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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 21.01.2016, Az.: V ZB 36/14
Revisionsgerichtliche Feststellung der Rechtswidrigkeit der Anordnung der Sicherungshaft und ihrer Aufrechterhaltung; Zulässiger Haftantrag als eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 21.01.2016
Referenz: JurionRS 2016, 11781
Aktenzeichen: V ZB 36/14
ECLI: ECLI:DE:BGH:2016:210116BVZB36.14.0

Verfahrensgang:

vorgehend:

AG Würzburg - 14.12.2013 - AZ: XIV 99/13

LG Würzburg - 30.01.2014 - AZ: 3 T 79/14

BGH, 21.01.2016 - V ZB 36/14

Redaktioneller Leitsatz:

Ein Haftantrag zur Sicherung einer Abschiebung entspricht nicht den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung und ist somit unzulässig, wenn er zur Durchführbarkeit und zur notwendigen Dauer der Haft lediglich die Angabe enthält, die Anordnung der Sicherungshaft von zunächst drei Monaten sei angemessen und erforderlich, weil zunächst die Identität des Betroffenen zweifelsfrei festgestellt und bestätigt werden müsse und die Beschaffung von Heimreisedokumenten einen nicht unerheblichen Zeitraum in Anspruch nehmen werde. Das ist unzureichend, soweit nicht erläutert wird, weshalb eine Haft von drei Monaten erforderlich erschien und eine Haft von kürzerer Dauer nicht ausreichte. Eine solche Erläuterung ist unverzichtbarer Bestandteil eines zulässigen Haftantrags, weil die Abschiebungshaft nach § 62 Abs. 1 S. 2 AufenthG auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken ist und die Frist von drei Monaten vorbehaltlich des § 62 Abs. 4 AufenthG die obere Grenze der möglichen Haft und nicht deren Normaldauer bestimmt.

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. Januar 2016 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richterinnen Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und Dr. Brückner, den Richter Dr. Göbel und die Richterin Haberkamp
beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Würzburg vom 14. Dezember 2013 und der Beschluss des Landgerichts Würzburg - 3. Zivilkammer - vom 30. Januar 2014 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden der Stadt Marburg auferlegt.

Der Gegenstandswert beträgt in allen Instanzen 5.000 €.

Gründe

I.

1

Der Betroffene wurde am 13. Dezember 2013 bei einer Verkehrskontrolle festgenommen. Er konnte sich nicht ausweisen und gab falsche Personalien an, nämlich die eines algerischen Bekannten. Eine Prüfung ergab, dass die Ausländerbehörde der Stadt Marburg, bei der er ebenfalls unter diesem falschen Namen aufgetreten war, ihn mit Bescheid vom 7. Dezember 2012 aus dem Bundesgebiet ausgewiesen hatte. Die beteiligte Behörde hat am 13. Dezember 2013 bei dem Amtsgericht beantragt, gegen den Betroffenen Sicherungshaft für die Dauer von drei Monaten anzuordnen. Das Amtsgericht hat diesem Antrag entsprochen. Das Landgericht hat die Beschwerde des Betroffenen zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde beantragt der Betroffene nach dem Ende der angeordneten Haft die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haftanordnung.

II.

2

Das Beschwerdegericht hält den Haftantrag der beteiligten Behörde für ausreichend. Dieser sei dem Betroffenen zwar nicht ausgehändigt worden. Der Mangel sei aber durch Einsichtnahme seines damaligen Verfahrensbevollmächtigten in die Akten behoben worden. Bei dem Betroffenen lägen die Haftgründe der unerlaubten Einreise und der Entziehungsabsicht vor. Eine Haft von drei Monaten sei auch erforderlich. Deshalb habe auch der Antrag des Betroffenen, die Rechtswidrigkeit der Haftanordnung festzustellen, keinen Erfolg.

III.

3

Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Die Anordnung der Sicherungshaft und ihre Aufrechterhaltung durch das Beschwerdegericht sind rechtswidrig und verletzen den Betroffenen in seinen Rechten. Es fehlte an einem zulässigen Haftantrag.

4

1. Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Zwar dürfen die Ausführungen zur Begründung des Haftantrags knapp gehalten sein, sie müssen aber die für die richterliche Prüfung des Falls wesentlichen Punkte ansprechen. Fehlt es daran, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden (st. Rspr., Senat, Beschlüsse vom 31. Januar 2013 - V ZB 20/12, FGPrax 2013, 130 Rn. 15, vom 15. Januar 2015 - V ZB 165/13, [...] Rn. 5 und vom 22. Oktober 2015 - V ZB 79/15 Rn. 15).

5

2. Diesen Anforderungen wird der Haftantrag der beteiligten Behörde nicht gerecht.

6

Zur Durchführbarkeit und zur notwendigen Dauer der Haft enthält er lediglich die Angabe, die Anordnung der Sicherungshaft von zunächst drei Monaten sei angemessen und erforderlich, weil zunächst die Identität des Betroffenen zweifelsfrei festgestellt und (ggf. durch Vorführung bei dem algerischen Generalkonsulat) bestätigt werden müsse und die Beschaffung von Heimreisedokumenten einen nicht unerheblichen Zeitraum in Anspruch nehmen werde. Das war unzureichend, weil nicht erläutert wird, weshalb eine Haft von drei Monaten erforderlich erschien und eine Haft von kürzerer Dauer nicht ausreichte. Eine solche Erläuterung ist indessen unverzichtbarer Bestandteil eines zulässigen Haftantrags, weil die Abschiebungshaft nach § 62 Abs. 1 Satz 2 AufenthG auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken ist und die Frist von drei Monaten vorbehaltlich des § 62 Abs. 4 AufenthG die obere Grenze der möglichen Haft und nicht deren Normaldauer bestimmt (Senat, Beschluss vom 10. Mai 2012 - V ZB 246/11, FGPrax 2012, 225 Rn. 10). In dem Haftantrag wären deshalb der Ablauf einer Rückführung nach Algerien bzw. nach Marokko und der hierfür zu veranschlagende Zeitraum darzustellen gewesen. Das ist unterblieben.

7

3. Der Mangel des Haftantrags ist nicht, was möglich gewesen wäre (Senat, Beschluss vom 16. Juli 2014 - V ZB 80/13, InfAuslR 2014, 384 Rn. 22 f.), durch die beteiligte Behörde oder durch eigene Feststellungen des Beschwerdegerichts behoben worden.

8

Die Behörde hat im Verlauf des Beschwerdeverfahrens zwar mitgeteilt, mit Blick auf die falschen Angaben zu seiner Identität werde die Abschiebung des Betroffenen nunmehr nach Algerien oder Marokko parallel betrieben, eine Sammelvorführung bei den algerischen Behörden sei für den 28. Februar 2014 vorgesehen. Sie hat aber weder den Zeitraum näher konkretisiert, in dem nach der Durchführung des Termins mit der Erteilung von Passersatzpapieren als Voraussetzung der Durchführung der Abschiebung gerechnet werden kann, noch erläutert, was die algerischen Behörden dazu veranlassen könnte, den Betroffenen als algerischen Staatsangehörigen anzuerkennen. Das war geboten, weil der Betroffene bei seiner Anhörung durch das Amtsgericht erklärt hatte, er sei marokkanischer Staatsangehöriger, und diese Angabe den Feststellungen der örtlichen Polizeidienststelle in einem von der beteiligten Behörde mit dem Haftantrag vorgelegten Vermerk entsprach.

9

4. Von einer weiteren Begründung wird nach § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen.

Stresemann

Schmidt-Räntsch

Brückner

Göbel

Haberkamp

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