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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 20.10.2010, Az.: IV ZB 11/10
Wiedereinsetzung aufgrund eines zurechenbaren Verhaltens eines Rechtsanwalts im Hinblick auf eine ordnungsgemäßen Fristnotierung im Fristenkalender und der Wahrung der Vorfrist
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 20.10.2010
Referenz: JurionRS 2010, 26073
Aktenzeichen: IV ZB 11/10
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Darmstadt - 14.01.2010 - AZ: 19 O 200/08

OLG Frankfurt am Main - 28.05.2010 - AZ: 12 U 15/10

Rechtsgrundlage:

§ 85 Abs. 2 ZPO

Fundstelle:

JurBüro 2011, 279-280

BGH, 20.10.2010 - IV ZB 11/10

Redaktioneller Leitsatz:

  1. 1.

    Weist ein Berufungsgericht in Zivilsachen einen Wiedereinsetzungsantrag wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zurück und verwirft es gleichzeitig eine Berufung als unzulässig, dann ist zwar die Rechtsbeschwerde gemäß § 574 I S. 1 Nr. 1, § 522 I S. 4, § 238 II S. 1 ZPO statthaft. Sie ist aber nicht zulässig, wenn die Rechtssache weder entscheidungserhebliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft, noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 II ZPO).

  2. 2.

    Einem Rechtsanwalt ist es zwar grundsätzlich gestattet, die Fristenkontrolle seinem Büropersonal zu überantworten. Jedoch setzt die persönliche Verantwortung des Rechtsanwalts für die Fristwahrung jedenfalls dann wieder ein, wenn ihm die Handakten zeitnah zum Fristablauf zur Erledigung der fristgebundenen Prozesshandlung wiedervorgelegt werden. Gibt ein Rechtsanwalt aber die Akten wieder aus der Hand und verliert sie dann aus dem Blick, statt die begonnene fristgebundene Prozesshandlung fortzusetzen, so ist ihm dies zum Vorwurf zu machen, sodass ein der Partei nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares persönliches Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten an der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist vorliegt. Denn ein Rechtsanwalt muss in solchen Fällen eine sofortige oder exakt datierte Wiedervorlage verlangen.

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 12. Zivilsenats in Darmstadt des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 28. Mai 2010 wird auf Kosten der Beklagten als unzulässig verworfen.

Gegenstandswert: 357.200 EUR

Gründe

1

1.

Die Beklagte hat durch ihren (früheren) Prozessbevollmächtigten gegen das diesem am 21. Januar 2010 zugestellte erstinstanzliche Urteil fristgerecht am 3. Februar 2010 Berufung eingelegt. Am 20. April 2010 hat sich der Vorsitzende des Berufungsgerichts telefonisch bei der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten der Beklagten nach dem Verbleib der Berufungsbegründung erkundigt. Bei Gericht eingehend per Telefax am 22. April 2010 hat der Prozessbevollmächtigte die Berufung begründet und zugleich beantragt, der Beklagten gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

2

Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag mit Beschluss vom 28. Mai 2010 zurückgewiesen und zugleich die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die fristgerecht eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde der Beklagten.

3

2.

Die Rechtsbeschwerde ist zwar gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft; sie ist aber nicht zulässig, weil die Rechtssache weder entscheidungserhebliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft, noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 ZPO). Das Berufungsgericht hat nicht gegen das Rechtsstaatsgebot oder das Gebot effektiven Rechtsschutzes verstoßen. Auch weitere Zulassungsgründe sind nicht ersichtlich, vielmehr ist der Beklagten die begehrte Wiedereinsetzung lediglich aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalles zu versagen.

4

a)

Die Beklagte macht geltend, der angefochtene Beschluss weiche von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ab, soweit das Berufungsgericht ihrem früheren Prozessbevollmächtigten vorhalte, er habe hier aus Anlass einer verspäteten Aktenvorlage die ordnungsgemäße Eintragung der Berufungsbegründungsfrist im Fristenbuch seines Büros persönlich kontrollieren müssen. Bisher habe es der Bundesgerichtshof demgegenüber genügen lassen, wenn sich ein Rechtsanwalt allein aufgrund der in seiner Handakte befindlichen Vermerke von der ordnungsgemäßen Fristennotierung überzeuge (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 8. Februar 2010 - II ZB 10/09 - MDR 2010, 533 m.w.N.; 14. Juni 2006 - IV ZB 18/05 - VersR 2007, 520 Rn. 6).

5

b)

Darauf kommt es hier aber nicht an, weil die Beklagte ihren Wiedereinsetzungsantrag anderweitig nicht ausreichend begründet hat. Aus ihrem Vorbringen ergibt sich nicht schlüssig und widerspruchsfrei, dass ein - ihr nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares - persönliches Verschulden ihres früheren Prozessbevollmächtigten an der Versäumung der am Montag, dem 22. März 2010 abgelaufenen Berufungsbegründungsfrist ausscheidet.

6

Losgelöst von der Frage einer ordnungsgemäßen Fristnotierung im Fristenkalender und der Wahrung der Vorfrist war die Handakte dem Rechtsanwalt jedenfalls mit Blick auf den aus der Handakte ersichtlichen Ablauf der Berufungsbegründungsfrist und gemessen an der vorgetragenen Büroanweisung im Ergebnis pünktlich zwei Wochenenden vor Fristablauf zur Bearbeitung vorgelegt worden. Ist es dem Rechtsanwalt auch grundsätzlich gestattet, die Fristenkontrolle seinem Büropersonal zu überantworten, so setzt die persönliche Verantwortung des Rechtsanwalts für die Fristwahrung jedenfalls dann wieder ein, wenn ihm die Handakten zeitnah zum Fristablauf zur Erledigung der fristgebundenen Prozesshandlung wieder vorgelegt werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 5. Februar 2003 - VIII ZB 115/02 - VersR 2003, 1460 unter 2 m.w.N.; 22. September 1971 - V ZB 7/71 - NJW 1971, 269 unter 1 und 3). Insoweit ist dem früheren Prozessbevollmächtigten der Beklagten der Vorwurf zu machen, dass er die Akten hier nochmals aus der Hand gab und infolgedessen offenbar binnen sehr kurzer Zeit aus dem Blick verlor, anstatt lediglich die für die Weiterbearbeitung erforderliche Parallelakte hinzu zu ziehen und die bereits begonnene Bearbeitung der Berufungsbegründung fortzusetzen. Die Anweisung, die Akten "zur Hauptfrist" wieder vorzulegen, war geeignet, die Büromitarbeiter zu irritieren, denn nach der behaupteten internen Büroanweisung war die Handakte gemessen an der notierten Vorfrist bereits eine Woche zu spät vorgelegt worden (darin unterscheidet sich der Fall vom Beschluss des VI. Zivilsenats des BGH vom 27. Mai 1997 - VI ZB 10/97 - VersR 1997, 1252) und auch der Zeitpunkt für eine Vorlage zur Hauptfrist (Freitag, der 12. März 2010) bereits überschritten. Vor diesem Hintergrund konnte diese Fristverfügung den Anschein erwecken, als stehe dieser Termin noch aus, so dass die Akte nochmals "auf Frist" gelegt werden könne. Der Rechtsanwalt hätte hier deshalb zumindest eine sofortige oder exakt datierte Wiedervorlage verlangen müssen.

Terno
Wendt
Dr. Kessal-Wulf
Felsch
Dr. Karczewski

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