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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 22.09.2011, Az.: 2 StR 383/11
Verpflichtung des Gerichts zur Aufklärung des wahren Sachverhalts auch bei einer Verständigung
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 22.09.2011
Referenz: JurionRS 2011, 27771
Aktenzeichen: 2 StR 383/11
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Köln - 04.02.2011

Fundstellen:

AnwBl 2012, 83

NStZ-RR 2012, 52

RÜ 2014, 238

StV 2012, 133-134

Verfahrensgegenstand:

Versuchter schwerer Raub

BGH, 22.09.2011 - 2 StR 383/11

Redaktioneller Leitsatz:

  1. 1.

    Auch bei einer Verständigung hat das Gericht von Amts wegen den wahren Sachverhalt aufzuklären.

  2. 2.

    Die Bereitschaft eines Angeklagten, wegen eines bestimmten Sachverhalts eine Strafe hinzunehmen, die das gerichtlich zugesagte Höchstmaß nicht überschreitet, entbindet nicht von dieser Pflicht.

  3. 3.

    Eine Anklageschrift kann auch dann nicht Grundlage der Überzeugungsbildung sein, wenn ihr neben dem Angeklagten seine wegen gemeinschaftlichem Handelns angeklagten Mittäter ebenfalls nicht entgegengetreten sind.

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat
nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts
- zu 1 a) betreffend den Beschwerdeführer auf dessen Antrag -
am 22. September 2011
gemäß § 349 Abs. 4, § 357 StPO
beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 4. Februar 2011 aufgehoben,

    1. a)

      soweit es ihn und den Mitangeklagten P. betrifft, mit den Feststellungen,

    2. b)

      soweit es den Mitangeklagten M. betrifft, im Fall B. 2) der Urteilsgründe sowie im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit den zugehörigen Feststellungen.

  1. 2.

    Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

1

Das Landgericht hat den Angeklagten D. sowie die nichtrevidierenden Mitangeklagten P. und M. wegen versuchten schweren Raubes (Fall B. 2), den Mitangeklagten M. ferner wegen versuchten Betruges (Fall B. 1), zu Freiheitsstrafen von zwei Jahren und sechs Monaten (D. ), von zwei Jahren (P. ) und zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten (M. ) verurteilt. Die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten D. hat mit der Sachrüge Erfolg. Die Aufhebung des Urteils erstreckt sich in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang auf die nichtrevidierenden Mitangeklagten.

2

1.

Das Urteil ist, soweit es den Angeklagten D. betrifft, bereits deswegen aufzuheben, weil es eine Beweiswürdigung im Sinne des § 261 StPO vermissen lässt. Ausweislich der Urteilsgründe beruhen die Feststellungen zur Sache allein "auf der Anklageschrift", welcher der Angeklagte D. sowie die Mitangeklagten P. und M. "nach Maßgabe" der getroffenen Verständigung "nicht entgegengetreten" sind (UA S. 26).

3

Das Urteil genügt damit nicht den Mindestanforderungen, die an die richterliche Überzeugungsbildung auch dann zu stellen sind, wenn die Entscheidung, wie hier, nach einer Verständigung ergangen ist. Auch bei einer Verständigung hat das Gericht von Amts wegen den wahren Sachverhalt aufzuklären (§ 257c Abs. 1 S. 2, § 244 Abs. 2 StPO). Die Bereitschaft eines Angeklagten, wegen eines bestimmten Sachverhalts eine Strafe hinzunehmen, die das gerichtlich zugesagte Höchstmaß nicht überschreitet, entbindet nicht von dieser Pflicht (vgl. BGH, NStZ 2009, 467 [BGH 11.12.2008 - 3 StR 21/08]; NStZ-RR 2010, 54 [BGH 28.10.2009 - 5 StR 171/09]; Senat, NStZ-RR 2010, 336; Beschluss vom 9. März 2011 - 2 StR 428/10). Nur ein Sachverhalt, der auf einer Überzeugungsbildung des Gerichts unter vollständiger Ausschöpfung des Beweismaterials beruht, kann die Grundlage einer Verurteilung bilden. Eine Anklageschrift kann auch dann nicht Grundlage sein, wenn ihr neben dem Angeklagten, wie vorliegend, seine wegen gemeinschaftlichem Handelns angeklagten Mittäter ebenfalls nicht entgegengetreten sind. Diesem Einlassungsverhalten lässt sich ein irgendwie geartetes - auch nur "schlankes" - Geständnis, das einen als glaubhaft bewertbaren inhaltlichen Gehalt hätte, auf den einen Schuldspruch tragende Feststellungen gestützt werden könnten, nicht entnehmen (vgl. BGH, NStZ 2004, 509, 510 [BGH 20.04.2004 - 5 StR 11/04]). Es fehlt schon an einem tatsächlichen Einräumen des dem Anklagevorwurf zu Grunde liegenden Sachverhalts.

4

2.

Die Aufhebung ist gemäß § 357 StPO auf die nichtrevidierenden Angeklagten P. und M. zu erstrecken, soweit sie wegen der nämlichen Tat verurteilt worden sind. Der materiellrechtliche Fehler der nicht vorgenommenen Beweiswürdigung, der der Verurteilung des Angeklagten D. im Fall B. 2 der Urteilsgründe zu Grunde liegt, betrifft die Mitangeklagten P. und M. in gleicher Weise.

5

Dass sich die Anforderungen an die Urteilsgründe hinsichtlich der nichtrevidierenden Mitangeklagten nur nach dem Maßstab des § 267 Abs. 4 StPO bestimmen, steht einer Erstreckung nicht entgegen, denn es handelt sich hier nicht nur um einen Erörterungsmangel (vgl. BGH, NStZ 2005, 223; Beschluss vom 4. Februar 1997 - 5 StR 12/97) oder eine sonst fehlerhafte Beweiswürdigung, sondern um das Fehlen einer Beweiswürdigung, wovon auch § 267 Abs. 4 StPO, der nur Darstellungspflichten betrifft, nicht befreien kann.

6

Das Urteil hinsichtlich des Angeklagten P. war daher insgesamt aufzuheben. Betreffend den Mitangeklagten M. erstreckt sich die Aufhebung nur auf Fall B. 2 der Urteilsgründe, was zum Wegfall der dazugehörigen Einzelstrafe sowie des Gesamtstrafenausspruchs führt.

Fischer
Appl
Berger
Krehl
Ott

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