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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 24.04.2012, Az.: VIII ZB 111/11
Anforderungen an die Postulationsfähigkeit eines Rechtsanwalts nach dem sofort vollziehbaren Widerruf seiner Zulassung
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 24.04.2012
Referenz: JurionRS 2012, 16526
Aktenzeichen: VIII ZB 111/11
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

AG Schorndorf - 27.09.2011 - AZ: 6 C 45/11

LG Stuttgart - 28.11.2011 - AZ: 5 S 240/11

Fundstellen:

JurBüro 2013, 55

MDR 2012, 1258-1259

NJW 2012, 2592-2593

BGH, 24.04.2012 - VIII ZB 111/11

Redaktioneller Leitsatz:

Ein Prozessbevollmächtigter verliert durch den sofort vollziehbaren, aber noch nicht bestandskräftigen Widerruf seiner Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nicht die nach § 519 Abs. 4, § 78 Abs. 1 S. 1 ZPO erforderliche Postulationsfähigkeit. Dies gilt auch dann, wenn der verbotswidrig handelnde Anwalt sich bewusst über das Tätigkeitsverbot hinwegsetzt. Seine Postulationsfähigkeit endet für die Zukunft erst mit einer Zurückweisung nach § 156 Abs. 2 BRAO.

Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. April 2012 durch den Vorsitzenden Richter Ball, den Richter Dr. Frellesen, die Richterinnen Dr. Milger und Dr. Fetzer sowie den Richter Dr. Bünger

beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 28. November 2011 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde: 13.872,06 €

Gründe

I.

1

Das Amtsgericht hat den Beklagten mit Urteil vom 27. September 2011 unter teilweiser Aufrechterhaltung eines zuvor ergangenen Versäumnisurteils zur Zahlung einer Nutzungsentschädigung in Höhe von insgesamt 13.871,06 € nebst Zinsen verurteilt. Das Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten am 4. Oktober 2011 zugestellt worden. Gegen dieses Urteil hat der Beklagtenvertreter mit am 4. November 2011 beim Landgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt. Die Zulassung des Beklagtenvertreters zur Rechtsanwaltschaft ist von der Rechtsanwaltskammer Stuttgart bereits mit Bescheid vom 22. Juli 2010 - zugestellt am 31. Juli 2010 - unter Anordnung des Sofortvollzugs der Widerrufsverfügung widerrufen worden. Der Widerruf ist nicht bestandskräftig.

2

Das Landgericht hat nach entsprechendem Hinweis mit Beschluss vom 28. November 2011 die Berufung des Beklagten mit der Begründung als unzulässig verworfen, das Rechtsmittel sei nicht durch einen Rechtsanwalt eingelegt worden. Gegen diesen am 30. November 2011 zugestellten Beschluss hat der Beklagte mit am 30. Dezember 2011 beim Bundesgerichtshof eingegangenem Anwaltsschriftsatz frist- und formgerecht Rechtsbeschwerde eingelegt und diese innerhalb der verlängerten Frist begründet.

II.

3

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

4

1. Die Rechtsbeschwerde des Beklagten, die sich gegen die Verwerfung der Berufung als unzulässig richtet, ist nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig, weil eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gefordert ist (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Der angefochtene Beschluss verletzt die verfassungsrechtlich verbürgten Ansprüche des Beklagten auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).

5

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das Berufungsgericht hat verkannt, dass der Beklagtenvertreter durch den sofort vollziehbaren Widerruf seiner Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nicht die nach § 519 Abs. 4, § 78 Abs. 1 Satz 1 ZPO erforderliche Postulationsfähigkeit, also die Fähigkeit, im eigenen Namen rechtswirksam prozessual zu handeln (Zöller/Vollkommer, ZPO, 29. Aufl., Vor § 50 Rn. 16), eingebüßt hat. Es hätte daher das frist- und formgerecht eingelegte Rechtsmittel nicht gemäß § 522 Abs. 1 ZPO mit der Begründung als unzulässig verwerfen dürfen, die Berufung sei nicht durch einen Rechtsanwalt eingelegt worden.

6

a) Der Beklagtenvertreter ist noch als Rechtsanwalt zugelassen, weil die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft erst dann erlischt, wenn der Widerruf seiner Zulassung bestandskräftig geworden ist (§ 13 BRAO). Allerdings hat die Anordnung des Sofortvollzugs des Zulassungswiderrufs gemäß § 14 Abs. 4 BRAO zur Folge, dass die für die Verhängung eines vorläufigen Berufs- oder Vertretungsverbots (§ 150 BRAO) geltenden Bestimmungen der § 155 Abs. 2, 4 und 5, § 156 Abs. 2 BRAO entsprechend anzuwenden sind. Dies bedeutet, dass der Beklagtenvertreter mit Wirkung vom 31. Juli 2010 nicht mehr befugt war, seine Rechtsanwaltstätigkeit auszuüben (§ 155 Abs. 2 BRAO). Es war ihm daher auch verwehrt, für den Beklagten Berufung zum Landgericht einzulegen.

7

b) Jedoch ist die von ihm gleichwohl vorgenommene Berufungseinlegung als wirksam zu behandeln.

8

Dies folgt aus § 155 Abs. 5 Satz 1, § 14 Abs. 4 BRAO. Darin hat der Gesetzgeber bestimmt, dass verbotswidrig vorgenommene Rechtshandlungen zur Wahrung der Rechtssicherheit als wirksam zu gelten haben, es sei denn, es ist (zuvor) eine Zurückweisung des Rechtsanwalts nach § 156 Abs. 2 BRAO erfolgt. Die genannte Regelung ist im Interesse der Rechtssicherheit in die Bundesrechtsanwaltsordnung aufgenommen worden (BR-Drucks. 461/57, S. 108 - Erläuterung zu § 169 Abs. 5 BRAO-E) und will den Rechtsverkehr mit einem Rechtsanwalt generell von der Prüfung freihalten, ob gegen ihn ein Berufs- oder Vertretungsverbot besteht (BGH, Beschlüsse vom 22. Februar 2010 - II ZB 8/09, WM 2010, 777 Rn. 14 mwN.; vom 29. März 1990 - III ZB 39/89, BGHZ 111, 104, 106; OLG Karlsruhe, NJW-RR 1995, 626 f. [BGH 11.07.1994 - AnwZ B 7/94]). Angesichts des eindeutigen Wortlauts des § 155 Abs. 5 Satz 1 BRAO und des darin zum Ausdruck kommenden Willens des Gesetzgebers, aus Gründen der Rechtssicherheit Rechtshandlungen eines mit einem vorläufigen Berufsverbot belegten Rechtsanwalts ohne Einschränkung als wirksam zu behandeln, bleibt die Postulationsfähigkeit eines verbotswidrig handelnden Anwalts auch dann unberührt, wenn er sich bewusst über das Tätigkeitsverbot hinwegsetzt (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2010 - II ZB 8/09, aaO Rn. 13 ff.). Erst mit einer Zurückweisung nach § 156 Abs. 2 BRAO endet - für die Zukunft - die Postulationsfähigkeit eines Rechtsanwalts, der sich über ein vorläufiges Berufsverbot (oder über einen sofort vollziehbaren Zulassungswiderruf - vgl. § 14 Abs. 4 BRAO) hinwegsetzt (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Februar 2010 - II ZB 8/09, aaO Rn. 16; OLG Karlsruhe, aaO; Feuerich/Weyland, BRAO, 8. Aufl., § 156 Rn. 7, 10 mwN). Eine Zurückweisung nach § 156 Abs. 2 BRAO ist vor Einlegung der Berufung nicht erfolgt.

9

3. Die Entscheidung des Berufungsgerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 577 Abs. 3 ZPO). Zwar ist die Berufung nicht fristgerecht begründet worden. Dem Beklagten ist jedoch vom Berufungsgericht gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

10

a) Das Berufungsgericht hat das Rechtsmittel vor Ablauf der Begründungsfrist mit Beschluss vom 28. November 2011 rechtsfehlerhaft als unzulässig verworfen. Mit einem am 5. Dezember 2011 und damit vor Ablauf der Begründungsfrist beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz hat der Beklagtenvertreter - unter Darlegung erheblicher Gründe im Sinne von § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO - eine Verlängerung der Begründungsfrist um einen Monat beantragt und die Berufungsbegründung innerhalb der beantragten Fristverlängerung nachgereicht. Auch bei Einreichung dieser Schriftsätze hatte der Beklagtenvertreter seine Postulationsfähigkeit (§ 14 Abs. 4, § 155 Abs. 5 Satz 1 BRAO) nicht eingebüßt. Zwar war dem Beklagtenvertreter vor Eingang dieser Schriftsätze der Verwerfungsbeschluss vom 28. November 2011 zugegangen. Der Regelungsgehalt dieses Beschlusses beschränkt sich jedoch auf eine Verwerfung der Berufung des Beklagten und enthält nicht zugleich eine Zurückweisung des Beklagtenvertreters nach § 156 Abs. 2 BRAO. Es kann dahin stehen, ob eine Zurückweisung nach § 156 Abs. 2 BRAO beim schriftlichen Verkehr mit dem Gericht überhaupt in Betracht kommt (streitig; zum Meinungsstand vgl. Feuerich/Weyland, aaO Rn. 9 mwN; Johnigk in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, Stand 2010, § 156 BRAO Rn. 8). Denn das Berufungsgericht hat sich ausschließlich mit der aus seiner Sicht fehlenden Postulationsfähigkeit des Beklagtenvertreters befasst und dementsprechend die Berufung des Beklagten durch einen gegen die Partei gerichteten Beschluss als unzulässig verworfen. Von seinem Rechtsstandpunkt aus hatte das Berufungsgericht keine Veranlassung, eine Zurückweisung des Beklagtenvertreters gemäß § 156 Abs. 2 BRAO in Erwägung zu ziehen. Dementsprechend hat es seinen Beschluss vom 28. November 2011, anders als dies nach § 156 Abs. 2 BRAO, der letztlich eine Erweiterung des § 79 Abs. 3 ZPO darstellt (zum letztgenannten Gesichtspunkt vgl. etwa Johnigk, aaO Rn. 7), erforderlich wäre, nicht (zugleich) gegen den Beklagtenvertreter gerichtet.

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b) Der Beklagte hat damit seine Berufung vor Ablauf der beantragten Fristverlängerung ordnungsgemäß begründet. Dass die beantragte Fristverlängerung nicht bewilligt worden ist, gereicht ihm nicht zum Verschulden. Ein Prozessbevollmächtigter einer Partei darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass einem unter Darlegung eines erheblichen Grundes im Sinne des § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO gestellten ersten Verlängerungsantrag stattgegeben wird (st. Rspr.; vgl. Senatsbeschlüsse vom 10. März 2009 - VIII ZB 55/06, NJW-RR 2009, 933 Rn. 12; vom 18. August 2009 - VIII ZB 62/08, [...] Rn. 11; jeweils mwN). Daran ändert auch der Umstand nichts, dass das Berufungsgericht noch vor Ablauf der Begründungsfrist die Berufung rechtsfehlerhaft als unzulässig verworfen hat. Dem Beklagten ist auch nicht als Verschulden anzulasten, dass sein Prozessbevollmächtigter Ausführungen zum Fortbestand seiner Postulationsfähigkeit gemäß § 155 Abs. 5 Satz 1 BRAO nicht binnen der ihm vom Berufungsgericht gesetzten Frist zur Stellungnahme (22. November 2011), sondern erst mit Schriftsatz vom 5. Dezember 2011 gemacht und dadurch die fehlerhafte Entscheidung des Berufungsgerichts mitverursacht hat. Dabei kann dahin stehen, ob ein verspäteter Hinweis auf die Rechtswidrigkeit eines vom Gericht beabsichtigten Vorgehens überhaupt als schuldhaftes Verhalten im Sinne des § 85 Abs. 2 ZPO zu werten ist (vgl. hierzu allgemein Zöller/Vollkommer, aaO, § 85 Rn. 13b mwN). Denn ein mögliches Fehlverhalten eines Rechtsanwalts, dessen Zulassung - wie hier - mit sofortiger Wirkung widerrufen worden ist und der daher aus berufsrechtlichen Gründen nicht mehr als Rechtsanwalt auftreten darf (§ 14 Abs. 4, § 155 Abs. 2 BRAO), kann der von ihm vertretenen Partei generell nicht gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zugerechnet werden (BAGE 123, 364 ff. = NJW 2007, 3226 Rn. 17 ff.; zustimmend BGH, Beschluss vom 22. April 2008 - X ZB 18/07, NJW-RR 2008, 1290 Rn. 8, 9, der sich mit einer erloschenen, aber noch nicht im Anwaltsverzeichnis gelöschten Zulassung zu befassen hatte; vgl. auch Zöller/Vollkommer, aaO, § 85 Rn. 25 i.V.m. § 86 Rn. 5).

12

c) Bei Eingang der Berufungsbegründung am 5. Januar 2012 war weder die Wiedereinsetzungsfrist noch die Frist zur Nachholung der versäumten Prozesshandlung abgelaufen. Beide Fristen betragen einen Monat (§ 234 Abs. 1 Satz 2, § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 ZPO) und sind mit Zugang des Beschlusses vom 28. Dezember 2011 über die Versagung der beantragten Fristverlängerung in Gang gesetzt worden (§ 234 Abs. 2 ZPO). Da die Berufungsbegründung innerhalb der laufenden Wiedereinsetzungsfrist nachgeholt worden ist, ist dem Beklagten vom Berufungsgericht nach § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 ZPO von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

Ball

Dr. Frellesen

Dr. Milger

Dr. Fetzer

Dr. Bünger

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