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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 23.09.2015, Az.: XII ZB 498/14
Anhörung eines Betroffenen bzgl. Anordnung der Betreuung und Auswahl des Betreuers
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 23.09.2015
Referenz: JurionRS 2015, 27685
Aktenzeichen: XII ZB 498/14
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

AG Schweinfurt - 03.06.2014 - AZ: 1 XVII 24/14

LG Schweinfurt - 01.09.2014 - AZ: 11 T 134/14

Fundstellen:

BtPrax 2016, 38-39

FamRZ 2016, 38

BGH, 23.09.2015 - XII ZB 498/14

Redaktioneller Leitsatz:

Von der grundsätzlichen Pflicht zur persönlichen Anhörung des Betroffenen vor der Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts auch im Beschwerdeverfahren kann dann nicht abgesehen werden, wenn von einer erneuten Anhörung neue Erkenntnisse zu erwarten sind, weil der Betroffene im Beschwerdeverfahren erstmals den Wunsch äußert, ihm einen bestimmten Betreuer zu bestellen.

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. September 2015 durch den Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Dr. Klinkhammer, Dr. Günter, Dr. Botur und Guhling
beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Schweinfurt vom 1. September 2014 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.

Wert: 5.000 €

Gründe

I.

1

Die Betroffene wendet sich gegen die Anordnung der Betreuung und die Auswahl des Betreuers.

2

Das Amtsgericht hat nach Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens und Anhörung der Betroffenen eine Betreuung für die Aufgabenkreise der Vermögenssorge, Gesundheitsfürsorge, Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern, Entscheidung über Unterbringung und unterbringungsähnlichen Maßnahmen, Aufenthaltsbestimmung und Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post angeordnet und den Sohn der Betroffenen, den Beteiligten zu 1, zum Betreuer bestellt.

3

Gegen den ihr am 5. Juni 2014 zugestellten Beschluss hat die Betroffene am 12. Juni 2014 persönlich zu Protokoll der Geschäftsstelle des Amtsgerichts Beschwerde eingelegt und erklärt, dass sie die Betreuung nicht möchte. Am 12. August 2014 hat die Betroffene zu Protokoll der Geschäftsstelle des Amtsgerichts den Antrag gestellt, die Betreuung aufzuheben, ersatzweise einen Betreuerwechsel vorzunehmen. Das Landgericht hat von einer erneuten Anhörung der Betroffenen abgesehen und die Beschwerde mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Betreuung nur die Aufgabenkreise Vermögenssorge, Gesundheitsfürsorge, Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern und Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post im Rahmen der übertragenen Aufgabenkreise umfasst. Mit der Rechtsbeschwerde möchte die Betroffene die Aufhebung der Betreuung erreichen.

II.

4

Die Rechtsbeschwerde ist begründet und führt zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.

5

1. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht als verfahrensfehlerhaft, dass das Landgericht von einer erneuten persönlichen Anhörung der Betroffenen abgesehen hat.

6

a) Nach § 278 Abs. 1 Satz 1 FamFG hat das Gericht den Betroffenen vor der (erstmaligen) Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts persönlich anzuhören. Die Pflicht zur persönlichen Anhörung des Betroffenen besteht nach § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG grundsätzlich auch im Beschwerdeverfahren (Senatsbeschluss vom 11. August 2010 - XII ZB 171/10 FamRZ 2010, 1650 Rn. 5). Allerdings darf das Beschwerdegericht nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG von der persönlichen Anhörung absehen, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen worden ist und von einer erneuten Anhörung keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind. Diese Voraussetzung ist insbesondere dann erfüllt, wenn die erstinstanzliche Anhörung des Betroffenen nur kurze Zeit zurückliegt, sich nach dem Akteninhalt keine neuen entscheidungserheblichen Tatsachen oder rechtlichen Gesichtspunkte ergeben, das Beschwerdegericht das in den Akten dokumentierte Ergebnis der erstinstanzlichen Anhörung nicht abweichend werten will und es auf den persönlichen Eindruck des Gerichts von dem Betroffenen nicht ankommt (Senatsbeschluss vom 2. März 2011 - XII ZB 346/10 - FamRZ 2011, 805 Rn. 13 mwN). Von einer erneuten Anhörung im Beschwerdeverfahren sind in der Regel jedoch dann neue Erkenntnisse zu erwarten, wenn der Betroffene im Beschwerdeverfahren erstmals den Wunsch äußert, ihm einen bestimmten Betreuer zu bestellen (vgl. Senatsbeschluss vom 16. März 2011 - XII ZB 601/10 - FamRZ 2011, 880 Rn. 16). Gleiches gilt, wenn der Betroffene im erstinstanzlichen Verfahren zur Person des Betreuers nicht angehört worden ist und sich für das Beschwerdegericht Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Betroffene mit seinem Rechtsmittel auch das Ziel eines Betreuerwechsels verfolgt.

7

b) Auf dieser rechtlichen Grundlage hätte das Beschwerdegericht im vorliegenden Fall nicht von einer erneuten Anhörung der Betroffenen absehen dürfen.

8

Die Betroffene hat erstmals bei ihrer persönlichen Vorsprache auf der Geschäftsstelle des Amtsgerichts am 12. August 2014 zu Protokoll erklärt, dass sie ihren Sohn nicht zum Betreuer haben möchte, weil dieser ihr Geld stehle und dieses nach Südamerika schaffe. Aufgrund dieser Erklärung der Betroffenen hatte das Beschwerdegericht konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Betroffene mit der Bestellung des Beteiligten zu 1 zum Betreuer nicht einverstanden war und, falls die Betreuung nicht aufgehoben wird, zumindest eine andere Person als Betreuer vorziehen würde. Ob bei der erstinstanzlich durchgeführten Anhörung mit der Betroffenen bereits die Person des möglichen Betreuers erörtert worden ist oder die Betroffene einen entsprechenden Wunsch geäußert hat, lässt sich dem kurzen handschriftlichen Vermerk über diese Anhörung nicht entnehmen. Über die Ernsthaftigkeit des Wunsches der Betroffenen, dass ihr Sohn nicht zum Betreuer bestellt wird, hätte sich das Beschwerdegericht daher durch Anhörung der Betroffenen selbst ein Bild verschaffen müssen. Zwar mag es sein, dass es den von der Betroffenen gegen ihren Sohn konkret erhobenen Vorwürfen an Substanz mangelt. Um eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen dem Betroffenen und seinem Betreuer zu gewährleisten, hat das Gericht jedoch den Wunsch des Betroffenen, eine bestimmte Person nicht als Betreuer zu bestellen (§ 1897 Abs. 4 Satz 2 BGB), bei seiner Auswahlentscheidung zu berücksichtigen (vgl. Senatsbeschluss vom 27. Juli 2011 - XII ZB 118/11 - FamRZ 2011, 1577 Rn. 24). Von einer erneuten Anhörung des Betroffenen waren daher zusätzliche Erkenntnisse darüber zu erwarten, ob das Vertrauensverhältnis zwischen der Betroffenen und ihrem Sohn möglicherweise aus anderen Gründen gestört ist und die Bestellung des Beteiligten zu 1 zum Betreuer im vorliegenden Fall nicht dem Wohl der Betroffenen entspricht.

9

2. Die angefochtene Entscheidung kann danach nicht bestehen bleiben. Der Senat vermag in der Sache nicht abschließend zu entscheiden. Die Sache ist deshalb an das Landgericht zurückzuverweisen (§ 74 Abs. 6 FamFG).

10

3. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen.

Dose

Klinkhammer

Günter

Botur

Guhling

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