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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 22.07.2013, Az.: NotZ(Brfg) 5/13
Klärungsbedürftigkeit von Fragen der Amtsgerichtsbezirkszuweisung unter Beschränkung auf einzelne Stadtteile oder einzelne Amtsgerichtsbezirke im Zusammenhang mit der Ausschreibung von Notarstellen
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 22.07.2013
Referenz: JurionRS 2013, 41725
Aktenzeichen: NotZ(Brfg) 5/13
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

OLG Stuttgart - 14.12.2012 - AZ: 1 Not 1/12

Verfahrensgegenstand:

Verlegung der Geschäftsstelle

BGH, 22.07.2013 - NotZ(Brfg) 5/13

Redaktioneller Leitsatz:

Macht die Justizverwaltung bei der Vergabe einen ausgeschriebenen Notarstelle in Städten von mehr als 100.000 Einwohnern von der Möglichkeit Gebrauch, dem erfolgreichen Bewerber einen bestimmten Stadtteil oder einen Amtsgerichtsbezirk als Amtssitz zuzuweisen, so ist für ihn diese Beschränkung unangreifbar. § 10 Abs. 1 Satz 2 BNotO dient ausschließlich dem Interesse der Allgemeinheit am Funktionieren der vorsorgenden Rechtspflege und nicht subjektiven Interessen potentieller Notarbewerber an der Absicherung ihrer Berufsaussichten.

Der Bundesgerichtshof, Senat für Notarsachen, hat am 22. Juli 2013 durch den Vorsitzenden Richter Galke, den Richter Wöstmann, die Richterin von Pentz, die Notarin Dr. Doyé und den Notar Müller-Eising

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das Urteil des 1. Senats für Notarsachen des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 14. Dezember 2012 zuzulassen, wird abgelehnt.

Die Kosten des Zulassungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Der Gegenstandswert des Verfahrens wird auf 50.000 € festgesetzt.

Gründe

1

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Entgegen der Auffassung des Klägers bestehen im Ergebnis weder ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Oberlandesgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO i.V.m. § 111d Satz 2 BNotO) noch stellen sich entscheidungserhebliche Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 111d Satz 2 BNotO).

2

1. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung des Notarsenats des Oberlandesgerichts.

3

a) Ohne Erfolg macht der Kläger geltend, die Berufung gegen die Abweisung seiner Klage gegen die Zurückweisung seiner Anträge auf Änderung seiner Bestallungsurkunde im Bescheid des Beklagten werde sich als begründet erweisen. Die Ausschreibung der dem Kläger letztlich übertragenen Notarstelle mit Amtssitz im Bezirk des Amtsgerichts S. war seinerzeit bereits rechtlich nicht zu beanstanden. Die Ausschreibung von Notarstellen richtet sich gemäß § 4 BNotO an den Erfordernissen einer geordneten Rechtspflege aus, wobei das Bedürfnis nach einer angemessenen Versorgung der Rechtsuchenden mit notariellen Leistungen und die Wahrung einer geordneten Altersstruktur des Notarberufs zu berücksichtigen sind. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats steht der Verpflichtung der Justizverwaltung, ihr dadurch eröffnetes Ermessen fehlerfrei auszuüben, kein subjektives Recht von potentiellen Bewerbern um eine Notarstelle gegenüber. Die Ermessensbindung der Verwaltung dient nicht dazu, die Berufsaussichten der Interessenten am Notaramt rechtlich abzusichern; sie dient ausschließlich dem Interesse der Allgemeinheit am Funktionieren der vorsorgenden Rechtspflege. In die Freiheit der Berufswahl (Art. 12 Abs. 1 GG) wird dadurch nicht eingegriffen, denn diese besteht nur nach Maßgabe der vom Staat zur Verfügung gestellten Ämter. Mit der Bestimmung der Zahl und des Zuschnitts der auszuschreibenden Notarstellen handelt die Justizverwaltung in Ausübung dieser allein objektiven Interessen dienenden Organisationsgewalt. Gleiches gilt für die Entscheidung der Justizverwaltung, ob sie von der durch § 10 Abs. 1 Satz 2 BNotO eröffneten Möglichkeit Gebrauch macht, in Städten von mehr als 100.000 Einwohnern dem Notar - abweichend von Satz 1 der Vorschrift, der als Amtssitz die gesamte politische Gemeinde vorsieht - einen bestimmten Stadtteil oder einen Amtsgerichtsbezirk als Amtssitz zuzuweisen. Hierdurch erhält die Justizverwaltung die rechtliche Handhabe, bei Bedarf auf eine den Rechtspflegeerfordernissen entsprechende Verteilung der Notare auf das Stadtgebiet hinzuwirken. § 10 Abs. 1 Satz 2 BNotO dient damit ebenfalls ausschließlich den objektiven Belangen einer geordneten Rechtspflege, nicht aber den subjektiven Interessen eines potentiellen Notarbewerbers (vgl. Senatsbeschluss vom 14. April 2008 - NotZ 118/07, NJW-RR 2008, 1291, Rn. 11 f. mwN). Damit war die seinerzeit - wie der Beklagte unwidersprochen dargelegt hat - nach Bedarfsgesichtspunkten erfolgte Beschränkung des Amtssitzes der dem Kläger übertragenen Notarstelle auf den Amtsgerichtsbezirk S. für ihn nicht angreifbar. Ob anderes gelten kann, wenn sich die Verwaltung von öffentlichen Interessen löst und die auszuschreibenden Stellen nicht bedarfs- sondern bewerberbezogen ermittelt, insbesondere das Organisationsermessen zur sachwidrigen Begünstigung oder Benachteiligung einzelner Bewerber oder Bewerbergruppen gebraucht (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 12. Juli 2004 - NotZ 8/04, DNotZ 2003, 782), kann hier dahinstehen. Eine willkürliche Beschränkung der Notarbestellung auf den Amtsgerichtsbezirk S. im Hinblick auf bewerberbezogene und nicht dem Organisationsermessen entsprechende Gründe hat der Kläger nicht vorgetragen, solche sind auch nicht ersichtlich.

4

Damit besteht auch kein Anhalt, die bestandskräftige Bestellung des Klägers zum Notar unter Zuweisung des Amtsgerichtsbezirks S. als Amtssitz, die von diesem über 14 Jahre hinweg unbeanstandet akzeptiert worden ist, im Nachhinein im Wege des Widerrufs oder der Rücknahme der Bestellung unter Erweiterung seiner Notarbestellung gemäß § 64a BNotO i.V.m. § 48, 49 VwVfG zu ändern.

5

b) In diesem Zusammenhang stellen sich im Gegensatz zur Auffassung des Klägers auch keine grundsätzlichen Fragen. Die maßgeblichen Fragen der Amtsgerichtsbezirkszuweisung unter Beschränkung auf einzelne Stadtteile oder einzelne Amtsgerichtsbezirke gemäß § 10 Abs. 1 Satz 2 BNotO sind durch die Rechtsprechung des Senats hinreichend geklärt.

6

Ob die von dem Kläger begehrte Veränderung des ihm gemäß § 10 Abs. 1 Satz 2 BNotO zugewiesenen Amtssitzes den Grundsätzen der Amtssitzverlegung (§ 10 Abs. 1 Satz 3 BNotO) unterliegt, kann offen bleiben (s. zuletzt Senatsbeschluss vom 23. Juli 2012 - NotZ(Brfg) 17/11, DNotZ 2013, 308). Denn diese Grundsätze sind ebenfalls gewahrt. In dem angefochtenen Bescheid des Beklagten vom 16. Juli 2012 ist dargelegt, dass eine Veränderung des Amtssitzes des Klägers auf den Bereich des Amtsgerichtsbezirks S. -B. nicht den Erfordernissen einer geordneten Rechtspflege entspricht, da dort eine Versorgung mit notariellen Dienstleistungen nicht nur aktuell sondern auch für die Zukunft gesichert sei. Hiergegen erhebt die Berufungszulassungsbegründung keine Rügen.

7

2. Ohne Erfolg bleiben auch die Einwände gegen die Ausführung des Berufungsgerichts zu den aufsichtsrechtlichen Weisungen.

8

Zu Unrecht rügt der Kläger in diesem Zusammenhang, das Oberlandesgericht habe die Frage der Verhältnismäßigkeit nicht geprüft. Diese sei evident zu verneinen. Insofern nimmt der Kläger Bezug auf die Ausführungen des Oberlandesgerichts in den Beschlüssen vom 14. Dezember 2012 (OLG Stuttgart 1 Not 4/12 und 1 Not 2/12), mit denen das Oberlandesgericht die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage begründet habe. Die Einwendungen des Klägers führen nicht zur Zulassung der Berufung. Vielmehr ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des oberlandesgerichtlichen Urteils und an der Verhältnismäßigkeit der aufsichtsrechtlichen Weisung des Beklagten. Indem das Oberlandesgericht die Recht- und Zweckmäßigkeit der aufsichtsrechtlichen Weisung ausdrücklich bestätigt hat, hat es inzident auch die Verhältnismäßigkeit der gerügten Maßnahme bejaht. Dabei dürfen die Ausführungen zur aufsichtsrechtlichen Weisung auch nicht isoliert von den zuvor gemachten Ausführungen zu den Rechten des Klägers, eine Änderung der Bestallungsurkunde zu erreichen, gesehen werden. Das Oberlandesgericht hat in diesem Zusammenhang nicht nur die wechselseitigen Schriftsätze im Prozess, sondern auch den Inhalt des angefochtenen Bescheides ausdrücklich in Bezug genommen. Eine Divergenz zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist insofern nicht erkennbar. Es kann auch nicht die Rede davon sein, dass der vollständige Vortrag des Klägers unberücksichtigt geblieben sei. Vielmehr hat das Oberlandesgericht in seinem Urteil zum Ausdruck gebracht, dass die vom Kläger vorgebrachten Argumente nach seiner Auffassung nicht durchgreifen. Dem angefochtenen Bescheid des Beklagten ist im Übrigen eine rechtsfehlerfreie Begründung der Verhältnismäßigkeit zu entnehmen.

9

Soweit sich der Kläger in diesem Zusammenhang darauf beruft, dass das Oberlandesgericht in den Beschlüssen über die Aussetzung der sofortigen Vollziehung seiner Klage die mangelnde Verhältnismäßigkeit bejaht habe, greift dieser Einwand nicht durch. In den Beschlüssen hat das Oberlandesgericht ausdrücklich darauf hingewiesen, dass im Aussetzungsverfahren eine besondere Verhältnismäßigkeitsprüfung deshalb vorzunehmen war, weil die Entscheidung über die aufschiebende Wirkung der Klage und eine möglicherweise kurzfristige Vollstreckung der aufsichtsrechtlichen Weisung durch den Beklagten im Hinblick auf den andauernden Prozess sich als unverhältnismäßig darstellte. Daraus kann nicht geschlossen werden, dass auch die dauerhafte Aufrechterhaltung eines rechtswidrigen Zustandes aus Gründen des im Rechtsstaatsprinzip verankerten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes als geboten angesehen werden könnte. Dies hat das Oberlandesgericht in seinen Beschlüssen auch klar gestellt.

10

Die vom Kläger angeführten einzelnen Gründe, mit denen er die Unverhältnismäßigkeit der aufsichtsrechtlichen Weisung geltend macht, greifen nicht durch und sind nicht geeignet, hierauf einen Berufungszulassungsantrag erfolgreich zu stützen.

11

Dabei ist davon auszugehen, dass Abgrenzungen bei der Regelung unterschiedlich gelagerter Sachverhalte unentbehrlich sind und jede Grenzziehung in ihren Randbereichen zu Härten führen kann. Grenzziehungen sind deshalb, soweit sie wie hier sachlich vertretbar sind, verfassungsrechtlich auch nicht zu beanstanden (vgl. für die zeitliche Grenzziehung einer Stichtagsregelung st. Rspr. des Bundesverfassungsgerichts zuletzt BVerfGE 117, 272, 301 [BVerfG 27.02.2007 - 1 BvL 10/00]).

12

Bei einer Duldung der Verlegung der notariellen Geschäftsstelle in den Amtsgerichtsbezirk S. -B. besteht auch erhebliche Gefahr, einen Präzedenzfall zu schaffen. Dies erhellt ohne weiteres daraus, dass die rechtswidrige Sachlage auf Dauer aufrechterhalten würde und in der Zukunft eine unabsehbare Anzahl von Fällen vergleichbarer Art auftreten können. Dementsprechend sind die vom Beklagten im Bescheid genannten "akuten" Einzelfälle nur als Beispielsfälle anzusehen, auf die sich die Gefahr der Nachahmung nicht allein beschränkt. Dementsprechend können die Rügen des Klägers hinsichtlich der Berücksichtigung dieser Einzelfälle die Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung nicht in Frage stellen und eine Berufungszulassung begründen.

13

Soweit sich der Kläger darauf beruft, dass er bei seinen vorherigen Ermittlungen aufgrund der Webseite des Beklagten den Eindruck erlangt habe, dass sich der Bezirk des Amtsgerichts S. auf die neuen Kanzleiräume erstrecke, greift auch dies im Ergebnis nicht durch. Ein Anspruch darauf, den rechtswidrigen Zustand aufrecht zu erhalten, ergibt sich hieraus nicht. Darüber hinaus hat der Beklagte zutreffend darauf hingewiesen, dass nach der Anzeige des Klägers und noch vor dessen Umzug sowohl die Notarkammer als auch der Beklagte unmittelbar auf die Bedenken hinsichtlich der Verlegung der notariellen Kanzleiräume hingewiesen haben.

14

Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang geltend macht, es sei von grundsätzlicher Bedeutung, ob sich das Gericht bei einer Weisung auf der Grundlage des § 93 BNotO auf eine Prüfung der Recht- und Zweckmäßigkeit der erteilten Weisung im Sinne einer Willkürprüfung beschränken dürfe, oder eine Überprüfung gerade auch der Verhältnismäßigkeit der Weisung vorzunehmen habe, ist diese Rüge unbegründet. In die Prüfung der Recht- und Zweckmäßigkeit ist zugleich die Prüfung der Verhältnismäßigkeit eingeschlossen. Dem Urteil des Oberlandesgerichts ist nicht zu entnehmen, dass es sich bei der Prüfung der aufsichtsrechtlichen Weisung allein auf eine Willkürprüfung beschränkt habe. Vielmehr ist es zutreffend davon ausgegangen, dass die aufsichtsrechtlichen Weisungen nicht zu beanstanden sind und die dagegen gerichtete Klage des Klägers unbegründet ist.

15

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 111b Abs. 1 Satz 1 BNotO i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO. Die Wertfestsetzung ist entsprechend § 111g Abs. 2 Satz 1 BNotO erfolgt.

Galke

Wöstmann

von Pentz

Doyé

Müller-Eising

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