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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 22.11.2011, Az.: VIII ZB 81/11
Bestimmung der zulässigen Fragen bzgl. der Zulassung einer Rechtsbeschwerde im Verfahren über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 22.11.2011
Referenz: JurionRS 2011, 30176
Aktenzeichen: VIII ZB 81/11
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

AG Wiesbaden - 04.03.2011 - AZ: 93 C 6798/10

LG Wiesbaden - 08.04.2011 - AZ: 3 T 12/11

nachgehend:

LG Wiesbaden - 16.01.2012 - AZ: 3 T 12/11

Fundstellen:

FamRZ 2012, 215

JurBüro 2012, 221-222

MDR 2012, 114

Mitt. 2012, 95 "Zulassung der Rechtsbeschwerde durch Einzelrichter"

NJW 2012, 8 "Rechtsbehelf"

NJW-RR 2012, 125-126 "Prozesskostenhilfebewilligung"

WuM 2012, 46-47

ZAP 2012, 202

ZAP EN-Nr. 125/2012

BGH, 22.11.2011 - VIII ZB 81/11

Amtlicher Leitsatz:

ZPO §§ 114, 568, 574 Abs. 1 Nr. 2; GG Art. 101 Abs. 1 Satz 2

  1. a)

    Misst ein Einzelrichter in einem Beschwerdeverfahren einer Sache rechtsgrundsätzliche Bedeutung zu und lässt deswegen die Rechtsbeschwerde zu, ist die Zulassung zwar wirksam, seine Entscheidung unterliegt jedoch auf Rechtsbeschwerde im Hinblick auf die von Amts wegen zu berücksichtigende fehlerhafte Besetzung des Beschwerdegerichts der Aufhebung (Bestätigung von BGH, Beschluss vom 13. März 2003 - IX ZB 134/02, BGHZ 154, 200; Senatsbeschlüsse vom 27. April 2010 - VIII ZB 81/09, WuM 2010, 385; vom 21. September 2010 - VIII ZB 73/09, WuM 2011, 61; vom 8. März 2011 - VIII ZB 65/10, WuM 2011, 242).

  2. b)

    Die Rechtsbeschwerde kann im Verfahren über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nur wegen solcher Fragen zugelassen werden, die das Verfahren oder die persönlichen Voraussetzungen betreffen (Bestätigung von BGH, Beschlüsse vom 21. November 2002 - V ZB 40/02, NJW 2003, 1126; vom 4. August 2004 - XII ZA 6/04, FamRZ 2004, 1633; vom 18. Juli 2007 - XII ZA 11/07, NJW-RR 2008, 144).

Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. November 2011 durch den Vorsitzenden Richter Ball, den Richter Dr. Frellesen, die Richterinnen Dr. Milger und Dr. Fetzer sowie den Richter Dr. Bünger

beschlossen:

Tenor:

Der Beklagten wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Wiesbaden vom 8. April 2011 gewährt.

Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der vorbezeichnete Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Wiesbaden aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Die im Rechtsbeschwerdeverfahren entstandenen außergerichtlichen Auslagen hat die Klägerin zu tragen.

Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde: bis 3.500 €

Gründe

I.

1

Das Amtsgericht hat die Beklagte mit Versäumnisurteil vom 11. Januar 2011 verurteilt, die von ihr bewohnte Mietwohnung geräumt an die Klägerin herauszugeben. Die Beklagte hat ihren hiergegen rechtzeitig mit Anwaltsschriftsatz vom 19. Januar 2011 eingelegten Einspruch damit begründet, dass das Sozialamt innerhalb der Schonfrist des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB die angelaufenen Mietrückstände begleichen werde. Zugleich hat sie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt. Das Amtsgericht hat den Prozesskostenhilfeantrag mit Beschluss vom 24. Januar 2011 wegen fehlender Erfolgsaussicht abgewiesen.

2

Mit Anwaltsschreiben vom 4. Februar 2011 hat die Beklagte unter Vorlage eines Schreibens der Landeshauptstadt W. , in dem die Bereitschaft zur Übernahme eines zum 24. Januar 2011 bestehenden Mietrückstands von 697,74 € erklärt und die Begleichung dieser Summe zum 10. Februar 2011 angekündigt worden ist, erneut die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt. Die Klägerin hat daraufhin den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Dieser Erklärung hat sich die Beklagte unter Anerkennung ihrer Kostentragungspflicht angeschlossen. Mit Beschlüssen vom 4. März 2011 hat das Amtsgericht der Beklagten gemäß § 91a ZPO die Kosten des Rechtsstreits auferlegt und den erneuten Prozesskostenhilfeantrag der Beklagten mangels Erfolgsaussicht abgewiesen.

3

Die gegen die Ablehnung der Prozesskostenhilfe gerichtete sofortige Beschwerde der Beklagten hat das Landgericht mit Beschluss des Einzelrichters vom 8. April 2011 unter Zulassung der Rechtsbeschwerde zurückgewiesen.

Nach Erhalt des ihr nur formlos übermittelten Beschlusses hat die Beklagte mit am 11. Mai 2011 beim Bundesgerichtshof eingegangenem Schriftsatz die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine hiergegen beabsichtigte Rechtsbeschwerde beantragt. Nach der am 19. September 2011 erfolgten Zustellung des Bewilligungsbeschlusses hat sie mit am 26. September 2011 beim Bundesgerichtshof eingegangenem Anwaltsschriftsatz Rechtsbeschwerde eingelegt und Antrag auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist für die Einlegung der Rechtsbeschwerde gestellt. Mit am 12. Oktober 2011 beim Bundesgerichtshof eingegangenem Schriftsatz hat sie die Rechtsbeschwerde begründet und zudem Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde beantragt.

II.

4

Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Fristen zur Einlegung und zur Begründung einer Rechtsbeschwerde gegen den angefochtenen Beschluss des Landgerichts sind vorliegend erfüllt.

5

1. Einer bedürftigen Partei, die ein Rechtsmittel einlegen will, ist grundsätzlich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen schuldloser Fristversäumung (§§ 233 ff. ZPO) zu gewähren, wenn sie bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist ein Prozesskostenhilfegesuch eingereicht hat und sie vernünftigerweise nicht mit der Verweigerung der Prozesskostenhilfe wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen musste (st. Rspr.; vgl. etwa Senatsbeschluss vom 16. November 2010 - VIII ZB 55/10, NJW 2011, 230 Rn. 7 mwN). Dies setzt allerdings voraus, dass dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe eine ordnungsgemäß ausgefüllte Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst den erforderlichen Belegen beigefügt worden ist (vgl. Senatsbeschluss vom 16. November 2010 - VIII ZB 55/10, aaO mwN). Diesen Anforderungen ist die Beklagte im Rechtsbeschwerdeverfahren gerecht geworden. Da der Beschluss des Landgerichts vom 8. April 2011 dem Beklagtenvertreter nur formlos übermittelt worden ist, ist davon auszugehen, dass dieser von der Entscheidung nicht vor dem 11. April 2011 Kenntnis erlangt hat (§ 189 ZPO), so dass der beim Bundesgerichtshof am 11. Mai 2011 eingegangene Antrag und die diesem beigefügten Unterlagen innerhalb der Monatsfrist des § 575 Abs. 1 ZPO eingereicht worden sind. Die Beklagte war damit ohne Verschulden an der rechtzeitigen Einlegung und Begründung der von ihr beabsichtigten Rechtsbeschwerde gehindert.

6

2. Nach Bewilligung der beantragten Prozesskostenhilfe hat die Beklagte fristgerecht (vgl. § 234 Abs. 1 Satz 1, 2 ZPO) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Fristen zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde (§ 575 Abs. 1, 2 ZPO) beantragt. Zudem hat sie die versäumten Rechtshandlungen binnen der in § 236 Abs. 2 Satz 2, § 234 Abs. 1 ZPO geregelten Fristen nachgeholt.

III.

7

Die Rechtsbeschwerde hat auch Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.

8

1. Das Rechtsmittel ist statthaft. Die Entscheidung des Landgerichts, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, ist für den Senat bindend (§ 574 Abs. 3 Satz 2 ZPO). Darauf, ob das Beschwerdegericht die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO zutreffend beurteilt hat, kommt es hierbei nicht an (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 21. November 2002 - V ZB 40/02, NJW 2003, 1126 [BGH 21.11.2002 - V ZB 40/02] unter II 1). Auch der Umstand, dass die Zulassungsentscheidung durch den Einzelrichter unter Missachtung des Verfahrens nach § 568 Satz 2 ZPO (Übertragung auf die mit drei Mitgliedern besetzte Kammer) erfolgt ist, ändert an der Wirksamkeit der Zulassung nichts (vgl. Senatsbeschlüsse vom 8. März 2011 - VIII ZB 65/10, WuM 2011, 242 Rn. 3 mwN; vom 21. September 2010 - VIII ZB 73/09, WuM 2011, 61 Rn. 4; vom 27. April 2010 - VIII ZB 81/09, WuM 2010, 385 Rn. 5; BGH, Beschluss vom 14. September 2009 - V ZB 108/09, GE 2009, 1311).

9

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Der Beschluss des Landgerichts unterliegt - wie die Beklagte zu Recht geltend macht - bereits deswegen der Aufhebung, weil er unter Verletzung des verfassungsrechtlichen Gebots des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) ergangen ist. Der Einzelrichter hat bei Rechtssachen, in denen er einen Zulassungsgrund bejaht, zwingend das Verfahren dem Kollegium zu übertragen (§ 568 Satz 2 ZPO). Bejaht er mit der Zulassungsentscheidung zugleich die - im Sinne aller in § 574 Abs. 2 ZPO genannten Zulassungsgründe zu verstehende (Senatsbeschluss vom 8. März 2011 - VIII ZB 65/10, aaO; BGH, Beschlüsse vom 13. März 2003 - IX ZB 134/02, BGHZ 154, 200, 202; vom 9. März 2006 - V ZB 178/05, FamRZ 2006, 697 unter III [2] a; vom 22. Januar 2008 - X ZB 27/07, WuM 2008, 159 Rn. 5) - grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, ist seine Entscheidung objektiv willkürlich und verstößt gegen das Verfassungsgebot des gesetzlichen Richters. Dieser Verstoß ist vom Rechtsbeschwerdegericht von Amts wegen zu berücksichtigen (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 13. März 2003 - IX ZB 134/02, aaO S. 202 ff.; Senatsbeschlüsse vom 27. April 2010 - VIII ZB 81/09, aaO Rn. 6; vom 21. September 2010 - VIII ZB 73/09, aaO Rn. 5; vom 8. März 2011 - VIII ZB 65/10, aaO).

10

3. Die Sache ist deshalb unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses an das Beschwerdegericht - Einzelrichter - zurückzuverweisen. Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass die Rechtsbeschwerde im Verfahren über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nur wegen solcher Fragen zugelassen werden kann, die das Verfahren oder die persönlichen Voraussetzungen betreffen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. November 2002 - V ZB 40/02, aaO; vom 4. August 2004 - XII ZA 6/04, FamRZ 2004, 1633 unter II 1, 2; vom 18. Juli 2007 - XII ZA 11/07, NJW-RR 2008, 144 Rn. 6). Eine Zulassung kommt daher nicht in Betracht, wenn die Bewilligung von Prozesskostenhilfe - wie hier - allein von der Frage abhängt, ob die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder -verteidigung Aussicht auf Erfolg hat (vgl. BGH, Beschluss vom 21. November 2002 - V ZB 40/02, aaO). Da das Prozesskostenhilfeverfahren nicht dazu dient, zweifelhafte Rechtsfragen vorab zu entscheiden, ist in den Fällen, in denen die aufgeworfenen Rechtsfragen der höchstrichterlichen Klärung bedürfen, die Erfolgsaussicht der beabsichtigen Rechtsverfolgung oder -verteidigung zu bejahen und der bedürftigen Partei Prozesskostenhilfe zu bewilligen, nicht aber von einer Bewilligung abzusehen und hiergegen die Rechtsbeschwerde zuzulassen (vgl. BGH, Beschluss vom 21. November 2002 - V ZB 40/02, aaO).

Ball

Dr. Frellesen

Dr. Milger

Dr. Fetzer

Dr. Bünger

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