes", worunter sie in erster Linie türkischstämmige Einwohner der Bundesrepublik Deutschland sowie Repräsentanten der herrschenden Ordnung wie etwa Polizeibeamte verstanden, ein Klima der Verunsicherung schufen. Zur Kennzeichnung ihres Verbands wählten sie spätestens 2001 den Namen "Nationalsozialistischer Untergrund" und entwickelten ergänzend hierzu ein "Logo" in Form einer besonders gestalteten Buchstabenfolge "NSU".

7

(2) Zur Verschleierung ihrer Identität und ihres Aufenthalts bediente sich die Beschuldigte in der Folge einer Vielzahl von Alias-Personalien, so "L. P. ", "L. D. ", "S. D. ", "M. S. ", "S. E. ", "S. P. ", "M. P. " und "S. R. ". Teilweise verwendete sie auch auf diese Namen ausgestellte, ihr überlassene oder den Berechtigten abhanden gekommene Dokumente. Böhnhardt trat als "H. Ge. " auf, Mundlos als "M. B. "; entsprechende amtliche Ausweispapiere verschafften sie sich unter Mitwirkung der Genannten. Weiter nutzten Böhnhardt, Mundlos und die Beschuldigte überwiegend Wohnungen, die auf den Namen dritter Personen angemietet waren. So überließ ihnen 1998 M. B. für geraume Zeit seine Mietwohnung in C. , L. Straße . Mieter der von ihnen in den Jahren 2001 bis 2008 bewohnten Räumlichkeiten in Z. , P. straße , war M. D. , den sie dazu brachten, zur Verdeckung der wahren Verhältnisse einen auf "M. B. " lautenden Untermietvertrag zu unterschreiben. Ende 2007 veranlassten sie D. , stattdessen die von ihnen für geeigneter gehaltene und ab 2008 genutzte Wohnung in Z. , F. straße , anzumieten und hierüber wiederum einen Untermietvertrag mit "M. B. " abzuschließen. Die von D. geschuldete Miete beglich die Beschuldigte jedenfalls teilweise durch Bank-Bareinzahlungen unter dem Namen "L. P. " bzw. "L. D. " unmittelbar an die Vermieter.

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Auch im Übrigen trug die Beschuldigte durch die Erledigung anstehender logistischer Aufgaben bewusst und gewollt zur Förderung der Ziele des "Nationalsozialistischen Untergrunds" bei. So nahm sie 2001 bei einem verdeckten Treffen mit Ge. am Bahnhof in Z. einen Reisepass entgegen, den dieser sich auf Verlangen "der Drei" hatte ausstellen lassen und der zur Verwendung durch Böhnhardt bestimmt war. Bei dieser Gelegenheit erstattete sie Ge. 3.000 DM zurück, mit denen dieser die Gruppierung zuvor unterstützt hatte. Weiter übergab sie ihm 10.000 DM mit dem Auftrag, diese Summe "den Dreien" für Notfälle zur Verfügung zu halten. 2011 erklärte sich Ge. , von Böhnhardt, Mundlos und der Beschuldigten aufgesucht, erneut bereit, sich einen Reisepass ausstellen zu lassen und ihn Böhnhardt zur Benutzung zu überlassen. Die Beschuldigte suchte mit Ge. umgehend einen Fotografen und anschließend das Passamt auf. Sie beglich die Kosten der gefertigten Passbilder und wirkte im Passamt darauf hin, dass Ge. sogleich einen vorläufigen Reisepass erhielt.

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(3) In Verfolgung der gemeinsam beschlossenen Ziele begingen im Einzelnen nicht ermittelte Mitglieder der Gruppierung unter Verwendung einer Pistole Ceska 83 Kaliber 7,65 mm - am 9. September 2000 und am 27. Juni 2001 auch einer zur scharfen Waffe des Kalibers 6,35 mm umgebauten Schreckschusspistole Bruni 315 Auto - jedenfalls die nachfolgend aufgeführten Mordanschläge gegen in der Bundesrepublik Deutschland wohnhafte Personen ausländischer Herkunft:

  • Am 9. September 2000 töteten sie in Nürnberg den türkischen Staatsangehöriger Si. in seinem mobilen Blumenverkaufsstand durch mehrere Schüsse. Von dem niedergestreckten Opfer fertigten sie Bildaufnahmen.

  • Am 13. Juni 2001 töteten sie in Nürnberg den türkischen Staatsangehörigen Ö. in den Räumlichkeiten seiner Änderungsschneiderei durch zwei Kopfschüsse. Auch hier lichteten sie das Opfer nach der Tat ab.

  • Am 27. Juni 2001 töteten sie in Hamburg den türkischen Staatsangehörigen T. in den Räumlichkeiten seines Gemüsehandels durch drei Kopfschüsse. Vom Opfer fertigten sie nach der Tat ebenfalls Bildaufnahmen.

  • Am 29. August 2001 töteten sie in München den türkischen Staatsangehörigen K. in den Räumlichkeiten seines Gemüsehandels durch zwei Kopfschüsse.

  • Am 25. Februar 2004 töteten sie in Rostock den türkischen Staatsangehörigen Tu. in einer Imbissstube, in der er an diesem Tage aushalf, durch drei Kopfschüsse.

  • Am 9. Juni 2005 töteten sie in Nürnberg den türkischen Staatsangehörigen Y. in den Räumen seiner Imbissstube durch Kopfschüsse.

  • Am 15. Juni 2005 töteten sie in München den griechischen Staatsangehörigen Bo. in den Räumlichkeiten seines Schlüsseldienstes durch Kopfschüsse.

  • Am 4. April 2006 töteten sie in Dortmund den türkischen Staatsangehörigen Ku. in dem von ihm betriebenen Kiosk durch zwei Kopfschüsse.

  • Am 6. April 2006 töteten sie in Kassel den türkischen Staatsangehörigen Yo. in den Räumlichkeiten eines Internet-Cafés durch zwei Kopfschüsse.

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Schließlich töteten sie am 25. April 2007 gegen 14.00 Uhr in Heilbronn unter Verwendung von Pistolen Radom Vis 35 Kaliber 9 mm und Tokarew TT3 Kaliber 9 mm die im Einsatz befindliche Polizeibeamtin Ki. durch einen Kopfschuss, verletzten den sie begleitenden Polizeibeamten A. durch einen weiteren Kopfschuss schwer und brachten deren Dienstwaffen und andere Polizeiausrüstung in ihren Besitz. In Vorbereitung dessen hatte Böhnhardt am 16. April 2007 unter dem Namen "H. Ge. " ein Wohnmobil mit dem Kennzeichen C- angemietet, das kurz nach der Tat bei der eingeleiteten Ringfahndung nahe Heilbronn festgestellt wurde.

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(4) Spätestens im Jahre 2001 entschloss sich die Gruppierung zudem, die begangenen Anschläge propagandistisch zu verwerten. Hierzu entwickelten im Einzelnen nicht ermittelte Beteiligte nach und nach eine ca. 15-minütige Videosequenz und fertigten hiervon eine DVD in einer Stückzahl von etwa 50 Exemplaren. Anfang November 2011 trafen sie Vorbereitungen zu deren Versendung insbesondere an Zeitungsredaktionen und an religiöse und kulturelle Vereinigungen türkischstämmiger Personen in Deutschland. Als Grundlage der Videosequenz dienten mehrere im Internet verfügbare Folgen der Comic-Serie "Paulchen Panther", in die der Namenszug "Nationalsozialistischer Untergrund", das Logo "NSU", Hinweise auf die geschilderten Mordanschläge sowie die drei genannten Tatortaufnahmen eingearbeitet wurden. Ferner findet sich eine Montage mit Einblendung einer der entwendeten Dienstwaffen, in der "Paulchen Panther" einem Polizisten in den Kopf schießt.

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(5) Um für die Vereinigung und den Lebensunterhalt ihrer Mitglieder Geld zu beschaffen, entschlossen sich Böhnhardt und Mundlos im Herbst 2011 zur Begehung eines Banküberfalls. Als Fahrzeug sollte ein Wohnmobil Verwendung finden, das Böhnhardt am 14. Oktober 2011 unter dem Namen "H. Ge. " in Begleitung der Beschuldigten bei einem Caravanvermieter in Sch. anmietete. Um Misstrauen des Personals nicht aufkommen zu lassen, spiegelten beide vor, einen Familienurlaub zu beabsichtigen. Zum vereinbarten Abholtermin am 25. Oktober 2011 erschien Böhnhardt wiederum in Begleitung der Beschuldigten sowie eines bislang unbekannten Kindes.

13

Am 4. November 2011 gegen 9.15 Uhr überfielen Böhnhardt und Mundlos wie geplant eine Filiale der Sparkasse am N. platz in E. , erbeuteten ca. 75.000 € und entfernten sich mit Fahrrädern. Die Fahndung nach den Tätern führte zu einem Zeugen, der beobachtet hatte, wie zwei Männer in der Nähe des Tatorts eilig Fahrräder in ein Wohnmobil verluden. Eine Polizeistreife konnte das beschriebene Wohnmobil schließlich gegen 12.00 Uhr geparkt in einer Wohngegend in Ei. feststellen. Böhnhardt und Mundlos, die sich in dem Wohnmobil aufhielten, bemerkten die sich nähernden Polizeibeamten, rechneten mit ihrer Verhaftung und gaben deshalb zunächst noch einen Schuss auf die Beamten ab. Dann setzten sie das Wohnmobil in Brand und töteten sich durch Schüsse in den Kopf.

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(6) Von diesen Ereignissen auf unbekanntem Wege in Kenntnis gesetzt - jedenfalls informierte sie die Angehörigen von Böhnhardt und Mundlos kurz darauf telefonisch von deren Tod - befürchtete nun auch die Beschuldigte, im Zuge der anstehenden Ermittlungen werde ihre Mitgliedschaft in der für die beschriebenen Straftaten verantwortlichen Vereinigung offenbar. Um dies zu verhindern, entschloss sie sich, die Gegenstände, die in der von ihr sowie Böhnhardt und Mundlos zuletzt gemeinsam genutzten Wohnung im 1. Obergeschoss des Mehrparteienwohnhauses in Z. , F. straße , verblieben waren und die Rückschlüsse auf ihre Identität und den Umfang ihrer Tatbeteiligung erlaubten, insbesondere die Tatwaffen, die zum Versand vorbereiteten DVDs und persönliche Papiere, dadurch zu beseitigen, dass sie die Wohnung durch Brandlegung zerstörte. Hierzu brachte sie noch am selben Tag gegen 15.00 Uhr aus einem Kanister Ottokraftstoff auf dem Fußboden der Wohnung aus, entzündete diesen und verließ sodann das Gebäude. Einen Teil der versandfertigen DVDs nahm sie mit. Die sich entwickelnden Benzindämpfe führten zu einer Verpuffung, die große Teile des Mauerwerks des Gebäudes zum Einsturz brachte, so dass dieses insgesamt unbewohnbar wurde und abgerissen werden muss. Der Sachschaden beläuft sich auf mindestens 100.000 €.

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Im Anschluss daran tauchte die Beschuldigte zunächst unter. Die mitgenommenen DVDs gab sie zur Post; zwölf Sendungen konnten später bei den vorgesehenen Empfängern sichergestellt werden. Am 8. November 2011 stellte sich die Beschuldigte schließlich in Jena der Polizei.

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b) Der dringende Tatverdacht ergibt sich aus der gebotenen Gesamtschau der bislang vorliegenden Beweisanzeichen. Der Senat verweist insoweit auf die ausführliche Darstellung der Ergebnisse der polizeilichen Ermittlungen in den Zuschriften des Generalbundesanwalts vom 5. und vom 9. Januar 2012, die er sich nach Überprüfung zu Eigen macht. Belastet wird die Beschuldigte insbesondere durch folgende Umstände:

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H. Ge. hat bei seiner Beschuldigtenvernehmung am 1. Dezember 2011 die nach den Vorfällen in Jena von den "beiden Uwes" angestoßene Diskussion darüber geschildert, ob man nur demonstrieren oder "mehr machen" und sich bewaffnen solle. Die Beschuldigte sei immer dabei gewesen. Die Diskussion habe schließlich "drei gegen zwei" geendet; er und W. hätten gegen "die Drei" gestanden. Auf eine bis zuletzt enge persönliche Verbindung der Beschuldigten mit Böhnhardt und Mundlos sowie auf ihre innere Übereinstimmung mit deren Überzeugungen lässt sich schon daraus schließen, dass sie am 8. November 2011 nach Belehrung in einem Gespräch mit den sie vernehmenden Polizeibeamten geäußert hat, man sei damals gemeinsam untergetaucht, die beiden seien fortan ihre Familie gewesen. Dasselbe gilt für die spontane Bemerkung der Beschuldigten gegenüber den sie am 16. November 2011 beim Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs vorführenden Beamten, es sei ihnen schon klar gewesen, dass man irgendwann auffallen werde. Auch nach dem Eindruck des u.a. am 5. Januar 2012 als Beschuldigter vernommenen M. B. hatte die Beschuldigte eine im Verhältnis zu Böhnhardt und Mundlos durchaus gleichberechtigte Stellung inne. So sei es auch ihr wichtig gewesen, dass er seinen Personalausweis zur Verfügung stelle, um Mundlos die Beantragung eines auf seinen Namen lautenden Passes zu ermöglichen. Wie die beiden anderen habe auch sie ihm "eingebläut", wie er sich bei Nachfragen Dritter wegen des Aufenthalts der drei in seiner Wohnung zu verhalten habe. Böhnhardt sei zwar nach außen hin als "der Autoritäre" und "der Sprecher" aufgetreten, für ihn sei es jedoch "eindeutig erkennbar" gewesen, dass er für das "Trio insgesamt" gesprochen habe.

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Für eine enge Einbindung der Beschuldigten in den "Nationalsozialistischen Untergrund" zusammen mit Böhnhardt und Mundlos sprechen schließlich auch ihre oben schon dargestellten konkreten Tatbeiträge, durch welche sie nicht nur die Ziele der Gruppierung objektiv gefördert, sondern auch zu erkennen gegeben hat, dass sie sich - noch über den Tod der anderen Mitglieder hinaus - mit deren Ideologie identifiziert. Die Rolle der Beschuldigten im Zusammenhang mit der Beschaffung der auf "H. Ge. " lautenden Reisepässe und ihre Mitwirkung bei Geldgeschäften geht im Einzelnen aus den Aussagen des H. Ge. vom 25. November 2011, 1. Dezember 2011 und 12. Januar 2012 hervor. Die Zeugin M. Ar. hat bei einer Wahllichtbildvorlage die Beschuldigte als Begleiterin des "H. Ge. " bei der Anmietung und Abholung des beim Banküberfall benutzten Wohnmobils wiedererkannt. Was die Versendung der DVDs betrifft, belegen zunächst die Aussagen der in der Nachbarschaft wohnenden Zeugen U. H. , A. H. und J. Ma. , dass die Beschuldigte das Gebäude F. straße nach der ersten Explosion mit zwei Katzenkörben in der Hand verließ, die Körbe abstellte und sich dann zu Fuß entfernte. Ermittlungen des Bundeskriminalamts bei der Post haben sodann ergeben, dass sechs der versandten DVDs am 6. November 2011 im Briefzentrum 4 in Leipzig abgefertigt worden waren und sich somit unter den ab dem Abend des 5. November 2011 - nach dem Tod von Böhnhardt und Mundlos - in Briefkästen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen eingeworfenen Sendungen befunden hatten.

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2. Es besteht jedenfalls der Haftgrund der Schwerkriminalität (§ 112 Abs. 3 StPO). Nach den Umständen kann nicht ausgeschlossen werden, dass ohne den Vollzug der Untersuchungshaft die alsbaldige Ahndung und Aufklärung der Taten gefährdet wäre (vgl. hierzu Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 112 Rn. 37 mwN). Die Beschuldigte muss wegen der ihr im Haftbefehl vorgeworfenen Taten schon aufgrund der gesetzlichen Strafandrohungen mit mehrjährigem Freiheitsentzug rechnen. Auch wenn sich die Beschuldigte am 8. November 2011 freiwillig der Polizei gestellt hat, besteht weiterhin Anlass zur Besorgnis, dass sie, auf freien Fuß gesetzt, den von dieser hohen Straferwartung ausgehenden, nicht unerheblichen Fluchtanreizen schließlich nachgeben wird. Über ausreichende soziale Bindungen, die dem verlässlich entgegenwirken könnten, verfügt die Beschuldigte nicht. Sie ist nunmehr ohne festen Wohnsitz; zu ihrer Mutter und zu anderer Verwandtschaft unterhielt sie nach den Ermittlungen seit ihrem Untertauchen 1998 keine Kontakte mehr. Wie bereits das Tatgeschehen zeigt, sind ihr ein Leben im Untergrund und die Verschleierung der eigenen Identität durch Verwendung falscher Personalien nicht fremd. So äußerte sie anlässlich einer polizeilichen Vernehmung am 8. November 2011, schon lange nicht mehr mit ihrem wahren Namen unterschrieben zu haben und auf die Nennung ihres Vornamens kaum noch zu reagieren. Angesichts dessen kann der Zweck der Untersuchungshaft auch nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen als deren Vollzug erreicht werden (§ 116 Abs. 1 StPO).

20

3. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht auch noch nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der im Falle einer Verurteilung zu erwartenden Strafe.

Becker
Hubert
Mayer

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