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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 23.03.2010, Az.: StB 7/10
Voraussetzungen der heimlichen Überwachung eines der Verbreitung von Propagandamaterial zur Werbung von Unterstützern einer terroristischen Vereinigung dienenden DSL-Anschlusses; Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in den Schutzbereich des Post- und Fernmeldegeheimnisses durch Überwachung eines durch Dritte genutzten Internetanschlusses eines nicht verdächtigen Anschlussinhabers
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 23.03.2010
Referenz: JurionRS 2010, 32587
Aktenzeichen: StB 7/10
ECLI: [keine Angabe]

Fundstelle:

NStZ-RR 2011, 148-149

Verfahrensgegenstand:

Werben um Mitglieder oder Unterstützer einer ausländischen terroristischen Vereinigung
hier: Beschwerde des Generalbundesanwaltes gegen den Beschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 3. März 2010

BGH, 23.03.2010 - StB 7/10

Redaktioneller Leitsatz:

Bei der Überwachung und Aufzeichnung des über den Anschluss eines unbeteiligten, der Begehung einer Straftat unverdächtigen Dritten fließenden Datenverkehrs ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in besonderer Weise zu beachten.

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat
am 23. März 2010
gemäß § 304 Abs. 5 StPO
beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Generalbundesanwalts gegen den Beschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 3. März 2010 (2 BGs 77/10) wird verworfen.

Die Kosten des Rechtsmittels trägt die Staatskasse.

Gründe

1

Der Generalbundesanwalt führt gegen den Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Werbens um Mitglieder oder Unterstützer für die ausländische terroristische Vereinigung Al-Qaida (§ 129 a Abs. 1, Abs. 5, § 129 b Abs. 1 StGB). Er legt ihm zur Last, als Hauptverantwortlicher des "Al-Ansar Media Battaillons" (AAMB) im Internet Propagandamaterial (Text-, Audio- sowie Videobotschaften) von Führungspersonen der Al-Qaida -u. a. von Usama Bin Laden, Abu Musab Al-Zarqawi und Ayman Al-Zawahiri -verbreitet zu haben, um hierdurch den Kampf der Al-Qaida gezielt zu fördern und für diese Gruppierung neue Mitglieder oder Unterstützer zu rekrutieren. Der Beschuldigte soll in der jüngeren Vergangenheit und derzeit als Administrator des deutschsprachigen Internetforums des AAMB mit dem Namen "Abu Umar" unter der Internetadresse "http://de.ansar1.info" auf dieser Internetseite Propagandamaterial der Al-Qaida eingestellt haben und einstellen. Für seine Internetaktivitäten soll der Beschuldigte vor allem den DSL-Kanal des Telefonanschlusses des in seiner Nachbarschaft wohnenden H. mit der Rufnummer ohne dessen Kenntnis genutzt haben und nutzen.

2

1.

Mit Schriftsatz vom 27. November 2009 hatte der Generalbundesanwalt beim Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs beantragt, die Überwachung und Aufzeichnung des über den DSL-Kanal des genannten Anschlusses geführten Datenverkehrs für die Dauer von drei Monaten anzuordnen. Mit Beschluss vom 1. Dezember 2009 (2 BGs 349/09) hatte der Ermittlungsrichter die Anordnung abgelehnt, weil die Maßnahme unverhältnismäßig sei. Auf die hiergegen gerichtete Beschwerde des Generalbundesanwalts hatte der Senat mit Beschluss vom 22. Dezember 2009 (StB 54/09) gemäß § 100 a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 Buchst. d, Abs. 3, § 100 b Abs. 1 bis 3, § 162 Abs. 1, § 169 Abs. 1 Satz 2 StPO die Überwachung und Aufzeichnung des über den DSL-Kanal des genannten Anschlusses geführten Datenverkehrs bis zum 28. Februar 2010 unter Beschränkungen gestattet, die dem Schutz des Anschlussinhabers sowie etwaiger weiterer berechtigter Anschlussnutzer dienten. Dabei hatte der Senat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine Verlängerung der Maßnahme bei Berücksichtigung der Grundrechte des Anschlussinhabers unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten kaum zu rechtfertigen sein wird, sollten sich aus der Überwachungsmaßnahme bis Ende Februar 2010 keine tatrelevanten Erkenntnisse ergeben.

3

Mit Beschluss vom 26. Februar 2010 (2 BGs 66/10) hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs den Antrag des Generalbundesanwalts abgelehnt, die Maßnahme um einen Monat zu verlängern; diese lief sodann mit Ablauf des 28. Februar 2010 aus. Mit Schriftsatz vom 2. März 2010 hat der Generalbundesanwalt erneut die Anordnung der Überwachung und Aufzeichnung des über den DSL-Kanal des genannten Anschlusses geführten Datenverkehrs für die Dauer von einem Monat beantragt. Diesen Antrag hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs mit Beschluss vom 3. März 2010 (2 BGs 77/10) zurückgewiesen. Zur Begründung hat er ausgeführt, die bei der früheren Anordnung erwarteten Nachweise der Tatbegehung durch den Beschuldigten hätten nicht gewonnen werden können. Vor dem Hintergrund, dass der Beschuldigte ein Verschlüsselungsprogramm benutzt habe, das von den Ermittlungsbehörden nicht überwunden werden konnte, und mit Blick auf die tatsächlich durch die Überwachung gewonnenen Erkenntnisse stünden die beantragten Maßnahmen außer Verhältnis zu den mit ihnen verbundenen Eingriffen in die Grundrechte nicht tatverdächtiger Dritter.

4

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde des Generalbundesanwalts, mit der dieser sein Begehren weiter verfolgt.

5

2.

Das gemäß § 304 Abs. 5 StPO statthafte Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg; der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hat in der angefochtenen Entscheidung den Antrag des Generalbundesanwalts zu Recht abgelehnt. Die Voraussetzungen einer heimlichen Überwachung des DSL-Anschlusses liegen nicht mehr vor.

6

a)

Der Beschuldigte ist zwar weiterhin aufgrund bestimmter Tatsachen des Werbens um Mitglieder oder Unterstützer für eine terroristische Vereinigung im Ausland (§ 129 a Abs. 1, Abs. 5 Satz 2, § 129 b Abs. 1 StGB) und damit einer Katalogtat nach § 100 a Abs. 2 Nr. 1 Buchst. d StPO verdächtig, die auch im konkreten Einzelfall schwer wiegt (§ 100 a Abs. 1 Nr. 2 StPO). Hinsichtlich der Einzelheiten nimmt der Senat auf seine diesbezüglichen Ausführungen in dem Beschluss vom 22. Dezember 2009 Bezug, die nach wie vor gelten. Der gegen den Beschuldigten bestehende Verdacht wird durch die Einlassung des T. in dessen Vernehmung vom 20. Januar 2010 tendenziell bestätigt, wenngleich dessen Angaben zur Person des "Uthman" bzw. "Abu Umar" eher allgemein gehalten sind und keinen konkreten Hinweis auf den Beschuldigten enthalten.

7

b)

Die erneute Anordnung der Maßnahme für einen weiteren Monat ist indes mit dem bei der Überwachung und Aufzeichnung des über den Anschluss eines unbeteiligten, der Begehung einer Straftat unverdächtigen Dritten fließenden Datenverkehrs in besonderer Weise zu beachtenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht zu vereinbaren; sie ist über den bereits bewilligten Zeitraum von zwei Monaten hinaus nicht mehr angemessen. Gegenüber dem staatlichen Interesse an der Verfolgung begangener Straftaten durch die beantragte Maßnahme überwiegen mittlerweile die Rechte des Anschlussinhabers und etwaiger sonstiger berechtigter Anschlussnutzer.

8

aa)

Die beantragte Ermittlungsmaßnahme greift auch bei Berücksichtigung der zum Schutz des der Begehung einer Straftat nicht verdächtigen Anschlussinhabers und der etwaigen weiteren berechtigten Nutzer vorgesehenen Beschränkungen und der erkennbaren diesbezüglichen Bemühungen der Ermittlungsbehörden in erheblicher Weise in den Schutzbereich des durch Art. 10 GG gewährleisteten Post- und Fernmeldegeheimnisses ein (BVerfG NJW 2003, 1787, 1788 ff. [BVerfG 12.03.2003 - 1 BvR 330/96][BVerfG 12.03.2003 - 1 BvR 330/96]; 2007, 2752).

9

bb)

Diesem intensiven Grundrechtseingriff steht mit Blick auf die bisher durch die Maßnahme gewonnen Ergebnisse ein zu erwartender ausreichend gewichtiger Ermittlungserfolg nicht gegenüber.

10

Die Überwachung des Anschlusses in dem Zeitraum vom 29. Dezember 2009 bis zum 28. Februar 2010 hat im Wesentlichen lediglich ergeben, dass der Beschuldigte sich unter Nutzung des überwachten Anschlusses bei häufiger Verwendung eines Verschlüsselungsprogramms und damit in konspirativer Weise im Internet bewegt, mehrfach Dateien mit islamistischem Inhalt aus dem Internet herunter geladen, einmal am 18. Februar 2010 den passwortgeschützten Bereich des Internetforums "http://de.ansar1.info" aufgesucht sowie am 23. Februar 2010 den öffentlichen Teil der Internetseite des AAMB-Forums direkt über einen Server in Malaysia aufgerufen hat. Diese bisher durch die angeordnete Maßnahme gewonnenen Ergebnisse bieten zwar Hinweise auf profunde Kenntnisse im IT-Bereich und eine islamistisch geprägte Einstellung des Beschuldigten. Sie vermögen jedoch weder einzeln noch in ihrer Gesamtschau oder im Zusammenwirken mit den sonstigen Ergebnissen der bisherigen Ermittlungen den gegen den Beschuldigten bestehenden Verdacht wesentlich zu erhärten, verantwortlicher Administrator des genannten Forums zu sein und in der Vergangenheit über dieses und andere Webseiten um Mitglieder oder Unterstützer für die Al-Qaida geworben zu haben; sie sind daher für den Nachweis der dem Beschuldigten zur Last gelegten konkreten Straftat, deren Ermittlung und Verfolgung die Maßnahme dienen soll, von eher untergeordneter Bedeutung.

11

Dies gilt im Ergebnis auch für den Umstand, dass der Beschuldigte sich am 24. Februar 2010 unter Nutzung des Verschlüsselungsprogramms im Internet aufhielt und der Administrator "Abu Umar" in dem genannten Internetforum zeitgleich einen Beitrag veröffentlichte. Derartige zeitliche Übereinstimmungen können zwar grundsätzlich ein Anzeichen dafür sein, dass der Beschuldigte tatsächlich die Funktion des Administrators in dem Forum ausübt. Der Indizwert der von den Ermittlungsbehörden dargelegten einzigen Überschneidung kurz vor dem Ende der zwei Monate andauernden Überwachung wird indes durch die sonstigen ermittelten Umstände zumindest stark relativiert. Danach nutzte der Beschuldigte den überwachten Anschluss in dem Zeitraum vom 29. Dezember 2009 bis zum 28. Februar 2010 in insgesamt 87 Fällen. Der Administrator "Abu Umar" stellte ausweislich der in der Anregung des Bundeskriminalamts zur Verlängerung der Überwachung vom 22. Februar 2010 enthaltenen Übersicht mit Stand 1. Januar 2010 in der Zeit vom 28. Februar 2009 bis zum 31. Dezember 2009 fast 100 Beiträge in das Internetforum "http://de.ansar1.info" ein; an anderer Stelle ist von insgesamt 1028 Beiträgen des "Abu Umar" auf einer früheren Internetseite die Rede (Auswertebericht des Bundeskriminalamts zum islamistischen deutschen Internetdiskussionsforum http://de.ansar1.net und dessen Rolle im ANSAR AL-JIHAD NETZWERK vom 31. Januar 2010, S. 32 f.). Wie oft der Administrator indes in dem Überwachungszeitraum entsprechend tätig war, lässt sich weder den Schriftsätzen des Generalbundesanwalts noch den diesen zugrunde liegenden Anregungen des Bundeskriminalamts entnehmen; dieser Umstand ist für den Senat auch aus den übrigen Aktenteilen nicht ersichtlich. Die umfangreichen Aktivitäten des "A-bu Umar" in der Vergangenheit legen jedoch nahe, dass er in dem Überwachungszeitraum von zwei Monaten ebenfalls mehrere Beiträge in das Forum eingestellt hat. Deshalb wären zeitliche Übereinstimmungen zwischen der Nutzung des überwachten DSL-Anschlusses unter Verwendung des Verschlüsselungsprogramms durch den Beschuldigten und dem Hochladen von Beiträgen in das Forum durch den Administrator "Abu Umar" häufiger zu erwarten gewesen, hätte der Beschuldigte diese Funktion tatsächlich über diesen Anschluss ausgeübt. Derartige zeitliche Überschneidungen konnten indes offensichtlich nicht ermittelt werden. Der genannten, durch das Bundeskriminalamt gefertigten Ü-bersicht der durch "Abu Umar" in das Forum eingestellten Beiträge ist vielmehr zu entnehmen, dass "Abu Umar" am 31. Dezember 2009 und damit innerhalb des Überwachungszeitraums um 01:07 Uhr den Beitrag "Al-Qaidas Stellungnahme zur Operation in Detroit (USA)" in das Forum einstellte; die Ermittlungsbehörden haben indes nicht dargelegt, dass der Beschuldigte zu dieser Zeit über den überwachten Anschluss unter Verwendung des Verschlüsselungsprogramms im Internet tätig war.

12

Anhaltspunkte dafür, dass für die Zukunft durch die Überwachung des Anschlusses aussagekräftigere, den Angeklagten belastende Indizien ermittelt werden können als in der Vergangenheit, vermag der Senat in Übereinstimmung mit dem Ermittlungsrichter nicht zu erkennen; insbesondere sind keine belastbaren Anzeichen dafür ersichtlich, dass der Beschuldigte den Gebrauch des von den Ermittlungsbehörden nicht zu überwindenden Verschlüsselungsprogramms bei etwaigen tatrelevanten Aktivitäten einschränken wird.

Becker
Pfister
Schäfer

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