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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 22.05.2013, Az.: 1 StR 71/13
Vorliegen der Voraussetzungen der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 22.05.2013
Referenz: JurionRS 2013, 38376
Aktenzeichen: 1 StR 71/13
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Nürnberg - 30.07.2012

Rechtsgrundlagen:

§ 20 StGB

§ 63 StGB

Verfahrensgegenstand:

Gefährliche Körperverletzung u.a.

BGH, 22.05.2013 - 1 StR 71/13

Redaktioneller Leitsatz:

1.

Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB darf lediglich angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass die unterzubringende Person bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund einer nicht nur vorübergehenden psychischen Störung schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war.

2.

Hierzu hat das Tatgericht festzustellen, warum die festgestellte Störung unter ein Eingangsmerkmal des § 20 StGB zu subsumieren ist und wie sich diese, einem Eingangsmerkmal von § 20 StGB unterfallende Störung in der jeweiligen konkreten Tatsituation auf die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat.

3.

Allein die psychiatrische Diagnose ist nicht mit einem Eingangsmerkmal des § 20 StGB gleichzusetzen.

4.

Für die Bewertung der Schwere einer die Tat überdauernden Störung ist insbesondere maßgebend, ob es im Alltag außerhalb der beschuldigten Delikte zu Einschränkungen des beruflichen und sozialen Handlungsvermögens gekommen ist.

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. Mai 2013 beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 30. Juli 2012 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen - mit Ausnahme derjenigen zum äußeren Tatgeschehen - aufgehoben.

Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO).

Gründe

1

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung, vorsätzlicher Körperverletzung, Nötigung und Bedrohung, wegen Freiheitsberaubung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und Nötigung, wegen Nachstellung in Tateinheit mit Beleidigung und einem Verstoß gegen das Bundesdatenschutzgesetz sowie wegen unerlaubten Führens einer Waffe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision, die den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg hat.

2

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts sperrte der Angeklagte am 14. März 2010 seine Ehefrau sechs Stunden lang im Wohnzimmer der gemeinsamen Wohnung ein, zog sie an den Haaren, schlug, trat und würgte sie derart, dass die Geschädigte keine Luft mehr bekam. Unter Vorhalt eines Messers drohte er ihr, sie umzubringen, und nötigte sie, die Oberbekleidung auszuziehen. Sodann versetzte er ihr nochmals einen Faustschlag. Ein Jahr später sperrte er die Geschädigte abermals in der Wohnung ein, diese flüchtete panisch über den Balkon im vierten Stock auf das Dach des Nachbarhauses. Der Angeklagte setzte ihr hinterher, hielt sie schmerzhaft mit seinem von hinten um den Hals gelegten Arm fest und drohte ihr, sie vom Dach herunterzustoßen. Nach der Trennung der Eheleute behelligte der Angeklagte die Geschädigte trotz einer gerichtlichen Unterlassungsverpflichtung zwischen dem 20. Oktober und dem 20. Dezember 2012 durch mehrfache tägliche Anrufe und bezeichnete sie dabei als Lügnerin. Einmal beobachtete er sie in diesem Zeitraum in ihrer Wohnung. Zwischen dem 21. November 2011 und dem 20. Dezember 2011 fragte er über die SIM-Karte seines Mobiltelefons ca. 420mal die Standortdaten des Kraftfahrzeugs der Geschädigten ab, an das er heimlich einen GPS-Peilsender angebracht hatte. Am 21. Dezember 2011 führte er in seinem Fahrzeug eine Schreckschusspistole mit sich.

3

Das Landgericht hat - dem Sachverständigen folgend - eine chronifizierte depressive Störung ohne psychotische Symptome angenommen, die eine krankhafte seelische Störung im Sinne des § 20 StGB darstelle. Diese äußere sich darin, dass der Angeklagte dauerhaft ängstlich, bedrückt, teilnahmslos und antriebsgemindert sei. Hinzu trete eine ausgeprägte Eifersucht, die schon wahnhaften Charakter habe. Sein Denken kreise ständig um seine Ehefrau und deren Verhalten. Die festgestellte Störung habe bei allen Taten zu einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit geführt. Die Depression habe sich bei den Taten durch Aggression "in Form negativer Energie" geäußert. Da diese Störung andauere, der Angeklagte unvermindert aggressiv sei, wie ein Suizidversuch trotz "formaler Anpassung" belege, bestehe die Gefahr schwerer Aggressionsdelikte.

4

2. Diese Feststellungen sind nicht geeignet, die Anordnungsvoraussetzungen des § 63 StGB zu belegen.

5

Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB darf lediglich angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass die unterzubringende Person bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund einer nicht nur vorübergehenden psychischen Störung schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war (BGH, Beschlüsse vom 26. September 2012 - 4 StR 348/12, und vom 20. November 2012 - 1 StR 504/12, NJW 2013, 246 jew. mwN). Hierzu hat das Tatgericht festzustellen, warum die festgestellte Störung unter ein Eingangsmerkmal des § 20 StGB zu subsumieren ist und wie sich diese, einem Eingangsmerkmal von § 20 StGB unterfallende Störung in der jeweiligen konkreten Tatsituation auf die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. März 2013 - 1 StR 654/12, und vom 12. November 2004 - 2 StR 367/04, BGHSt 49, 347, 352). Daran fehlt es.

6

Das Landgericht beschränkt sich auf die Mitteilung der vom Sachverständigen vorgenommenen diagnostischen Einordnung und der Symptome der festgestellten Störung. Erwägungen zum Ausprägungsgrad hat es für die depressive Störung nicht angestellt. Allein die psychiatrische Diagnose ist aber nicht mit einem Eingangsmerkmal des § 20 StGB gleichzusetzen (BGH, Beschluss vom 12. November 2004 - 2 StR 367/04, BGHSt 49, 347, 352). Hierfür sind vielmehr der Ausprägungsgrad der Störung und ihr Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit entscheidend. Für die Bewertung der Schwere einer die Tat überdauernden Störung ist insbesondere maßgebend, ob es im Alltag außerhalb der beschuldigten Delikte zu Einschränkungen des beruflichen und sozialen Handlungsvermögens gekommen ist (vgl. hierzu Boetticher/Nedopil/ Bosinski/Saß NStZ 2005, 57). Dass die diagnostizierte Störung hier sicher eine derartige Schwere erreicht, ist vom Landgericht ohne weiteres angenommen worden, versteht sich aber auch angesichts des Umstands, dass der Angeklagte bis zu seiner Festnahme als Vorarbeiter im Schichtbetrieb tätig, mithin beruflich eingegliedert war, nicht von selbst.

7

Zudem ist nicht nachvollziehbar dargelegt, wie sich die depressive Störung und die ihr zugeordneten verhaltensbezogenen Symptome, die eine starke passive Ausprägung haben, konkret auf die Begehung der Taten, die sich über Stunden, teilweise über Wochen erstreckten und vom Täter erhebliche Aktivität verlangten, ausgewirkt haben. Dass die durch die Störung verursachte Inaktivität sich "in Form negativer Energie" in Aggression umgewandelt habe, ist nicht geeignet, in nachprüfbarer Weise darzulegen, worin der Zustand des Angeklagten besteht und welche seiner Auswirkungen die Anordnung der gravierenden, unter Umständen lebenslangen Maßregel nach § 63 StGB gebieten (vgl. BGH aaO; Beschluss vom 29. Mai 2012 - 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307).

8

Auch für die Eifersucht, der bereits ein wahnhafter Charakter zugeschrieben wird, ist weder dargelegt, ob diese überhaupt einem Eingangsmerkmal des § 20 StGB unterfällt, noch welche Auswirkungen diese Symptomatik - sei es auch im Zusammenspiel mit der depressiven Störung - auf die Schuldfähigkeit bei der Ausführung der Taten hatte. Hinzu kommt, dass der Sachverständige, dessen Ausführungen sich das Landgericht anschließt, den wahnhaften Charakter unter den vom Landgericht nicht aufgeklärten Vorbehalt stellt, dass die Ehefrau tatsächlich kein außereheliches Verhältnis gehabt habe. Insoweit ist schon der Schluss auf die wahnhafte Eifersucht nicht belegt.

9

3. Der Senat kann angesichts der unklaren Auswirkungen des psychischen Zustands des Angeklagten letztlich nicht ausschließen, dass er bei den Taten schuldunfähig war, so dass auch der Schuldspruch aufzuheben war. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen können jedoch bestehen bleiben. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung.

10

Der Senat weist darauf hin, dass für den Fall der erneuten Festsetzung einer Geldstrafe für diese auch dann eine Tagessatzhöhe festzulegen ist, wenn aus Einzelfreiheitsstrafen und einer Einzelgeldstrafe eine Gesamtfreiheitsstrafe zu bilden ist (BGH, Beschluss vom 14. Mai 1981 - 4 StR 599/80, BGHSt 30, 93, 96). Die nun zur Entscheidung berufene Strafkammer wird zudem bei erneuter Feststellung eines Zustands im Sinne des § 63 StGB zu berücksichtigen haben, dass die für die Anordnung der Maßregel erforderliche Gefährlichkeit für die Allgemeinheit nur dann auf Selbsttötungsbestrebungen gestützt werden kann, wenn damit Folgen für Dritte verbunden sind (vgl. zu einer solchen Konstellation BGH, Urteil vom 10. Dezember 2009 - 4 StR 435/09, NStZ-RR 2010, 105).

Wahl

Graf

Cirener

Radtke

Zeng

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