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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 24.06.2009, Az.: IV ZR 110/07
Automatische Anpassung Allgemeiner Versicherungsbedingungen an geänderte Rechtslage
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 24.06.2009
Referenz: JurionRS 2009, 23180
Aktenzeichen: IV ZR 110/07
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

AG Westerstede - 10.11.2006 - AZ: 22 C 266/06 (VI a)

LG Oldenburg - 30.03.2007 - AZ: 13 S 799/06

Rechtsgrundlagen:

§ 2f ARB 2000

§ 3 (3) f ARB 2000

Fundstellen:

AGS 2010, 155-156

NJW 2009, 3654-3655

r+s 2010, 18-19

VersR 2009, 1617-1618

zfs 2009, 701-702

BGH, 24.06.2009 - IV ZR 110/07

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat
durch
den Vorsitzenden Richter Terno,
die Richter Dr. Schlichting, Wendt, Felsch und
die Richterin Harsdorf-Gebhardt
am 24. Juni 2009
beschlossen:

Tenor:

Die Parteien werden darauf hingewiesen, dass der Senat beabsichtigt, die Revision gegen das Urteil der 13. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg vom 30. März 2007 nach § 552a Satz 1 ZPO zurückzuweisen.

Gründe

1

I.

Der Kläger begehrt Leistungen aus einer Rechtsschutzversicherung, die er seit Mai 2004 bei der Beklagten hält.

2

Nach § 2 f der dem Vertragsverhältnis zugrunde liegenden ARB 2000 umfasst der Versicherungsschutz "Sozialgerichts-Rechtsschutz für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen vor deutschen Sozialgerichten". Der Kläger führte vor dem Sozialgericht einen Prozess wegen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Die Erstattung der hierfür angefallenen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 379,09 EUR verweigert die Beklagte unter Berufung auf § 3 (3) f ARB 2000. Danach besteht Rechtsschutz nicht für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen "in Verfahren aus dem Bereich des Asyl-, Ausländer- und Sozialhilferechts".

3

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landgericht hat ihr auf die Berufung des Klägers stattgegeben. Mit der vom Landgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

4

II.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen insgesamt nicht vor.

5

1.

Die Revision hat keine Aussicht auf Erfolg. Das Berufungsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben.

6

a)

Es hat, ohne dies allerdings auszuführen, den von dem Kläger vor dem Sozialgericht geführten Prozess wegen Leistungen nach dem SGB II zutreffend dem Sozialgerichts-Rechtsschutz nach § 2 f ARB 2000 zugeordnet. Dem steht nicht entgegen, dass das SGB II nach Abschluss des Rechtsschutzversicherungsvertrages am 1. Januar 2005 in Kraft trat und erst seitdem die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 4a SGG über Streitigkeiten in Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende zu entscheiden haben (Siebentes Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes vom 9. Dezember 2004, BGBl. I S. 3302). Die Klausel des § 2 f ARB 2000 ist so zu verstehen, dass auch erst nach Beginn des Versicherungsverhältnisses den Sozialgerichten zugewiesene Streitigkeiten grundsätzlich vom Versicherungsschutz umfasst sein sollen.

7

aa)

Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit - auch - auf seine Interessen an (BGHZ 153, 182, 185 f.[BGH 11.12.2002 - IV ZR 226/01]; 123, 83, 85, [BGH 23.06.1993 - IV ZR 135/92]jeweils m.w.N.).

8

bb)

Ein verständiger Versicherungsnehmer geht vom Wortlaut der Klausel aus. Die Formulierung "Sozialgerichts-Rechtsschutz für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen vor deutschen Sozialgerichten" versteht er so, dass ihm die Beklagte Versicherungsschutz grundsätzlich für alle in die Zuständigkeit der Sozialgerichte fallenden Streitigkeiten gewährt, sofern sie nicht ausdrücklich ausgenommen sind. Dabei stellt er nicht darauf ab, ob die Sozialgerichte für Streitigkeiten der in Rede stehenden Art schon bei Abschluss des Rechtsschutzversicherungsvertrages zuständig waren. Eine derartige Einschränkung ist dem Versicherungsnehmer nicht erkennbar und wird im Übrigen von der Beklagten selbst nicht geltend gemacht. Der Versicherungsnehmer darf daher annehmen, dass es darauf ankommt, ob der Rechtsweg zu den Sozialgerichten bei Prozessbeginn eröffnet ist.

9

b)

Entgegen der Ansicht der Revision greift der Leistungsausschluss in § 3 (3) f ARB 2000 zugunsten der Beklagten nicht ein. Denn für den Kläger war bei Abschluss des Versicherungsvertrages nicht erkennbar, dass ein sozialgerichtlicher Prozess wie der später von ihm geführte vom Versicherungsschutz nicht umfasst sein sollte.

10

aa)

Risikoausschlussklauseln sind eng und nicht weiter auszulegen, als es ihr Sinn unter Beachtung ihres wirtschaftlichen Zwecks und der gewählten Ausdrucksweise erfordert. Denn der durchschnittliche Versicherungsnehmer braucht nicht damit zu rechnen, dass er Lücken im Versicherungsschutz hat, ohne dass die Klausel ihm dies hinreichend verdeutlicht (BGHZ 153, 182, 187 f.[BGH 11.12.2002 - IV ZR 226/01]; Senatsurteile vom 29. September 2004 - IV ZR 170/03 - VersR 2004, 1596 unter II 1; vom 25. September 2002 - IV ZR 248/01 - VersR 2002, 1503 unter 2 a; vom 3. Mai 2000 - IV ZR 172/99 - VersR 2000, 963 unter II 2 b, jeweils m.w.N.). Mit Rücksicht darauf ist jedenfalls bei der Auslegung von Risikoausschlussklauseln auf die Verständnismöglichkeiten eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen.

11

bb)

Ausgehend davon kommt es hier nicht darauf an, ob - wie die Revision meint - Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II im weiteren Sinne dem von dem Ausschlusstatbestand in § 3 (3) f ARB 2000 erfassten Sozialhilferecht zuzurechnen sind. Da der Kläger den Rechtsschutzversicherungsvertrag mit der Beklagten im Jahre 2004 abschloss, ist maßgeblich, wie der Begriff des "Sozialhilferechts" zu diesem Zeitpunkt von einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer verstanden wurde. Seinerzeit galten noch das Arbeitsförderungsgesetz und das Bundessozialhilfegesetz. Letzteres beinhaltete aus Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers das Sozialhilferecht, das jedenfalls im engeren Sinne seit dem 1. Januar 2005 in dem mit "Sozialhilfe" überschriebenen SGB XII geregelt ist. Dass auch die in dem am 1. Januar 2005 in Kraft getretenen SGB II geregelte Grundsicherung für Arbeitsuchende als Sozialhilfeleistung im weiteren Sinne angesehen werden könnte, war für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer im Jahre 2004 nicht vorhersehbar. Er brauchte nicht anzunehmen, dass spätere Änderungen des Sozialhilferechts und dessen etwaige Erstreckung auf Arbeitslose zu einer Einschränkung des Rechtsschutzversicherungsschutzes führen könnten. Dies gilt umso mehr, als sowohl der allgemeine als auch der juristische Sprachgebrauch künftige Gesetzesänderungen nicht vorwegnehmen kann. Die Revision verkennt mit der von ihr befürworteten Auslegung der Risikoausschlussklausel, dass Änderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen zu Lasten des Verwenders von Allgemeinen Geschäftsbedingungen gehen. Da der Versicherer über die inhaltliche Gestaltung seiner Allgemeinen Versicherungsbedingungen entscheidet, trägt er auch das Risiko, dass sein Regelwerk durch gesetzliche Neuregelungen überholt oder lückenhaft wird. Mit dieser Risikoverteilung ist es unvereinbar, Allgemeine Versicherungsbedingungen einer geänderten Rechtslage automatisch anzupassen und für den Versicherungsnehmer nicht vorhersehbare Tatbestände einem Risikoausschluss zuzuordnen.

12

2.

Da die vom Berufungsgericht für klärungsbedürftig gehaltene Frage, ob Streitigkeiten wegen Leistungen zur Grundsicherung nach dem SGB II dem Sozialhilferecht im Sinne der Ausschlussklausel des § 3 (3) f ARB zuzuordnen sind, hier nicht zu entscheiden ist, hat die Sache schon deshalb keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO. Eine Entscheidung des Revisionsgerichts ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, 1. Alt. ZPO erforderlich. Der vorliegende Einzelfall gibt mangels Entscheidungserheblichkeit der vorgenannten Frage keine Veranlassung, Leitsätze für die Auslegung der Klausel aufzustellen.

13

Die Parteien erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum

20. Juli 2009.

Terno
Dr. Schlichting
Wendt
Felsch
Harsdorf-Gebhardt

Hinweis: Die Revision ist zurückgenommen worden.

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